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8 »DER BU MACHT SEIN WECH«
ОглавлениеBevor ich den riesigen Opel durch die Lande steuerte, lenkte ich so manch anderes Gefährt. Meine allererste eigenständige Fahrt auf vier Rädern fand, wie könnte es anders sein, im Landauer Zoo entlang der heutigen Afrika-Anlage statt. Ich war überglücklich und trat in die Pedale eines Kettcars. Ich durfte dieses Gefährt ausprobieren, eroberte es im Sturm und war überglücklich, weil ich es ganz ohne fremde Hilfe fahren konnte. Großartig! Der eigentliche Fahrzeughalter, Oliver, beobachtete mich geduldig. Ich wollte gar nicht mehr absteigen und hätte am liebsten noch vor Ort meine Mutter mit der Enteignung des Besitzers beauftragt. Oli und ich waren beide um die dreieinhalb Jahre alt und wir begegneten uns an diesem Tag zum ersten Mal.
Doch ich gab Oli sein Kettcar zurück und bekam später ein eigenes. Unsere Kettcars sind längst verschrottet, die Herstellerfirma Kettler ist seit 2019 insolvent, aber meine Freundschaft zu Oli lebt und besteht nunmehr seit fast 50 Jahren.
Für meine Eltern war es gar kein Thema, dass auch ich in den Kindergarten gehen würde. Ich ging zuerst in die Langstraße zu Tante Liesel und später in den Kindergarten am Schützenhof zu Tante Dagmar. Die Berufsbezeichnung »Kita-Fachwirt/-in« war noch lange nicht geboren, nicht einmal gezeugt und auch von Erzieherinnen und Erziehern wurde nicht gesprochen. Sogar die Bezeichnung Kindergärtnerin wurde selten gebraucht. Es waren schlicht die Kindergartentanten. Auch wenn allzu oft in den Rückspiegel geguckt und glorifizierend von den »guten, alten Zeiten« geschwärmt wird, wie gut, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist. Wie wertvoll, dass aus den »Tante Liesels« und »Tante Dagmars« heute »pädagogische Fachkräfte« geworden sind. Sie waren das damals schon, aber heute werden sie auch so genannt.
Die gesellschaftliche Anerkennung gegenüber diesem Berufsstand hat sich, wenn auch viel zu wenig, durchaus positiv verändert. Dennoch fehlt mir der Glaube, dass ich eine wirklich angemessene Wertschätzung von Erzieherinnen und Erziehern, Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern oder Krankenschwestern und Krankenpflegern in unserer Gesellschaft noch erleben werde. Es will mir einfach nicht in den Kopf, warum ein Mensch, der den ganzen Tag alte Menschen füttert, mit ihnen singt, sie wäscht und kämmt, oder ein anderer, der in seinem Arbeitsalltag kleine Kinder wickelt, mit ihnen die Welt erkundet, ihnen Toleranz und Nächstenliebe beibringt, am Ende des Monats so viel weniger verdient, als er wirklich verdient.
Dies gilt auch für die Erzieherinnen in meinen beiden Kindergärten. Besonders an meine Zeit im Schützenhof-Kindergarten habe ich gute Erinnerungen. Die zeitweise Trennung von meinen Eltern machte mir nichts aus. Oli war dort und viele andere Freundinnen und Freunde auch. Ich bespielte in dieser Zeit nicht allzu viele Bühnen, war einfach ein Kindergartenkind. Schön!
Nicht schön war die Begegnung mit Christoph, der eines Tages während des Freispiels zu mir auf einen Hügel im Außengelände des Kindergartens stieg und fragte: »Horch! Willscht e Ringkämpfel?«
Christoph war berüchtigt und so sagte ich schnell »Nein!« zu seinem Ringkampf-Angebot. Ich habe dabei aber wohl nicht sehr selbstsicher gewirkt, denn ehe ich mich versah, hatte ich seine Faust im Gesicht, fiel zu Boden und kugelte wie ein Mitglied der Blechbüchsenarmee aus der Augsburger Puppenkiste den gesamten Hügel hinunter. Leider bemerkte keiner der Erwachsenen diesen Vorfall und man hörte mir auch nicht richtig zu, als ich unter Tränen schilderte, was passiert war. Dementsprechend war ich mit der fehlenden Sanktionierung von Christoph höchst unzufrieden.
