Читать книгу Cecilias Geheimnis - Bettina Priewe - Страница 7
Ferien
ОглавлениеEndlich Sommerferien! Jetzt habe ich genug Zeit, um herauszufinden, was es mit dem Mädchen am Strand auf sich hat. Was für ein herrlicher Gedanke am frühen Morgen.
Ich ging hinunter ins Wohnzimmer, um mit meinen Eltern zu frühstücken, sie hatten sich beide frei genommen und wollten einen Teil der Ferien mit mir zusammen verbringen. Diese Zeit, in der niemand sich hetzen musste, wir gemeinsam gemütlich frühstücken, alle lang aufbleiben und späte Filme angucken konnten, liebte ich besonders.
Das Leben wäre doch so viel schöner, wenn immer Ferien wären.
Heute wollte ich meinen Eltern von meinem schrecklichen Traum erzählen, den ich jetzt schon das zweite Mal hatte, und die Angst dabei kein bisschen weniger wurde.
»Mama«, sagte ich, während ich von meinem mit Butter bestrichenen Toast abbiss, »ich hatte jetzt schon zweimal den genau gleich Traum, in dem ich verfolgt wurde und mich wahnsinnig fürchtete.«
»Oje«, sagte Mama, »weißt du denn, wer dich verfolgt hat?«
»Nein, leider nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass es ein Mann war und kurz bevor ich aufwachte, hatte er mich erwischt und zu Boden geworfen. Selbst als ich wach wurde, zitterte ich und mein Herz raste.«
»Das ist ja furchtbar, Süße, warum bist du denn nicht zu uns ins Bett gekommen?«, fragte Mama.
»Maaamaaa, ich bin 14 Jahre alt, da komme ich doch nicht mehr zu euch ins Bett.«
Papa lächelte.
»Wisst ihr, das komischste dabei war, dass ich ein langes Kleid trug, das ich noch nie gesehen habe. Naja oder vielleicht doch, denn das Mädchen am Strand, von dem ich euch erzählt habe, hatte auch so eins an.«
»Na, das ist ja seltsam«, meinte Papa. »Das Mädchen am Strand scheint dich ja sehr zu beschäftigen.«
»Hast du denn das Gefühl wirklich verfolgt zu werden?«, fragte Mama, »Vielleicht solltest du es vermeiden, alleine zum Strand zu fahren.«
»Hm«, sagte ich, dachte aber nicht im Traum daran darauf zu warten bis jemand für mich Zeit hatte.
Im Gegenteil, ich wollte so schnell wie möglich wieder zum Strand, um nach ihr Ausschau zu halten. Meine Eltern schlugen vor, den Nachmittag gemeinsam am Strand zu verbringen, mit der Aussicht, das fragwürdige Mädchen gemeinsam anzutreffen. Leicht verärgert über den zweifelnden Ton meiner Eltern, freute ich mich trotz Allem auf unseren Ausflug, aber zuerst wollte ich alleine dort hin. Morgens waren nur wenige Menschen am Strand und ich hatte das Gefühl, sie nur dann anzutreffen, wenn wir ungestört waren. Ab Mittag waren hier alle Strandkörbe von Touristen besetzt und ein ganzes Meer von Handtüchern und Sonnenschirmen würde den Strand beherrschen.
Ich radelte los Richtung Dünen und war richtig gut gelaunt. Die Sonne schien in mein leider viel zu blasses Gesicht, das durch meine schwarzen Haare noch fahler wirkte und ich genoss die Wärme auf meiner Haut. Insgeheim hoffte ich auch, dass die Sonne ein wenig gegen meine mir total verhassten Pickel helfen würde.
Warum ist man nur so geplagt als Teenager, dachte ich.
Der Gedanke in dem kühlen und erfrischenden Meer zu schwimmen beflügelte mich und ich hoffte, das Mädchen davon überzeugen zu können, mir dabei Gesellschaft zu leisten.
Am Strand angekommen, stellte ich mein Fahrrad ab und ging durch den Sand. Ich blieb stehen, um mich zu strecken und die salzige Luft tief einzuatmen und schlenderte danach gemütlich durch das seichte Wasser am Rand, die Augen immer auf den Boden gerichtet, um keinen Hühnergott zu übersehen. Hühnergötter sind grau- weiße Steine, die aus Kalk und Pech entstanden sind, und wenn das Wasser an einer Stelle ein Loch durch den Stein gespült hat, wird er zu einem Glücksbringer. Die Bauern früher glaubten diese Steine, über einem Hühnerstall aufgehängt, könnten die Hühner beschützen. Und ich war mir sicher, sie würden mir Glück bringen, deshalb konnte ich gar nicht genug davon sammeln.
