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3.5.2. Maurice Merleau-Ponty
ОглавлениеDer 1908 in dem zwanzig Kilometer vom Atlantik entfernt liegenden Rochefort-sur-Mer geborene Merleau-Ponty dachte auf den Spuren von Husserl und Heidegger, Bergson und Kojève. Er selbst verortete sich philosophisch im Kreuzungspunkt von Phänomenologie, Idealismus, Kant sowie der Gestaltpsychologie und es interessierte ihn die Frage der Perzeption. Der nach Horst Bredekamp kreativste aktuelle französische Denker interpretierte das Sehen als einen kreativen Prozess.
Nach dem Studium der Philosophie an der École Normale Supérieure in Paris bekleidete Merleau-Ponty Professorenstellen in Lyon und Paris zu einer Zeit, in der man sich mitten in der Auseinandersetzung der französischen Intellektuellen um Existenzialismus und Marxismus befand. Zusammen mit Sartre hob er die Zeitschrift Les Temps Modernes aus der Taufe. Das Einvernehmen mit Sartre zerbrach Anfang der Fünfzigerjahre nicht zuletzt deshalb, weil Merleau-Ponty Sartre noch im Cartesianismus gefangen sah. Kunstphilosophische Aspekte waren für Merleau-Ponty nicht bloß Ergänzungen eines größeren philosophischen Anliegens, vielmehr ließ sich dieses Anliegen in kunstphilosophischen Kontexten buchstabieren. Von da her ist es auch wenig erstaunlich, dass es keine in einem schnellen Zugriff darstellbare kunstphilosophische These gibt, vielmehr durchziehen diese Fragen das gesamte OEuvre. Konsequent ist auch, dass Merleau-Ponty sich kaum um die klassischen Themen der Kunstphilosophie kümmerte, wie Geschmacksurteil, Frage nach dem Schönen oder nach dem Wesen des Kunstwerks, weshalb seine kunstphilosophischen Weichenstellungen in Überblicken über sein gesamtes OEuvre meist wenig oder gar nicht gewürdigt werden.
Philosophie der Leiblichkeit
Schürmann Eva in Majetschak 2005, 268
Ebd., 271
Merleau-Ponty 1945, 272
Waldenfels 1987, 169
Kunstphilosophie ist bei ihm Philosophie der Leiblichkeit und Philosophie der Wahrnehmung. Programmatisch ging es Merleau-Ponty von Anfang an um eine Überwindung der cartesianischen Subjekt-Objekt-Trennung ebenso wie der kantischen – und in der Folge: idealistischen – Bewusstseinsphilosophie. In der Tat richtete sich sein Denken gegen »die Leib- und Vermittlungsvergessenheit einer philosophischen Tradition, die dem Bewußtsein zuviel, dem Sein zuwenig zutraut, […].« Es ging um einen dritten, leibvermittelten Weg zwischen Materialismus und Rationalismus. Merleau-Ponty wandelte dabei auf den Spuren der Phänomenologie, die Sachen Welt-vermittelt zu sehen, ohne deshalb in einen naiven Realismus zu fallen. Merleau-Ponty bekannte sich zum Optimismus, einen vorprädikativen Seinsbereich (mit Schelling gesprochen: das Unvordenkliche) erfassen zu können. Gegenüber Einwänden von sprachphilosophischer Seite könnte man in seinem Sinne argumentieren: »Erfahrung erschöpft sich nicht in ihrer Sprachförmigkeit, sondern ist sinnlich verstrickt, und die Sprache selbst ist keine Gegebenheit, die von den sozialen, physischen oder psychischen Bedingungen subjektiver Wirklichkeitsverhältnisse zu separieren wäre.« Merleau-Ponty knüpfte konsequent an die Perspektivierung Husserls an. Darin zeigt sich eine originelle Fortschreibung transzendentaler Zugangsweise, allerdings als Strukturierung der Gegenstände nicht etwa durch die Vernunft, sondern durch die leibliche Wahrnehmung. »Kein erkenntnistheoretisches Subjekt vollzieht die Synthese, sondern der Leib […].« Das heißt: Die »Einheit der Dinge stellt sich her in einer Art von Dialog mit unserem Leib, […].«
3.6.
