Читать книгу Krisenspirale oder Neustart? - Bernd-Peter Lange - Страница 4

Vorwort

Оглавление

1984 auf einer Japan-Forschungsreise hat der Verfasser Geldwäsche in aller Öffentlichkeit miterlebt. An einem sonnigen Sonntag standen festlich gekleidete, meist ältere Herren in einer langen Schlange vor einem religiösen Schrein. Waren sie vor ihm angelangt, zogen sie ihre Brieftasche heraus, entnahmen ihr in gemessenem Tempo Geldscheine mit hohen Summen und tauchten sie in ein kleines rituelles Becken, ähnlich einem Weihwasserbecken in katholischen Kirchen, dass die Gläubigen beim Betreten der Kirche benutzen, um ihre Finger zu benetzen und um sich zu bekreuzigen. Waren die Geldscheine durchs "heilige" Wasser gezogen, so wurden sie abgetropft. Die Herren in den dunklen Anzügen verneigten sich ehrerbietig in Richtung Schrein und kehrten, die Geldscheine sorgfältig an Ort und Stelle wieder verstaut, mit gefalteten Händen zu ihren abseits wartenden Familien zurück. Nach der Herkunft des Geldes fragte hier niemand, auch kein Priester. Sie blieb im Dunkeln.

Geldwäsche im ökonomisch-juristischen Sinne bedeutet, dass illegal erworbenes Vermögen in den normalen Geldkreislauf eingeschleust wird und dann die Herkunft nicht mehr zurückverfolgt werden kann. Wenn es dann noch religiös gereinigt wird, beruhigt das auch noch das Gewissen.

Diese Anekdote verdeutlicht, wie eng das Finanzwesen eines Landes in das gesellschaftliche, religiöse und ethische System eingebettet ist, welchen historischen Traditionen es vordergründig verpflichtet ist und wie Geldwäsche in aller Öffentlichkeit praktiziert wird.

Im Sommer 2015 pokert der bankrotte griechische Staat darum, möglichst viele günstige Kredite von den internationalen Gläubigern - IWF, EZB und EU-Kommission - möglichst ohne dringend notwendige Gegenleistungen zu erhalten. Die linksradikale Regierung in einer Koalition mit einer rechtsradikalen, nationalistischen Partei ist dabei, nach über 5 Jahren offenbar gescheiterter Rettungspolitik gegenüber Griechenland die Eurozone in eine existentielle Krise zu stürzen. Der mögliche Grexit und der nicht auszuschließende Brexit - der Austritt Großbritanniens aus der EU nach dem spätestens für 2017 angekündigten Referendum - gefährden grundsätzlich weitere notwendige Schritte der europäischen Integration, bzw. sie gefährden den erreichten Stand des europäischen Zusammenhalts.

Vor einem derartigen Hintergrund geht es in dieser Publikation darum, mit sozialwissenschaftlicher Akribie den Krisen der Gegenwart - internationale Finanzkrise, Euro-Krise, Staatsschuldenkrise und Krise der europäischen Integration - nachzuspüren und hinter den vielfältigen Erscheinungsformen der Realität nach Gesetzmäßigkeiten und Machtstrukturen zu fragen. Dabei ist zu klären, welche historischen Wurzeln die Krisen haben, denn sie ergeben sich aus vergangenen strukturellen Fehlentwicklungen.

Der Begriff der Krise enthält immer auch den der Chance: Was können Gesellschaften aus Krisen lernen, was können und müssen sie in Zukunft grundsätzlich besser machen. Handelt es sich um tiefgehende und lang andauernde Krisen, so ist ein grundsätzlicher Neustart auf ordnungspolitischer Basis erforderlich.

Wenn man einen so dramatischen Titel für ein wissenschaftliches Werk wählt, muss viel auf dem Spiel stehen:

- Selten war so viel Zusammenbruch - der Glaube an die freie Selbstregulierung der Märkte ist durch die andauernde Finanzkrise tief erschüttert; selten war so viel Umbruch - die Suche nach neuen auch internationalen Regulierungsstrukturen kennzeichnet die Zeit nach der Deregulierung; selten war so viel Aufbruch - die EU befindet sich am Scheideweg: zurück zum Nationalismus oder vorwärts zu den Vereinigten Staaten von Europa?

- Gelingt es, gegenüber einem räuberischen internationalen Finanzkapital zu einer demokratisch legitimierten Ordnungspolitik auf der Basis der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren?

- Lässt sich die Euro-Krise dauerhaft durch notwendige Strukturreformen überwinden oder fallen wir zurück auf nationale Währungen als Spielbälle der internationalen Spekulation?

- Gibt es Wege, um die weiter ansteigende Staatsverschuldung in den Ländern der Europäischen Union zu stoppen und zurückzufahren oder belasten wir uns folgende Generationen immer stärker?

- Fallen wir in Europa zurück in einen verheerenden Nationalismus oder schreiten wir fort im Friedensprozess der solidarischen europäischen Integration?

- Wie können um sich greifende Korruption und ein illegitimer Lobbyismus mächtiger Einzelinteressen zurückgedrängt werden zur Wiederherstellung des demokratisch legitimierten Rechts?

Die sozio-ökonomische Methode hat der Autor in mehr als 25 Jahren Lehrtätigkeit entwickelt und praktiziert. Hier geht es um die Anwendung auf vier brandaktuelle und sich gegenseitig befeuernde Krisen, die sowohl die Wissenschaft als auch die Politik herausfordern. Nur wenn man sie in ihrer Komplexität versteht, kann man sich selber ein Bild machen und informiert handeln im Sinne der nachhaltigen Überwindung der Krisen.

Hier geht es darum, die Leser mit sozio-ökonomischem Denken so vertraut zu machen, dass Sie am Ende in der Lage sind, mit diesen Analysemethoden diese zusammenhängenden Krisen und auch andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zu verstehen und Reformvorschläge kritisch zu bewerten.

Es sind im Kern vier Essays über die oft verzweifelten politischen Versuche, gesellschaftliches Chaos und menschliche Hybris und maßlose Gier durch nachhaltige Ordnung zu disziplinieren. Welche Chance hat heute der Versuch, durch demokratisch legitimierte Entscheidungen dem Gemeinwohl auf nationalstaatlicher und auf EU-Ebene zu dienen?

Wertvolle Anregungen und Verbesserungsvorschläge verdanke ich meiner Frau, Dr. Jutta Lange-Quassowski. Verbleibende Unkorrektheiten oder Fehler gehen ausschließlich zu meinen Lasten.

Ich wünsche der Publikation eine weite Verbreitung. Möge sie zu einer breiten Diskussion beitragen.

Koblenz, im Sommer 2015

Bernd-Peter Lange

Krisenspirale oder Neustart?

Подняться наверх