Als ich an der Buhne ankam, auf der das Mädchen immer saß, machte ich halt, packte mein Strandlaken aus meinem Rucksack und legte es direkt neben der Buhne in den Sand, um sie auf keinen Fall zu verpassen. Ich zog T-Shirt und Hose aus und setzte mich im Bikini auf das Laken, rieb mich mit Sonnenöl ein und machte es mir mit einem Roman gemütlich.
Was für ein schönes Gefühl, einfach Zeit zu haben.
Das Handy platzierte ich so neben mich, dass ich es sofort greifen konnte, sobald sie auftauchen würde.
Nach einer gefühlten Stunde merkte ich, dass es plötzlich kälter wurde. Ich blinzelte mit vorgehaltener Hand zur Sonne hinauf, aber die strahlte unermüdlich von oben herunter. Als ich mich aufsetzte, sah ich sie auf der Buhne sitzen, mit dem Blick auf das Meer hinaus. Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich hinter sich bemerkte. Fröstelnd zog ich mein T-Shirt an, nahm das Handy und wartete, bis sie sich umdrehen würde. Und das tat sie auch, ganz unvermittelt um und dann geschah etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte.
Sie sagte: »Bitte hilf mir!«
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich registrierte, was sie meinte.
»Wobei?«, fragte ich.
Sie drehte sich wieder Richtung Meer und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, aufzustehen und mich zu ihr zu setzen, doch schon war sie weg und mit ihr die Kälte.
Ich war so verwirrt, dass ich nicht wusste, was ich denken sollte. Schnell packte ich meinen Rucksack und radelte zurück nach Hause.
Was passiert da mit mir?
Meine Eltern wunderten sich, dass ich wieder zurückkam, nachdem wir doch ausgemacht hatten, uns am Nachmittag am Strand zu treffen. Ich konnte im Moment nicht mit ihnen darüber reden, denn ich hatte das Gefühl, sie würden mich nicht verstehen. Ich log ihnen Bauchschmerzen vor und schickte sie alleine zum Strand. Sie fanden es sehr schade, konnten aber verstehen dass man mit Schmerzen keine Lust auf Baden hatte.
Als sie weg waren, legte ich mich auf mein Bett und versuchte mich nochmal genau an die Situation von vorhin zu erinnern. »Hilf mir!«, hatte sie gesagt und es klang sehr eindringlich.
Wobei könnte ich ihr helfen, lies ich mir durch den Kopf gehen, ich kenne dieses Mädchen doch gar nicht und sie mich genauso wenig.
Und sie hatte wieder das gleiche Kleid an, irgendetwas stimmte da nicht, da war ich mir sicher. Ich fühlte mich plötzlich doch nicht mehr so gut alleine, hatte das Gefühl mit jemandem reden zu müssen. So beschloss ich Sören anzurufen. Ein wenig Schiss hatte ich schon davor, mich einfach bei ihm zu melden, aber ich war mir sicher, dass er genau der Richtige wäre, um über diese seltsame Begegnung zu reden. Ich ging hinunter zur Garderobe und suchte in den Taschen meiner Jacke nach dem Zettel mit der Telefonnummer, den mir Sören nach unserem letzten Zusammentreffen gab. Nach einigen benutzten Taschentüchern und meiner Lippenpomade kam er dann auch zum Vorschein. Ich nahm das Telefon aus der Ladestation im Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und wählte seine Nummer.
Es dauerte eine Weile bis eine Frauenstimme sagte:
»Anderson, hallo?«
»Hallo Frau Anderson, hier ist Sophie, ist Sören zu sprechen?«, sagte ich und mein Herz raste dabei, was mir sehr albern vorkam, aber ich konnte es nicht kontrollieren.
»Hallo Sophie, ja einen kleinen Moment bitte, ich gehe ihn holen«, antwortete sie.
Ich hörte wie sie mit dem Telefon in der Hand durch einen Raum ging, dann eine Treppe hinauf und sie rief
»Sören, da ist eine Sophie für dich am Telefon!«
Eine Tür ging auf und dann erkannte ich Sörens Stimme, die antwortete: »ok, ich komme!«
»Hallo Sophie«, sagte er. »Wie geht es dir?«
Mir wurde warm, als ich seine Stimme hörte und ich hatte das Gefühl ein Lächeln in seinem Gesicht sehen zu können.
»Hättest du vielleicht Zeit? Ich muss dir unbedingt etwas erzählen, aber nicht hier am Telefon«, sagte ich.
Eine kurze Pause.
»Ok, lass uns zum Strand fahren, ich hole dich ab«, antwortete er.
»Super, bis gleich!« erwiderte ich.
Jetzt war ich erleichtert, weil er kommen würde, und aufgeregt zugleich.
