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Prolog

Zu allen Zeiten und in allen Gegenden der Welt verspürten und verspüren Menschen eine Sehnsucht, die durch nichts auf der Welt zu erfüllen ist, weil sie über alles Irdische hinausgeht. Sie kann erweckt werden durch Glück, das im Leben erfahren wird und nach Ewigkeit ruft. Oder durch im Alltag erlebten Sinn, der das Verlangen erweckt nach einem umfassenden und absoluten Sinn, der allem zu Grunde liegt. Irdische Ungerechtigkeit dürstet nach wahrer Gerechtigkeit, irdische Liebe ersehnt ewige Vollendung, irdisches Leid braucht verwandelnde Versöhnung der Existenz.

Die Schriften aller Religionen bezeugen die Erfahrungen und Einsichten von Menschen, die zu allen Zeiten einen Weg suchten zur Erfüllung dieser Sehnsucht. Diese Sehnsucht hat auch mich vor vielen Jahren ergriffen. Ich bin ihr gefolgt und habe dabei neu zum Christlichen gefunden. Bei aller Hochachtung für die anderen Religionen und bei aller Dankbarkeit für die Bereicherung durch sie ist das Christliche, ist Jesus von Nazareth der für mich maßgebliche Orientierungsrahmen. Ein solcher ist nötig. Denn die Sehnsucht hört nicht auf, und der Weg zu ihrer Erfüllung zieht sich durchs ganze Leben.

Die Grundzüge dieses Suchens finden sich bereits auf den ersten Seiten des Neuen Testaments in der Legende von den Sterndeutern, den Magiern aus dem Osten. Aus einem ganz anderen Kulturkreis stammend, stehen sie der Welt des Judentums vor 2000 Jahren ähnlich fremd gegenüber wie wir heute. Bar kultureller Eigenheiten betrifft ihre Suche das Menschsein überhaupt. So können wir uns in ihr wiederfinden und sie begleiten. Mit ihrer Geschichte soll unsere „Suche nach dem Kern des Christlichen“ beginnen:

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle. Sie antworteten ihm: in Betlehem in Judäa; denn so steht es geschrieben bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel. Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige! Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land (Mt 2,1–12).1

Die „Magier aus dem Osten“ – hier wohl deshalb mit Sterndeuter übersetzt, um das Missverständnis zu vermeiden, sie hätten etwas mit Magie zu tun – werden Angehörige der persischen Priesterkaste oder Philosophen östlicher Weisheit gewesen sein, die im Hellenismus, anders als in Israel, hoch im Kurs stand. Wenn man auch nichts Genaueres weiß, so handelt es sich bei ihnen jedenfalls um hochrangige und gebildete Menschen. Der Text ist gut gegliedert durch die zwei Stationen der Reise. Die erste Station in Jerusalem wird ausführlich geschildert, auf der zweiten in Bethlehem liegt dagegen das Gewicht: sie steht am Ende des Textes. Der gesamte Weg wird auf diese Weise in drei Abschnitte unterteilt, wobei die Anreise nach Jerusalem nur im Rückblick vorausgesetzt und die Rückreise nach Hause gerade eben erwähnt wird. Auch den Anlass der Reise erfahren wir nur in der Retrospektive: Die Magier haben einen Stern aufgehen sehen und ihn als Zeichen für den neugeborenen Judenkönig gedeutet. Nun wollen sie ihm huldigen.

