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3.5.1.1. Biographie und Werk

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620 Edmund Husserl

Intentionalität

Edmund Husserl wurde 1859 im damals österreichischen Proßnitz in Mähren in eine jüdische Tuchhändlerfamilie hineingeboren. Er studierte in Leipzig und Berlin Philosophie, Physik und Mathematik. In den Achtzigerjahren war Franz Brentano in Wien einer seiner Lehrer und Anreger, der ihn auch für psychologische Fragen sensibilisierte. Zudem prägte ein neukantianischer Zeitgeist den jungen Husserl. Längere Zeit in Halle an der Saale, blieb er im engen Kontakt mit dem Brentano-Schüler Carl Stumpf, einem Psychologen und Musikforscher. Brentanos Psychologie prägte die frühen Arbeiten Husserls, in denen er versuchte, Logik, Mathematik, aber auch Ethik und Ästhetik aus der Psychologie abzuleiten. Für Brentano ging jede Erkenntnis von evidenten Einsichten aus, die aus den verwandten Begriffen einleuchten. Ein »rundes Viereck« schließt sich bereits begrifflich aus. Solche evidente Einsichten wurden als psychische Bezüge gesehen, also als interne Beziehungen auf einen Inhalt. Hier lag die Wurzel für den für Husserl wichtigen (bereits von Brentano gebrauchten) Begriff der Intentionalität, also die Voraussetzung, dass Bewusstsein sich immer auf etwas bezieht. Die Vertiefung dieser Intentionalität wurde eines der großen Themen.

Für seine frühen Werke, namentlich die 1891 erschienene, Franz Brentano gewidmete Philosophie der Arithmetik, die den Untertitel Logische und psychologische Untersuchungen trug, musste Husserl aufgrund des immanenten Psychologismus viel Kritik einstecken – am bekanntesten geworden ist jene von Gottlob Frege. Die Korrektur dieses Versuchs folgte bald. Die Zweifel daran, ob sich die Gültigkeit logischer Wahrheiten psychologisch, also letztlich empirisch, begreifen lasse, führten in den Logischen Untersuchungen (1900/01) zur Annahme einer Apriorität konstitutiver Strukturen jenseits jeder Empirie. In dieser ersten von drei Phasen seines nunmehr eigenständigen Denkens ging es um Wahrheitssuche mithilfe apriorisch geltender logischer Gesetze abseits des empirisch Kontingenten. Logische Gesetze sind, anders als psychologische, unbedingt gültig, stellen also eine ganz andere Kategorie dar als die empirischen der Psychologie. Gleichzeitig verwahrte sich Husserl gegen einen in der Psychologismuskritik verpackten Antisubjektivismus, der freischwebende objektive Geltungen im Sinne eines Platonismus der Ideenlehre annahm. »Zu den Sachen selbst« musste stets in subjektive Bewusstseinsbezüge eingebettet bleiben. Diese Unschärfe hinterließ Schüler, die eine phänomenologische Wesensphilosophie vertraten.

Husserl war 1901 nach Göttingen gegangen und wurde 1916 Nachfolger des Neukantianers Rickert in Freiburg, wo 1918 Edith Stein seine erste Assistentin war, der von 1919 bis 1923 Martin Heidegger folgte. Er sollte 1928 Husserls Lehrstuhl übernehmen. Mit dem Antreten in Freiburg versuchte Husserl sein Anliegen im Kontext einer Transzendentalphilosophie anzugehen. Das war namentlich für die erwähnten Wesens-Phänomenologen nicht mehr akzeptabel.

Husserls beständiges Suchen und die Bereitschaft, alles wieder in Frage zu stellen, zeugen von hoher intellektueller Redlichkeit ebenso wie von der Aussichtslosigkeit glatt aufgehender Letztbegründungen, sodass sein Werk auch bereits als bewusst fragmentarisch angesehen wurde. Aus den vielen Versuchen und Anläufen hat sich in der einschlägigen Literatur eingebürgert, drei Hauptphasen in der Philosophie Husserls zu unterscheiden: (1) die Kritik am Psychologismus, (2) die phänomenologische Reduktion oder Epoché und (3) die transzendentale Wende im Zusammenhang mit der Lebenswelt-Problematik.

