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1.0. Projekt und Motivation

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Wer einen Blick auf den philosophischen Buchmarkt wirft, macht eine widersprüchliche Beobachtung. Einerseits fällt ins Auge, dass philosophische Publikationen zur Ästhetik seit einigen Jahren einen regelrechten Boom erleben. Beinahe könnte man meinen, ein gut dokumentiertes und beackertes Modethema des philosophischen Diskurses vor sich zu haben. Andererseits lehrt eine genaue Betrachtung der philosophischen Szene, dass Kunstphilosophie und Ästhetik nach wie vor wie Stiefkinder behandelt werden.

Welsch/Pries 1991, 1

Bubner 1989, 131; im Orig. kursiv

Eine solche genaue Betrachtung wurde indes selten angestellt. Vielmehr ist der Eindruck eines boomenden Ästhetikdiskurses ein seit langem gepflegtes Narrativ. Wolfgang Welsch und Christine Pries konstatierten bereits vor dreißig Jahren: »Ästhetik hat Konjunktur«, nicht ohne zugleich vor der Kehrseite dieses Tatbestandes zu warnen: »[…] die Licht- und Schattenseiten dieser Ästhetisierung liegen so dicht beieinander, daß sie oft kaum zu unterscheiden sind.« Zu solch ambivalentem Urteil war zur gleichen Zeit auch Rüdiger Bubner gekommen, nach dem »die Ästhetisierung der Lebenswelt ein Kennzeichen der gegenwärtigen Epoche ist.«

Jean Paul 1804, XVIII

Blickt man noch weiter zurück, wird man endgültig unsicher, ob diese vermeintliche Liebe zur Ästhetik tatsächlich eine Sache der Gegenwart ist. Denn bereits 1804 hat Jean Paul den berühmten Satz zu Papier gebracht: »Von nichts wimmelt unsere Zeit so sehr als von Aesthetikern.« Ist die Philosophenszene tatsächlich seit 200 Jahren verliebt in Kunstphilosophie und Ästhetik? Oder ist es eher so, dass hier ein eigenes, aus dem breiten Strom der Philosophie ausgelagertes Diskursfeld beackert und angesichts der verbreiteten Ästhetisierung der Lebenswelt auf publizistischen Erfolg geschielt wird?

Unstrittig ist jedenfalls, dass bildende Kunst und Architektur ein Megatrend der modernen Welt sind. Galerien, Kunsthäuser, Contemporary-Abteilungen der Museen und junge Kunstinitiativen schießen aus dem Boden. Galerien operieren wie globale Konzerne mit weltweiten Niederlassungen. Für die potentesten Hot-Spots haben sich Ausdrücke wie Galerien-Hub (gemeint ist neuerdings das in dieser Hinsicht boomende Hongkong) eingebürgert. Mit bekannten Künstlernamen der europäischen Kunstgeschichte lassen sich Blockbuster-Ausstellungen bespielen, die Menschenmassen in die Häuser locken. Vor den Eingangsbereichen berühmter Museen von Rom über Florenz, Paris bis Berlin und London sind nicht nur in der touristischen Hochsaison geduldig hunderte Meter lange Schlangen zu überwinden, um zu den Schätzen der Kunst- und Kulturgeschichte zu gelangen. Eine Statistik weist für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2016 über 110 Millionen Museumseintritte (aller Museen, nicht nur der Kunstmuseen) aus. Dagegen erscheinen die schlappen 14 Millionen Tickets für die Spiele der 1. Fußball-Bundesliga in der Saison 2017/18 nun doch höchst bescheiden.


2 Guggenheim-Museum, Bilbao von Frank Gehry

de.statista.com

Ähnlich eindrucksvoll sind die astronomischen Summen, die – meist anonyme – Kunstsammler für einzelne Meisterwerke auf den Tisch zu legen bereit sind, zuletzt 2017 die 450 Millionen Dollar für den Salvator Mundi von Leonardo da Vinci (wobei die Zuschreibung nicht einmal sicher ist) bei Christie’s in New York (in diesem Fall war der Käufer nicht anonym, sondern eine Institution: das Kultur- und Tourismusministerium Abu Dhabis).