Diese Erklärung verwundert. Was haben solche Magier mit dem Kleinkind des Herrschers eines weit entfernten Landes zu tun, das überdies von den Römern besetzt ist? Dass sie außerdem dem Baby „huldigen“ wollen, ergibt auf der Ebene des Politischen, Sozialen, Kulturellen … keinen Sinn. Auch kann der Stern kein Stern im Sinne eines „selbstleuchtenden Himmelskörpers großer Masse“ (Wikipedia) sein. Der biblische Stern wird es nämlich fertigbringen, über der Geburtsstätte des neugeborenen Judenkönigs stehen zu bleiben. Naheliegender ist es aus diesen Gründen, den aufgehenden Stern mit einem Erleben dieser drei Menschen zu verbinden, das so bedeutsam für sie ist, dass es die Kraft hat, sie zu einer langen und gefährlichen Reise zu bewegen, an deren Ende sie erwarten, dem Gefundenen zu „huldigen“, d. h. seine Größe anzuerkennen und sich ihm zu unterwerfen. Etwas vom ersehnten Ende ihrer Reise muss sie getroffen haben. Ist ihnen dabei vielleicht Transzendenz aufgegangen, die wir ohnehin mit dem Sternenhimmel, seiner Unendlichkeit, seiner Erhabenheit, seiner Unergründlichkeit und Unverfügbarkeit in Verbindung bringen? Womöglich haben sie etwas Ähnliches erlebt wie der russische Soldat, von dem die folgenden Zeilen stammen, die in den Kleidern des Gefallenen gefunden wurden:

„Hörst du mich, Gott? Noch nie sprach ich mit dir … Doch heute, heut will ich dich begrüßen. Du weißt, von Kindertagen an sagte man mir, dich gebe es nicht. Und ich, ich glaubte es. Narr, der ich war. Die Schönheit deiner Schöpfung ging mir niemals auf.

Doch heute Nacht nahm ich ihn wahr, vom Grund des aufgerissenen Kraters, den Sternenhimmel über mir. Und ich verstand staunend sein Gefunkel … dies Wunder, dass mitten in der schauerlichen Hölle das Herz mir leicht wurde und ich dich erkannte. Sonst weiß ich dir nichts zu sagen, nur, dass ich so froh wurde, als ich dich erkannte. Mir war so wohl bei dir.“2 Immer wieder geschieht es, dass Transzendenz in den Alltag eines Menschen einbricht und sein Herz mit Glück, Schmerz und Verlangen erfüllt.

Haben unsere drei Magier eine solche Transzendenzerfahrung gemacht? Dazu würde ihre Deutung vom „neugeborenen König der Juden“ passen. Der König wurde in besonderer Nähe zur Gottheit eines Volkes gesehen, in deren Sinn er ja regieren soll, und die Juden waren jenes Volk, das eine einzige transzendente Gottheit verehrte, die kein Bild darstellen und kein Name benennen konnte. Außerdem kann eine Transzendenzerfahrung die Sehnsucht wecken, zu suchen, was über alles hinaus ist, ihm zu huldigen und dabei auch bei seinem wahren Selbst anzukommen.

Auf Grund ihrer Deutung wissen die drei Magier, dass sie nach Jerusalem ziehen müssen, um den neugeborenen Judenkönig zu finden. Der Stern taucht bei diesem Teil der Reise nicht auf. Wozu auch? Die Magier brauchen ihn nicht. Sie meinen zu wissen, wohin sie zu gehen haben.

Und so scheitert ihre Suche. Jerusalem ist nicht ganz falsch, aber kein neugeborener König ist an ihrem Ziel. Niemand in Jerusalem weiß etwas von ihm. Die Botschaft, die ihr Fragen nach ihm enthält, ist schlecht für die Eliten: ein neugeborener König könnte die Machtverhältnisse umkehren, die Gewohnheiten stören, die Besitzstände gefährden, jedenfalls eine Verschlechterung ihrer Verhältnisse bedeuten. Entsprechend ist Jerusalem Enttäuschung, Widerstand und Feindseligkeit für die Magier, die darauf mit Lähmung, Angst und Ohnmacht reagieren werden. Jedenfalls treten sie in der langen Textpassage, die in Jerusalem spielt, als Handlungssubjekte nicht mehr auf. Auf Veranlassung des Herodes finden die jüdischen Wissenschaftler den Geburtsort des neuen Königs aus ihren alten Schriften heraus. Niemand in Jerusalem ist daran interessiert, ihn zu suchen. Finden will ihn jedoch Herodes, um den etwaigen Konkurrenten auszuschalten: Auf unseren Abschnitt folgt bei Matthäus die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem, den Herodes veranlasste, der zwar nicht historisch sein wird, aber die historische Machtgier und Grausamkeit dieses Königs unterstreicht. Zu diesem Zweck will der König die Magier als seine Spione verwenden. So teilt er ihnen heimlich den Geburtsort mit.