Wie wird er auf die Geschichte von dem Mädchen reagieren?
Ich knipste den Fernseher an, um mich ein wenig abzulenken und wartete mit gemischten Gefühlen. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Ich ließ Sören herein und bat ihn, erst einmal mit in mein Zimmer zu kommen, bevor wir an den Strand fahren würden, denn ich wollte mit ihm alleine reden und am Strand waren meine Eltern. Damit machte ich ihn neugierig. Er hob die Augenbrauen und ein verschmitztes Lächeln umspielte sein Gesicht. Ich bot ihm an, sich auf meinen Schreibtischstuhl bequem zu machen und ich setzte mich auf das Bett. Ich wusste gar nicht, wie ich anfangen sollte und bereute schon fast, ihn zu mir herbestellt zu haben. Doch dann fing Sören an zu reden.
»Sag doch einfach, was du auf dem Herzen hast, so schlimm kann das doch nicht sein, oder?«
Offensichtlich spürte er meine Unsicherheit ganz deutlich und ich entspannte mich langsam. Ich fing an ihm von dem Mädchen zu erzählen, von der ersten Begegnung, von der zweiten und dritten und von meinem missglückten Versuch, ein Foto von ihr zu machen. Sören sah mich an ohne etwas zu sagen.
Oh Gott, er wird mich gleich auslachen, dachte ich und sah nach unten auf meine Finger, die ich gedankenverloren knetete. Nach einer Weile, in der nichts dergleichen passiert war, wagte ich es wieder aufzusehen und bemerkte, wie Sören, mit einer tiefen Falte zwischen seinen Augen, vor sich hin starrte. Ich beobachtete ihn und plötzlich drehte er sein Gesicht und sah mir direkt in die Augen.
Jetzt kommt‘s, dachte ich.
»Kann ich das Foto mal sehn?«, fragte er.
Ich war so überrascht darüber, dass das alles war, was er dazu sagte, dass ich erst einmal gar nicht reagierte.
»Kann ich?«, wiederholte er und stupste dabei meinen Arm an.
»Eh…, klar kannst du, Moment, ich hole es schnell«, antwortete ich.
Ich ging zu meinem Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade, holte das Bild heraus und gab es ihm. Sören nahm das Foto und sah es sich an. Er betrachtete es lange, mit der gleichen Falte zwischen den Augen, wie schon vorhin. Er hielt es sich näher ans Gesicht, drehte und wendete es in alle Richtungen und als ich schon dachte, er würde gar nichts mehr sagen, bemerkte er plötzlich:
»Du Sophie, ich denke das ist ein Geist«.
»Spinnst du?!«, entfuhr es mir, um gleich darauf los zu prusten. Ich lachte, bis mir Tränen in die Augen stiegen.
Doch dann sah ich sein Gesicht und mir wurde klar, dass er es ernst meinte und ich fühlte mich unwohl.
»Wie, um alles in der Welt, kommst du auf einen Geist?«
»Ja weißt du, meiner Meinung nach, kann es sich nur um einen handeln. Erstens, dieser helle Fleck auf dem Bild. Ich habe schon oft davon gehört, dass Geister dieses Licht über sich haben, wenn sie auf einem Foto erscheinen. Zweitens, hast du schon mal ein Mädchen gesehen, das immer das gleiche Kleid trägt?
Von jemandem, der immer an der gleichen Stelle sitzt und von einer Sekunde auf die andere verschwindet?«, erklärte er, als wäre es das natürlichste auf der Welt, einem Geist zu begegnen.
»Willst du damit sagen, dass ein Geist mich darum gebeten hat, ihm zu helfen?«, fragte ich.
»Ja, scheint so«, sagte er und ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, »das ist ja so was von cool.«
»Cool?«, fragte ich, »wohl eher unheimlich, wenn du mich fragst.«
Ich spürte wie eine Gänsehaut meine Arme und meinen Rücken hochkroch. Geister und Geistergeschichten hatten mich schon immer interessiert. Nicht nur einmal hatte ich mir gewünscht, eines Tages selbst einem zu begegnen, aber jetzt, da es Wirklichkeit wurde, war mir doch ein wenig gruselig zu Mute. Sören holte mich aus meinen Gedanken.
»Komm schon Sophie, dieser Geist ist mit Sicherheit kein böser, denn er hat dich um Hilfe gebeten und du selbst hast gesagt, das Mädchen würde sehr traurig wirken. Wäre es nicht toll, wenn wir ihr wirklich helfen könnten?«
Er lächelte und ich konnte bei diesem Anblick nicht anders, als selbst zu lachen.