Claesges Ulrich in Husserl, Hua XVI, XIV

(ad 1) Die Abkehr vom Psychologismus entsprach der eben geschilderten Bemühung in den Logischen Untersuchungen. (ad 2) Die Fragen im Gefolge der Psychologismuskritik ging er in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie an, deren erster Band (Ideen I) 1913, die anderen zwei nach Husserls Tod veröffentlicht wurden. Nach seinen eigenen Aussagen sei ihm der Gedanke der phänomenologischen Reduktion bereits 1905 bei einem Aufenthalt in Seefeld in Tirol gekommen, aber erst ein paar Jahre später in ihrer ganzen Relevanz bewusst geworden.

Ebd., XVf

Gmainer-Pranzl 2007, 202

3.9.4./X.3.5.1.1.

Prechtl 2002, 49

Mit der Schrift Philosophie als strenge Wissenschaft (1911) resümierte Husserl die Abkehr von den psychologisch geprägten Anfängen, ging es doch darum, den »Aberglauben« an die Tatsachen zu bekämpfen. »Erst die phänomenologische Reduktion macht aus der Sphäre ›psychologischer Phänomene‹, als welche noch die Logischen Untersuchungen das Bewußtsein thematisierten, die Sphäre ›reiner Phänomene‹.« Philosophie sei Wesensanalyse und transzendentale Phänomenologie Wesenswissenschaft. Es ist ein Weg »zwischen der Scylla naiver Beschreibung von ›Fakten‹ (Positivismus) und der Charybdis einer apriorischen Ableitung der konkreten Wirklichkeit aus rein geistigen Ideen (Idealismus) hindurch […].« Solche Überlegungen wurden später, etwa bei Richard Wollheim, für die Kunstphilosophie fruchtbar gemacht, indem er in ein und demselben Gegenstand eine Aufteilung in einen physisch-materiellen und einen ästhetischen Gegenstand durchführte. Wenn Husserl über Gegenstände spricht, gilt jedenfalls für intentionale Gegenstände, dass sie als »›idealer Gegenstand‹ aufgefasst werden, als Gedanke, dessen ›Idealität‹ einzig im Sinne der Abgrenzung zu einem Realen im Sinne eines wahrnehmbaren Dinges besteht.«

Epoché

VII.5.1.

VII.2.2.1.

III.2.5.2.

Husserl 1913, 66

Am Anfang einer neuen, empiriefreien Wesenswissenschaft stand die Reinigung von jeder Vormeinung, welche die Voraussetzungslosigkeit torpediert. Die Vorgangsweise erinnert ebenso an Francis Bacons Idolenlehre wie an Descartes’ methodischen Zweifel. Wir müssen laut Husserl in der phänomenologischen Analyse in einem ersten Schritt alle Vormeinungen über einen Gegenstand ausschalten (Husserl griff dazu auf den aus den hellenistischen Philosophenschulen bekannten Ausdruck Epoché zurück) und in einem zweiten Schritt von der Washeit ausgehen, aber damit nicht gleich die Existenz des Gegenstandes voraussetzen (eidetische Reduktion). Grundsätzlich neigt jeder Mensch dazu, das erkannte Sein der Gegenstände als wahres Existenz-Sein anzusehen. Husserl spricht von einer »Generalthesis« jeder Erkenntnislehre und jeder Einstellung zur Welt. Deshalb sei es wichtig, dass uns ein Innehalten (Epoché) vor einer vorschnellen Affirmation einer empirischen Existenz von Gegenständen abhält. Die natürliche Welt, zu der auch kulturelle Aspekte wie Kunst, Staat, Religion, aber eben auch die (Natur-)Wissenschaften gehören, wird dabei nicht geleugnet, aber es wird von ihr sozusagen kein Gebrauch gemacht, sie wird eingeklammert: »Die ganze, in der natürlichen Einstellung gesetzte, in der Erfahrung wirklich vorgefundene Welt, […] gilt uns jetzt nichts, sie soll ungeprüft, aber auch unbestritten eingeklammert werden.«

