Читать книгу Cecilias Geheimnis - Bettina Priewe - Страница 5

Cecilia

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Ich war traurig, fühlte mich wieder einmal einsam, wie so oft in letzter Zeit.

Meine Mutter war noch nicht von der Arbeit zu Hause und so beschloss ich, mit dem Fahrrad an den Strand zu fahren. Es war nur ein kurzer Weg dorthin, aber ich genoss diese Fahrt durch das Dorf Richtung Dünen und durch ein kleines Kiefernwäldchen. Dieser kleine Wald war voll von uralten Bäumen. Er wirkte magisch auf mich. Der Wind blies durch die Äste und ließ sie ganz leicht schaukeln. Es machte großen Spaß, mir vorzustellen, dass hier Elfen und Kobolde leben könnten. Wie schön es doch wäre, jetzt einen Kobold einzufangen und mir etwas wünschen zu dürfen. Ich wusste gar nicht genau, was ich mir wünschen würde, aber ich wäre wirklich glücklich über einen guten Freund, mit dem ich dieses Wäldchen und seine Geheimnisse teilen könnte. Ich sog den würzigen Geruch der Kiefern und des Mooses ein und als ich näher an die Dünen kam, konnte ich den frischen säuerlichen Duft des Sanddorns, der in voller Blüte stand, riechen.

Am Strand zog ich meine Schuhe aus und schlenderte barfuß am Wasser entlang, genoss den kühlen Sand an meinen Fußsohlen und das kühle Wasser, das bei jeder Welle meine Fußrücken berührte. Ich hatte so viele Gedanken im Kopf und fühlte, wie ich Heimweh nach Bayern bekam. Tränen trübten meinen Blick und ich setzte mich in den Sand, um meine Augen trocken zu reiben. Ich beobachtete die Bewegung des Meeres und hörte dem Rauschen zu. Mir wurde kalt und ich zog meine Sweatjacke fester zu. Meine Hand schützend über die Augen gelegt, sah ich zum Himmel hinauf, doch die Sonne schien nach wie vor und es war kein einziges Wölkchen zu sehen. Ich stand auf und ging weiter. Nach ein paar Metern war mir wieder warm und ich musste meine Jacke öffnen.

Nach einem kurzen Spaziergang am Strand, drehte ich um. Als ich an die Stelle kam, an der ich vorhin saß, fühlte ich die Kälte erneut und bekam eine Gänsehaut.

Komisch, wie kann es denn an nur einer Stelle kälter sein?

Ich ging ein kleines Stück weiter und suchte einen anderen Platz, um mich erneut hinzusetzen. Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, fing ich wieder an zu frösteln und schlang die Arme um mich. Ich drehte mich nach rechts und erkannte, ein wenig entfernt von mir - ein Mädchen, das in meinem Alter sein konnte, vielleicht auch ein bisschen älter. Es saß auf einer Buhne und ließ die Füße im Wasser baumeln. Etwas an ihr kam mir seltsam vor. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass sie ein sehr altmodisches Kleid an hatte, das bis zu den Knöcheln reichte.

Warum saß sie in einem langen Kleid am Strand?

Sie hatte braunes, lockiges Haar, das ihr weit über die Schultern hing und sie wirkte auf mich sehr zart und zerbrechlich. Ich konnte einfach nicht mehr wegsehen, etwas Faszinierendes ging von ihr aus, deshalb verhielt ich mich ruhig und beobachtete sie. Das Mädchen saß vollkommen reglos da und starrte auf das Meer hinaus, ganz so, als würde es nach etwas Ausschau halten. In dieselbe Richtung blickend, versuchte ich zu erkennen, was sie dort erwartete, aber ich konnte nichts entdecken. Plötzlich drehte sie ihr Gesicht zu mir und sah mich mit großen Augen an. Ihr Blick wirkte traurig. Ich lächelte sie an, doch sie drehte ihr Gesicht wieder in Richtung Meer.

Soll ich zu ihr hingehen? Soll ich sie ansprechen?

Dann fasste ich den Entschluss zu ihr rüber zugehen um sie anzusprechen, doch als ich aufstand und in ihre Richtung gehen wollte, war sie auf einmal weg.

Wie vom Donner gerührt, stand ich da.

Wo war sie auf einmal hin?

Ich schaute in beide Richtungen den Strand entlang, sah aber nur ein paar Menschen mit Hunden und spielende Kinder. Möwen kreisten um Muscheln, die an den Strand gespült wurden. Das Frösteln lies nach, denn die Wärme kam zurück. Jetzt wurde ich unruhig und ein seltsames Gefühl beschlich mich.

Sollte ich mir das Mädchen nur eingebildet haben?

