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3.2.5. Robin George Collingwood
ОглавлениеKunstwerk als mentaler Gegenstand und Ausdruck
Der 1889 in der Grafschaft Lancashire geborene Collingwood wurde als prominenter Vertreter einer mentalistischen ästhetischen Theorie rezipiert, die das Kunstwerk als geistige Entität ansieht und Kunst als geistige Tätigkeit, aber zugleich als physische Erfahrung. Der von seiner kunstsinnigen Mutter für die Kunst entflammte Collingwood fand über Kant zur Philosophie und befasste sich in der Folge mit Fragen nach dem Wesen von Kunst und Kunstwerk. 1938 ließ er eine grundlegende Überarbeitung seiner Outlines of a Philosophy of Art von 1925 erscheinen, die unter dem Titel Principles of Art sein ästhetisches Hauptwerk wurde.
Collingwood 1938, 139
Ebd., 142
Seiner Meinung nach sind Kunstwerke nicht Teil der materiell-physischen Welt. Weder eine Partitur, noch eine Aufführung eines Musikstückes seien Kunstwerke, sondern der geistige Entwurf des Komponisten, etwas »in the composer’s head.« Es geht beim Kunstwerk nicht um die physische Realität: »The work of art proper is something not seen or heard, but something imagined.« In der Architektur existiert ein Kunstwerk zwar erst dann, wenn es materiell realisiert, also gebaut ist. Aber dies ist nur die Verkörperung eines mentalen Plans. Architektur existiert bereits als Konzept im Geist eines Architekten.
Collingwoods Werk beinhaltete indes mehr als eine ästhetische Theorie im engeren Sinn. Er holte weit aus und begann wie Kant, mit dem er zu philosophieren gelernt hatte, mit den sinnlichen Eindrücken, die uns erreichen und deren Mannigfaltigkeit wir bearbeiten. Daraus wurde eine Ausdruckstheorie der Kunst auf der Basis von Erfahrungen und Emotionen. Collingwood sprach, ähnlich wie Benedetto Croce, der Kunst eine Ausdrucksform zu. Wenn Maler einen Sonnenuntergang »organisieren«, sind die von ihnen geschaffenen Werke keine Kopien der Realität, sondern Repräsentationen, deren Produktion vergleichbar ist mit der Einbildungskraft, welche die Begriffe erzeugt. Bei diesem Vorgang kommt die Imagination ins Spiel (imaginary experience of total activity), die eine analoge Funktion wie Croces Intuition zu haben scheint. Wir rezipieren auf psychischer Ebene Sinnesdaten, die dann durch die Imagination als einer Form des Bewusstseins in Ideen umgewandelt werden. Genauso verhält es sich mit den Emotionen. Jede Wahrnehmung von Sinnesdaten ist mit Gefühlen verbunden, die zunächst Rohmaterial bleiben und erst durch die Imagination bewusst werden. Wie Croce bei der Intuition deutet Collingwood die Imagination als ein aktives Element. Sie ist schöpferisch und sorgt für den Ausdruck des Gefühls. Konkret kommt es in einem ersten Schritt zu Körperreaktionen, über die wir keine Kontrolle haben. In einem zweiten Schritt geben wir den Emotionen Struktur und Stimme, indem wir beispielsweise singen und tanzen, um unser Glück auszudrücken. Und schließlich formulieren wir in einem letzten Schritt begriffliche Konzepte des Ausdrucks.
Robinson 2004, 179
Wollheim 1968, 212
Expression in diesem Sinn ist nicht bloß die Beschreibung einer Emotion, sondern die rational umgesetzte Manifestation einer Emotion in einem Kunstwerk. »In Collingwood’s theory the artist’s special ›intuition‹ becomes his knowledge of his emotional state as expressed in the creation of a new, original, unique work of art.« Das ist aus der Perspektive der Rezipientenseite gesprochen, aber Collingwood geht es auch und vor allem um die Seite der Produzenten. Die Künstlerin schafft nach Collingwood expressiv ein Bild, wobei sie beim Produzieren jene ästhetische Erfahrung erlebt, die ihr Werk zeigt. Richard Wollheim lobt diesen Blick auf die Produzentin: »Collingwoods Principles of Art hat trotz seiner Mängel das Verdienst, fast das einzige Werk aus der Anfangszeit oder der Mitte des 20. Jahrhunderts zu sein, das von den Irrtümern der betrachterorientierten Ästhetik frei ist.« Ebenso wie bei Croce entsprechen auch die Probleme von Collingwoods Theorie denen, die mentalistische Ansätze generell und der produktionsästhetische Mentalismus im Besonderen mit sich bringen, wie in X.3.5.1.2. genauer dargestellt werden wird. Im Wesentlichen geht es um die fehlende sinnliche Rezipierbarkeit von Kunstwerken. Damit kann auch nicht ein Kunstwerk von mehreren Menschen zugleich erfahren und über es geurteilt werden, »since each would seem to be engaged in her own imaginative activities and experiencing her own imaginary objects.«
Thomasson 2004, 81
Wie Croce versucht auch Collingwood, Kunst vom Handwerk zu unterscheiden, und kommt zu ähnlichen Schlüssen. Handwerk ließe sich als Mittel-Zweck-Relation beschreiben. Ein technisches Handeln diene als Mittel der Erreichung eines gewünschten Zwecks. Kunst wiederum sei Ausdruck (und nicht bloß berechnende Erzeugung) von Gefühlen. Anders als das Handwerk entziehe sich die Kunst jeder Planbarkeit, weil Künstler erst nach Abschluss der Arbeiten um ihre Gefühle wissen.