Einen ähnlichen Hype gibt es um die zeitgenössische Architektur. Es lassen sich architektonische Landmarken neuer Museums- und Konzerthausbauten identifizieren, die dem »Bilbao-Effekt« folgen, also der Absicht, durch spektakuläre Kulturbauten wie das Guggenheim-Museum von Frank Gehry in Bilbao über die angelockten Besuchermassen die Stadtentwicklung anzutreiben.

Das Jüdische Museum von Daniel Libeskind in Berlin zählte bereits tausende Besucher, noch bevor das erste Ausstellungstück im Haus war. Abu Dhabi ließ sich mit dem berückenden Museumsbau von Jean Nouvel allein die Benützung des Namens des Musée du Louvre samt Ausleihoptionen und Kuratorenberatung über eine Milliarde Euro kosten (die Baukosten und die erwähnten 450 Millionen für den Salvator Mundi kommen noch obendrauf). Insofern klingt es schlüssig, wenn auch Philosophinnen auf diesen Trend reagieren und Arbeiten zum Thema auf den Markt werfen.

Trotzdem: Die Sorge vor den »wimmelnden Aestheten« ist ein Fehlalarm. Nicht nur zeigt eine genauere Prüfung der Titel dieser publizistischen Flut – meist handelt es sich um einführende Überblicke zu den üblichen Themen der Ästhetik –, dass die einschlägigen Abhandlungen in einem hohen Grad von Redundanzen geprägt sind. Wer zudem den gesamten Diskurs der Philosophie in den Blick nimmt, stellt rasch fest, dass Kunstphilosophie und Ästhetik sowohl in der Philosophie- und Kulturgeschichtsschreibung als auch in systematischen Darstellungen kaum mehr als das geblieben sind, was sie immer waren: ungeliebte Stiefkinder!

Unübersehbar ist das Angebot an Philosophiegeschichten. Es reicht von traditionsreichen vielbändigen gelehrten Ausgaben bis zu populär geschriebenen Paperbacks, wo man Aristoteles gleichsam im Kaffeehaus treffen und die großen Philosophen über die Hintertreppe erreichen kann. Es gibt Philosophie für kleinere und größere Berenikes und natürlich auch für Dummies. In der Spezialliteratur der Philosophie ist die Fülle des erarbeiteten Materials schier erdrückend: uferlos die Abhandlungen über erkenntnistheoretische Fragen, über die Ansätze der Metaphysik, über anthropologische und ethische Probleme, über Logik und Handlungstheorie, Psychologie und Philosophie des Geistes, Medien- und Genderphilosophie. Spärlicher werden schon kulturtheoretische Aspekte und in den meisten Fällen sucht man kunstphilosophische und ästhetische Beiträge vergeblich oder diese werden der Vollständigkeit halber in wenigen Sätzen abgetan. Ähnliches gilt übrigens auch für viele kulturgeschichtlich ambitionierte historische Arbeiten.

Bubner 1989, 11

Zudem ist dort, wo eine ausdrückliche Kunstphilosophie entfaltet wird, nochmals genau hinzusehen, ob wirklich das Interesse an der Kunst im Vordergrund steht oder ob nicht eher eine philosophische Theorie ihren universellen Anspruch dadurch untermauern will, dass ihr Funktionieren neben vielem anderen auch im Bereich der Kunst gezeigt wird. »Die Kunst ist nicht so sehr ein Gegenstand, an dem eine selbstbewußte Philosophie die Kräfte der begrifflichen Bewältigung mißt, vielmehr dient die Kunst als ein Medium, in dem die Philosophie Vergewisserung über ihren eigenen theoretischen Status sucht.«

Ebd., 9

Das Konstatierte gilt nicht nur für die sogenannte sekundäre Ebene des Diskurses, also die kommentierende Forschungsliteratur. Noch ausgeprägter ist das Fehlen von ausdrücklichen ästhetischen Entwürfen seit den Zeiten der deutschen Romantik. Es gibt tatsächlich ein »Verstummen der Philosophie vor der Kunst«.

