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2.2.8. Werkbund und Bauhaus
ОглавлениеMit Werkbund und Bauhaus traten am Beginn des Jahrhunderts zwei wirkmächtige Bewegungen auf, die der Moderne einen nachhaltigen
604 Bauhaus Dessau, heutige Ansicht
Impuls auf dem Weg in das 20. Jh. verliehen. In den Architekturgeschichten steht der Werkbund meist im Schatten des Bauhauses, aber dieses ist ohne jenen kaum vorstellbar. Es geht um zwei ähnliche Bewegungen, die durch ihre avantgardistische Formensprache noch heute berühmt sind – ihre Namen stehen für kühle Rationalität und Moderne –, aber sie waren – im Sinne des Selbstverständnisses der Avantgarde – auch Orte gesellschaftlicher Utopien für eine bessere Welt und einen neuen Menschen. Das Verfangen solcher Utopien kann man wohl aus der Erfahrung des großen Krieges begreifen.
VIII.9.2.3.2.f.
VIII.3.2.3.2.3.
Henry van de Velde
Beide Bewegungen erwuchsen nahezu nahtlos aus dem Jugendstil, insofern ist dieses Kapitel geradewegs eine Fortsetzung der einschlägigen Betrachtungen dazu. Im Speziellen kamen Anregungen aus dem Arts and Crafts Movement.
VIII.3.2.3.1.
3.2.3.
van de Velde, zit. HW, 63
Der belgische, 1863 in Antwerpen geborene Architekt und Kunsthandwerker Henry van de Velde brachte diese Ideen von England auf den Kontinent und nach Deutschland. Von Morris und Ruskin inspiriert, vertrat er eine Einheit von bildender Kunst und Architektur. Diese Einheit sei in der Renaissance zerfallen. Diese Meinung, die mit Blick auf die auf die Architektur funktionalisierte bildende Kunst des Mittelalters den Tatbestand richtig wiedergab, teilte er mit Ruskin, ohne aber in dessen Mittelalter-Nostalgie einzustimmen. Dies lag ihm schon deshalb fern, weil sich die Ästhetik des 20. Jh.s seiner Meinung nach mit der Dominanz der Maschine auseinanderzusetzen habe. Im Geist von Karl Marx sah er in Maschine und Industrie eine faszinierende Möglichkeit, die Welt neu zu gestalten. Ingenieurskunst müsse daher wieder zur Kunst der Architektur aufschließen, von der sie sich im 19. Jh. getrennt hatte. Die Form war für ihn keine starre Äußerlichkeit, er verband sie mit vitalistischen Zügen. Schließlich hatte er seinen Theodor Lipps gelesen und wandte die Theorie der Einfühlung auf das Ornament an. Bereits bei den Griechen war »das Ornament das Leben, es hat das Leben in sich, gerade wie der Dionysos-Kultus selbst.«
VI.7.3.4.
van de Velde, zit. nach Kruft 1985, 441; im Orig. kursiv
Kruft 1985, 441
Aus diesem Geiste war für ihn Einfachheit und Reduktion das entscheidende Prinzip der Ästhetik. Das Ornament sei in diesem Sinn nicht eo ipso falsch, sondern es gäbe nur eine »falsche« Verwendung. Das Ornament müsse das Konstruktive unterstützen, eine Aufgabe, die schon Palladio auf den Spuren von Vitruv in nicht ganz unähnlicher Weise, wenn auch in anderem Kontext gefordert hatte. Die Bejahung der industriellen Produktion ging so weit, dass »jede Form und jedes Ornament zu verwerfen« sei, »die ein moderner Maschinenbetrieb nicht leicht herstellen und wiederholen kann.« Man kann van de Velde insofern einen Funktionalisten nennen, »als für ihn Nützlichkeit bereits zur Schönheit führen kann: […].« Die von van de Velde geleitete Kunstgewerbeschule in Weimar hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das alte Handwerksdesign durch Industriedesign zu ersetzen und die durch diese neuen Bedingungen notwendigen Veränderungen der Ästhetik durchzuexerzieren. In späteren Jahren wandte sich van de Velde dem International Style zu und stand dem Ornament zunehmend kritisch gegenüber. Damit waren die Jugendstil-Wurzeln endgültig abgestreift.
Hermann Muthesius
Droste 2013, 11
Deutscher Werkbund
Neben van de Velde war der wichtigste Anreger und Vermittler der englischen Traditionen nach Deutschland Hermann Muthesius, der zwischen 1896 und 1903 an der deutschen Botschaft in London arbeitete. England galt als Hochburg der Handwerkskunst und als wichtiger Impulsgeber der Architektur und auch Muthesius lieferte eifrig Material nach Deutschland, in diesem Fall nach Preußen. Er sympathisierte mit Ruskin, Morris und Lethaby und mit deren funktionaler Sicht der Architektur, namentlich jener des englischen Hauses (Das englische Haus; 1904). Muthesius publizierte mehrere große Werke über die englische Architektur und empfahl 1902 in der Streitschrift Stilarchitektur und Baukunst das Überwinden des Historismus zugunsten einer sachlichen Schlichtheit nach dem englischen Vorbild. In der zweiten Auflage ein Jahr später bezog er in seine Kritik ausdrücklich den Jugendstil mit ein. Nach seiner Rückkehr aus London wurde er in Berlin Dezernent für die Kunstgewerbeschulen, die nun durch Werkstätten, wie in England üblich, erweitert wurden. Der entscheidende Unterschied zu England war die Offenheit für die modernen Produktionsverfahren. Es ging nicht um das Festhalten an historisierender Handwerkskunst und auch nicht um nostalgische oder gar ideologische Rückschau auf das Mittelalter, sondern um die Suche nach der Form. Muthesius betrieb entlang der beginnenden industriellen Massenproduktion konsequent die Typisierung und Standardisierung dieses Designs. Trotz der grundsätzlichen Offenheit für industrielle Produktionsverfahren war ein solches Unternehmen auch umstritten. Es kam zu Protesten in den Betrieben und Muthesius sah sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Der heftige Streit darüber, entzündet durch einen Vortrag von Muthesius 1907, führte schließlich gewissermaßen als eine Solidaritätsaktion zur Gründung des Deutschen Werkbunds (»Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen«) im Herbst 1907 in München (Sitz: Darmstadt). Muthesius selbst, der zusammen mit dem deutschen Sozialreformer und ehemaligen Pfarrer Friedrich Naumann die treibende Kraft war, trat 1908 offiziell bei.
