Читать книгу Immer im Rampenlicht - Bernd R. Hock - Страница 13
4 MITLEID, MARZIPAN UND EINE HELDENTAT
ОглавлениеMarzipan und Schokolade waren eigentlich immer genug da. Bis heute.
War ich als Kind noch auf die »Auslieferung der Ware« durch alte Menschen, die Mitleid mit mir hatten, angewiesen, so erhalte ich meine absolute Lieblingsschokolade Ritter Sport Marzipan heute an jeder Tanke.
Diese Schokoladentafel in ihrer rot glänzenden Hülle hat durchaus so ihre Tücken. Nicht dass ich etwa Schwierigkeiten hätte, die Leckerei aus der Verpackung zu lösen. Nein, das mit dem Knicken und Aufreißen bekomme ich locker mit zwei Fingern auf meinem Oberschenkel im Auto hin. Sogar angeschnallt. Das Durchbrechen der Schokoladentafel an der Sollbruchstelle verursacht jedoch Schokokrümel, die mir beim Essen unbemerkt überall hinfallen, vorzugsweise in die Brusttasche meines Oberhemdes, wo sie kleine braune Flecken auf dem Stoff erzeugen.
Ich passe einfach nicht genug auf. Ich esse dieses Zeugs viel zu hastig, fresse es regelrecht. Ach könnte ich Süßigkeiten doch mehr genießen und langsamer, ja achtsamer essen. So wie meine frühere Kommilitonin Anja.
Wir begannen unseren gemeinsamen Studientag Anfang der Neunzigerjahre nicht selten mit einem Käffchen und einem Schokoriegel. Bei schönem Wetter setzten wir uns vor dem Unigebäude auf die Treppe. Wenn Anja zum ersten Mal an ihrem Kaffee nippte, hatte ich meinen Riegel bereits komplett inhaliert. Kurz bevor wir zu unserer Vorlesung aufbrachen, packte auch Anja ihren Schokoriegel aus, betrachtete ihn und biss genüsslich ein Stückchen ab. Sie kaute lange, bevor sie die Köstlichkeit ihren Hals hinuntergleiten ließ. Die restlichen zwei Drittel wickelte sie wieder in das Papier, verstaute alles in ihrer Tasche und wir beide gingen studieren. In der Mittagspause packte Anja die Schokolade erneut aus, biss wieder ab, genoss und steckte das letzte Drittel abermals in ihre Tasche. Am Ende des Studientages, wenn wir erneut auf der Treppe vor dem Gebäude saßen, ließ sie das letzte Stück der Köstlichkeit auf ihrer Zunge zergehen. Menschen mit einem solch achtsamen Essverhalten haben meinen höchsten Respekt.
Ich hingegen verschlinge Schokolade, und dies meist heimlich. Genieße nicht im Licht, sondern fresse Süßes oft im Dunkeln. Süßigkeiten sind für mich nicht in erster Linie ein gelegentliches Genuss-, sondern eher ein schambehaftetes Suchtmittel und erfüllen unterbewusst Funktionen, die sich mir noch nicht bis ins Detail erschlossen haben, sondern vielmehr irgendwo in der hintersten Ecke vergraben sind. Nur ganz kurz, genau in dem Moment, in dem die Schokomasse meine Mundhöhle ausfüllt, genieße und entspanne ich für einen Augenblick. Danach quält mich sofort mein schlechtes Gewissen wieder – und mein starkes Übergewicht.