Adorno 1970, 344

Warum dies so ist – darüber kann man lange räsonieren. Vielleicht stimmt immer noch, was Theodor Adorno konstatierte, als er die Unsicherheit der Geisteswissenschaften gegenüber der so schwer in den Begriff zu bekommenden Kunst ansprach: »Was etwa den gegenwärtigen Geisteswissenschaften als ihre immanente Unzulänglichkeit: ihr Mangel an Geist vorzuwerfen ist, das ist stets fast zugleich Mangel an ästhetischem Sinn. Nicht umsonst wird die approbierte Wissenschaft zur Wut gereizt, wann immer in ihrem Umkreis sich regt, was sie der Kunst attribuiert, um in ihrem eigenen Betrieb ungeschoren zu bleiben; daß einer schreiben kann, macht ihn wissenschaftlich suspekt.«

Das jeden Philosophen Herausfordernde ist ja, dass die zeitgenössische Kunst der philosophischen Bewältigung ständig davoneilt: »Angesichts von Flaschentrocknern und (echten und kopierten) Suppendosen nehmen sich überkommene Vorstellungen des sinnlichen Scheinens der Idee im Schönen oder im Erhabenen, des dionysischen Rausches oder auch des versöhnenden Trostes samt und sonders ungereimt aus, inkommensurabel.«

Koppe 1991, 7f

Boehm 1994, 11

Diese Inkommensurabilität ergibt sich aus der Eigenart der Philosophie, ihrer Rationalitäts-, Schrift- und Sprachorientiertheit: »Denn Orientierung am Logos hat sie [die Philosophie; BB] lange daran gehindert, dem Bild die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen wie der Sprache.« Dass sich Kunst ganz offenbar rationaler Argumentation und Letztbegründung entzieht, verhindert letztlich, dass es zu einer allgemein akzeptierten Bestimmung dessen kommt, was Ästhetik und Kunstphilosophie überhaupt sein soll.

Saw 1972, 20

Deshalb gibt es zwar Versuche, die Kunst philosophisch zu domestizieren, aber nur selten wird auf ihr erhebliches Explorationspotenzial eingegangen. Eine intensive Beschäftigung mit den philosophischen Kontexten der Künste lehrt, dass es häufiger als vermutet die Kunst war, welche die Formung von kulturellen Erzählungen geprägt und Einsichten vorweggenommen hat, die erst einige Zeit später in philosophischer Sprache nachgereicht wurden. In diesem Sinn könnte man in der Kunstphilosophie (als eigenständigem Fach) nichts weniger sehen als die Avantgarde der Philosophie. Wer sich für die Kunst-, Architektur- und Kulturgeschichte entflammen lässt, wird nicht zögern, einer selbstbewussten These zuzustimmen, die in charmanter Form Ruth Saw formulierte: »Still I wish to make a positive – and more controversial – claim. It is that the study of aesthetics is of the utmost human utility. At this point I laid down my pen and asked myself seriously whether I was being perverse or would really stand by this opinion.«

Ruth Saw hat nach einigem Nachsinnen ihren pen wieder in die Hand genommen und ihr reizvolles Buch fertig geschrieben. Ich gebe gerne zu, dass auch ich für meine jahrelange Arbeit an diesem Werk dadurch motiviert wurde, dass ich die Künste für jene menschliche Kulturtechnik halte, in denen sich alle Kreativität versammelt. Denn nirgendwo sonst sind kulturelle Erzählungen in ihrer schriftlichen und in ihrer bildlichen Form darstellbar.

Die Geschichten auf den folgenden Seiten sollten keineswegs als Abstraktionen betrachtet werden. Sie sind existenzieller Ausdruck einer bewegten Geschichte des Menschlichen-Allzumenschlichen. Wer über philosophische Erzählungen schreibt, schreibt daher auch automatisch an Kapiteln einer Anthropologie und man gelangt dabei unversehens zu einigen anthropologischen Konstanten – gleichsam auf empirischer Grundlage. Solches ausdifferenziert darzustellen, hätte den ohnehin weiten Rahmen dieses Werks vollends gesprengt. Ein paar wenige Hinweise dazu mögen in der resümierenden Schlussbetrachtung erlaubt sein.