Etwas später packte ich unbemerkt meine Sachen und es gelang mir, mich aus dem Kindergarten zu schleichen. Geduckt lief ich am Jägerzaun entlang, bis ich außer Sichtweite war. Ich richtete mich auf und ging schimpfend nach Hause. Obgleich ich eine sehr befahrene Straße überqueren musste, kam ich heil an. Ja, viele Engel waren und sind mit meinem Leben beschäftigt!
Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass zur damaligen Zeit wirklich niemand an Integration oder Inklusion gedacht hat. Ich war einfach mit dabei. »De Bernd isch de Bernd!«, hieß es. (»Der Bernd ist halt so, wie er ist.«) Und dieses Konzept funktionierte, weil ich die Unterstützung erhielt, die ich brauchte.
So einfach war es allerdings bei der Einschulung nicht. Vertreter der frisch gegründeten Landauer Sonderschule besuchten meine Eltern und warben intensiv darum, mich in ihrer Einrichtung einzuschulen. Besonders meinem Vater behagte dies irgendwie nicht. Er wollte es gern erst einmal auf einer Regelschule versuchen. Dieses Unterfangen erschien nahezu aussichtslos, doch auch hier zahlten sich seine Stärke, sein Einfühlungsvermögen und seine Überzeugungskraft aus. Seine Idee traf tatsächlich auf offene Ohren und Herzen, besonders beim damaligen Schulrat von Landau. Und so wurde ich 1974 in der heutigen Thomas-Nast-Grundschule, die damals noch Horst-Schule hieß, eingeschult.
Soweit ich mich erinnern kann, war ich dort gut integriert, und hier begann auch meine Karriere als Entertainer. Ich punktete mit meiner Ausstrahlung, meinen Witzen und meiner starken Bühnenpräsenz, die so manches Mal das Klassenzimmer ausfüllte. Einmal musizierten wir als Klasse auf einem Sommerfest. Jedes Kind spielte irgendein kleines Instrument und wir probten regelmäßig. Ich war zunächst ziemlich traurig, dass ich kein Instrument bedienen konnte, deshalb bot mir die Lehrerin an, die Triangel zu spielen. Die Triangel? Ich? Alle paar Minuten nur ein einfaches »Bing«? Von dieser Idee war ich zunächst wenig begeistert. Der Triangel-Spieler erschien mir zu weit im Hintergrund.
Am Ende spielte ich dieses Instrument aber doch, allerdings ganz und gar nicht im Hintergrund. Schon rein äußerlich war ich mit der Triangel und wie ich sie hielt und bediente, ein Hingucker. Außerdem schlug ich das Metall sehr akzentuiert und das ein oder andere Mal auch durchaus ungeplant, stets aber mit einer solch sichtbaren Freude, dass mir die Herzen des Publikums zuflogen, als hätte ich ein Violinen-Solo von Schostakowitsch dargeboten.
Trotzdem brauchte ich natürlich im Schulalltag für vieles länger als die anderen und tat mich in vielen Bereichen deutlich schwerer. Heute gibt es sogenannte Integrationshelferinnen und -helfer (oder kurz: Schulbegleitungen), um behinderte Kinder in der Schule zu unterstützen. Damals kannte man das nicht und so kam meine Mutter beispielsweise unermüdlich regelmäßig zum Sportunterricht, um mich vorher und hinterher umzuziehen. Ohne diesen Einsatz wäre mein Besuch einer normalen Grundschule nicht möglich gewesen.
