Читать книгу Joseph Roth - Letzter Donauwalzer - Bernd Oei - Страница 4
Prolog: Verbrannte Freiheit ist wie Alkohol
ОглавлениеFortschreitender Untergang. Die bittere Kunst des Abschiednehmens. Gekannt haben ihn viele, bewundert manche, wirklich geliebt haben ihn nur wenige. Stefan Zweig gehört zu ihnen. Er wirft Rosen auf sein Grab in 1, 5 km südöstlich von Paris, der Stadt seiner letzten Zuflucht1 und verfasst einen Nachruf, der Zeugnis von Betroffenheit und liebevollem Verständnis für sein Werk ablegt. Roth ist am 23. Mai 1939 zusammengebrochen, als er vom Suizid von Ernst Toller, einem seiner Leidensgenossen, im amerikanischen Exil erfährt. Viele bringen sich damals aus Verzweiflung über den unaufhaltsamen Erfolg der Faschisten um. Roth trinkt sich langsam zu Tode. In wenigen Jahren altert er so rasch, dass ihn selbst Bekannte für seinen Vater halten. Ohne Hochprozentiges kann er nicht schreiben und ohne zu schreiben nicht leben. Als man ihn in Spital Necker bringt, um eine Lungenentzündung zu diagnostizieren, ahnt man nicht, wer er ist oder was er ist: der abrupte Entzug, begleitet von Delirium Tremens, besorgt den Rest; Joseph Roth stirbt mit 44 Jahren an trunken-gebrochenem Herzen.
Am 30. Mai, dem Tag seiner Beerdigung, regnet es. Anders als beim Kaiser: „An jenen Sommermorgen regnete es grundsätzlich nicht und oft leiteten sie einen Sonntag ein.“2 Es ist auch kein Sonntag, sondern Dienstag.
Zweig, ein anderer Grenzgänger ahnt, dass er Roth bald nachfolgt. Er spricht von einem Menschen, der ein „getretenes Herz“ hat, das nicht abzustumpfen will. Menschen mit Karamasowischen Blut in den Adern – Roth stammt aus Galizien – trinken sich zu Tode. Ihre Frauen werden wahnsinnig oder schizophren. „Roth kann man nicht helfen. Seine Narrheit ist ein Faß ohne Boden.“3
Der staatenlose, von der Gestapo gesuchte Roth bleibt Österreicher, das heißt ohne Nationalität, denn die Habsburger Donaumonarchie war ein Reich, ein Vielvölkerstaat, ein europäisches Haus. Er identifiziert sich mit einem seiner berühmtesten Reportagen Juden auf Wanderschaft. Heimat kennt keinen Ort oder Platz, nur Verbundenheit mit der k. u. k. Monarchie und die gibt es schon lange nicht mehr. Er hat nicht nur einen Krieg, sondern eine Welt verloren. Zerrissenheit ist sein zweites Ich. Zuletzt lebt er als Schriftsteller isoliert, von finanziellen Zuwendungen Zweigs abhängig.
Sein weitblickender und tiefer Sinn, vor allem der politische Sachverstand, wird erst nach seinem Tod entdeckt, obschon sein Sprachgenie schon zu Lebzeiten Legende ist. Erfüllt von Frömmigkeit, der nichts Moralisierendes anhaftet. „Keine menschliche Tugend hat in dieser Welt Bestand, außer einer einzigen: der echten Frömmigkeit. Der Glaube kann uns nicht enttäuschen, da er uns nichts auf Erden verspricht. Der wahre Gläubige enttäuscht uns nicht, weil er auf Erden keinen Vorteil sucht.“4
Das Leben in Agonie. Er sieht die Apokalypse als einer der ersten voraus, nachdem er bereits als junger Schriftsteller, als Journalist und Korrespondent der Frankfurter Zeitung (FZ) ganz Europa gesehen hat. Sein Landsmann, geborener Schicklgruber aus Braunau, ist fünf Jahre vor ihm geboren. Roth hat in dem Führer, diesem Messias der Verblendeten stets den leibhaftigen Satan gesehen und ist an dem Zuspruch, den er aus aller Welt erhält, zerbrochen. Drei Jahre nach seiner Emigration 1933 mental ausgebrannt, wie tot: „Es gibt für mich...kein Thema, das mir gestatten würde, einen Artikel mit einem Mindestmaß von Zuversicht zu schließen… Nun, an diesen Rest des europäischen Gewissens glaube ich nicht.“5
In Roth begegnen wir einem Autor, der seine Gabe Gottes uneigennützig in den Dienst der Menschen stellt. „Durch den Humanismus über den Nationalismus in die Bestialität.“6 Am Ende, das schon sehr zeitig bei ihm beginnt, sieht Roth keinen Sinn mehr in seiner Leidenschaft für das Menschliche im Menschen. Schon lange haben sich seine Figuren, die Trottas voran, resignativ ergeben und ihren Platz in der Kapuzinergruft eingenommen.