Der Kunstphilosophie käme demnach nicht nur innerhalb der Philosophie der Status einer explorierenden Avantgarde zu, sondern mit Blick auf die Eigenart der kulturellen Erzählungen der Künste ließe sich überdies eine überzeugende Legitimation der Geisteswissenschaft ganz allgemein formulieren, die eher kopfschüttelnd auf den erstaunlich abstrakten und komplexen einschlägigen Diskurs blickt. Es geht bei diesem Diskurs letztlich um die Deutungsmacht jener von den Geisteswissenschaften verwalteten Erzählungen im Vergleich zu den narrativen Konstruktionen anderer Wissenschaften. Machtbewusste und Kunst und Kultur schätzende Renaissancehumanisten sahen in dieser Hinsicht klarer als der Machtpolitiker Stalin, sollte der von ihm kolportierte Spruch auf der Konferenz in Jalta tatsächlich so gefallen sein: »Wie viele Divisionen hat der Papst?« Der Fürst Mailands, Gian Galeazzo Visconti, bemerkte zu den Briefen an Staatsmänner und Regierungen des erfolgreichen Humanisten, Kanzlers und Außenpolitikers von Florenz, Coluccio Salutati, sie seien gefährlicher als eine ganze Reiterabteilung.


3 Ausmeißelungen von Gesichtern auf den Kapitellen der Säulen des Dendera-Tempels in Ägypten


4 Abgehackte Köpfe an der Kathedrale von Auxerre

In der Tat werden keine Kriege geführt, um zwischen den Methoden Werner Heisenbergs und Erwin Schrödingers zur Formulierung der Quantentheorie zu entscheiden und auch nicht deswegen, ob es nun vier elementare Kräfte in der Natur gibt oder ob man mit weniger auszukommen glaubt. Aber es wurden und werden Kriege geführt um Geschichtsdeutungen und Staatsmodelle, um Gesellschaftsideologien und – vor allem – um religiöse Erzählungen und deren Sedimentierungen im Bild und in Bauwerken. Man kann das bedauern und vielleicht zynisch auf die fehlende empirische Basis solcher Erzählungen hinweisen, die letztlich als anerkanntes Falsifikationskriterium dient. Aber da das Leben von Menschen nun einmal von kulturellen Erzählungen geprägt wird, erübrigt dieser Tatbestand allein eigentlich jede abgehobene Diskussion um die Bedeutung der Geisteswissenschaften. Die einschlägigen Abteilungen bergen unzählige Divisionen auf ihren Bücherborden und jeder, der gelernt hat, damit umzugehen, wird gleichsam zu einem Oberbefehlshaber, der seine Bataillone in Schach hält oder in die Schlacht schickt. Schon allein der Umgang mit solch explosiven Stoffen, wie sie kulturelle Erzählungen sind, hat mein bisheriges wissenschaftliches Arbeiten höchst aufregend gemacht.

Zurückkommend auf die erwähnten Fehlstellen von Kunstphilosophie und Ästhetik kann es nicht verwundern, dass, der vermeintlichen Publikationsflut von Arbeiten zur Kunstphilosophie zum Trotz, Überblicke über die Geschichte der Kunstphilosophie zum Unterschied von Philosophiegeschichten auf der einen und Kunstgeschichten auf der anderen Seite, die es in jedem wünschbaren Umfang und Format gibt – vorsichtig ausgedrückt –, rar sind. Das stellte vor 160 Jahren bereits Robert Zimmermann fest, der damals eine Geschichte der Ästhetik verfasste. Er schrieb: »Eine Geschichte der Aesthetik als philosophischer Wissenschaft jedoch, wie es dergleichen für die Rechtsphilosophie […], für die Moralphilosophie […], für die Logik […], für die Psychologie gibt, ist in der philosophischen Literatur der Deutschen bisher noch nicht vorhanden gewesen. Aber auch nicht in der französischen und englischen.«

Zimmermann 1858, VI

In den Sechzigerjahren erschien das dreibändige Werk von Wladyslaw Tatarkiewicz, neben Monroe Beardsleys schmalem Bändchen Aesthetics from Classical Greece to the Present (1966), die bislang letzte Gesamtdarstellung aus philosophischer Sicht, die bei allen Verdiensten in manchen Teilen zwangsläufig nicht mehr den aktuellen Diskussionsstand widerspiegelt. Dazu beginnt Tatarkiewiczs Darstellung in der klassischen Antike und endet in jener Zeit, in der die Ästhetik als philosophische Disziplin erst inauguriert wurde. Gleiches gilt für die 1996 von Götz Pochat vorgelegte Geschichte der Kunsttheorie, die den Fragen aus der Perspektive des Kunsthistorikers nachgeht. Beide Arbeiten sparen leider das 20. Jahrhundert aus, das aus Sicht einer philosophischen Ästhetik das produktivste war.