Die drei brechen auf – das ist die einzige Wirkung des konspirativen Treffens. Sie gehen nun nicht gezielt nach Bethlehem, sondern wandern in einer ganz neuen Weise: Der Stern ist wieder da. Von ihm lassen sie sich führen, nicht von eigenen Absichten oder der Anweisung des Herodes. Um dem Stern folgen zu können, müssen sie nachts unterwegs sein. Aber nachts kann man nicht reisen, schon gar nicht als Fremder im zerklüfteten Bergland von Judäa. Wenn ihre Reise nach Jerusalem noch eine historische Reise gewesen sein könnte, ihr jetziger Weg ist es sicher nicht: Er ist eine innere Reise, die punktgenau zum Gesuchten führt.

Worin liegt der Unterschied der beiden Wegabschnitte? Im ersten Abschnitt ihrer Suche suchen sie die Verwirklichung der Vorstellung, die sie sich von ihrem ursprünglichen Erleben gemacht haben: Das ist Jerusalem, und das finden sie. Was sie zu finden ersehnten, konnten sie nicht finden, weil sie sich von ihrem ursprünglichen Erleben zugunsten ihres Begriffs davon entfernt hatten. Jerusalem lehrt sie, ihre Vorstellung vom Gesuchten loszulassen und offen zu werden. Denn „etwas“ im Sinne ihrer Vorstellungen und Begrifflichkeiten können sie nicht mehr suchen. Beim zweiten Teil der Suche ist der Stern wieder da, d. h. das ursprüngliche Erleben und die Sehnsucht, die sie zu ihrer Reise bewegt haben. Und nun reisen sie „nachts“. Wer nachts reist, der sieht nichts, der hört nichts …, d. h., es gibt keine von der Gegenwärtigkeit des Sterns ablenkenden Sinneswahrnehmungen. Da ist nichts, was der Verstand zu Gegenständen verarbeiten könnte, mit denen er sich dann beschäftigt. Es ist still in ihnen. Sie sind ganz gesammelt. Es gibt lediglich ein offenes Gewahrsein ohne Objekte. Wer aber aufgegeben hat zu wissen, wonach er sucht, der kann nicht proaktiv suchen. Er kann kein Finden anstreben. Alles ist Offenheit, Empfänglichkeit und Sich-Überlassen. So kann der Stern die drei bewegen. Ein Weg, den sie in sehr großer Freude zurücklegen.

Wieso sind die Magier nicht von Anfang an so gereist? Ich nehme an, sie sind gar nicht auf die Idee gekommen, weil sie die Fähigkeit dazu auch nicht hatten. Zwischen Teil eins und Teil zwei der Suche liegt der lange Aufenthalt in Jerusalem; zumindest spielen etwa zwei Drittel des Textes dort. Jerusalem muss die Reisenden verwandelt haben. In Jerusalem muss ihnen die Fähigkeit zugewachsen sein, den Stern wiedersehen und ihm folgen zu können. Jerusalem ist jedoch die Erfahrung des Scheiterns, der Enttäuschung, des Widerstandes und der Ohnmacht. All dies haben sie ausgehalten. Sie sind nicht weggegangen, haben nicht aufgegeben. Gut, dass sie zu dritt waren und sich gegenseitig Mut machen konnten! Aktiv waren die Jerusalemer, auch in ihrer Ablehnung, um nicht zu sagen Feindschaft gegenüber den drei Suchenden. Der Anteil der Magier an den Vorgängen in Jerusalem war, zu warten, zu dulden, die Ohnmacht zu bejahen, Enttäuschung und Widrigkeiten zu durchleben.

30 Jahre später wird in derselben Stadt der König der Juden, nach dem die Magier jetzt als Neugeborenem suchen, am Kreuz scheitern und vollkommen eins werden mit dem Geheimnis des Seins. Das Hineingehen in die Grenzen, die das Leben den eigenen Vorstellungen und dem damit verbundenen Streben immer wieder setzt, scheint die Weise zu sein, wie das Suchen nach bleibender Erfüllung und das endgültige und wahrhafte Ankommen bei sich selbst gelernt und verwirklicht werden.

