Читать книгу Cecilias Geheimnis - Bettina Priewe - Страница 8
Der Friedhof
ОглавлениеIch lief durch einen Wald und hatte furchtbare Angst, Schweißperlen liefen über mein Gesicht und am Rückgrat entlang. Es war sehr warm und ich hatte Probleme zu Atem zu kommen, mein Herz hämmerte gegen die Brust und jeder Atemzug stach in der Lunge. Ich drehte mich um und sah ihn näher kommen. Er war schnell und schien eine wesentlich bessere Kondition zu haben, denn ihm schien das Laufen nichts auszumachen. Ich wurde panisch, er war schon so nah, dass ich ihn fast spüren konnte. Meine Hilfeschreie verloren sich im Rauschen des Meeres. Ich war bereits bei den Dünen angekommen und konnte das Meer immer lauter hören, bald würde ich es geschafft haben und bei ihm in Sicherheit sein, aber dann spürte ich plötzlich eine Hand an meiner Schulter, die mich zu Boden riss. Ich lag mit dem Gesicht im Sand, der mir in Mund und Nase eindrang…
Ich schreckte hoch, atmete viel zu schnell und hörte mein Herz hämmern. Der Schlafanzug klebte schweißnass an meinem zitternden Körper und ich versuchte mich zu beruhigen, dennoch blieb ein Gefühl der Panik zurück.
Schon wieder derselbe Traum, dachte ich, wer verfolgt mich da und warum?
Ich hatte Angst, dass dieser Traum eine Vorsehung sein konnte, beruhigte mich jedoch mit dem Gedanken, dass ich nie alleine im Wald unterwegs war, jedenfalls nicht weit, nur das kleine Stück zum Strand.
Könnte das schon gefährlich sein?
Verunsichert stand ich auf und ging ins Bad, um mich frisch zu machen. Als ich zurück in mein Zimmer kam, sah ich auf der kleinen Digitaluhr auf meinem Nachtkästchen, dass es früh am Morgen war, schlüpfte zurück unter meine Bettdecke und dachte über diesen Traum nach. Ich konnte mich ganz deutlich an das Gefühl der Angst erinnern, aber auch an ein anderes. Ich lief nicht einfach nur weg, sondern hatte ein Ziel. Ich wollte jemand bestimmtes erreichen, aber ich wusste nicht wen. Langsam merkte ich, wie meine Augenlider schwer wurden, legte mich auf die Seite und zog die Knie bis zum Kinn, weil ich mich so sicherer fühlte. Mit meinen Gedanken bei dem Mädchen, flüsterte ich im Halbschlaf: »Wer bist du? Was willst du von mir!«
Am nächsten Tag rief mich Sören schon sehr früh an, um mir zu erzählen, dass seine Großmutter sich an eine Tragödie um ein junges Mädchen erinnern könne, aber nichts Genaues darüber wisse, weil es schon vor so langer Zeit gewesen wäre. Ich war begeistert davon, überhaupt einen kleinen Lichtblick zu haben und fühlte mich darin bestätigt, dem Friedhof einen Besuch abzustatten. Wir verabredeten uns für eine halbe Stunde später und mir blieb noch Zeit zu frühstücken und mich anzuziehen.
Meine Eltern hatten heute vor, einen Tagesausflug nach Lübeck zu machen und da ich nicht mit wollte, blieb mir eine Menge Zeit, um sie mit Sören und unseren Ermittlungen zu verbringen. Meine Eltern verabschiedeten sich von mir und wir wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag. Insgeheim hoffte ich, dass meiner hauptsächlich erfolgreich werden würde. Nachdem Sören bei mir geklingelt hatte, fuhren wir mit den Fahrrädern Richtung Friedhof. Auf dem Weg dorthin, kamen wir an einigen alten Seemannshäusern, die noch nicht von der modernen Zeit eingeholt worden waren, vorbei. Weiße oder rote Holzhäuser mit braunen Reetdächern und bunt angestrichenen Türen.
Richtig schön, dachte ich, so alte Häuser einer vergangenen Zeit sehen zu können. Wie die Menschen dort wohl gelebt haben?