Daneben gibt es etliche und sehr qualitätvolle Untersuchungen zu einzelnen Perioden. Dass diese Darstellungen in der Regel die Fachgebiete der Autorinnen abbilden, liegt auf der Hand und diese Bemerkung bringt mich zu einem heiklen Punkt: Darf ein einzelner Autor sich eine solche Aufgabe, die Geschichte der Kunstphilosophie und Ästhetik von den Anfängen bis zur Gegenwart zu beschreiben, überhaupt aufbürden? Diese Frage bleibt auch dann kritisch zu stellen, wenn man eine bewusst gewählte Einschränkung auf Europa (inklusive der historischen Herkunft) und auf die Genres der Architektur und der bildenden Kunst gewählt hat, also neben der geographischen Einschränkung Literatur, Musik, Theater, Tanz aus der Betrachtung ausspart. Ist es nicht vielmehr heute gängige Praxis, ein solches Projekt einem Autorenkollektiv zu überantworten? Eine solche Meinung hat sehr viel Berechtigung und wenn ich hier einen anderen Weg gewählt habe, bedeutet das nicht, dass ich eine solche Vorgehensweise grundsätzlich für verfehlt hielte. Aber es gibt zumindest drei Argumente, mit denen man aus meiner Sicht ein solches Vorgehen eher kritisch sehen und – vice versa – eine »Einzeltäterschaft« stützen könnte:

(1) Die vorliegende Arbeit will eine ausdrückliche Ideengeschichte entfalten, wo sich aus der Betrachtung der geschichtlichen Zusammenhänge und Entwicklung kultureller Erzählungen und Ideen ein systematischer Mehrwert ergibt. Ein solcher Anspruch ist mit einer größeren Zahl von Autorinnen mit ihren jeweils unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen auch bei bester Moderation durch den Herausgeber kaum einzulösen. Im Zweifel war mir die Entwicklung der kulturellen Erzählungen wichtiger als eine erschöpfende Rekonstruktion von Einzelpositionen. Das Buch trägt deshalb auch nicht einen Titel wie etwa: Ästhetische Positionen in der Philosophiegeschichte.

(2) Es ist ein übliches Faktum, dass sich in der scientific community laufend Spezialistinnen für bestimmte Themen und Sachgebiete etablieren, deren Sichtweisen im besten Fall als neuester Stand der Forschung zu würdigen sind. Auf die Namen dieser Expertinnen stößt man in der Regel in verschiedenen einschlägigen Philosophiegeschichtebüchern und Lexika immer wieder, was zwangsläufig zu inhaltlichen und methodischen Redundanzen führt. Zudem stellt sich in solchem Zusammenhang die diskussionswürdige Frage, ob globale Darstellungen der Philosophiegeschichte (und damit eben auch solche einer Geschichte der Kunstphilosophie und Ästhetik) überhaupt der richtige Ort sind, die neuesten Thesen zu einzelnen Positionen zu präsentieren oder ob dies nicht der einschlägigen monographischen Fachliteratur vorbehalten bleiben sollte. Dort hat sich diese jeweilige Sicht vor dem Diskurs der scientific community zu bewähren, ehe sie in Überblickswerke eingeht, die sich meinem Dafürhalten nach eine gewisse Offenheit gegenüber jeweils anderen Ansätzen bewahren sollten.