Noesis und Noema

Prechtl 2002, 73

Jeder erkennende Mensch ist in einem Horizont gegenseitiger Sinnverweise eingebettet und legt deshalb bei einer reflektierenden Erkenntnis den Sachen automatisch – und vor allem unthematisch – Bedeutungen zu, indem sich der Bewusstseinsakt auf den Gegenstand bezieht (Noesis), sodass der Gegenstand durch diese Stiftung in gewisser Weise erscheint (Noema). Dabei übersteigt die Wahrnehmung die Widerspiegelung eines bloß empirischen Gegenstandes und wird selbst konstruktiv, ein Phänomen, mit dem jede Transzendentalphilosophie umgehen muss. Die Wahrnehmung eines Baumes etwa ist, anders als der wahrgenommene konkrete Baum selbst, unzerstörbar. Wenn wir eine Wahrnehmung als Täuschung entlarven, hat sich der Sinn des Gegenstandes verändert. Die Tatsache, dass sich Gegenstände stets nur in gewisser Ansicht, nie in ihrer Totalität zeigen, nannte Husserls Abschattung. Man kann auch sagen, dass wir Gegenstände immer perspektivisch erkennen, wobei Perspektive hier Standpunktbezogenheit meint. »Wir können schließlich als Resultat der phänomenologischen Reduktion festhalten, dass alles Sein seinen Sinn und seine Seinsgeltung dem intentional vermeinenden Bewusstseinserleben verdankt. […] In diesem Sinne können wir phänomenologisch davon sprechen, dass das Bewusstsein das Sein konstituiert.«

X.3.5.1.4.

Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass ein solcher »Gegenstand« Ziel verschiedener Intentionen sein kann. Das Problem, wie sich ein intendierter Gegenstand mit seinen vielen gegenständlichen Auffassungen verträgt, wird uns in ähnlicher Form bei der systematischen Unterscheidung von Typen und Vorkommnissen bei Kunstwerken wieder begegnen. Dieser geschilderte Komplex weist die Phänomenologie als eine lebendige Vorurteilskritik aus, also die methodische In-Frage-Stellung einer selbstverständlich erscheinenden Geltung. Über die Reflexion eigener und fremder Perspektiven kann Kunst zu einer Schule des Blickwechsels werden. Das Problem bleibt (letztlich wie bei Kants Erscheinung und An-sich-Sein des Gegenstandes) die Unterscheidung von wirklicher Erkenntnis und vermeinter Erkenntnis, also zwischen Gegenstandsnoema und »wirklichem« Gegenstand, da es dafür kein Korrespondenzkriterium gibt.

Ebd., 70

Diese vor der anti-empiristischen Pointierung des Gesamtansatzes zu lesende Weichenstellung ermöglicht es erst, die Intentionalität für die sogenannte Wesensschau einsetzen zu können. Der Begriff des Wesens hat Missverständnisse ausgelöst. Er wurzelt zwar durchaus in der Ideenlehre Platons, aber in einer zeitgemäßen Fassung des neukantianischen Kontextes, in dem Husserls steht, ist es zureichender umschrieben, wenn man »von den Zufälligkeiten und individuellen Besonderheiten der faktisch ablaufenden Bewusstseinsakte abstrahiert.« Es ging auch bei Husserl um Erforschung der Möglichkeitsbedingungen des intentionalen Bewusstseinsaktes. Gegenstand für die Phänomenologie ist daher nicht der empirische Gegenstand, sondern das Ziel einer Intention.

Husserl 1913, 101; im Orig. kursiv

Ströker 1992, 60

Gmainer-Pranzl 2007, 197

Wesensschau hat demnach nichts zu tun mit mystischer Schau im Sinne des mittleren Platon, vielmehr drückt sich in der Wesensschau das Wesen im Bewusstseinsakt originär aus. Wir gelangen dazu durch eine Intuition, denn es darf kein anderes Wissen dafür in Anspruch genommen werden. Zu den Sachen selbst bedeutete daher nicht, dass die Sachen unverdeckt vorliegen. »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den Bewußtsein und Bewußtseins-Ich nichts anginge.« Sein wurde hier im Sinne einer Rückwendung zu Kant in das Bewusst-Sein überführt, Husserl wollte damit klären, wie sich Bewusstsein auf etwas Bewusstsein-Transzendentes bezieht. Husserl redete keiner »Weltvernichtung« das Wort, kehrte sich aber von jedem Verdacht einer naiven Konzeption des Bewusstseins ab. Nach dieser transzendentalen Reduktion blieb ein Bewusstsein übrig, das »in die Welt nicht mehr verstrickt ist […] und auch insofern rein in sich selbst untersucht werden soll.« Philosophiegeschichtlich kann man diese Denkbemühungen durchaus vergleichen mit dem Vorgehen im Idealismus, aber zum Unterschied von dort entflieht hier das Subjekt nicht in das Absolute. Motivation dafür war immer noch, an die Stelle eines Psychologismus »die – philosophisch redliche – Hoffnung auf universale Vernunft […]« treten zu lassen.