Die Ankunft am Friedhofstor riss mich aus meinen Gedanken. In der Mitte des Friedhofs stand eine Seemannskirche. Ein wunderschönes altes Bauwerk aus roten Ziegeln mit einem richtig alten Turm an der Seite, der aussah, als wäre er noch im ursprünglichen Zustand, während die Kirche selbst renoviert war. Wir gingen kurz hinein, denn das Gotteshaus gefiel Sören sehr und er wollte es mir zeigen. Ich selbst bin ungetauft und ging nie zur Kirche, aber ich war begeistert, von dem, was ich sah. Das Hauptschiff war in Weiß gehalten, weiße Bänke, weiße Empore, weiße Orgel und als Kontrast war das Holz an manchen Stellen mit blauen Rändern versehen. Der Altar hatte dunkle Töne und sah sehr prunkvoll aus. Es war schon lange her, dass ich eine Kirche von innen gesehen hatte, aber ich wusste, dass diese hier irgendwie anders war. Sie gefiel mir auf Anhieb und ich versuchte mir vorzustellen, wie die Bänke voll waren mit alten Seebären, die Gebete in ihre Bärte nuschelten. Ich musste schmunzeln bei der Vorstellung und auch Sören brachte ich damit zum Lachen, als ich ihm davon erzählte. Die Kühle in diesem Raum tat gut, denn die Temperatur draußen war schon am Morgen sehr hoch.
Nachdem wir alles besichtigt hatten, gingen wir raus, um uns die Gräber anzusehen. Wir gingen die Grabreihen systematisch durch, um keines der Gräber zu übersehen und hofften dabei einen Hinweis auf das Mädchen zu finden. Es war ein sehr schöner Friedhof, jedes Grab sah anders aus, jeder Grabstein hatte eine andere Form. Wir sahen uns jeden genau an und achteten auf Geburts- und Todesdaten. Die meisten Menschen, die dort lagen, waren sehr alt geworden, einige nicht ganz so alt und die Daten gingen wirklich weit zurück, die Geburtstage oft bis zum Ende des 19.Jahrhunderts, aber ein junges Mädchen war nirgends zu sehen.
Mir war sehr heiß und mein Nacken brannte, denn meine sehr kurzen Haare gaben ihn vollkommen der Sonne preis. Ich fühlte, dass ich bereits einen Sonnenbrand bekam und Durst hatte ich auch. Sören erging es nicht besser, er hatte Schweißperlen auf der Stirn und über seiner Oberlippe.
Wir wollten schon aufgeben und uns im Laden etwas zu trinken besorgen, als Sören plötzlich etwas entdeckte.
»Schau mal, da hinten sind ganz alte Grabsteine, abseits von den Grabreihen!«
Ich konnte sehen, was er meinte. Ganz weit hinten und hinter dichtem Gestrüpp konnte man ältere Grabsteine stehen sehen.
Wir gingen zu der Stelle und waren ganz aufgeregt, denn diese Steine waren wirklich alt, die Inschriften waren kaum noch oder nur schwer zu entziffern, die Steine selbst waren stumpf und bröckelten und die Formen waren ganz anders als bei den neueren. Sie waren sehr schmal und hoch und wurden nach oben hin breiter. Fieberhaft gingen wir von einem zum anderen und sahen Geburtsdaten, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reichten und dann fiel uns auf einmal etwas ins Auge.
In ganz ausgebleichten Buchstaben konnten wir den Namen Cecilia Purkhun erkennen. Geboren am 2. Juni 1835 – gestorben am 15. September 1850.
»Sören!«, rief ich und konnte kaum glauben, was ich sah.
»Sören guck doch mal!«
Er war offensichtlich genauso überrascht und aufgeregt wie ich.
»Das könnte sie sein, Sophie, sie ist nur 15 Jahre alt geworden.«
»Oh mein Gott, wie furchtbar!« entfuhr es mir, denn ich fühlte mich ganz plötzlich unheimlich traurig.
Obwohl ich das Mädchen nicht kannte, war die Tatsache, dass sie so früh sterben musste, unerträglich für mich. Sören nahm meine Hand, als er merkte, wie ich auf dieses Grab reagierte. Ich war mir mit einem Mal absolut sicher, dass dieses Mädchen der Geist war, der mich um Hilfe bat, ich wusste nicht warum, aber ich war mir sicher.