Es gab keine Satzungen und kein enges bindendes Programm, vielmehr handelte es sich um eine Interessensgemeinschaft unterschiedlichster Künstler, die in grundlegenden Zielen übereinstimmten. Solche Anliegen waren das geschilderte Gleichgewicht von Handarbeit und Industrieproduktion, die Suche nach der Form im Sinne einer Form- und Werkgerechtigkeit und das Interesse an ästhetischer Qualität statt rein wirtschaftlicher Produktion. Modern gesprochen ging es um Funktionalismus und Sachlichkeit. Doch das gemeinsame Ziel wurde durch zahlreiche andere Konfliktfelder, etwa Fragen nach der künstlerischen Individualität, dem Verhältnis zwischen Wirtschaft und der reinen Kunst oder den Abgrenzungen von Funktion, Ästhetik und sozialem Anliegen bisweilen unscharf.
Kruft 1985, 425
Muthesius startete unter dem Banner der Sachlichkeit einen Generalangriff auf die Neo-Stile des 19. Jh.s, den er sehr emotional führte. Denn das neue Verständnis des Kunstgewerbes implizierte eine soziale und pädagogische Komponente. Die Neuorientierung im Kunstgewerbe stellte für Muthesius nur den ersten Schritt einer Neuorientierung der gesamten Architektur dar. »Muthesius entwickelt ein Programm, das durch den Zusammenschluß von Handwerk, Industrie und Handel das materielle Scheitern der Arts-and-Crafts-Bewegung zu überwinden sucht.«
zit. nach Ebd., 426; im Orig. kursiv
Damit wurde die alte Spaltung und das gegenseitige Sich-Ausspielen von künstlerischer Architektur und Ingenieurswesen, das letztlich noch auf die alte Unterscheidung von artes liberales und artes mechanicae zurückging, überwunden. In diesem Rahmen erfolgte eine interessante Umsetzung der neuen Bauaufgaben und technischen Neuerungen, vom Bahnhof bis zum Dampfschiff, die nun in die Beachtung einer gestalterischen Form einbezogen wurden. Was jetzt passierte, war gleichsam das Abstreifen des Verpuppungskleides des Jugendstils auf dem Weg in die Moderne. Ein verbindendes Glied dabei blieb, was man später als Design bezeichnete. In der zweiten Phase des Werkbundes ab den Zwanzigerjahren trat diese Verbindung von Kunst und Wirtschaft als bestimmendes Thema auf. Im § 2 der Satzungen hieß es: »Der Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen.«
Gropius, zit. nach Ebd., 426; im Orig. kursiv
Gleiter 2016
Kretschmer 2013, 83
VIII.9.2.3.2.
Hintergrund war also ein zutiefst philosophisches Interesse, das materielle Ding über die Form gleichsam zu vergeistigen. Walter Gropius, der 1912 Mitglied geworden war, beschrieb das Verhältnis von Funktion und Form im Werkbund-Jahrbuch so: »Das technisch überall gleich vorzügliche Ding muß mit geistiger Idee, mit Form durchtränkt werden, damit ihm die Bevorzugung unter der Menge gleichartiger Erzeugnisse gesichert bleibt.« Gropius tat nichts weniger als zur selben Zeit, »als Otto Wagner an der klassischen Konzeption von Monumentalität und Massenwirkung festhielt […] die Neukonzeption der Monumentalarchitektur als ›Industriebaukunst‹« zu fordern. Die Industrie griff das Angebot interessiert auf. Die Keksfabrik Bahlsen in Hannover und die Firma AEG waren die ersten, die ihr gesamtes Angebot, bei der AEG bis hin zur Architektur, von Künstlern entwerfen ließ. Es war eine erste gestaltete Corporate Identity einer Firma. Es war Peter Behrens, der so »zum ersten modernen Industriedesigner« wurde. Behrens, ursprünglich von Ideen Nietzsches beeinflusst, reflektierte eher wenig über seine Architektur- und Designtätigkeit. Er verstand Architektur als Pendant der Geschwindigkeit als Signatur der Zeit. 1918 publizierte er das Buch Vom Sparsamen Bauen – ein Beitrag zur Siedlungsfrage. Er gab darin der reduzierten Formensprache der modernen Architektur und den um sich greifenden vorfabrizierten Bauelementen einen Sinn mit Verweis auf die Knappheit der Mittel.