Waldenfels 1987, 167
Heidegger hatte sein ähnliches Anliegen in eine Neuformulierung der Frage nach dem Sein – im Kontext des In-der-Welt-Seins – übersetzt. Merleau-Ponty hatte mit seinem Leibbegriff weitaus weniger Berührungsängste gegenüber einer existenzialistischen Bodenhaftung. Dabei unterschied er zwischen dem Körper, dem keine Innerlichkeit zukommt, und dem Leib, dabei wiederum zwischen einem natürlichen und einem kulturellen Leib. Der Leib ist das Dritte zwischen Realismus und Idealismus, »weder Ding noch Bewußtsein, sondern eine unentbehrliche Vorgabe meiner selbst.« In seiner Phénoménologie de la perception (1945) untersuchte er die Dialektik von Sehen und Sichtbarkeit mit dem Blick auf diese leibliche Verfasstheit des Menschen. Im Gegensatz zu Kant trat an die Stelle des reinen Bewusstseins das (durch die Geburt in die Welt) »inkarnierte Subjekt«. Merleau-Ponty spiegelte den Erkenntnisvorgang zurück auf eine der Begrifflichkeit vorausgehende Erfahrung. Die leibliche Existenz ist nicht subjektivistisch zu verstehen, sondern als intersubjektive, anonyme Leiblichkeit, Merleau-Ponty spricht von einer »Zwischenwelt«, wo das Ich und das Andere konvergieren.
Die Aufhebung einer strengen Subjekt-Objekt-Dichotomie war zur gleichen Zeit sowohl von Heidegger als auch – in anderer Form – vom Strukturalismus angegangen worden. Als Feld, auf dem diese Neuformulierung am ehesten gelingen konnte, bot sich jenseits einer begriffsvermittelten Philosophie die Kunst an, die ihre eigene materielle Basis scheinbar stets durch den Mehrwert der Bedeutung überwindet, ohne auf sie verzichten zu können. Bei den Genres der Kunst stützte er sich nahezu ausschließlich auf Malerei und Literatur. Das Koordinatensystem dazu steckten Paul Cézanne, daneben Henri Matisse, Paul Klee, Vincent van Gogh, aber auch Leonardo da Vinci ab. Zahlreiche Anregungen schien er von André Malraux und Paul Valéry aufgenommen zu haben.
Philosophie der Kunst
Ebd., 169
Därmann Iris in ÄKPh, 559
Merleau-Ponty 1964a, 270
VII.6.1.
Was er für eine Erkenntnistheorie von Seiten der Kunst her gewann, war der Aspekt der Konstruktion von Wirklichkeit gegenüber deren bloß abbildenden Wahrnehmung. »Ihre vertraute Gestalt erreicht die Welt schließlich in Form einer von uns geschaffenen Kulturwelt.« Auch Wahrheit hat neben der Zuschreibung der alten adaequatio noch einen schöpferischen Aspekt. Entscheidend für Merleau-Ponty blieb dabei, dass sich das Unsichtbare im Sichtbaren zeigt. Dieses Anliegen, jenseits jeder Bewusstseinsintention den Leib im Spiel zu halten, das er in seinem posthum erschienenen fragmentarisch gebliebenen Werk Les visible et l’invisible (1964) entfaltete, entwickelte er mit Vorliebe an der Malerei Paul Cézannes. Anders als in der Wissenschaft und in der klassischen Erkenntnistheorie, bleibt in der Kunst das Unsichtbare als Bedingung jeder Sichtbarkeit latent sichtbar. Interessant wird das nicht zuletzt durch die Überwindung der Perspektive in der Kunst der Moderne. Die Perspektive war für ihn Beherrschung und Domestikation des Sehens. Wer die Kunst gegenüber der Philosophie retten will, muss auch die Perspektive dekonstruieren. Das bedeutete für Merleau-Ponty nichts weniger als ein Ende des Bewusstseinssubjekts zugunsten von Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit der Gegenstände. Neben einer »Entsubjektivierung des Sehens« mit anticartesianischer Pointe ist in der Tat auch eine »Entgegenständlichung des Sichtbaren« hier angezeigt. Der Blick des Subjekts ist nicht mehr durch die Vorgaben der Perspektive geordnet, sondern es handelt sich um eine »rohe« und »wilde« (perception brute ou sauvage), also eine ungeordnete Sinneserfahrung. Dabei ist die Perspektive als transzendentalphilosophische Subjektivierungs- und Konstruktionsleistung angesprochen.