Ja, Sören hat Recht. Ein Geist bittet mich um Hilfe, also werde ich ihm helfen und mit Sörens Hilfe werde ich das auch schaffen, dachte ich mir und dieses Gefühl machte mich glücklich.
Aber damit fingen die Probleme erst an, wie hilft man einem Geist?
Sören und ich saßen uns eine Weile gegenüber, sahen uns an und in unseren Köpfen brodelte es nur so von Fragen. Sören fing sich als erster wieder und meinte, wir müssten uns eine Strategie überlegen, wie wir etwas über dieses Mädchen herausfinden und auf welche Weise wir ihr helfen könnten. Zuerst nahm ich ein Blatt Papier und einen Kugelscheiber und wir überlegten uns folgende Fragen:
Wer war sie? War sie von hier? Ist sie in dem Alter, in dem sie auch gestorben ist? Woran ist sie gestorben? Wenn sie von hier ist, hat sie noch Verwandte? Wann hat sie gelebt? Warum sitzt sie immer auf der Buhne und guckt aufs Meer hinaus? Wobei braucht sie Hilfe? Was können wir für sie tun?
Das war eine ganze Menge an Fragen, die wir klären mussten und wir wussten nicht einmal, wo wir anfangen sollten. Sören schlug vor, zuerst einmal in seinem Bekanntenkreis zu fragen, ob sie von einem Mädchen wüssten, das hier in der Gegend gestorben war und wann. Das hielten wir beide für eine sehr gute Idee, immerhin bestand die Möglichkeit, dass der Tod von ihr noch gar nicht so lange her war. Wir beschlossen, den restlichen Nachmittag mit meinen Eltern am Strand zu verbringen und diese ganze Sache erst einmal sacken zu lassen und vielleicht, wenn wir Glück hatten, würden wir sie sehen, auf ihrer Buhne am Meer.
Ich packte Handtuch und Badezeug ein und wir fuhren mit den Fahrrädern zum Strand. Meine Eltern waren verwundert uns beide dort zu sehen, aber sie freuten sich darüber. Das mit dem erst einmal sacken lassen funktionierte leider ganz und gar nicht. Nachdem wir uns ausgezogen, eingecremt und auf die Handtücher zum Sonnen gelegt hatten, schwirrten die Gedanken nur so durch den Kopf, dass mir schwindelig davon wurde. Ich drehte mein Gesicht zu Sören und konnte sehen, dass auch er alles andere als ruhig war. Die Falte zwischen seinen Augen wurde noch deutlicher und seine Lippen bewegten sich hin und her, als würde er auf etwas kauen. Ich sah zu meinen völlig entspannten Eltern rüber, die aneinander gekuschelt auf ihrer Decke lagen und in ihre Bücher vertieft waren.
Was würden sie dazu sagen, würden sie Sören und mich für Spinner halten, oder hielten sie die Geisttheorie auch für möglich?
Ich beschloss, sie noch nicht einzuweihen, sondern wollte erst einmal mit Sören versuchen, etwas heraus zu finden. Plötzlich stupste Sören mich am Arm an und flüsterte:
»Das Mädchen kann gar nicht erst vor kurzem gestorben sein, denk mal an ihr Kleid. Ich habe darüber nachgedacht und ich denke, sie kommt aus einer weit früheren Zeit.«
»Hm, das stimmt«, erwiderte ich. »Diese Art von Kleidung scheint wirklich sehr alt zu sein.«
Und mit einem Mal kam mir ein Gedanke.
»Wir könnten auf den Prerower Friedhof gehen, vielleicht liegt da ja ein junges Mädchen begraben.«
»Super Idee«, meinte Sören und wir verabredeten uns für den nächsten Tag.
Als ich am Abend im Bett lag, dachte ich über diesen Tag nach und mich beschlichen Zweifel, ob Sören das mit dem Geist wirklich ernst gemeint hatte.
Wollte er mich vielleicht nur aufziehen oder testen, wie weit ich ihm glauben würde? Aber wenn dieses Mädchen wirklich ein Geist ist, warum bittet sie gerade mich um Hilfe? Und Sören, warum hilft er mir sofort, eigentlich sind wir uns doch noch sehr fremd, auch wenn sich das nicht wirklich so anfühlt.
Ganz im Gegenteil, seine Gegenwart war mir so vertraut, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Und dieses warme Gefühl, das durch meinen Körper strömte, wenn ich an ihn dachte, all das war mir im Moment unbegreiflich. Noch vor wenigen Tagen fühlte ich mich einsam und jetzt hatte ich die Aufgabe einem toten Mädchen zu helfen und das mit Hilfe des süßesten Jungen auf der Welt.
Vielleicht träume ich das alles nur?
Über diesem Gedanken schlief ich ein.