Читать книгу Kunstphilosophie und Ästhetik - Bernhard Braun - Страница 36
3.1. Theosophie
Оглавление614 Helena Blavatsky um 1887
1831 wurde im ukrainischen Dnipropetrowsk (damals: russ. Jekaterinoslaw) die Deutsch-Russin Petrovna von Hahn-Rottenstern geboren. Nach ihrer kurzen ersten Ehe suchte Helena Petrovna Blavatsky rund um den Globus die Zentren des Okkultismus auf, ließ sich von tibetischen Mönchen in alte Mysterien einweihen und sammelte okkulte Versatzstücke und Praktiken, inklusive Kulte von Medizinmännern und Voodoo-Zauberern. Blavatsky hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten finanziell über Wasser, bis ihr mit dem Buch Isis Unveiled (1877) ein Durchbruch als Spiritistin gelang.
VIII.5.3.2.2.
Rosenblum 1975, 192
Um 1875 gründete sie mit ihrem Lebensgefährten Henry Steel Olcott die Theosophische Gesellschaft. Man verstand die Theosophie als Urreligion, die jeden Gegensatz zwischen Spiritualität, Philosophie, Naturwissenschaft versöhnt, als Grundlage einer universellen Brüderlichkeit. In der Theosophie verbanden sich eine Menge von Strömungen: Okkultismus, sexuelle Befreiung (inklusive Homosexualität und Pädophilie), Neuheidentum, Freikörperkultur, Vegetarismus, neuplatonische und buddhistische Kosmologien und vieles andere mehr. In dem Dreieck von Kunst, Religion, Wissenschaft, die nach Ansicht der Theosophie alle die gleiche Zielrichtung haben, spiegelt sich ein Gedanke Hegels wider. In der siebenfachen Einteilung des Körpers in den physischen, astralen, mentalen und in vier Arten von geistigen Körpern mischen sich platonische Hintergründe. Das aus der mündlichen Lehre Platons überlieferte Wort, wonach Gott ständig Geometrie betreibe, machte in den einschlägigen Kreisen die Runde. Die Natur, so Blavatsky, liefere ständig geometrische Formen. Dass dies für die Exponenten der abstrakten Kunst, aber auch für Architekten der Moderne, die nicht mit der Natur brechen wollten, sondern sie auf mathematische Proportionen aufschlossen, eine spannende Botschaft war, ist nachvollziehbar. »Tatsächlich steht im Denken der Hohenpriesterin der Theosophie, Mme. Blavatsky, die reine geometrische Form in einer Beziehung zum Reich des Göttlichen.« Die Bewegung hatte großen Einfluss auf die moderne Kunst, Literatur und Musik, wie in den vergangenen Kapiteln bereits berichtet wurde. Immer wieder genannt werden Hesse, Joyce, Eliot, Kandinsky, Mondrian, Klee, Arp, Ball, Mahler oder Sibelius.
Im Sinne der Gleichsetzung von Wahrheit und Licht verglich man die Theosophie mit dem Strahlen des weißen Lichts, das sich wie die sieben Spektralfarben in die sieben Religionen der Menschheit aufsplittert. Um das Licht, besser, um die (übersinnlichen) Farben dreht sich auch das Verhältnis von Erleuchtung und Einweihung. Den sieben Körpern entsprechen sieben Farbwerte. Mit solchem Hintergrund konnte man mit einer abstrakten Farbensymphonie auf zweidimensionaler Leinwand eine derart verschlüsselte Geschichte erzählen. Ähnliche Verschlüsselungen barg ein Formenkanon. Bestimmten Emotionen kamen bestimmte Formen zu.
Unter Blavatskys Nachfolgern zerfiel die Gesellschaft, wobei sich die Rivalen mit persönlichen Erleuchtungserlebnissen übertrafen. Eines der prominentesten Mitglieder war Rudolf Steiner. Er gab die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes und Schriften von Schopenhauer und Jean Paul heraus und war an der Nachlassforschung Nietzsches beteiligt. Nietzsches Schriften schienen in ihm die Idee einer Philosophie für ein neues Menschengeschlecht ausgelöst zu haben – ohne Ausblick auf ein Jenseits, wie er hinzufügte. Goethe war für ihn der »Vater einer neuen Ästhetik«. Er reklamierte Erleuchtungserlebnisse für sich und zog als gefragter Vortragsreisender und Autor durch die Lande. 1902 wurde er Generalsekretär der neu gegründeten deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, 1913 löste sich diese Gesellschaft auf. Die meisten Mitglieder traten der 1912 gegründeten Anthroposophischen Gesellschaft bei. Steiner wurde Ehrenpräsident. Er entwarf Curricula für Schulen, Arbeitsanleitungen für die Landwirtschaft, die Medizin und Ökonomie, die sich an der Harmonie des Kosmos ausrichteten, und er arbeitete als Bildhauer, Maler und Architekt (Goetheanum im schweizerischen Dornach als Sitz einer geplanten Freien Hochschule für Geisteswissenschaften). Gegen die bisher üblichen Stile und -Ismen versuchte Steiner ein neues Bauen, das freilich auch einen neuen Stil nach sich zog, der sich aus der geistigen Entwicklung des Menschen ableitete. Organismus, Metamorphose, das Schaffende – das waren die Stichwörter, die dieses neue Bauen umreißen sollten und ohne gerade Linie und rechte Winkel auskommen wollte. Es ist eine architecture parlante in Steiners Überlegungen ebenso zu finden wie Ideen der Revolutionsarchitektur. Seine Lehre war christlich grundiert. Er setzte sie in Gegensatz zu den dunklen Mächten der Wissenschaft und des technischen Fortschritts. Was die Gründe für diese Dunkelheit betraf, fischte Steiner in trüben Wassern von Verschwörungstheorien und einem veritablen Rassismus.
Es gab namentlich in Holland einige anthroposophisch beeinflusste Architekten wie Johannes Ludovicus Lauweriks, der in Düsseldorf an der von Peter Behrens geleiteten Kunstgewerbeschule unterrichtete und die Architektur als Umsetzung der kosmischen Ordnung verstand. Vom holländischen Mathematiker und Theosophen M.H.J. Schoenmaekers wiederum führt eine direkte Linie zur De Stijl-Gruppe. Hendrik Petrus Berlage gehört mit seinem rationalen Zugang und der an Semper und Viollet-le-Duc geschulten Architektursprache zum Rand der Bewegung. Er träumt von einer sozialistischen, will heißen: kollektiven statt individuellen Architektur. Und er war ein Anhänger einer ehrlichen, offenen Baukunst mit unverputzten Wänden und Transparenz der Konstruktion. Wie das geht, zeigte er in seinem Hauptwerk, der Börse von Amsterdam (1903), deren Halle von einer Gusseisenkonstruktion überwölbt wird.
6.1.2.
2.2.8.
Hermann Finsterlin verglich im Frühlicht des Bruno Taut in anthroposophisch-darwinistischer Manier ein Wohnhaus mit einem Körper, wo man gleichsam von Organ zu Organ wandert. Die Inneneinrichtung bezeichnete er als Ausblähungen der Wände. Seine amorph-biologistischen Formbeschreibungen nehmen manchmal in der modernen Architektur realisierte Bauten vorweg.