Kruft 1985, 428
Dass solche Vergeistigungsideen, wie gerade erwähnt, von seltsamen Anmutungen begleitet waren, zeigte die zweite Phase des Werkbunds. »Die Werkbund-Diskussionen der zwanziger Jahre weisen eine starke Irrationalisierung, Moralisierung und Politisierung auf und stehen zum Teil in offenem Widerspruch zur Gründungsphase.« Es ging nun um eine vermeintliche Überlegenheit der europäischen, genauerhin deutschen Kultur, welche die materielle und rein funktionale Maschine beseelen müsse. Die deutsche Seele sei, so die Repetition der verbreiteten Klischees, vom Romanischen, vom chaotischen Osten und vom bloß technischen Amerikanismus bedroht.
Bruno Taut
Scheerbart, zit. nach Partsch 2002, 203f
Ein ergiebiger Theoretiker für große Entwürfe war Bruno Taut. Seine Bekanntschaft mit dem Dichter Paul Scheerbart, den er als »Architekturdichter« verehrte, war dafür eine Quelle der Inspiration. Scheerbart entwarf phantastische Konzeptionen von transportablen Städten und widmete Taut sein Buch Glasarchitektur. Auf der Basis einer pädagogischen Architekturauffassung zeichnete er darin das Bild einer lichten neuen Welt, in der das Glas den Backstein verdrängt und die Menschen der Zukunft an der neuen Transparenz und Helligkeit moralisch genesen sollten: »Das Glas bringt alles Helle,/Verbau es auf der Stelle. Das Glas bringt uns die neue Zeit;/Backsteinkultur tut uns nur leid.« Er verband in dem Buch die alte deutsche Mystik mit der Metaphorik des Lichts aus der Gotik. Auf der Werkbund-Ausstellung in Köln 1914 baute Taut für Scheerbart einen Glaspavillon (Monument des Glases), der mit Zitaten Scheerbarts beschriftet war. Taut publizierte 1919 die Stadtkrone, eine an Ideen Charles Fouriers orientierte Gesellschaftsutopie aus der Architektur. In seiner Architekturauffassung stand die Ästhetik im Vordergrund und sie folgte in bodenlosem Idealismus dem Demiurgen-Gedanken Platons, indem sie gleichsam die gesamte Welt in Architektur verwandelt. Taut verfasste dazu sogar ein Architekturschauspiel mit dem passenden Titel Der Weltbaumeister (1920).
Lupfer Gilbert in ATh, 692
Nerdinger 1990
Der große Visionär, kunstphilosophisch »zwischen Esoterik und Ästhetik, zwischen Gesamtkunstwerk und Zivilisationskritik, zwischen Glasmetaphorik und Abstraktion« changierend, gründete 1919 einen Geheimbund, Gläserne Kette, dem so prominente Mitglieder angehörten wie Walter Gropius und Hans Scharoun. Manche Texte wurden in der für das expressionistische Bauen wichtigen Zeitschrift Frühlicht (1920–1922) publiziert. »Diesem Rückzug aus der Welt der Technik, des Materialismus und damit des Amerikanismus entspricht auch das Bauhaus-Programm von Gropius 1919.«
Taut ist nicht einfach auf einen Begriff zu bringen. Es mischen sich die Technik-euphorie des Futurismus mit einer Abneigung gegen das Technische, namentlich gegen den daraus resultierenden Funktionalismus. 1920 schrieb er Auflösung der Städte oder: Die Erde eine gute Wohnung oder auch: Der Weg zur Alpinen Architektur, eine Sammlung von Zeichnungen biomorpher Formen und von skurrilen, esoterisch aufgeladenen Metaphern, darunter ein »Heiligtum zur Aufsaugung der Sonnenenergie« und die Vision einer Synthese von Mensch und Architektur in einem kosmischen Gesamtkunstwerk. Fasziniert vom Glas sollte jede Architektur luftig und hell sein. Die Transparenz, die er gegen eine »Muschelkalksteinsäulen-Architektur« stellte, lobte er in einem eigenen Manifest (Nieder der Seriosismus; 1920). »Hoch die Reinheit, hoch der Kristall!«, war sein Motto. Er setzte Bergen und Städten Glaskristall-Kronen auf und überlegte eine gläserne Überbauung der Alpen bis zum Mittelmeer, was er immerhin selbst als nutzlos bezeichnete, aber als mutiges Arbeiten an der Schönheit rechtfertigte.
Als er 1921 (bis 1924) Stadtbaumeister von Magdeburg wurde, nahm er zwangsläufig den Fuß vom Gaspedal, wurde pragmatischer und revidierte seine Predigten von der Auflösung der Städte zugunsten einer kristallklaren Welt. Was in der Vision das Friedensvolkshaus als Gegenstück zum amerikanischen Hochhaus war, wurde in Magdeburg und später in Berlin schlicht und einfach sozialer Wohnbau – auch hier immer mit der Prämisse einer luftigen und hellen Wohnsituation und dem Ziel, ein Einheitskunstwerk auf der Basis des Handwerks zu realisieren, als Grundlage einer neuen Gesellschaft. Gerne griff er auch in den Farbkasten und benützte intensive Farben für seine Bauwerke. Von den Nationalsozialisten als Kulturbolschewist beschimpft, ging Taut 1933 nach Japan und 1936 in die Türkei.