Nachdem ich mich noch ein paar Mal vergewissert hatte, dass sie wirklich nirgends zu sehen war, schlenderte ich zurück zu meinem Fahrrad. Auf der Fahrt nach Hause ging mir dieses Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Ich hatte noch nie so ein trauriges Gesicht gesehen.

Als ich zu Hause ankam, war meine Mutter bereits von der Arbeit zurück. Sie hatte in der Zwischenzeit etwas zu Essen gemacht und während wir aßen, erzählte ich von meiner Begegnung am Strand. Meine Mutter konnte sich auch keinen Reim daraus machen, wo das Mädchen abgeblieben war. Ich nahm mir jedenfalls vor, am nächsten Tag wieder zum Strand zu fahren, um nach ihr Ausschau zu halten.

In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig und hatte einen sehr beängstigenden Traum. Auf der Flucht, lief ich durch den Wald, denn jemand verfolgte mich. Ich glaubte den kleinen Kiefernwald zu erkennen, durch den ich immer zum Strand fuhr. Ich trug ein langes Kleid, mir war heiß und ich hatte furchtbare Angst. Auf meiner Stirn und auf meiner Oberlippe hatten sich Schweißperlen gebildet. Wenn ich mit der Zunge über meine Lippen fuhr, was das Salz zu schmecken, das der Schweiß gebildet hatte. Während ich lief, blickte ich immer wieder über meine Schulter zurück, um nach meinem Verfolger zu sehen, doch ich musste aufpassen, nicht über eine Wurzel zu stolpern. Er kam immer näher, unser Abstand verringerte sich stetig. Mein Herz trommelte gegen die Brust und ich konnte kaum noch atmen. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte ihn stoßweise atmen hören und wurde so panisch, dass ich anfing zu wimmern. Ein tiefhängender Ast streifte mein Gesicht und kratzte mir über die Wange und mein rechtes Auge. Ich hob die Hand darüber, um mich zu schützen und da passierte es, ich stolperte über einen am Boden liegenden Ast. Ich fühlte einen stechenden Schmerz in den Händen und spürte in meinem Nacken den heißen Atem des Verfolgers…

Ich schreckte hoch, mein Puls war viel zu schnell. Die Angst schien mich zu lähmen und hörte einen Schrei.

War das etwa mein eigener?

Endlich bemerkte ich, dass ich mich in meinem Bett befand und brauchte eine ganze Weile, bis ich mich beruhigen konnte. Mit zitternden Knien stieg ich aus meinem Bett, ging zum Fenster und öffnete es, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Noch nie hatte ich so realistisch geträumt. Das Gefühl, diese Verfolgung wirklich erlebt zu haben, blieb. Jetzt im Nachhinein war ich mir ganz sicher, dass ich in dem Wäldchen am Strand war. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

Träumte ich meine Zukunft?

Die Angst kam zurück, doch als ich auf die Uhr sah und bemerkte, dass es Zeit war aufzustehen, vergaß ich sie. Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, ging ich nach unten, um zu frühstücken.

Sollte ich meiner Mutter von diesem Traum erzählen? Ja, das würde ich tun, dachte ich mir, aber nicht jetzt gleich, ich muss mich für die Schule fertig machen. Nach der Schule würde ich noch zum Strand fahren, wie ich es mir vorgenommen hatte.

Das Wetter war herrlich und ich war neugierig, ob ich das fremde Mädchen vielleicht noch einmal sehen würde. Der Traum von gestern Nacht steckte mir noch in den Gliedern, aber ich versuchte diesen Gedanken abzuschütteln und mich auf den Nachmittag zu freuen. Nachdem ich zu Mittag gegessen hatte, packte ich ein kleines Getränk und eine Banane in meinen Rucksack und radelte los zum Strand, stellte mein Fahrrad ab, zog Schuhe und Strümpfe aus und schlenderte den Strand entlang, ganz nah am Wasser, so lange, bis ich glaubte, wieder an der Stelle zu sein, an der ich das Mädchen sitzen sah.

Ich setzte mich in den Sand und beobachtete die Möwen, die ganz in meiner Nähe um einen Brotkrumen kämpften, den irgendjemand achtlos hingeworfen hatte. Beim Einatmen der frischen salzigen Luft fühlte ich mich zum ersten Mal richtig wohl, seit wir hierher gezogen waren. Eine ganze Weile saß ich da und lies den Blick immer wieder auf die Buhne schweifen, auf der sie gesessen hatte. Aber da war niemand und langsam beschlich mich das Gefühl, ich könnte mir das alles doch nur eingebildet haben.