Eine große Rolle spielte Schokolade schon, als ich noch ein Kind war, besonders im Zusammentreffen mit alten Menschen – fast immer mit alten Damen, um präzise zu sein. Die Begegnungen liefen stets nach einem ähnlichen Schema ab: Eine alte Frau sah mich irgendwo in freier Wildbahn, entdeckte meine kurzen Arme, lächelte mich an und kippte fast unmittelbar und meist weinerlich einen Container Mitleid über mir aus. Ich wurde verlegen und unsicher, konnte die Traurigkeit meines Gegenübers nicht einordnen, spürte aber, dass ich sie einfach nur mit meinem Dasein ausgelöst hatte. Dies verunsicherte mich. Was nun? Sollte ich Trost spenden? Die alte Frau streichelte mir dann fast immer ungefragt über den Kopf, bevor ihre Hand in eine Lederhandtasche griff und eine Tafel Schokolade zum Vorschein brachte. Diese wurde mir fast immer mit den gleichen Worten übergeben: »Da, Biewel, hoscht e Schoklaad.« (»Hier, mein Junge, hast du eine Tafel Schokolade.«)
Ich begriff nicht, was sich da abspielte, bemerkte aber, dass sich im Moment der Schokoladenübergabe ein Happy End ankündigte und sich die Lage deutlich entspannte. Also verinnerlichte ich unbewusst. »Schokolade entspannt! Schokolade heilt! Schokolade macht alles wieder gut!« Meist bekam ich Sarotti, manchmal Alpina und selten Lindt. Sarotti mochte ich nicht, Alpina ging und Lindor von Lindt war das große Los.
Heute müssen Kinder bis zum 31. Oktober warten, sich übelst verkleiden, sich schreckliche Fratzen ins Gesicht schminken, allen Mut zusammennehmen, an Haustüren klingeln und Menschen mittels sinnfreier Reime zur Herausgabe von Süßigkeiten nötigen. Ich hatte manchmal sogar mehrmals täglich mein ganz persönliches, gruseligsüßes Straßen-Halloween, bekam Saures verpackt in Süßem.
Einem Kind mit einer offensichtlichen Körperbehinderung gibt man Schokolade. Einem geschwächten Igel gibt man Milch. Einem obdachlosen Bettler am Straßenrand gibt man nichts, der kauft sich sowieso nur Alkohol. Alle drei Thesen sind Bullshit!
Natürlich wurde ich nicht von Anfang an mit Schokolade ernährt. Als ich meinen holprigen Umzug von der Gebärmutter auf die Bauchdecke meiner Mutter erfolgreich hinter mich gebracht hatte, gab es erst einmal Muttermilch.
Für meine Ursprungsfamilie, meine Großeltern und besonders für meinen drei Jahre älteren Bruder Rainer war es mehr als eine schwere Herausforderung, als meine Eltern mit mir vom Krankenhaus nach Hause kamen. Da wurde nicht einfach das süße kleine Baby, der knuffige Nachwuchs, heimgebracht. Ich war nicht einfach der neue, der jüngste Hock, ich war auch ein Schock! Doch nach einer gewissen Zeit stellte sich so etwas wie Normalität ein. Wunden der Traurigkeit und Verzweiflung verheilten, Narben auf den Seelen blieben bis zuletzt. Teilweise sind sie heute noch da. Ich glaube, bei uns allen.
Im Großen und Ganzen entwickelte ich mich gut, wurde akzeptiert und geliebt. Nur der allererste Moment in der Begegnung von mir und anderen Menschen war halt immer anders. Man erschrak zunächst. Man wusste nicht so recht, ob einen nun das hübsche, meist fröhlich lächelnde Kindergesicht erfreuen oder die fehlgebildeten Arme traurig machen sollten. Auch heute noch stört es mich enorm, ängstigt und verunsichert mich, ja macht mich manchmal fast wütend, wenn ich das Gefühl habe, dass Leute bei meinem Anblick erschrecken.
Thomas Gottschalk moderierte 151-mal die Samstagabendshow Wetten, dass …?. In 357 Folgen spielte Larry Hagman den Bösewicht J.R. Ewing in der US-amerikanischen Serie Dallas. Seit über fünfzig Jahren betrete ich täglich, ja manchmal mehrmals täglich die Bühne der Ermutigung, wenn Menschen im Kontakt mit mir erschrocken und verunsichert sind, und spiele mein Einpersonenstück »Der fröhliche Bernd!«. Während dieses Einakters verliert mein Gegenüber seine Hemmung und nimmt nach kurzer Zeit mein äußerliches Anderssein nicht mehr wahr. Für meine Hemmungen und unklaren Gefühle gab und gibt es Schokolade. Schokolade und Marzipan!