(3) Das bringt mich zum wichtigsten Argument. Es ergibt sich aus der Tatsache, dass systematische Fächer, wie die Philosophie eines ist, zu Schulbildung und Methodenverengung neigen. Im schlechtesten Fall zerfallen Sammelwerke nicht nur durch die isolierte Darstellung einzelner Philosophen, sondern auch noch durch verschiedene methodische Zugänge. Das verunmöglicht den Blick auf einen größeren, sich über historische Epochen hinweg erstreckenden Sinnzusammenhang, was nicht nur ein Problem jeder historischen Erzählung ist, sondern auch eines der systematischen Entfaltung. Daher habe ich versucht, aus einer übergeordneten Sicht nicht nur die verschiedenen inhaltlichen Deutungen, sondern auch die Vielfalt der methodischen Zugänge im Auge zu behalten und diese so weit wie im gesteckten Rahmen möglich zu dokumentieren.

Neben diesen drei Überlegungen, die mich leiten, muss ich einräumen, dass ich das Dirigat über Fragestellungen und Organisation dieser Arbeit nicht gerne aus der Hand geben wollte. Denn meine wichtigste Motivation war das Vergnügen daran, die Geschichte, die ich mir zu erzählen vorgenommen habe, als Ganze zu erzählen und nicht nur einen kleinen Beitrag beizusteuern, den andere vielleicht durch eine ganz andere Wendung wieder konterkarieren. Vergnügen zu haben mag für wissenschaftliches Arbeiten keine erlaubte Grundlage sein, sehr wohl aber ist es eine (starke und aus meiner Sicht mit Blick auf das akademische Leben auch ziemlich ehrliche) Motivation für die vielen Lebensjahre, die für die Durchführung eines solchen Projekts notwendig sind.

Ich bin, das ist meinem nun leider schon lange zurückliegenden Geburtsjahr geschuldet, ein Wissenschaftler der alten Schule, der sich nie von einem Forschungsprojekt-Schnellschuss zu einem anderen hangeln musste, sondern an der Universität Innsbruck den selten gewordenen Luxus erlauben konnte, sich (neben den üblichen Verpflichtungen von Lehre und Verwaltung) weitgehend ungestört in seinen Forschungsgegenstand, die Sichtung der schönsten Seiten menschlicher Kreativität, zu vertiefen. Ich habe keine Projektanträge geschrieben, keine Drittmittel akquiriert, sondern habe zwei Jahrzehnte lang mit Neugierde und Begeisterung an allen möglichen echten und provisorischen Schreibtischen, zuhause, am Institut, in Zugabteilen, in diversen Hotels und auf Campingplätzen, an Meeresküsten und Seeufern, selbst in schwankenden Kajüten von Yachten über dem Manuskript gebrütet. Da mit diesem sehr persönlichen Projekt auch keine Karriereabsichten verbunden waren, hätte ich die Arbeit unverzüglich beendet, hätte der Spaß an der Sache irgendwann aufgehört.

Das Fazit aus den drei aufgezählten Argumenten ist, dass mir meine Vorbehalte gegenüber dem Genre von Teamprojekten automatisch die Latte ziemlich hoch legen, die die vorliegende Untersuchung überspringen muss. Es geht um den »roten Faden«, also den systematischen Anspruch und es geht um kreative Darstellung. Auf diesen »roten Faden« werde ich gleich zurückkommen. Die kreative Darstellung wiederum könnte man mit einigem Humor schon deshalb erwarten, weil sich der Autor in diesem Fall tief in Gebiete wagt, die weit von seinem eigentlichen Forschungspfad entfernt liegen. Das ist mir auch bewusst und es geht mir hier keinesfalls anders als den vielen Autoren, welche die Mühe des Verfassens von Profangeschichten, Philosophiegeschichten oder Kunstgeschichten auf sich genommen haben. Um dieses Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen, habe ich zu allen Abschnitten und zu vielen einzelnen Kapiteln die rege Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen gesucht, sie um Rat und Kritik gebeten und kleinere oder größere Teile gegenlesen lassen. Schon an dieser Stelle sei ihnen allen herzlich gedankt. Die vielen Diskussionen waren erhellend, spannend und sie haben mir neue Horizonte erschlossen. Wie das in solchen Fällen immer ist, habe ich viele Anregungen aufgenommen, manchen Rat jedoch auch in den Wind geschlagen und bei widersprechenden Empfehlungen mich für die mich überzeugendere Variante entschieden. Unnötig zu erwähnen, dass die Verantwortung für alles, was in den folgenden Seiten geschrieben steht, daher selbstverständlich alleine bei mir liegt.

2.0.

XI.5.0.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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