Transzendentalphilosophie

Ebd., 266

1931 hatte Husserl in Frankreich Vorträge an der Sorbonne unter dem Titel Cartesianische Meditationen (1950 auf deutsch erschienen) publiziert und für die Phänomenologie den Anspruch einer strengen wissenschaftlichen Methode erhoben: vorurteilsfrei, objektiv und unabhängig von jeder Erlebnissituation. Descartes stand für Husserl damals für radikale Voraussetzungslosigkeit und Sachnähe. Die Transzendentalphilosophie erhält geradezu eine platonische Bedeutung: »Philosophie in ›transzendentaler‹ Hinsicht zu betreiben heißt also vor allem, den Grund hinter allen ›Relativitäten‹ auszumachen […].«

Husserl 1929, 215

Anders als bei Hegel gibt es bei Husserl keine Aneignung der Welt durch das Subjekt. Vielmehr wird die Relation von Subjekt und Gegenstand (also die Intentionalität) aufrecht erhalten. Und anders als später bei Heidegger bleibt es bei Husserl bei der Gegebenheitsweise von Gegenständen im Bewusstsein. Es kommt nicht zu einer dem Bewusstseins-Ich vorlaufenden Erschlossenheit von Welt. Dennoch fand Heidegger bei Husserl reiches Material, denn Husserl schürfte tief im Raum des Bewusstseins und entdeckte, dass »Urteile als fertige Produkte einer ›Konstitution‹ oder ›Genesis‹« nach Sinnmomenten befragt werden können, weil es zum Wesen solcher Produkte gehört, »daß sie Sinne sind, die als Sinnesimplikat ihrer Genesis eine Art Historizität in sich tragen; […] daß man also jedes Sinngebilde nach seiner ihm wesensmäßigen Sinnesgeschichte befragen kann.«

Marx 1987, 45

Kant 1781, B 131

Prechtl 2002, 59

3.6.

Ein weiteres Problem bleibt das die ganze Geschichte tragende Subjekt, bei dem konsequent ebenso von allen materiellen Aspekten abgesehen wird. Es muss zum Sammelpunkt der Abschattungen werden. »Das Ding, in verschiedenen Abschattungsweisen sich darstellend, sich repräsentierend, wird als eines apperzipiert.« Letztlich bleibt das Subjekt ein abstraktes Einheitszentrum verschiedener Bewusstseinsakte, vielleicht vergleichbar mit Kants »Ich denke«: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; […].« Verschiedentlich wird in der Husserl-Forschung auf die Erweiterung des Ich-Begriffs auf die durch das Bewusstsein gesetzte Gegenständlichkeit hingewiesen, das Ich also auf den von ihm gesetzten Gegenstand erweitert. Das führt einerseits (transzendentalphilosophisch) dazu, dass »die Welt bzw. alles Sein sich als Bewusstseinskorrelat erweist.« Andererseits konnte auch das Welt-Sein Martin Heideggers – dann nicht mehr als Bewusstseinskorrelat gedacht – daran anknüpfen. Phänomenologie wurde so radikal zu einer Bewusstseinsphilosophie und stieß alle vor den Kopf, die noch hofften, mit Husserl transzendente Gegenstände (mittels Intuition oder mystischer Wesensschau) erkennen zu können. Betroffen davon fühlte sich die Gruppe der sogenannten Göttinger Schule, unter ihnen Alexandre Koyré, Roman Ingarden und Edith Stein.

Noch schlimmer war, dass Husserl schließlich auch den Glauben an eine abschattungsfreie Erkenntnis des Bewusstseins aufgab. Auch das Bewusstsein selbst blieb horizontgebunden. Daher bildete letztlich die horizonthaft verstandene geschichtliche Welt das Forschungsfeld der Phänomenologie. Das markierte nicht nur die Abzweigung zu Heideggers In-der-Welt-Sein, sondern auch jene zum Existenzialismus und zur Leibhaftigkeit des Menschen als Ausgang jeder Philosophie, wie sie vor allem Maurice Merleau-Ponty weiterdachte.