Mein erstes Marzipan wurde mir mit knapp vier Jahren von meinen Eltern geschenkt. Irgendwie war es wohl als Trost gedacht, denn hinter mir lag eine der schlimmsten Wochen meines Lebens. Was sich in dieser Woche zugetragen hatte, war wohl auch für meine Eltern, besonders für meine Mutter, sehr belastend. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Situation. Eine blaue Strumpfhose trug ich damals und mein Gesicht war tränenüberströmt. In meiner großen Not schrie ich unbändig, als das Gitter hochgefahren wurde, unwiderruflich einrastete und ich Hilfe suchend meine kleinen Hände hindurchsteckte. Geholfen hat mir dies alles nichts!
Geholfen aber haben die vier kleinen Marzipanschweinchen, die ich eine Woche später bekam. Sie lagen in einem kleinen, mit künstlichem Stroh ausgepolsterten Körbchen und waren zusammen mit einem vierblättrigen Kleeblatt und einem kleinen Schornsteinfeger aus Plastik in Klarsichtfolie verpackt. Ein »Mitbringsel«, das Geschenk meiner Eltern, die ich zuvor eine Woche nicht hatte sehen dürfen. Eine ganze Woche!
Man hatte meiner Mutter und meinem Vater geraten, mich stationär in einer Klinik behandeln zu lassen. Unter anderem sollten die Beweglichkeit und der Einsatz meiner Füße und Zehen überprüft und trainiert werden.
So brachten mich meine Eltern also eines Tages in dieses Krankenhaus. Bekleidet mit einem Unterhemd und der bereits erwähnten Strumpfhose wurde ich in ein vergittertes Bettchen gelegt. Als das letzte noch offene Seitengitter hochgeschoben wurde, verstand ich die Welt nicht mehr. Ich registrierte, dass Mama und Papa sich nun von mir verabschiedeten, aber ich wusste überhaupt nicht, warum, und vor allen Dingen wusste ich nicht, für wie lange. Würde ich meine Eltern jemals wiedersehen? Ich hatte panische Angst!
Am Ende waren meine Mutter, eine Krankenschwester und ich alleine in diesem Raum und ich schrie um mein Leben. Ich streckte meine kleinen Ärmchen zwischen den weißen Gitterstäben hindurch, bei denen an zahlreichen Stellen der Lack abgeplatzt war und das nackte, kalte Metall so blank lag wie meine Nerven und bestimmt auch die meiner Mutter. Ich streckte mich Hilfe suchend nach Mama aus. »Mama, Arm!« Meine kleine Kinderseele konnte es nicht fassen, dass nun tatsächlich geschah, was nicht geschehen durfte: Meine Mutter musste das Zimmer verlassen und tat dies auch. Gefühlt habe ich noch Stunden jämmerlich geschrien und literweise Tränen vergossen, bis ich irgendwann total erschöpft einschlief.
Von der Notwendigkeit einer sicheren Bindungsentwicklung zwischen Kind und Eltern, von lebenswichtiger Feinfühligkeit, von Integration oder gar Inklusion wusste und hielt man damals ungefähr so viel wie von Mülltrennung oder einem Verbot betäubungsloser Ferkelkastration.
Die nächste Möglichkeit, meine Eltern wiederzusehen, die nächste Besuchszeit, war exakt eine Woche später um 15 Uhr. An das, was in der Zwischenzeit mit mir so alles gemacht wurde, habe ich nur brüchige und überwiegend unangenehme Erinnerungen.
Wir waren recht viele Kinder, alle mit einer ähnlichen Behinderung. Die meisten waren älter als ich und die Ursache ihrer Körperbehinderung waren fast ausnahmslos die Nebenwirkungen des Medikamentes Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid. Contergan war von 1958 bis 1961 ein beliebtes rezeptfreies Beruhigungs- und Schlafmittel, welches auch die morgendliche Übelkeit bei Schwangeren linderte. Als ernst zunehmende Vermutungen aufkamen, dass Thalidomid in der frühen Schwangerschaft Schädigungen in der Wachstumsentwicklung der Föten hervorruft, wurde das Medikament 1961 zunächst rezeptpflichtig und anschließend vom Markt genommen.
Die Ursache meiner Behinderung ist jedoch bis heute ungeklärt. Contergan hat meine Mutter niemals eingenommen.