Der Architekt und Architekturkritiker Adolf Behne, der Funktionalismus und Sozialutopismus miteinander verband, verstand darunter in Die Wiederkehr der Kunst (1921) die Rückkehr zur Kunst des Ostens, die im Geist der Gotik die Einheit von Mensch, Kunst und Technik realisiert habe. Eine solche Einheit beschrieb er in Der moderne Zweckbau (1926) unter dem Titel des Zweckmäßigen im Sinne einer Mensch-Maschine-Beziehung. Das Zweckmäßige hat dann mit dem Funktionalismus zu tun, wenn die Zwecke nicht statisch und fertig genommen, sondern entwickelt werden und diese Entwicklung zu einer Formung des Menschen führt. Der Funktionalismus erreicht die Architektur nicht als Selbstzweck, sondern als formales Mittel für ihren alten pädagogischen Anspruch der Menschenbildung.
das Hochhaus
Nerdinger 1990
Gropius, zit. nach Partsch 2002, 205
Bei Walter Gropius musste der alte gotische Dom geradezu als Gegenentwurf zum amerikanischen Hochhaus herhalten. Der in Europa bekannt gewordene Hochhausbau in Amerika wurde ein Exerzierfeld für die geschilderte Ideologisierung. Zwar übernahm man das Hochhaus in Europa, sah sich aber genötigt, das »Wesen« des Hochhauses nachzuliefern: »Der deutsche Geist soll das Turmhaus erfassen und in seiner wahren Wesenheit gestalten.« Das Hochhaus wurde nationalisiert und ein Ausdruck des Tatendrangs Deutschlands. Die deutsch-nationalistische Komponente entsprang dem gleichen Geist, der die Begeisterung vieler Künstler und Architekten für den großen Krieg ausgelöst hatte, mit dem sie nicht nur Weltmachtträume verbanden, sondern für den Sieg der deutschen Form fochten. Auch der der gotischen Kathedrale zugesprochene Charakter als Gesamtkunstwerk ließ sich in einer esoterisch anmutenden Vision auf die Moderne anwenden, wie Gropius 1919 im Bauhausmanifest schrieb: »Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bund der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallines Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.«
Nerdinger 1990
Ebd.
In den Zwanzigerjahren nahmen bei den europäischen, in erster Linie deutschen Architekten die Distanz zu den Jugendstil-Wurzeln und der Kampf gegen den Historismus nochmals Fahrt auf. Jetzt geriet Amerika wegen der Nachahmungen europäischer Stile unter Kritik und diese war nicht zimperlich. Von Monstrosität, Impotenz, Geldsackarchitektur und architektonischem Imperialismus war die Rede. Das alles richtete sich gegen die Architekten, aber nicht gegen die Ingenieure. Deren technische Leistungen lösten vielmehr Bewunderung aus. »Nur den amerikanischen Rohbauten konzedierten die deutschen Architekten die Kraft des Neuen, und da diese gewaltiger waren als alles in Europa Bekannte, wurde in die Rohbauten das Wirken des ursprünglichen amerikanischen Geistes projiziert, dort sei noch der Geist der Neuen Welt spürbar, der sich in den Bauten Sullivans und Adlers in Chicago entfaltet habe, aber durch die Übernahme europäischer Stildekoration abgewürgt worden sei.«
Walter Gropius und das Bauhaus Weimar
Sowohl bei den handelnden Personen als auch in der Programmatik gab es viele Überschneidungen zwischen Werkbund und Bauhaus. Im Jahr 1919 vereinigte Walter Gropius die (von van de Velde 1908 angeregte) Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule und die Großherzoglich-Sächsische Hochschule für Bildende Kunst in Weimar, denen er jeweils als Direktor vorstand, zum Staatlichen Bauhaus Weimar (bis 1933). Gropius war für diese Funktion schon lange im Gespräch gewesen und er bereitete sich als Soldat im Krieg im Geist der Werkbund-Ideen darauf vor. Als erste Mitglieder berief Gropius die beiden Maler Lyonel Feininger und Gerhard Marcks an die Schule. Ein weiteres frühes Mitglied wurde der aus dem Berner Oberland stammende Johannes Itten, der Anfang des Jahrhunderts durch abstrakte Bilder auffiel und als Kunstlehrer über pädagogische Erfahrung verfügte. Er kam über Gropius, den er in Wien kennen gelernt hatte, von dort an das Bauhaus. Weitere Künstler folgten: Paul Klee (1921) und sein Sohn Felix, Sigfried Giedion, Georg Muche, Oskar Schlemmer (1921), Wassily Kandinsky (1922), die Musikpädagogin Gertrud Grunow.