Der verbrannte Himmel. Titel meiner ersten Studie zu Roth., dem hoffnungslosen Trinker und Alkohol wirkt wie Feuer. Die tragische Erkenntnis Celans, gleichfalls aus der Bukowina7 stammend: Manchmal ist Überleben schlimmer als Totsein. Beide sind Vertriebene, jüdische Migranten aus dem orthodox chassidisch geprägten Osteuropa, die im Westjudentum nur Fremdheit erblicken. Celan, eine Generation nach Roth, wird Zeitzeuge des Holocausts, den Roth lange vor der Bücherverbrennung voraussieht.
Er muss erleben, wofür Worte fehlen und worüber doch nicht geschwiegen werden darf. Was könnte Roths selbstzerstörerische Ader charakteristischer beschreiben als seine Aussage: „Verbrannte Freiheit - Dichtung ist wie Alkohol.“ Längst ist die Poesie von der Wirklichkeit eingeholt worden, selbst die kräftigen Farben in Roths schillernder Sprachsymbolik übermalt vom Blut der Opfer einer Gewaltorgie ohne Beispiel, für die jene Metapher vom „taumelnden Kontinent“ (Philipp Blom) noch euphemistisch klingt. „Vielleicht haben wir diese Bastion nur so lange zu halten, bis ... das deutsche Volk und eine Literatur wieder frei ist und abermals einer schöpferischen Einheit dem Geiste dient.“8
Roths Geburtsort Brody9 bildet den Inbegriff eines völkischen Schmelztiegels, der um die Jahrhundertwende aufgrund der revolutionären Gärung und der nationalen Identitätssuche in ein Pulverfass umschlägt. Die europäische Frage entschied sich zweimal in Österreich: zunächst durch die Geburt der deutschen Nation unter Bismarck10 und ein zweites Mal durch die Wahl eines Weltvernichters, der vom deutschen Unvermögen zur Demokratie profitierte. Roth personifiziert den traumatischen Versuch, sich als Europäer zu behaupten. „Das Faktum der Liebe“, schreibt Zweig, „wird niemals wegzulügen sein aus dieser Welt“, doch es sollte sich dem Barbarismus als nicht gewachsen erweisen.
Für Roth gilt: seine Träume implodieren, weil die Sehnsucht explodiert; jenes unstillbare Verlangen nach Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit inmitten der Aufrüstung, des Hasses und der Chauvinismen, das keinen Platz lässt für Kosmopoliten. Kaum ein Schriftsteller personifiziert den Untergang seiner Zeit, die metaphysische Obdachlosigkeit mehr als Roth.
Zweig nennt ihn treffend einen „armen Verschwender“, nach einem Roman von Ernst Weiß (1936)11. Roth verschwendet sein Talent an alle, seine Solidarität kennt keine geographischen oder politischen Grenzen.