Das Schlimmste war, dass manche Krankenschwestern und -pfleger uns überhaupt nicht emotional zugewandt waren. Es gab keine liebevolle Ansprache. Null Empathie. Fast ausschließlich schroffe Kommandos, Ermahnungen und Sanktionen. Wir hatten keine Lobby zwischen den Besuchszeiten. Tränen wurden nicht mit Taschentüchern, sondern mit eiskalten Worten weggewischt: »Hör jetzt auf zu heulen und zu schreien! Mama hört dich nicht.«
Besonders schlimm war es, wenn die eine ziemlich ruppige Pflegerin das kollektive Abduschen übernahm. Bruchstückhaft erinnere ich mich, wie sie mich an meinem rechten Arm gegen meinen Widerstand nackt durchs Badezimmer schleifte und viel zu heiß abbrauste. Das tat weh und ich schrie wie am Spieß. Über irgendetwas fluchend zog die Ruppige ihr Programm durch, agierte schroff und meist mit Zwang.
Das Gegenteil war ein junger Mann. Er hatte einen Bart und war wahrscheinlich so etwas wie ein Ergotherapeut. Vielleicht war er aber auch ein Engel. Er befreite mich manchmal aus den Fängen der Lieblosigkeit und dem Machtbereich der Ruppigen und half mir so, mein Heimweh eine Zeit lang zu vergessen. Mit ihm durfte ich in einer Sporthalle auf ein überdimensionales Trampolin steigen, eine riesige Freude für mich! Ich begann zu springen und der bärtige Engel gab am Rand auf mich acht.
Ich hüpfte und hüpfte. Höher und höher und höher. Ich sprang über zehn Meter hoch. Nein, über zwanzig, fünfzig, ja hundert, nein fünfhundert Meter sprang ich hoch hinaus. Gefühlt. Dabei juchzte ich, wie wenn ich von meinem Vater in die Luft geworfen und wieder aufgefangen wurde. Für Bruchteile von Sekunden verließ ich beim Springen den traurigen Boden der Klinik-Tatsachen und war dem Himmel nah. Dem Himmel und Gott, der dort ja wohnt, wie man mir erzählt hatte.
Wie nah Gott mir auch in dieser Zeit war, erfuhr ich erst viel später in meinem Leben. Heute jedoch weiß ich: Meine von Jubelschreien begleiteten fröhlichen Trampolinsprünge waren das Hochwerfen und wieder Auffangen durch meinen himmlischen Vater.
Auch das Malen mit den Füßen machte mir Spaß. Doch dazwischen rastete die Ruppige immer wieder aus und abends, viel zu früh, das Bettgitter ein. Die Nacht gehörte dem Heimweh, den Tränen und der Erschöpfung. Bis zu dem Tag, an dem die Eltern ihre Kinder besuchen durften.
Natürlich konnte ich die große, quadratische, analoge Uhr im Krankenhausflur noch nicht lesen, doch irgendwie verstand ich, dass der kleine Zeiger waagerecht rechts zu stehen hatte und der große Zeiger senkrecht oben stehen musste, damit die Frau mit der dunklen Hornbrille eine Woche später endlich die Glastür mit dem blauen Metallrahmen und den übergroßen, rechteckigen Holzgriffen öffnete. Auf der anderen Seite dieser Glastür standen zahlreiche Eltern, die ihre Kinder besuchen wollten, ganz vorne mein Papa und meine Mama! Doch zwischen uns dieses beschissene Glas. Im Gegensatz zum Zoo, wo eine solche Scheibe beispielsweise davor schützt, dass der Gorilla ein Kind munter durchs Gehege schleudert, hielt diese Glastür mich davon ab, mich endlich ganz dicht an meine Mama zu kuscheln. Egal wie stark wir Kinder bettelten, wie intensiv ich dieser Frau an ihrem weißen Kittel hing, in dem sie den Türschlüssel verborgen hatte, sie öffnete exakt um 15 Uhr und keine Sekunde früher.