Schließlich bleibt der Stern stehen. Dann ist die Stille in ihnen vollkommen. Alles ruht, alles Streben, alles Denken. Es gibt nur noch die Bewusstheit völliger Offenheit. So gelangen sie in das Haus, in dem das nicht mehr gesuchte Gefundene wohnt und sich zu sehen gibt. Was das ist, bleibt letztlich so unaussprechlich wie das Ursprungserleben der ganzen Reise. Doch ergreift es die drei derart, dass sie niederfallen und anbeten. Da es jedoch in unserer Geschichte symbolisiert wird durch das Kind und Maria, seine Mutter, liegt es nahe zu vermuten, dass die Leere ihres Bewusstseins von Liebe erfüllt ist. Vollkommene Stille, Leerheit und Fülle der Liebe fallen hier paradoxerweise in eins. Ins Haus gelangend sind sie zu Hause angekommen, bei ihrem ureigenen Grund, sind sie behütet und beschützt. Haben sie erlebt, was der Psalm 131 ausdrückt?

HERR, mein Herz überhebt sich nicht, nicht hochmütig blicken meine Augen, ich gehe nicht um mit großen Dingen, mit Dingen, die mir nicht begreiflich sind. Vielmehr habe ich besänftigt, habe zur Ruhe gebracht meine Seele. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir. Israel, warte auf den HERRN von nun an bis in Ewigkeit!

Die Liebe zwischen der irdischen Mutter und ihrem Kind vermittelt die unbedingte, selbstlose, sich hingebende Liebe Gottes, die ermöglicht, wahrhaft bei sich selbst anzukommen und eins mit ihr zu werden. Das Kind ist gestillt: Alle Unruhe, alles Streben, alles Verstehen-Müssen ist zur Ruhe gekommen. Das Ego ist gelassen, das Ich vergessen. Nichts fehlt. Pure Gegenwart, reine Begegnung, personales Sein.

Das Erwachen zur Einheit mit sich selbst und mit allem und dem Grund von allem mag von Glückseligkeit begleitet sein. Sie wäre gewissermaßen der Tau des Geschehens auf den Gefühlen. Das Geschehen selbst ist rein geistiger Natur, Mitteilung von Geist und Leben. Es bewirkt ein nichtwissendes Wissen von hoher Gewissheit, das das Leben in der Tiefe verändert und seine bisherigen Werte umwertet. Wer solche Erfüllung seiner Sehnsucht erfahren hat, will sich nun dem Geheimnis der Liebe zur Verfügung stellen. Er möchte dienen und zum Boten der Liebe werden, die er empfängt und durch sich hindurchströmen lässt. Er hat verstanden, dass die Erfüllung die Suchenden sucht, die, wie die Magier, nur gefunden werden können, wenn sie ihr proaktives Suchen, Streben und Machen aufgeben, sich der Gegenwart öffnen und geschehen lassen, was geschieht. Der persische Mystiker Rumi (1207–1273) spricht diese Wahrheit folgendermaßen aus:

„Liebe,

wenn ich nach dir Ausschau halte,

merke ich, dass du mich suchst.

Wenn ich meine Blicke schweifen lasse,

finde ich die Locken deines Haars

in den eig’nen Händen wieder.

Ich glaubte stets, von deinem Wein berauscht zu sein,

und merke nun, dass er von mir betrunken ist.“3

Von den Gaben, die die Magier dem Kind darbringen, hört der Leser hier zum ersten Mal. Auf ihrer inneren Reise können die drei Magier nichts mitnehmen, vielmehr müssen sie loslassen, was sie haben. So werden Gold, Weihrauch und Myrrhe, zu jener Zeit allerteuerste Luxusgüter, sinnbildlich zu verstehen sein für die Schätze, die sie auf ihrem Weg des Loslassens erworben haben: das Gold des Glaubens und der Hoffnung, das es möglich macht, weiterzugehen, auch wenn der Weg Risiken birgt und dem Pilger schwierige und leidvolle Etappen abverlangt; den Weihrauch des Gebetes als Wende nach innen in geschehen-lassendem, offenem Gewahrsein; die Myrrhe des Leidens als Fähigkeit, in Scheitern und Drangsal hineinzugehen: Gaben, die auch der Beschenkte, Jesus, zu seiner Zeit sehr gut wird brauchen können.