Itten, zit. HW, 397
Ebd., 398
Itten war an der Entwicklung eines Studienprogramms prominent beteiligt (Mein Vorkurs am Bauhaus). Dabei verfolgte er eine ganzheitliche Pädagogik bis hin zu Speiseplänen und Kleidungsempfehlungen. Atem- und Bewegungsübungen am Beginn einer Ateliereinheit sollten die Studierenden in den Fluss der künstlerischen Arbeit bringen. Angeregt waren solche Konzepte von der damals populären Mazdaznan-Lehre, die Elemente des Zarathustrismus, Hinduismus und des Christentums vermischte, der vor allem Itten und Muche anhingen und die sie im Bauhaus generell verbindlich machen wollten. Sie versprachen sich davon eine Intensivierung der Erlebnisfähigkeit, die sich stets am Lebenden, niemals am Toten orientiere: »Alles Lebendige offenbart sich dem Menschen durch das Mittel der Bewegung. Alles ist bewegt und nichts ist tot; denn sonst wäre es nicht.« Ittens Analysen alter Meister (1921) sind geradezu religiös grundiert, wenn es darum geht, die Dinge in Stoff und Form zu erfassen: »Bescheidenheit und große Demut vor IHM dem Unbegreiflichen helfen uns die Schwere dieser Einsicht zu tragen.«
Fahr-Becker 2007, 270–273
Viele Lehrer am Bauhaus verfassten Lehrbücher und Traktate. Itten schrieb wie Josef Albers zur Farben- und Formlehre, Paul Klee ein Pädagogisches Skizzenbuch, Kandinsky publizierte 1926 Punkt und Linie zu Fläche, eine Fortsetzung seines Über das Geistige in der Kunst, Moholy-Nagy ließ sich zur medialen Funktion von Kunstwerken, Schlemmer zur Metaphysik in der Kunst aus. Eine lebhafte Diskussion gab es um die Rolle des Ornaments, das man zunehmend kritisch sah. Gegenüber dem Jugendstil schien das Ornament ermüdet, nicht mehr organischer Teil des Gegenstandes oder der Architektur, sondern diente wie ein Fremdkörper als Überwurf: »[…] so wurde ab 1902 aus dem Dynamisch-Bewegten, dem Gleiten und Tanzen von Linie, Form und Farbe, als hätte jemand ›Stillgestanden!‹ kommandiert, die bewegungslose abstrakte Figur: Quadrat und Kreis, Rhombus und Oval, gereihtes, geordnetes Nebeneinander von gedrungenen Einzelmotiven.«
Obwohl Gropius das Bauhaus, das politisch links angesiedelt war, aus politischen Positionsbezügen möglichst heraushielt, musste es 1925 wegen der Überhandnahme konservativer Kräfte in Politik und Beamtenschaft nach Dessau verlagert werden. Dessau hatte sich ebenso wie andere Städte darum bemüht und dort erreichte die Schule ihr höchstes Ansehen im In- und Ausland. Zur größten Herausforderung gehörte es, die Institution finanziell unabhängig zu führen. Das, was man heute Design nennt, war der einzige lukrative Zweig der Aktivitäten. Dagegen fristete die Werkstätte für Holz- und Steinbildhauerei ein eher bescheidenes Dasein. Selbst die Abteilung Grafik konnte ihre eindrucksvollen Mappenwerke, versehen mit klingenden Künstlernamen, nur schwer verkaufen. Auch mit der Umwandlung des Bauhauses in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gelang eine finanzielle Absicherung nicht.
Gropius, zit. HW, 405f
Ebd., 403
Ebd. 404
1926 wurde das von Gropius entworfene Bauhaus-Gebäude in Anwesenheit von 1500 Besuchern aus aller Welt eröffnet. Der großen dreiflügeligen Anlage schlossen sich in der Nähe einige »Meisterhäuser« an, Wohnbauten für Professoren mit Atelier. Gropius vermochte seine Programmatik, wonach Bauen das Gestalten von Lebensvorgängen sei, weitgehend umzusetzen, indem er alle Bereiche des Lebens, Wohnen, Arbeiten, Essen, Sport und Fest in seinem Bau verschmolz. Er beschwor die an die Gesamtkunstwerks-Idee erinnernden Motive immer wieder: »Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhauses ist das Einheitskunstwerk – der große Bau – in dem es keine Grenzen gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst.« Diese Einheit sah er von der Natur vorgezeichnet. »Diese neuaufdämmernde Erkenntnis der Einheit aller Dinge und Erscheinungen bringt aller menschlichen Gestaltungsarbeit einen gemeinsamen, tief in uns selbst beruhenden Sinn.« Gropius stellte seine »Schule« gegen die alte Akademie, die von der falschen Annahme ausging, Kunst sei erlernbar. Für die Alternative dazu berief er sich ausdrücklich auf Ruskin und Morris, auf van de Velde, Olbrich und Behrens, die »erste Wege zur Wiedervereinigung der Werkwelt mit den schöpferischen Künstlern« gingen. Die Kunstgewerbeschule fungierte damit als Alternative zur Akademie und dem Akademismus.
Gropius, zit. nach Rose-Carol Washton L. in Tuchman/Freeman 1988, 209
Schlemmer, zit. HW, 402
Das Deckblatt des Bauhaus-Manifests zierte ein Holzschnitt einer gotischen Kathedrale von Lyonel Feininger, auf deren Turmspitze sich die drei Strahlen von Malerei, Skulptur und Architektur trafen. In einer Rede vor Bauhaus-Studenten räsonierte er von einer »geistig-religiöse[n] Idee«, die ihren »kristallenen Ausdruck« in »der Lichtfülle« einer großen »Kathedrale der Zukunft« fände. Die Kathedrale, die – wie oben erwähnt – auch einen nationalistischen Zungenschlag hatte, war eine populäre Metapher für das Gesamtkunstwerk. Oskar Schlemmer schwadronierte von einer »Kathedrale des Sozialismus«, die »zukunftsgläubig-himmelstürmend« gegen die alte »gefühlsgeladene explosive Kunst« gebaut werden sollte.
Droste 2013, 19
Gropius beschäftigte sich in den frühen Arbeiten mit dem Wohnungsbau, formulierte dabei soziale Aspekte, indem er Hygiene und Licht für die Wohnung einforderte. Dazu sollte der Siegeszug des Flachdachs treten, dessen Begrünung die Natur in die Steinwüsten der Großstädte bringen sollte. »Bauen wurde für Gropius […] zur gesellschaftlichen, geistigen und symbolischen Tätigkeit.«
Schlemmer, zit. HW, 400
Ebd.