Deshalb machten meine Eltern sich immer wieder Sorgen, wie ich wohl meinen schulischen Weg weiter bewerkstelligen würde. Meine Mutter äußerte diese Bedenken mehr als einmal an Elternsprechtagen gegenüber dem damaligen Rektor, der auch mein Klassenlehrer war. Voller Inbrunst und Überzeugung beruhigte er meine Mutter regelmäßig mit dem Satz: »Jo Fra Hock, machen Se sich doch kä Sorche. Der Bu macht sein Wech.« (»Ach Frau Hock, machen Sie sich doch keine Sorgen. Der Junge wird seinen Weg machen.«)
Geholfen hat diese pauschale Aussage meiner Mutter nur mäßig, recht hat er aber gehabt, der Herr Rektor, und gemocht habe ich ihn sehr.
Er war ein leidenschaftlicher Raucher, dieser Rektor. Daher gab er uns Viertklässlern mindestens einmal pro Unterrichtsstunde eine kleine Aufgabe und ging selbst vor die Tür auf den Flur, wo er sich oberhalb der Garderobe einen Aschenbecher auf ein Brett gestellt hatte. Er öffnete ein Fenster, rauchte eine Zigarette und kam zurück in die Klasse. Ich mochte den Geruch, der ihm anhaftete, eine Mischung aus Zigarettentabak und »Tabac Original«, einem Rasierwasser, welches damals viele Männer benutzten und das ich heute noch mag.
Da ist er wieder, dieser Dreiklang aus Duft, Erinnerung und bestimmten Emotionen, diesmal wieder sehr angenehm. Wenn ich jemals ein spezielles, individuelles und ganz persönliches »Bernd R. Hock-Wohlfühlparfum« kreieren sollte, müsste der Duft wohl am ehesten auf einem Jahrmarkt, am besten auf der »Landaacher Kerwe«, eingefangen werden.
In den beiden Wochen im Jahr, in denen die Landauer Kerwe stattfand, schlug mein Herz immer etwas schneller, immer etwas intensiver. Die Zeit für Hausaufgaben und fürs Lernen war knapper als sonst, da die Kerwe mich brauchte. Schon in der Woche davor lief ich jeden Tag über den Messplatz, um nachzusehen, welche Fahrgeschäfte diesmal aufgebaut wurden. Viele Schausteller kannten mich. Da war der dicke Besitzer des Süßwarenstandes, der während der Kerwe hinter seinen Süßigkeiten thronte, immer die gleiche Schiebermütze aufhatte und mir freundlich zulächelte. Kaufte ich bei ihm zwei Marzipankartoffeln, so packte er stets eine dritte mit in die Tüte. Hier das Ponyreiten, da der Autoscooter, im Pfälzischen einfach »Boxauto« genannt, und dort das Entenangeln.
Auf der Kerwe fühlte ich mich besonders frei. Wurde nicht intensiver beachtet als die anderen auch. Schließlich waren damals die berüchtigte Dame ohne Unterleib oder kleinwüchsige Menschen, sogenannte Liliputaner, Kerwe-Attraktionen und ich fühlte mich eben auch als eine solche. Ich stellte mir vor, ein Teil dieser großen Jahrmarkt-Familie zu sein und mitzureisen. Ähnlich wie ich mit Begeisterung den großen Fahrstuhl im Krankenhaus per Knopfdruck in Bewegung setzte, hätte ich gerne auch die großen Fahrgeschäfte bedient und Menschen auf den Kopf gestellt und sie durch die Luft gewirbelt. Dabei hätte ich ohne Unterlass ins Mikrofon gesabbelt: »Kommen Sie herein! Fahren Sie mit! Hier können Sie was erleben!«
Da mir dies im realen Leben nicht vergönnt war, baute ich regelmäßig zu Hause aus Lego meine eigene Kerwe, bediente dort die Fahrgeschäfte und kommentierte alles in meinem fiktiven Kassenhäuschen. Der Jahrmarkt war eine ganz besondere bunte Bühne, auf der ich mich sicher und selbstbewusst bewegte, und das Wohlfühl-Parfum duftet heute noch nach gebrannten Mandeln, Popcorn, Gewürzen, Bratwurst, Pommesfrites-Fett, abgewetztem Reifengummi und Pferdeäpfeln. Schaustellerinnen und Schausteller genießen bei mir eigentlich immer einen Sympathie-Vorschuss und die, die ich persönlich kennengelernt habe, waren mir immer wohlgesonnen.