Nachdem ich fast zwei Stunden gewartet und dabei in einem Buch gelesen hatte, beschloss ich, wieder nach Hause zu fahren, da ich leider noch Hausaufgaben zu erledigen hatte. Ich war enttäuscht, denn ich hatte mich schon darauf gefreut, das Mädchen zu sehen. Ein letztes Mal drehte ich mich noch einmal in Richtung Buhne um, bevor ich ging. Plötzlich saß sie da und vor Schreck fuhr ich zusammen. Sie hatte das gleiche seltsame Kleid an, knöchellang, gelb, mit einer grünen Schürze darüber und sie sah hinaus aufs Meer. Ich setzte mich wieder hin, um zu beobachten, was sie als nächstes tun würde und fing an zu frieren. Nach einer ganzen Weile drehte sie ihr Gesicht zu mir und der gleiche Schmerz war in ihren Augen zu erkennen. Es tat mir in der Seele weh, was konnte dieses junge Mädchen Schlimmes erlebt haben?

Als sie merkte, dass ich sie ansah, streckte sie ihren Zeigefinger aus und zeigte aufs Meer hinaus. Ich schaute in diese Richtung, konnte aber nichts sehen. Ich hielt die Hand über meine Augen, da die Sonne ein bisschen blendete und sah angestrengt in dieselbe Richtung. Aber da war nichts. Als ich mich wieder zu ihr drehte, war sie verschwunden.

Was um alles in der Welt passierte hier? Das Mädchen konnte doch unmöglich so schnell weggerannt sein.

Ich wartete noch eine Weile, ob sie nochmal zurückkommen würde, aber sie blieb weg, so fuhr ich nach Hause und nahm mir fest vor, das nächste Mal, wenn ich sie sehen sollte, mit meinem Handy ein Foto zu machen.

Ja, das war eine gute Idee!

Am nächsten Tag hatte ich nur sechs Stunden Schule und wir bekamen keine Hausaufgaben auf. Also beschloss ich, nach dem Mittagessen nochmal zum Strand zu radeln und mein Handy mitzunehmen. Das Wetter war wieder schön, sonnig mit einer leichten Brise. Ich liebte diese Kombination, es gab mir beim Fahrradfahren so ein Gefühl von Freiheit.

Am Strand angekommen, ging ich zielstrebig auf die Buhne zu, auf der das Mädchen gesessen hatte. Noch war niemand zu sehen, aber ich hatte Zeit und wollte mich eine Weile hinsetzen und warten. Ich schaute hinaus aufs Meer und dachte darüber nach, wer sie nur sein konnte und vor allem, wie sie jedes Mal so schnell wieder verschwinden konnte. Als ich anfing zu frösteln, sah ich mich eine Weile um und plötzlich saß sie da. Ich holte vorsichtig mein Handy aus der Hosentasche, fast als würde sie durch meine Bewegung verschwinden, wie ein ängstlicher Vogel auf flattern. Es dauerte etwas bis meine Kamera das Mädchen genau fokussierte, doch in dem Moment als ich den Auslöser drückte, sah sie mir direkt ins Gesicht. Vor lauter Schreck ließ ich mein Handy fallen und nachdem ich es wieder aufgehoben hatte, wollte ich sehen, wie das Mädchen darauf reagierte – doch sie war schon weg. Zu meiner Überraschung verwunderte mich das gar nicht mehr, denn ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, dass sie genauso schnell verschwand, wie sie auftauchte.

Trotzdem fühlte ich mich erleichtert, denn jetzt hatte ich sie endlich auf meinem Handy festgehalten, ein Beweis für ihre Existenz. Ich packte meine Sachen zusammen und fuhr so schnell es ging nach Hause.

Extrem angespannt, setzte ich mich an meinen Computer, um das Bild darauf zu speichern. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis das Foto hochgeladen wurde.

Endlich war es soweit, doch was war das?

Merkwürdigerweise, konnte ich von dem Mädchen eigentlich nur einen verschwommenen Umriss sehen, ihr Körper war dunkel mit einem hellen Schein drum herum, so als wäre die Kamera von einem starken Licht, wie einem Strahler geblendet worden.

Was war da nur passiert?

Ich war mir ganz sicher, dass ich nicht gegen die Sonne fotografiert hatte. Ich druckte das Bild aus und ging nach unten ins Wohnzimmer, wo meine Eltern vor dem Fernseher saßen. Nachdem sie das Foto sahen, dachten beide an ein Gegenlicht durch die Sonne, anders konnten sie es sich auch nicht erklären. Trotz der seltsamen Belichtung erkannte man ihr langes, lockiges Haar und dass sie etwas Helles trug. Ich war zufrieden wenigstens einen kleinen Beweis zu haben.

Das nächste Mal muss ich beim Fotografieren eben besser aufpassen, dachte ich.

Cecilias Geheimnis

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