Schlemmer, zit. nach Kruft 1985, 444
Wie schon beim Deutschen Werkbund löste auch im Bauhaus das Mittelalter trotz der Feier der kristallinen Kathedrale nur bedingt positive Resonanzen aus. Oskar Schlemmer notierte in sein Tagebuch: »Das Handwerk des Mittelalters stellen wir nicht wieder her, so wenig wie die Kunst des Mittelalters, […]. Es ist überholt durch die ganz moderne Entwicklung. […] Das Handwerk von ehedem macht heute die Industrie […].« Dass er damit ein im Bauhaus nicht unumstrittenes Programm verkündete, war Schlemmer offenbar klar: »Es ist nicht getan mit dem ›Fühlungnehmen mit der Industrie‹; ein Hineinsteigen, In-ihr-Aufgehen wäre nötig. […] wir müßten dem Bauhaus den Rücken kehren.« Diese Programmatik nahm bei Schlemmer kollektivistische Züge an: »Die Mehrzahl der Individuen hat gleichartige Lebensbedürfnisse. Es ist daher logisch und im Sinne eines wirtschaftlichen Vorgehens, diese gleichgearteten Massenbedürfnisse einheitlich und gleichartig zu befriedigen.«
Es war ganz klar, dass diese Ansprüche international gelten sollten und dass diese »internationale Architektur« ein einheitliches Weltbild zur Voraussetzung hat. Den Ausdruck prägte Gropius 1925 als Titel der ersten Nummer der Bauhausbücher, das »ein Bilderbuch moderner Baukunst« sein sollte, wie er im Vorwort ausführte. Zu diesem Anspruch passt eine einheitliche, ja standardisierte, von Geometrie geprägte Architektur, die sich als Antidot gegen das Organische, Naturnahe, Individuelle verstand. Genau eine solche Architektur forderte Gropius in Amerika, als er 1937 Professor an der Graduate School of Design an der Harvard-University in Cambridge wurde und die Gemeinschaft The Architects’ Collaborative gründete. Diese forsche Wertschätzung der industriellen Produktion anstelle der alten Handwerksgesinnung rief, wie gesagt, manche Spannungen in der Gruppe der Bauhäusler hervor.
Theo van Doesburg
Neumann 1985, 132
War das Bauhaus zu sehr den klassischen Positionen des Expressionismus á la Feininger verhaftet? Der Gründer der De Stijl-Bewegung, Theo van Doesburg, der bereits beim Werkbund engagiert war, kam 1921 nach Weimar und wurde zum schärfsten Kritiker einer solchen Ausrichtung. Van Doesburgs Unterricht setzte damit einen anderen Akzent als jener von Itten. 1922 organisierte er einen Kongress mit Konstruktivisten und Dadaisten, um einen »Schlag gegen Expressionismus und Romantik am Bauhaus« zu setzen.
Die Unstimmigkeiten konnten auftauchen, weil die Mitglieder zwar von der vagen Idee eines neuen Formwillens überzeugt waren, aber eine verbindliche kunstphilosophische und ästhetische Leitlinie fehlte, wie dieser Formwille interpretiert werden und wie das Gleichgewicht von ästhetischer Form und industrieller Produktion genau aussehen sollte. Auch Gropius wollte keine eigenbrötlerische Kunst und sah den Sinn des Bauhauses in der Zusammenarbeit mit der Industrie. Demgegenüber waren Itten solche Abhängigkeiten zuwider. Er forderte eine Kunst, die unabhängig von der wirtschaftlichen Welt funktioniert. Itten, der am Bauhaus mit rasiertem Schädel in einem an eine Mönchskutte erinnernden Kittel auftrat, soll Studierende, die der Mazdaznan-Lehre folgten, bevorzugt haben.
Rose-Carol Washton L. in Tuchman/Freeman 1988, 214
Schlemmer, zit. HW, 402
Solche spiritistischen Umtriebe riefen scharfe Kritik jener hervor, die einem weitgehend rationalen Konstruktivismus anhingen. Theo van Doesburg warf der Schule expressionistische Hysterie und unausgegorene religiöse Mystik vor. Auch Oskar Schlemmer drängte dazu, dass sich das Bauhaus nicht mit der Gegenbewegung gegen die Erfolge der Industrie, mit einer »leidenschaftlichen Romantik«, die sich gegen die »Mechanisierung von Kunst und Leben« stellte, gemein mache. »Ein Kult des Unbewußten, Undeutbaren, ein Hang zu Mystik und Sektiererei entsprang dem Suchen nach den letzten Dingen, die in einer Welt voll Zweifel und Zerrissenheit um ihren Sinn gebracht zu werden drohten.«
Goldberg 2014, 103
Schlemmer war Puritaner und auch die im Bauhaus gerne verwandte Kunstform der Performance war ihm suspekt: »Er betrachtete Zeichnung und Malerei als den Aspekt seines Werks, der strikt intellektuell war, weshalb ihm die ungetrübte Freude, die ihm seine Experimente am Theater machten, immer verdächtig war.« All das führte schließlich dazu, dass Itten 1923 das Bauhaus verließ.