Eine Begebenheit beim Entenangeln auf der Kerwe ist mir noch sehr präsent. In einem speziellen Schaustellerwagen war eine Art Planschbecken aufgebaut, in dem unzählige Gummienten schwammen. Alle Enten hatten einen Metallknopf auf dem Kopf. Nachdem man einen bestimmten Betrag bezahlt hatte, bekam man eine Angel, ein Rohrstock, an dessen Ende sich ein Magnet befand. Mit diesem Magneten konnte man eine Ente wählen und sie herausziehen. Das Schausteller-Ehepaar griff sich die entsprechende Ente und zeigte die Unterseite. Die meisten Enten hatten einen schwarzen Punkt und waren somit eine Niete. Kein Preis. Die anderen Farben standen für die entsprechenden Preiskategorien. Eine einzige Ente schwamm in dem Becken, die einen goldenen Punkt auf ihrer Unterseite hatte. Der Hauptgewinn! Freie Auswahl!
Ich habe das Schaustellerehepaar noch genau vor Augen: Die Frau hatte eine starke Gehbehinderung und saß immer in einer schrägen Haltung auf einer Art Sitzkissen. Der Mann hatte eine sehr ledrige, faltige Gesichtshaut und trug genau wie der Besitzer des Süßigkeitenstandes eine Schiebermütze.
Die beiden mochten mich und ich angelte regelmäßig am Entenstand. Einmal wollte ich fast protestieren, denn als ich meine Angel so über den Enten hin und her bewegte, drückte der Schausteller diese plötzlich herunter. »Klick« – der Magnet haftete auf einer Ente, die ich gar nicht ausgewählt hatte. Trotzdem hob ich die Angel, der Schausteller nahm die Ente und zeigte mir ihre Unterseite. Der goldene Punkt! Freie Auswahl! Stolz wie Oskar ging ich mit meiner Mutter nach Hause. In meinen kleinen Ärmchen trug ich einen Stofftiger, der halb so groß war wie ich selbst.
Der Heimweg von der Kerwe führte unmittelbar am Max-Slevogt-Gymnasium vorbei, auf welches ich nach meiner Grundschulzeit kam. Genau wie der Leiter der Grundschule war auch mein neuer Direktor ein Raucher. Er rauchte aber ausschließlich Pfeife, und das nur in seinem Büro. Die roten, grünen und schwarzen Filzstifte auf seinem Schreibtisch waren alle an beiden Enden angekokelt und mit Ruß beschmiert, da der Direktor sie regelmäßig zum Nachstopfen seiner Pfeife nutzte. Dies weiß ich deshalb so genau, weil ich damals auf dem Max-Slevogt-Gymnasium in Landau relativ viel Zeit mit ihm in seinem Büro verbrachte. An den Nachmittagen, wenn das Schulgebäude schon weitgehend leer war, erklärte er mir nämlich sehr geduldig und effektiv Mathematik, ein Fach, mit dem ich niemals richtig warm wurde. Ohne seine Hilfe wäre ich damals beim Abitur wahrscheinlich an Mathe gescheitert und es hätte nicht zur Fünf minus im letzten Zeugnis gereicht. Sein Einsatz war keinesfalls selbstverständlich und ich bin ihm sehr dankbar dafür.
Überhaupt tat ich mich mit so manchem ziemlich schwer und war auf keinen Fall ein eindeutiger Gymnasialschüler. Real- oder Hauptschule kamen für mich aber nicht infrage, denn es war klar, dass ich niemals einen handwerklichen Beruf erlernen konnte. Deshalb sollte alles darangesetzt werden, »dass der Bernd sein Abitur schafft«.