Husserl 1929, 294f

Husserls rastlose Anläufe zu einer von ihm gesuchten Letztbegründung im Bewusstsein lassen ihn immer wieder bei Sinnimplikationen und Historisierungen stranden. »Sehr spät habe ich erkannt, daß alle Kritik der Evidenzen und im besonderen der Urteilsevidenzen […] nicht nur, wie es in der jetzigen Darstellung selbstverständlich ist, im Rahmen der Phänomenologie zu vollziehen ist, sondern daß alle diese Kritik zurückführt auf eine letzte Kritik in Form einer Kritik derjenigen Evidenzen, die die Phänomenologie der ersten, selbst noch naiven Stufe geradehin vollzieht. Das aber sagt: Die an sich erste Erkenntniskritik, in der alle andere wurzelt, ist die transzendentale Selbstkritik der phänomenologischen Erkenntnis selbst

Lebenswelt-Philosophie

Husserl 1936, 133

(ad 3) Dieses Ausschöpfen der Bemühungen führte schließlich zu einer offenen Position einer Lebenswelt-Philosophie. Aus Husserls Perspektive hört sich das in seiner 1936 – noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, in dem sein Sohn vor Verdun gefallen war, aber weit über diesen Anlass hinausgreifend – erschienenen Schrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften so an: »Hören wir auf, in unser wissenschaftliches Denken versunken zu sein, werden wir dessen inne, daß wir Wissenschaftler doch Menschen und als das Mitbestände der Lebenswelt sind, der immer für uns seienden, immerzu vorgegebenen, so rückt mit uns die ganze Wissenschaft in die – bloß ›subjektiv-relative‹ – Lebenswelt ein.« Husserls Kritik an philosophischen Positionen wie Existenzialismus, vor allem aber Positivismus, der das Subjekt von der Lebenswelt abkoppelt, umfasste auch die Mathematisierung der Natur. Rein praktisch notwendige Messverfahren hätten seiner Meinung nach zu einer Geometrisierung der Lebenswelt geführt. Damit sei die Welt idealisiert und unanschaulich geworden. Die Lebenswelt wird geradezu zum Kontrastbegriff zur scheinbar objektiven Welt der Wissenschaft. Transzendentalphilosophie dient jetzt geradezu dem Erweis einer apriorischen Lebensweltlichkeit, die erst a posteriori zu wissenschaftlichen Objektivationen kommt.

Waldenfels 1992, 37

Marx 1987, 96

Husserl 1936, 60

Das war ein Befund, der alle kulturellen Genres befruchtete. »Befreit von dem Idealisierungs- und Formalisierungsdruck, der seit den Zeiten der Galileischen Physik auf der Erfahrung lastet, greift die alltägliche Lebenswelt über auf die Kultursphären von Wissenschaft, Politik, Kunst und Religion, indem sie diese – mit Max Weber zu reden – einem Prozeß der Veralltäglichung aussetzt.« Die kulturellen Erzählungen ergeben sich stets aus der Lebenswelt, weshalb konsequent auch die »naturwissenschaftlich konstituierte Welt ein Derivat der lebensweltlichen ist.« Damit dreht sich die übliche Sicht geradewegs um. Husserl kritisiert mit der Lebenswelt-Konzeption die »in der ›Wissenschaftlichkeit‹ der traditionellen objektivistischen Philosophie liegende philosophische Naivität […].« Das relativierte ein seit Platon laufendes und im 19. Jh. einem Höhepunkt zustrebendes Programm der Mathematisierung der Welt zugunsten einer bereits in der transzendentalphilosophischen Wende eingeleiteten reflektierenden Subjektivität.

Wetz 1995, 102

So gesehen setzte Husserl am Ende seiner komplexen Analysen ein ebenso modernes wie zustimmungsfähiges Plädoyer für eine offene Epistemologie, auf der die anstößige Bemerkung Heideggers »Die Wissenschaft denkt nicht« ebenso anschließen konnte wie Überlegungen zu spontanen Paradigmenwechseln in der Wissenschaft, wie Thomas S. Kuhn, die Frankfurter Schule oder Michel Foucault. Franz Josef Wetz fasste die Intention zusammen: »Transzendentale Phänomenologie ist sicher nicht anmaßendes Streben nach Macht über die Welt, sondern vielmehr angstvolle Suche nach Sinn angesichts der quälenden Ahnung, dass die Welt sinnlos sein, dass Naturalismus und Relativismus doch das letzte Wort behalten könnten.« Wetz spricht von Suche und nicht von einem sich offenbarenden Wahren, das in der Phänomenologie nur allzu oft beschworen wurde.

Husserl 1924, 42f

Es erinnert an Platon, wenn Husserl die Philosophie zur Erzeugung des Menschen instrumentalisiert. Band Platon »seine« Philosophie jedoch auf das Göttliche zurück, meinte Husserl den aufgeklärten autonomen Menschen. In der japanischen Zeitschrift The Kaizo formulierte er dies so: »Nur aus eigener Freiheit kann ein Mensch zur Vernunft kommen und sich sowie seine Umwelt vernünftig gestalten […].«

Kunstphilosophie und Ästhetik

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