Droste 2013, 60
Als Resultat der lebhaften Diskussionen fokussierte Gropius die Arbeit schließlich auf den Schnittpunkt von Kunst und Technik, vom Handwerk war ab dem Anfang der Zwanzigerjahre nicht mehr die Rede. Das kam der ablehnenden Haltung der Handwerksverbände gegenüber dem Bauhaus durchaus entgegen, dessen Ausrichtung sie nicht verstanden und von dem sie zudem Konkurrenz befürchteten. Hilfreich war hingegen das Interesse der Industrie, die das Haus finanziell stützte. Mit der Absicht einer »industriegerechte[n] Formgestaltung« befriedigte das Bauhaus ein Desiderat und gewann ein Alleinstellungsmerkmal.
László Moholy-Nagy
Schneckenburger Manfred in Walther 1998, 454
Moholy-Nagy, zit. nach Honnef Klaus in Walther 1998, 630
Nachfolger für Ittens Aufgabenbereich wurde László Moholy-Nagy. Er begann mit der Idee der Corporate Identity beim Bauhaus selbst und verschaffte ihm einen eindrucksvollen Auftritt nach außen. Moholy-Nagy übernahm den Vorkurs und veränderte ihn zu einer Formenlehre abseits der alten Akademieästhetik. Seine Gedanken, die für die Theoriefindung des Bauhauses fundamental waren, legte er in Von Material zu Architektur (1929) nieder. Auf der Grundlage eines psychologischen Zuganges ging er von einem organisch-funktionalistischen Raumentwurf aus. Architektur verstand er als »erlebbare Raumbeziehung«. Dementsprechend schlüsselte er jeden Raum auf die Bewegungsbahnen der Bewohner auf. Moholy-Nagy entwarf eine bewohnbare Architektur der Dynamik im Sinn der neuen Zeit mit ihren Technologien, von denen ihn am meisten die Flugzeuge faszinierten. Als »erster moderner Medienkünstler« experimentierte er mit sämtlichen Genres der Kunst und setzte sie »als Bausteine einer neuen Gesellschaft« ein. Darunter war die Fotografie. Sie wurde zwar nicht am Bauhaus als Fach gelehrt, aber Moholy-Nagy verstand sie als Kunstform. Mit ihr ließe sich objektive Kunst ohne kulturelle Konventionen und subjektive Emotionen realisieren. Man sprach von einem »Neuen Sehen« als »unmittelbare[s] Abbild der Kameraoptik.«
Meyer, zit. nach Kruft 1985, 445; im Orig. kursiv
Hirdina Heinz in ÄGB 2, 598
Meyer, zit. nach Ebd.
1928 verließ Walter Gropius die gefestigte Institution und machte den Schweizer Hannes Meyer zu seinem Nachfolger. Er war in vielen Belangen radikaler und politisch weiter links, weshalb auch Moholy-Nagy das Bauhaus verließ. Bereits 1926 hatte Meyer in dem Aufsatz Die neue Welt einen Bruch mit der Vergangenheit zugunsten eines klaren Funktionalismus und ein bedingungsloses Bekenntnis zum Neuen, zu Industrie und Maschine gefordert. »Idealerweise und elementar gestaltet, wird unser Wohnhaus eine Maschinerie.« Gebäude sollen gar nicht erst einen Anschluss an die umgebende Natur suchen, sondern als Menschenwerk geradezu einen Gegensatz dazu markieren und sich jeder Kategorisierung von schön oder hässlich zugunsten des rein Konstruktiven enthalten. Aus der Sicht Meyers wird »[D]em Funktionellen [wird] nicht die künstlerische Komposition, sondern nur die Konstruktion gerecht; […].« Denn für Meyer ist Leben gleich Funktion: »alles leben ist funktion und daher unkünstlerisch.« Architektur habe nichts mit Ästhetik zu tun, sondern sie sei technische, soziale, ökonomische Organisation. Diese Verlängerung des rationalistischen und idealistischen Vernunftprimats war zu gleicher Zeit die ästhetische Leitlinie in der Musik Arnold Schönbergs.
Meyer, zit. nach Kruft 1985, 446; im Orig. kursiv
Droste 2013, 166ff
Meyers Angriffe gegen die überkommenen Vorstellungen der Ästhetik richteten sich auch gegen die eigene Institution überall dort, wo sie sich als Ort künstlerischer Kreativität betrachtete. Das Bauhaus sei »kein künstlerisches, wohl aber ein soziales Phänomen.« Eine Opposition im Haus folgte den Provokationen auf dem Fuß. Zu Meyers Gegnern gehörte Kandinsky, der schon seit der Zeit von Gropius stellvertretender Direktor war. Selbst Gropius, der Meyer seinerzeit vorgeschlagen hatte, wandte sich gegen ihn. Die Unstimmigkeiten verschärften sich dadurch, dass Meyers fortschrittliche und soziale Agenda zusammen mit dem Ruf des Bauhauses, ein Hort revolutionärer Erneuerung zu sein, viele marxistisch orientierte Studenten anzog, die die Institution propagandistisch missbrauchten. Zwar hielt bald eine Gegenbewegung unter der Studentenschaft dagegen, trotzdem geriet das Bauhaus in den kritischen Blick konservativer Politik, was Meyer schließlich 1930 seinen Job kostete. Mies van der Rohe übernahm, übersiedelte das Bauhaus 1932 nach Berlin und machte aus ihm eine Architekturschule. Er löste die handwerklichen, technischen und künstlerischen Aspekte aus dem gesellschaftlichen Kontext, was zu einer deutlichen Entpolitisierung führte.