Ich war einfach ein Spätzünder, obwohl man dies nicht so pauschal behaupten kann. Zum Beispiel erkannte ich sehr früh, früher als manch anderer, dass ich vieles, was man mir in der Schulzeit zu lernen aufzwang, niemals mehr im Leben brauchen würde. Seit ich denken kann, lasse ich mich nicht über Straßen führen, über die ich nicht rübermöchte. So habe ich auch nicht gelernt, was mir unsinnig erschien oder einfach nicht gefiel. Obgleich ich sehr literaturaffin bin, mochte ich beispielsweise »Effi Briest« überhaupt nicht. Nachdem ich zwanzig Seiten des entsprechenden Reclambüchleins gelesen hatte, sperrte sich alles in mir, und ich las keine Zeile weiter. Dass ich in der Deutsch-Leistungskurs-Klausur über das Werk von Theodor Fontane noch eine Vier minus bekam, fand ich persönlich beachtlich. Dafür verschlang ich den »Besuch der alten Dame« von Friedrich Dürrenmatt. Bis heute kann ich mit der Fabel dieses Buches viel anfangen und bis heute hat es mir nicht geschadet, »Effi Briest« nicht weitergelesen zu haben.
Geschadet allerdings hat mir, dass ich in der Oberstufe im Fach Französisch nahezu bei allen Klassenarbeiten hemmungslos abgeschrieben habe. Im Zeugnis bekam ich eine Zwei plus, aber ich kann in dieser Sprache nicht einmal nach dem Weg fragen oder mir im Restaurant ein Croissant und einen Milchkaffee bestellen.
Geschadet hat mir auch, dass ich mich bezüglich Kommasetzung beim Diktat in Deutsch auf das Husten von Annette verlassen habe. Damals fand Entertainer-Bernd seine Idee genial. Auch die allermeisten meiner Klassenkameradinnen und Klassenkameraden waren begeistert und die übrigen hielten wenigstens die Klappe. Annette war perfekt in Kommasetzung. Ich bat sie, während des Diktates bei jedem Komma laut und deutlich zu husten, und sie tat es. Besonders bei einem Relativsatz war die kurz vor der Pensionierung stehende Deutschlehrerin geneigt, Annette ein Hustenbonbon anzubieten. Einen Zusammenhang zwischen Hustenreiz und Kommata stellte sie aber nicht her. Bei diesen Diktaten stand nach der Korrektur bei mir regelmäßig unter der Note die Bemerkung »Satzzeichen sehr gut«! Heute setze ich nahezu jedes Komma falsch.
Als ich meine Deutschlehrerin nach ihrer Pensionierung einmal besuchte, erzählte ich ihr von dem Betrug. Ihre Reaktion war altersmilde und großherzig. Sie sagte nichts dazu, lächelte und goss mir einfach noch einen Tee ein.
Die Schule bereitete mir nur wenig Freude. Zumindest der Teil, für den die Lehrkräfte die Regie übernahmen. Ich bespielte aber die »Gymnasial-Bühne« so geschickt, dass mir neben dem lästigen Unterricht genügend Zeit für freudige Aktivitäten blieb.
Zum Beispiel übernahm ich die Betreuung des Schul-Aquariums, war ein aktives Mitglied der Schach-AG und gründete und leitete später die Bio-AG. Hier erkundeten wir gemeinsam die Natur, setzten uns mit Themen wie Tierschutz auseinander und beim Schulfest veranstalteten wir Rennen mit Weinbergschnecken, bei denen die Eltern jeweils eine D-Mark auf den Sieg einer Schnecke setzten. Diese Schneckenrennen schafften es in einen Bericht der regionalen Presse und durch diesen Artikel wiederum wurde der Südwestfunk auf die Kriechtiere aufmerksam. So besuchte mich eines Tages die SWF-Redakteurin Judith Kaufmann und ich veranstaltete exklusiv für sie ein Schneckenrennen auf dem Küchentisch, über welches im Hörfunk berichtet wurde.