Circa eine Stunde durften meine Eltern bei mir sein. Warum sie danach wieder gehen mussten, verstand ich selbstverständlich genauso wenig wie eine Woche zuvor. Kurz bevor sie aufbrachen, schenkten sie mir die bereits erwähnten Marzipanschweinchen. Unterbewusst versuchte ich, die Situation zu begreifen: »Ich merke, dass Mama und Papa mich nicht mitnehmen, sondern wieder alleine lassen werden. Ich spüre auch, dass Mama und Papa dies gar nicht wollen. Ich bin traurig, habe Angst und das alles tut sehr weh im Bauch! Mama und Papa helfen mir. Jetzt helfen sie mir gerade mit Marzipan!«
Somit wurde dieser Moment zur Geburtsstunde einer fundamentalen Festlegung: Gegen tiefe seelische Schmerzen, gegen Trennungsangst, tiefe Traurigkeit und Lieblosigkeit hilft Marzipan. Hilft Zucker!
Nach drei Wochen sollte ich aus der Klinik entlassen werden und meine Eltern kamen, um mich abzuholen. Auch diesen Moment kann ich noch gut erinnern. Ein Büro mit dunklen Eichenmöbeln, die Sitz- und Rückenflächen der Stühle waren mit gepolstertem dunkelgrünem Leder bezogen, welches an den Kanten mit zahlreichen goldenen abgewetzten Beschlägen am Holz festgenietet war. Meine Eltern und ich saßen vor einem mächtigen Schreibtisch, hinter dem der Herr Professor über meinen Fall dozierte. Ich habe ihn noch genau vor Augen. Er war eigentlich recht nett. Manchmal war ich einfach so mir nichts, dir nichts in sein Büro gelaufen, dann hatte er sich gefreut und sich mir freundlich zugewandt. In dem Gespräch mit meinen Eltern berichtete er von Verbesserungen und Fortschritten, die ich in den letzten Wochen gemacht hätte. Von meiner Angst und meiner Kinderseele, die so abgewetzt war wie seine Stuhlnieten, kein Wort. Am Ende riet der Professor meinen Eltern, meinen Klinikaufenthalt noch um ein paar Wochen zu verlängern, damit ich weitere Fortschritte machen könne.
Sofort bekam ich wieder Angst! In den vergangenen drei Wochen war mir nicht entgangen, welche Macht der Herr Professor besaß. Was nun? Ich hatte die Marzipanschweinchen doch bereits alle aufgegessen. Musste ich etwa noch weiter in dieser Klinik, getrennt von meinen Eltern, bleiben?
Stille. Meine Mutter war sehr unsicher. Nach einer kurzen Weile richtete sich mein Vater in seinem Stuhl auf und vollbrachte die erste Heldentat in meinem Leben, für die ich ihn noch heute liebe. Er fragte den Mediziner höflich: »Sind Sie jetzt fertig?«
Wenn überhaupt, dann hatte der Arzt höchstens mit der Frage, wie lange ich denn noch bleiben solle, gerechnet. Er schaute meinen Vater unsicher an und es war allen im Raum klar, dass die Gesprächsleitung gerade die Schreibtischseite gewechselt hatte. Mein Vater wartete keine weitere Reaktion ab: »Vielen Dank, wir nehmen den Jungen jetzt mit und fahren nach Hause!«
Circa zwei Stunden später saß ich als der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt auf einem riesigen Schaukelpferd, meinem Willkommensgeschenk, im Schlafzimmer meiner Eltern in Landau. Als Mama und Papa mich an diesem Tag zum zweiten Mal nach meiner Geburt aus einer Klinik nach Hause brachten, war ich für niemanden mehr ein Schock, ganz im Gegenteil! Alle freuten sich, mich wiederzusehen.
Dass es mein Vater rein aus väterlichem Liebesinstinkt geschafft hat, sich der ärztlichen Autorität zu widersetzen und mich einfach mit nach Hause zu nehmen, kann ich ihm gar nicht hoch genug anrechnen. Seine innere Stärke hat meine Psyche damals vor schwerem Schaden bewahrt. Er hat sich später noch mehrfach erfolgreich für mich eingesetzt und mir dieses Durchsetzungsvermögen vererbt.
Als ich meine Eltern damals fragte, ob ich wieder einmal von ihnen getrennt in so ein Krankenhaus müsse, versicherten sie mir: »Nein! Jetzt bleibst du immer bei uns!«
Was soll ich sagen?! Mama und Papa haben Wort gehalten! Danke!