Dass ihre Suche und ihre Begegnung mit der Liebe die drei Magier verwandelt hat, zeigt uns das Ende des Textes: Im Traum wird ihnen geboten, einen anderen Rückweg zu wählen. Sie haben die Fähigkeit erhalten, Gott in ihrem Inneren zu vernehmen und von allen anderen inneren Bewegungen zu unterscheiden. Sie sind ihm ähnlicher geworden und ihre Intuition wurde erschlossen. Verwandelt, wollen sie nicht auf demselben Weg zurückkehren. Sie spüren, dass irdischer Machtwille eines Herodes und göttlicher Liebeswille nicht zusammenpassen. Sie haben ihre Entscheidung getroffen für die Wirklichkeit der Liebe. Darin wollen sie leben. Überraschender ist in diesem Zusammenhang, dass sie überhaupt zurückkehren, dass sie nicht bleiben und dass das Verlassen des Hauses mit Maria und dem Kind in ihrem Schoß für die Geschichte eine Selbstverständlichkeit ist. Die Erfahrung der Liebe ist als solche nicht zu halten. Sie verblasst wie jede Erfahrung. Was aber bleibt, ist gewachsene Fähigkeit zur Begegnung: sich selbst sein und die göttliche Liebe wiedererkennen können. Die Präsenz dieser Liebe werden die Magier im Alltag immer wieder neu erfahren und sie denen vermitteln, die ihnen begegnen.

Die Geschichte enthält wichtige Hinweise auf den Kern des Christlichen:

• Die Erfüllung über alles Irdische und Vergängliche hinaus sucht den Menschen und führt ihn durch seine Sehnsucht zu sich.

• Die Erfüllung geschieht als Begegnung mit einer unbedingten und freilassenden Liebe, für die Jesus das Symbol ist; eine Liebe, die den Menschen bei sich selbst und seinem Grund ankommen lässt.

• Um zu dieser Begegnung zu gelangen, ist ein Weg zu gehen in einer Gemeinschaft von Reisenden, die sich von der gleichen Sehnsucht zum Ziel ihrer irdischen Reise ziehen und auf dem Weg wandeln lassen.

• Grenzerfahrungen wie Scheitern, Verlust, Enttäuschung, Feindschaft …, Erfahrungen also, dass die Wirklichkeit einer gegebenen Situation den eigenen Wunschvorstellungen von ihr widerspricht und diese damit begrenzt, werden zu Agenten der Verwandlung auf diesem Weg, insoweit die Wanderer wagen, ihre Grenzerfahrungen zu durchleben.

• Der Weg selbst ist letztlich ein innerer Weg, auf dem das bisherige Selbstverständnis stirbt und ein neues erwächst, das ausgerichtet ist auf eine unbedingte und freilassende Liebe.

Ihre Sehnsucht führt die drei Magier zu Jesus. So dürfen auch wir hoffen, zu ihm geführt zu werden und durch ihn zwei Dinge zu erfahren: erstens, noch etwas mehr über die Erfüllung unserer Sehnsucht, auch wenn damit zu rechnen ist, dass diese sich letztlich nicht angemessen in Worte fassen lässt. Und, zweitens, vor allem: mehr über den Weg zur Erfüllung der Sehnsucht.

1 Bibeltexte werden stets kursiv gesetzt und stammen aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt, vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart 2016. […] bedeuten Umstellungen im zitierten Bibeltext, […] Hinzufügungen des Autors.

2 Aus: Geist und Leben Nr. 43, 1970.

3 Rumi, Das Lied der Liebe, S. 105.

Vom Lieben und vom Sterben

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