Zu diesem Zeitpunkt hielt ich zu Hause über vierzig Weinbergschnecken. »Guck bloß, dass die Deckel uff denne Aquarie richdich druff sinn. Wann dir die Viecher abhauen un an mein Salat drogehn, dann rabbelt’s!«, kommentierte mein Opa regelmäßig mein Hobby. (»Pass bloß auf, dass die Deckel der Aquarien immer fest aufsitzen. Wenn die Schnecken abhauen und an meinen Salat gehen, dann kannst du etwas erleben!«)
Häufig schauten wir in meiner Bio-AG eine Folge der Nachmittagsserie »Ein Heim für Tiere«. Wir liebten diese ZDF-Fernsehproduktion mit dem Charakter-Schauspieler Siegfried Wischnewski, der den Tierarzt Dr. Willi Beyer spielte.
Als ich während eines privaten Berlinbesuches einmal aus einer Toilettenbox bei Burger King auf dem Ku’damm herauskam, stand genau dieser Siegfried Wischnewski an der Pinkelrinne. Ich war so fasziniert, dass ich ihn direkt ansprach und ihm von der Bio-AG erzählte. Ich fragte ihn frei heraus, ob wir denn nicht einmal Dreharbeiten der beliebten Serie in Berlin besuchen könnten. Tatsächlich fand der Schauspieler diese Idee interessant und schrieb mir wenig später einen handschriftlichen Brief, in dem er uns in die damals noch geteilte Stadt einlud.
Eine total verrückte Idee war geboren und das Unterfangen hatte im Leitungsgremium des Gymnasiums einige Gegner. Der Direktor allerdings war fasziniert und ich kümmerte mich um alles. Mein Bio-Leistungskurs-Lehrer ließ sich ebenfalls von der Idee anstecken und war bereit, die Exkursion als Lehrkraft zu begleiten. So flogen wir für drei Tage nach Berlin und hatten dort eine wunderbare Zeit mit dem Filmteam von »Ein Heim für Tiere«. Meine wirklich umfangreiche und professionelle Organisation und Durchführung dieses Ausflugs wurde mir später im Grundstudium Pädagogik an der Universität sogar als Facharbeit anerkannt!
Mit besagtem Biologielehrer verstand ich mich überhaupt sehr gut. Er war ein großer Pädagoge, der es schaffte, mich durchgehend für die Themen im Bio-Leistungskurs zu interessieren. Okay, außer vielleicht für den Zitronensäurezyklus. Bei der Abifeier führten wir zusammen einen Sketch auf, in dem ich ihn und er mich parodierte. Ganz großes Kino!
Biologie war mir überhaupt wichtig, besonders der Natur- und Artenschutz der regionalen Flora und Fauna. Ich engagierte mich aktiv im »Vogel- und Naturschutzverband Südpfalz e. V.«, war dort Schriftführer und leitete sogenannte Vogelstimmenwanderungen oder Exkursionen zu Feuchtgebieten, bei denen wir Amphibien und Insekten beobachtete. Ich beriet Privatpersonen in der Region, wenn sie sich einen Gartenteich anlegen wollten, und sammelte unermüdlich Spenden für den Naturschutzverband. 1987 erhielt ich dafür den Umweltpreis der Stadt Landau.
Gerade im Bereich Naturschutz hatte ich sehr gute Lehrmeister, die mich mochten, mir unheimlich viel beibrachten und mir immer wieder die Bühne bereiteten, auf der ich mich austoben konnte. Ich glaube, ich habe meinen damaligen Lehrerinnen und Lehrern viel mehr zu verdanken, als mir heute bewusst ist. DANKESCHÖN!
Anstatt einhundert Prozent in die Abi-Vorbereitung zu investieren, nutzte ich mindestens zwei Drittel der Zeit dafür, ein Kabarettprogramm zu schreiben.
Im »Traumschiff« gingen die Lehrkräfte unseres Gymnasiums zusammen mit Politikern und anderen Prominenten, die alle von mir und einem Mitschüler parodiert wurden, auf die Reise, um viel Skurriles zu erleben.
Am Ende hatte ich in meinem Abitur gerade noch eine Zwei vorm Komma, hatte aber gelernt, Konventionen nicht ganz so ernst zu nehmen, und mich ein ganzes Stück weiter befreit aus Schubladen, in die ich schon lange nicht mehr hineinpasste.