Die Agonie setzt bereits in Wien ein. Angesichts der Beerdigung des Kaisers „...ergriff mich die Zeremonie, mit der die Majestät und das war Österreich-Ungarn zu Grabe getragen wurde. Die Sinnlosigkeit seiner letzten Jahre erkannte ich klar, aber nicht zu leugnen war, daß eben diese Sinnlosigkeit ein Stück meiner Kindheit bedeutete. Die alte Sonne der Habsburger erlosch, aber es war eine Sonne gewesen.“12
Die Sonne ging unterim Reich der Donau; dabei verlor der Mensch Wärme und Licht. Er büßte Resilienz ein, der jeder bedarf, um schwere Krisen zu überstehen. Kritiker, die Roth einen rückwärtsgewandten Utopismus vorwerfen, lässt sich entgegnen: er erkennt in der Vergangenheit, keineswegs nostalgisch verklärt, das kleinere Übel gegenüber der Zerstörung durch Faschisten, Stalinisten und Nihilisten. Er erkennt, dass zu einem guten Orchester nicht die elf besten Geiger taugen, wenn der Klavierspieler fehlt und dass ein guter Dirigent unverzichtbar bleibt. Roths Restauration ist eine konservative Haltung bezogen auf die guten Seiten, die das Vielvölkerreich besaß. Er durchlebt Ideale, Ideen Sprachen auf seinen Reisen und Reportagen durch ganz Europa. Niemals verklärt er Unrecht oder Rückständigkeit, doch ein Dreivierteltakt bleibt ein Dreiviertel, wenn schon das Ganze nicht zu haben ist.
Walzer leitet sich von der Wanderschaft ab, so walzt sich Roth durch sein dreiviertel Leben, das restliche Viertel genehmigt er sich im Café. Mitte des 18. Jahrhunderts, am Hofe Maria Theresias in Schönbrunn, entsteht der Gesellschaftstanz, der sogar in Paris Mode macht. Man dreht sich halt gern im Kreis.
Die Donau ist ein Fluss von fast 3000 km Länge, die heute durch zehn Länder fließt und zudem die älteste Handelsroute Europas. Bei Schloss Greinburg in Oberösterreich misst sie annähernd 20 m und bei Budapest weitet sich das blaue Band auf einen halben Kilometer.
Die Dialektik des Fortschritts: Fortgeschritten ist nur der Untergang, den die Donaumonarchie tänzerisch zelebriert. Zweig würdigt in Joseph Roth den Kronzeugen des Verfalls, das mehr war als ein Reich, eine Religion. Bezeugen lässt sich nur die Gegenwart in der Gestalt der Vergangenheit. Zu Roths Generation gehören neben Stefan Zweig (1881-1942) Robert Musil (1880-1942), Franz Werfel (1890-1945), Franz Kafka (1883-1924) – Erwähnung finden hier nur die in der „Grenzgänger“- Reihe berücksichtigten österreichischen Autoren – und die etwas ältere Generation um Arthur Schnitzler (1862-1931), Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), Rainer Maria Rilke (1875-1926), sowie die nachfolgende um Georg Trakl (1887-1914), Heimito von Doderer (1896-1966) und Hermann Kesten (1900-1996). Sie alle gehören zur Wiener Moderne (Rilke, Werfel, Kisch und Kafka wuchsen in Prag auf) neben Bahr, Behr-Hofmann, Kraus, Friedell, Polgar, Meyrink, Salten: bei allen Unterschieden sind sie sich des Untergangs bewusst, Gegner der Nationalsozialisten und müssen ins Exil, sofern sie nicht die Gnade des rechtzeitigen Todes ereilt.
Wien bildet neben Paris das künstlerische Epizentrum der Jahrhundertwende; die Donaumonarchie ist reich an literarischen Blüten. Wer sich auf der Flucht vor dem KZ nicht umbringt wie Benjamin oder an Herzversagen stirbt wie Schickele, überlebt selten die Überlebensschuld im Exil.