Stadtplanungen
Neben den üblichen Aufgaben der Architektur war das Bauhaus eine Quelle kreativer Stadtplanungen. Von Bruno Taut war bereits die Rede. Der in Czernowitz geborene Friedrich Kiesler, mit van Doesburg freundschaftlich verbunden, lieferte originelle und utopische Architekturideen nach dem von ihm geprägten Motto des Correalismus, der Architektur, Kunst, Wissenschaft und Ökonomie zu einem Gesamtkunstwerk verbinden sollte. Zwar war er auch mit De Stijl verbunden, kritisierte aber den Funktionalismus scharf zugunsten eines biomorphen Kerns aller Kunst und Architektur. Sein in diesem Sinne entwickeltes Modell eines Endless House, bei dem Belichtung und Belüftung im Vordergrund eines durch und durch organisch-dynamischen Entwurfs standen, platzierte man im Museum of Modern Art in New York neben Werken von Buckminster Fuller. Ludwig Hilberseimer entwarf die Idee einer organisch vertikalen Großstadt. Mies van der Rohe, der den stärksten Impuls zur Architektur gegeben hatte, sah in seinen frühen Veröffentlichungen (z.B. Industrielles Bauen; 1924) im Paradigma der Industrialisierung eine Lösung von sozialen, wirtschaftlichen und ästhetischen Fragen, wobei ihn bei der Industrialisierung in erster Linie die Erzeugung von neuem, umweltresistentem Baumaterial interessierte. Mies nütze übrigens die neuen Techniken der Fotomontage und der Collage, um seine Architekturentwürfe möglichst realitätsnahe abzubilden. Eine große Sammlung davon befindet sich im Museum of Modern Art in New York.
2.3.4.
Bonnemaison 2013, 64
Mies van der Rohe hatte die Gesamtplanung einer der ersten Mustersiedlungen, der Weißenhof-Siedlung in Stuttgart (etliche andere Städte folgten dem Vorbild). 1932 realisierte eine große Zahl von Architekten, die der Werkbund-Idee nahestanden, in einer in Wien errichteten Mustersiedlung ihre Musterhäuser. Sie wollten eine Alternative zu den Mietskasernen wie dem in den Jahren 1926 bis 1933 von Karl Ehn gebauten Karl-Marx-Hof bieten. Unter den internationalen Architekten war die österreichische Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky, die das Wohnen für eine ledige, werktätige Frau in der modernen Gesellschaft verfocht. Sie entwickelte unter anderem eine kompakte modulare Küchenzeile (»Frankfurter Küche«), die in 10.000 Sozialwohnungen eingebaut wurde.
1933 war die Geschichte des Weimarer Bauhauses zu Ende. Man kam mit einer Selbstauflösung der Schließung durch die Nationalsozialisten zuvor. Der Großteil der Mitglieder ging in die Emigration und verbreitete so die Ideen des Bauhauses in die ganze Welt. Dadurch erklärt sich, dass Tel Aviv, Zielort der meisten emigrierten jüdischen Architekten, eine Hochburg der Bauhaus-Architektur wurde. Die Stadt bewahrt den Schatz einer großen Zahl von Gebäuden im Bauhaus-Stil bis heute.
605–607 Häuser im Bauhaus-Stil; Tel Aviv
Das Bauhaus war grundsätzlich funktionalistisch, international und politisch links ausgerichtet. Trotzdem gab es, wie schon im Werkbund, auch im Bauhaus Künstler und Architekten, die anders dachten und die nationale Komponente in den Vordergrund rückten. Paul Schultze-Naumburg und Paul Schmitthenner ließen sich ohne großen Umstand vor den Karren der NS-Ideologie spannen. Mit Heinrich Tessenow und Fritz Schumacher, die beide bei allem Bekenntnis zum neuen Bauen keinen radikalen Bruch mit der Tradition wollten, versuchte man es auch, aber beide hielten sich fern. Besonders wichtig für die NS-Architektur, die keine eigenständige theoretische Form hatte, war Alfred Rosenberg. In seinem Mythos des 20. Jahrhunderts (1930) denunzierte er jede Art von moderner Kunst als Teil der jüdischen Weltverschwörung und als Anschlag auf das arische Schönheitsideal. Mit Bezug zu Gedanken von Christian Carl Bunsen schwadronierte er von einer griechisch-germanischen Architektur. Gemeint war eine seltsame Vermischung, wie sie sich in der Gotik darstellte und zu einer Weltanschauung hochstilisiert werden konnte.
Moeller van den Bruck, zit. nach Kruft 1985, 450; im Orig. kursiv
Die Monumentalität der NS-Architektur ist eine Begleiterscheinung, wie sie für jede Diktatur typisch ist. Sie fand in dem nationalistischen Kulturhistoriker Arthur Moeller van den Bruck ihren Meister: »Monumentalität ist die männliche Kunst. […] In ihr ist der Schritt von Kriegern, die Sprache von Gesetzgebern, die Verachtung des Augenblicks, die Rechenschaft vor der Ewigkeit.« Dass man sich in dieser Sache – so Albert Speer ausdrücklich – auf die Revolutionsarchitektur bezog, kann nicht überraschen.
Roters Everhard in Argan 1977, 220
László Moholy-Nagy fungierte 1937 als Direktor des in Chicago gegründeten New Bauhaus, aus dem später die School of Design wurde. In dieser Hinsicht blieb das Bauhaus, wo – kurz zusammengefasst – die erste Periode »expressionistisch […], die zweite konstruktivistisch, die dritte funktionalistisch, die vierte architektonisch« bestimmt war, bis in die Gegenwart ein nachhaltiger Impuls für Architektur und Design.