Читать книгу Joseph Roth - Letzter Donauwalzer - Bernd Oei - Страница 11

2. 4. Die Büste des Kaisers

Оглавление

2. 4. 1. Entstehung und Inhalt

Die in sieben Kapiteln gegliederte Novelle von etwas über zwanzig Seiten entsteht im Anschluss an Triumph der Schönheit im Dezember 1934 und erscheint wie diese im Sommer 1935 im Pariser Tageblatt unter dem Titel Le buste de l'empereur. Die deutschsprachige Erstveröffentlichung findet gleichfalls in der ersten Gesamtausgabe von Kiepenheuer & Witsch in Köln 1964 statt.

Handlungsort ist Ostgalizien zwischen Lemberg und Brody, wo ein Miniatur-Kaiser, der gutherzige und monarchietreue Graf Franz Xaver Morstin für Recht und Ordnung sorgt. Er repräsentiert Transnationalität der k. u. k. Monarchie. Als Dank für seine Gastfreundschaft während eines Manövers erhält Morstin eine Büste des Kaisers, die er wie eine Reliquie verehrt und während des Krieges vor den Russen im Keller versteckt. Nach Kriegsende entrüstet ihn eine billige Kabarettnummer, die den Kaiser verunglimpft und ein Imitat der Stephaniekrone entweiht, so dass er die Büste wieder aufstellt. Als ein polnischer Verwaltungsbeamter daran Anstoß nimmt, findet ein rituelles Begräbnis der Skulptur statt. Mrostin verlässt seine Heimat und sieht seinem Tod an der italienischen Riviera entgegen, will aber nahe seiner Büste begraben werden.

Eine Lesart besteht darin, die Geschichte als Parabel und eine andere, sie als Legende zu lesen. Als Parabel repräsentiert sie die Heimatlosigkeit des Grafen, der ohnehin unterschiedliche genetische Wurzeln besitzt, die aber die Frage seiner Identität nie berühren, da er sich als Diener der Monarchie, als Bürger eines Reiches und im Herzen als Österreicher fühlt. Folglich beginnt seine Odyssee mit dem Ende der Habsburger-Regierung, weil sie mehr ist als ein Apparat: ein Vaterland und eine Religion. Als Legende reflektiert betont Die Büste des Kaisers, was Roth die ironische Ungläubigkeit der mutmaßlichen Stützen im Reich bezeichnet. Unter dieser Perspektive rückt das Schlüsselereignis in der American Bar in den Vordergrund, in der sich Menschen sinnfrei und amoralisch amüsieren und sämtliche Werte sabotieren bzw. diskreditieren, die für einen respektvollen Umgang miteinander unentbehrlich sind.

Der Beginn, nicht untypisch für Roth, beschreibt präzise geografisch und topografisch den Schauplatz des Geschehens, von dem die allermeisten nie gehört haben dürften. Der Ich-Erzähler sieht sich zu einer Erläuterung genötigt aufgrund der „unnatürlichen Launen“ der Geschichte.

2. 4. 2. Utopie und Legende

Eine Utopie ist ortlos, eine Legende zeitlos. Roth impliziert den Tenor des ubique: „Überall trugen die Gendarmen den gleichen Federhut oder den gleichen lehmfarbenen Helm mit goldenem Knauf und dem blinkenden Doppeladler der Habsburger; überall waren die hölzernen Türen der k. u. k. Tabaktrafiken mit schwarz-gelben Diagonalstreifen bemalt; überall trugen die Finanzer die gleichen grünen (beinahe blühenden) Portepees an den blanken Säbeln; in jeder Garnison gab es die gleichen blauen Uniformblusen und die schwarzen Salonhosen der flanierenden Infanterieoffiziere auf dem Korso, die gleichen roten Hosen der Kavalleristen, die gleichen kaffeebraunen Rocke der Artillerie; überall in diesem großen und bunten Reich wurde jeden Abend gleichzeitig, wenn die Uhren von den Kirchtürmen neun schlugen, der gleiche Zapfenstreich geblasen … Überall gab es die gleichen Kaffeehäuser mit den verrauchten Wölbungen, den dunklen Nischen, in denen Schachspieler wie merkwürdige Vogel hockten, mit den Buffets voll farbiger Flaschen und glitzernder Glaser, die von goldblonden und vollbusigen Kassiererinnen verwaltet wurden.63

Vier rhetorische Stilmittel zeichnen diese Textstelle aus: erstens die Repetition durch Wiederholung einzelner Worte, Syntax und Sinneneindrücke, in diesem Fall Farben. Zweitens die Metonymie diverser Details, die sowohl atmosphärisch verdichten als auch eine Magie der Ganzheit bilden. Zu der optischen Signalwirkung tritt eine rituelle Sprache, deren Kodex von allen Nationalitäten verstanden wird, inkludieren. Drittens die legendär anmutende Zeitlosigkeit; ein Sondermerkmal des Habsburger Reiches besteht in der Koexistenz von Heterogenität unter einem Dach. Viertens die subtile Erotik zwischen den Zeilen, die das Humane und das Lebensgefühl betonen, nicht die großen Ereignisse oder die Politik. Folglich ist auch hier der Mensch wichtiger als das Amt und der Kaiser als Person wichtiger als das Gesetz, die Zugehörigkeit zu einem Reich elementarer als die nationale oder soziale Identität: der konkrete Ort, das Dorf Lopatyny fern der Eisenbahn könnte überall liegen, es ist lediglich ein Platz unter vielen im Kaiserreich.