Die folgende Monografie, eine modifizierte, überarbeitete und erweiterte Fassung von Der verbrannte Himmel, stellt nicht mehr das journalistische Werk Roths vor,13 sondern konzentriert sich auf die Prosa. Häufig wird von drei Phasen gesprochen, die zeitlich nicht klar voneinander abgrenzbar sind: der rote Joseph gehört zur sozialistischen Phase der Rebellion14, an die Roth nur bis zu seiner Reise durch das stalinistische Russland glaubt. Ihr folgt eine jüdische Identitätsbestimmung, die mit seiner Reportage Juden auf Wanderschaft ab 1925 einsetzt.15 Die letzte Periode gilt als restaurativ an, in der die Habsburger Donaumonarchie zu Grabe getragen wird.16 Jedem Werk wird eine Komparatistik an die Seite gestellt, um Verbindungen, Analogien und Differenzen zu Schriftstellern seiner Zeit herzustellen. Roth einer Philosophie zuzuordnen ist schwieriger. Zwar studiert er das Fach neben Germanistik vor Kriegsausbruch in Wien und sein Denken lässt sich dem Determinismus zuordnen: „Sein Geschichtsentwurf, in dem eine Generationskette an das Haus Habsburg gebunden wird, entstammt der pessimistischen Kulturphilosophie, die in Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ gipfelte.“17
Fritz Hackert, Herausgeber der Gesamtausgabe, nennt die Utopie Roths eine geografisch-politische; da er ortlos bleibt, muss auch ein Bekenntnis zu einem bestimmten Philosophen fehlen. Eine Mischung aus jüdischer Gnosis, Skeptizismus und platonischer Mystik führt zur „Möglichkeit des Möglichen“. Schuldlose Schuld ist das zentrale Motiv.
Joseph Roth schreibt nicht nur zwischen den Zeilen, sondern sitzt auch zwischen den Stühlen. Er beherrscht sechs Sprachen, die im Vielvölkerreich gesprochen werden, aber sein poetisches Deutsch wollen zu Lebzeiten immer weniger lesen. Der Zeitgeist ist progressiv ausgerichtet, blickt nur ungern weh- und reumütig zurück. Dennoch richtet sich Roth, selten im Zorn, gegen die Zeit der Neuen Sachlichkeit, gegen den Expressionismus: er vertritt den kleinen Mann, der er selbst nie sein will, schwimmt gegen den Strom, die Masse, den Niedergang der Kultur. In viele Figuren schreibt er sich ein, ohne in ihnen aufzugehen. Trotz aller Empathie wahrt er eine ironische Distanz. „Es kommt nicht darauf an, zu dichten. Das Wichtigste ist das Beobachtete."18
Die Adressen, unter denen Roth in Wien logierte, sind sämtlich vom Krieg oder architektonischen Umbaumaßnahmen zerstört, fast so, als wollte die Moderne diesen Erzähler auslöschen. Als er Wien nicht mehr betreten kann, wird es zum Schauplatz seiner Romane. Eine Figur, die sein Schicksal vorwegnimmt ist Major Taittinger. Für ihn gibt es nur eine Heimat: die Armee.
Ein dummer Zufall der Geschichte hat ihn in Ungnade fallen lassen, weil er Zeuge an einem Ereignis ist, das man gerne verschweigen möchte. In der modernen Zeit findet er sich nicht zurecht. Als man sein Gesuch ablehnt, in die Armee zurückzukehren, erschießt er sich. Roth hat sich Schluck um Schluck erschossen, oder wie er selbst sagt, „verbrannt“.
Sein letzter Roman endet mit einer für Roth typischen Prophezeiung, die zugleich eine nüchterne Bestandsaufnahme ist, zu der er sich als Chronist seiner Zeit verpflichtet sieht: „Ich könnte vielleicht Puppen herstellen, die Herz, Gewissen, Leidenschaft, Gefühl, Sittlichkeit haben. Aber nach dergleichen fragt in der ganzen Welt niemand. Sie wollen nur Kuriositäten in der Welt; sie wollen Ungeheuer. Ungeheuer wollen sie!“19
Vor dem österreichischen Ungeheuer, das Deutschland und Österreich in den Zweiten Weltkrieg führt und Menschen, das sich wie Marionetten instrumentalisieren lässt, kapituliert Roth.