Kapust 2009, 262
Boehm 1994, 18
Ebd., 19
Merleau-Ponty ging es darum, »wie Materie in Sinn verwandelt wird und daher das Bild vielmehr als Realisierung eines Ausdrucks verstanden werden muß […].« Wenn wir plötzlich Tiefe, Weichheit, Klang und Duft sehen, dann sind das Transformationen, die sich weit von einer Repräsentationstheorie und von der materiellen Basis des Bildes entfernt haben. Die konstruktive Leistung des Sehens entfaltete Merleau-Ponty in L’OEil et l’esprit (1961). Im Sinne Konrad Fiedlers ist das Auge tätig. An Cézanne machte er klar, »wie unzureichend der überkommene neuzeitliche, cartesisch-zentralperspektivische Bildbegriff ist […].« Und er suchte die Verbindung von Bild, Auge und Geist aus dem bisherigen Subjekt-Objekt-Schema herauszulösen und sie in die Leiblichkeit zu integrieren. »Merleau-Ponty mußte mithin auch die phänomenologischen Grundlagen seines Denkens revidieren, die Wahrnehmungsachsen der Intentionalität mit ihrer zweipoligen Akzentuierung (nach Noesis und Noema) abbauen, wenn er ein angemessenes Verständnis von Auge und Bild gewinnen wollte. […] Das Sehen verliert seine konstruktive Statik und technische Abstraktheit, – gewinnt die ihm eigentümliche Prozessualität zurück, seine Einbindung in den Körper, dessen Augen sehen.«
Merleau-Ponty 1964b, 16
Merleau-Ponty 1945, 181f
Abels 1985, 24
Därmann Iris in ÄKPh, 564
Durch den leiblich konfigurierten Sehenden gelingt die Sichtbarkeit des Sichtbaren. Was damit erreicht werden soll, ist eine Reflexionsform, die – in der Terminologie Kants gesprochen – das empirische Subjekt nicht völlig ins transzendentale aufhebt. Das Subjekt bleibt derart verschlossen im Rätsel des Leibes. »Das Rätsel besteht darin, daß mein Körper zugleich sehend und sichtbar ist. Er, der alle Dinge betrachtet, kann sich zugleich auch selber betrachten und in dem, was er gerade sieht, ›die andere Seite‹ seines Sehvermögens erkennen«. Sehen ist eine Verknüpfung von dem, der sieht, mit dem, was er sieht. Der Leib ist daher einem Kunstwerk zu vergleichen. Das Kunstwerk erschließt sich weder allein im Werk noch allein in der Rezeption. Was Merleau-Ponty an Cézanne fand, war sein Unterfangen, »die eigene, noch nicht dagewesene Erfahrung am bekannten Objekt, am überlieferten Motiv zu realisieren.« Alles, was erscheint, erscheint aus einer rätselhaften, nicht mehr zu lösenden Verflechtung von Subjekt und Objekt, von Erfindung und Nachahmung, von Geist und Leib. Kunstphilosophisch steuert Merleau-Ponty an allen gängigen Schemata, Hermeneutik, Rezeptions- und Produktionsästhetik, sowie einer Ontologie vorbei und »erhebt das Kunstwerk zu einem erfahrungsstiftenden Ereignis.«
Die Leibhaftigkeit durchkreuzt jedes einfache erkenntnistheoretische Schema und sorgt für Kontingenz, Merleau-Ponty spricht von dem paradoxe de l’expression und er verbucht das als einen Gewinn eines leibhaften Subjekts. Allerdings führt er die Ungleichung nicht in jene Richtung, die sie im Poststrukturalismus dann genommen hat, wobei man zu einer offenen Differenz gelangte, die weniger die Frage nach einer Bereicherung des Subjekts als mehr jene nach dessen Verlust exponierte. Umgekehrt fand das Werk Merleau-Pontys bei den Poststrukturalisten durchaus Beachtung.