Das gilt auch für Menschen wie Morstin, der auch polnische Ahnen hat – de facto existiert ein auf das 14. Jahrhundert zurückblickendes Adelsgeschlecht diesen Namens in Krakau –, die es mit der Tradition halten: Leben und leben lassen. Er ist der Prototyp des alten Österreichs mit seinem Mikrokosmos Ostgalizien. Wie ein Kaiser lenkt er die Schicksale auf günstige Bahnen durch seinen Namen, Würde, Charisma wirkt er als guter Geist hinter den Gesetzen. Im Umkehrschluss bedeutet das eine heile Welt, denn wenn es überall einen Morstin gibt herrscht auch überall Frieden und ein gewisses Maß an Glück und Gerechtigkeit. Dass es in der Monarchie vor dem Krieg an verschiedenen Brandherden mehr als gärt, ist unbestritten. Dramaturgisch jedoch kann die Geschichte nicht anders erzählt werden, um den Verlust und die Bedeutung des Kaisers in Gestalt der Büste deutlich zu gestalten.

Der zweite Teil handelt von nusquam; nach dem Krieg und bei der Heimkehr findet sich nirgends mehr das Gleiche, das Vertraute wieder: „Gewiß, es waren noch die gleichen Felder, die gleichen Wälder, die gleichen Hütten, die gleiche Art der Bauern - die gleiche Art, sagen wir-, denn viele von jenen, die der Graf noch gekannt hatte, waren gefallen.“ Der Krieg bedeutet Zäsur.

Negativer Höhepunkt der Sittenlosigkeit ist die American Bar, bereits vom Namen her ein Fremdkörper, in der die ehernen Gesetze nichts mehr gelten und stattdessen Spektakel vorherrscht. In Zürich, zumindest in dieser Nachtbar, sind die Röcke schamlos und die entblößten Knie hässlich, die Typen widerlich, „eine Auslese jener Art von Menschen, die das Erbe der untergegangenen Welt vorläufig verwalteten, um es ein paar Jahre später an die noch moderneren und mörderischen Erben mit Gewinn abzugeben.“

Solche geldgeilen und lüsternen Typen, die ihren Wert im Champagnerglas suchen, findet man in der Tat überall. Es sind die Gespenster neugeborener Nationalitäten. Symbolisch verkörpert das Mixen von Getränken und der beliebige Zugang des Unter- und Oberschicht in den Club, das daraus entstehende Halbwelt-Milieu das Zerrbild dessen, was Morstin als Ganzheit und Heimat kennt. Die Zaubertränke der neuen Zeit verändern auch ihn, wenngleich nur für einen einzigen Augenblick: der würdevolle Mann fällt aus der Rolle und schlägt, um der Schande an seinem Kaiser und Vaterland ein Ende zu bereiten, mit einer Flasche den Tänzer nieder. Symbolisch und grotesk zugleich wirkt sein Versuch, mit der Sodawasserflasche einen imaginären Brand zu löschen.

Mit dem Aufstellen der Sandsteinbüste geht noch einmal ein Ruck durch die Bauern der Region. Sie grüßen ehrfurchtsvoll den Schatten eines verlorenen Reiches und erinnert sich, wie es einmal war.

Morstin wird durch seine gelebte Tradition und wieder eingeführten Rituale zum Oppositionellen der jungen polnischen Republik. Der Ausgang ist vorhersehbar. Die Internationalität seiner Helfer, ein ukrainischer Schreiner, ein polnischer Schmied und ein jüdischer Schreiber sorgen für die Umsetzung seiner Vorhabe, die Büste wie in der Kapuzinergruft einzusargen. „Also begrub man den alten Kaiser zum zweitenmal im Dorfe Lopatyny, im ehemaligen Galizien.“

Obiger Satz steht stellvertretend für die rückwärtsgewandte Utopie, die Roths Erzählungen seit dem Radetzkymarsch auszeichnen. Auch wenn die Darstellung subjektiv emotional erfolgt, so entbehrt sie nicht den politisch-historischen Kern, dass aus dem Zerfall des Reiches Instabilität hervorgeht, der im Wesentlichen auf nationale Chauvinismen rückführbar ist.

Die Erzählung fokussiert die Bedeutung von Sinnbildern für Roth und für die Wirkungsmacht der Donaumonarchie. Denkmal, Krone und Kleidung sind die drei sichtbaren Bausteine des Zusammenhaltes im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Die Bargesellschaft bildet den karikierten Gegenentwurf dazu, eine Kohäsion der Beliebigkeit und Geschmacklosigkeit.

Der dritte Aspekt berührt die Begriffe Vater, Vaterland und Vaterhaus, die symbolisch im Kaiser bzw. Morstin zusammenfließen. Haus spielt für einen zunächst freiwilligen, dann im Exil dazu genötigten Schriftsteller eine bedeutsame Rolle. „Heimatlosigkeit und Gefängnis haben ihr positives Korrelat im Bild es Hauses oder Vaterhauses.“64 Der Icherzähler spricht von einer Entwicklung der Behausung, die in Höhlen begann, über Hütten und Häuser führte, nun aber Menschen wie Gefangene in Käfigen zu leben zwingt.

Das Leben im Labor, im Provisorium oder im permanenten Übergang erzeugt im Denk-Mal mehr als nur kollektives Gedächtnis und persönliche Erinnerung; es schafft eine Verweigerung und damit Revolte in Camus´ Sinne, unter Gewaltverzicht aber mit Solidarität zu allen Verlierern und Heimatlosen dieser Welt. Roth stellt der natürlichen familiären Ordnung die des Terrors eines Nationalstaates entgegen.

Joseph Roth - Letzter Donauwalzer

Подняться наверх