»Sie ist es Sören«, flüsterte ich.
»Warum bist du dir so sicher?«, fragte er.
»Mein Gefühl sagt es«, antwortete ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er ließ mich gewähren und so standen wir eine Weile da und sahen auf Cecilias Grab hinunter mit schlimmen Gedanken, was ihr wohl zugestoßen sein konnte.
Warum war ich plötzlich so traurig?
Sören schlug vor, etwas trinken zu gehen und ein bisschen Abstand von dem Grab zu nehmen, das mich offensichtlich sehr mitnahm. Ich nickte nur und ließ mich von ihm aus dem Friedhof lenken. Wir fuhren zurück ins Dorf und setzten uns in ein Café, bestellten uns beide eine große Ananasschorle und Sören fragte mich, ob es mir wieder besser ginge.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie es mir geht. Ich bin so traurig und weiß gar nicht warum«
»Hm«, sagte Sören, »vielleicht ist das einfach zu viel für dich gewesen. Erst der Schreck über den Geist und dann noch das passende Grab. Das hat schon ein bisschen was Gruseliges an sich und traurig ist es auch. Schließlich ist diese Cecilia ja schon mit knapp 15 Jahren gestorben.«
»Ja, das ist es allerdings. Woran sie wohl gestorben ist?«
Die Bedienung brachte unsere Getränke und wir beendeten unser Gespräch, tranken und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Nach einer Weile sagte ich:
»Jetzt wissen wir zwar, oder viel mehr glauben wir zu wissen, dass das Mädchen am Strand diese Cecilia ist, aber was nun? Wie bekommen wir mehr über sie heraus? Das ist ja alles schon so lange her, wen soll man denn da noch danach fragen?«
»Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt«, sagte Sören, »und ich hab da auch schon eine Idee. Wir könnten zuerst einmal im Telefonbuch nach dem Namen Purkhun in Prerow suchen, wenn wir Glück haben, gibt es vielleicht noch männliche Verwandte. Bei den weiblichen ist es wieder schwieriger, denn Frauen nehmen ja meist den Namen ihres Mannes an, wenn sie heiraten.«
»Zumindest war das früher so«, antwortete ich und grinste ihn an.
»Jaja«, sagte Sören, »ihr Mädels lasst euch heute nichts mehr vorschreiben, nicht mal den Namen.«
Er zog seine linke Augenbraue hoch und lächelte mich schief an.
»Aber wenn wir nun den Namen Purkhun finden sollten, was machen wir dann damit?«, fragte ich.
»Hm, lass uns erst mal nachsehen und den nächsten Schritt überlegen wir uns dann«, sagte Sören und machte die Kellnerin darauf aufmerksam, dass wir zahlen wollen.
Nachdem Sören bezahlt hatte, machten wir uns auf den Weg zu mir nach Hause. Dort angekommen gingen wir schnurstracks hinauf in mein Zimmer und ich schaltete sofort meinen Computer an. Bis er hochgefahren war, holte ich uns aus der Küche unten eine Limonade und eine Tüte Chips, denn ich bekam immer Hunger, wenn ich aufgeregt war. Sören freute sich auch darüber, etwas essen zu können, während wir suchten. Schnell klickte ich das Telefonbuch an und gab in der Suchspalte den Namen Purkhun und den Ort Prerow ein. Ich spürte ein nervöses Ziehen in meiner Magengegend und da war er plötzlich.
Ich sprang von meinem Stuhl und schrie auf:
»Da ist er, der Name Purkhun, Purkhun Jörgen!«
Ich freute mich wie verrückt.
»Lass uns nachsehen, wo er wohnt!«, sagte Sören und zog mich zurück auf meinen Stuhl.
»Lange Straße 6, das ist ja ganz nah bei unserem Haus, wir sind quasi Nachbarn«
Wir sahen uns in die Augen und hatten beide das Gefühl, etwas ganz wichtiges herausgefunden zu haben.
Aber was nun? Wir wissen jetzt, dass es einen Jörgen Purkhun in Prerow gibt, aber was sollen wir damit anfangen?
Wir setzten uns auf mein Bett, lehnten uns mit dem Rücken an die Wand und aßen Chips. Ein wenig Ernüchterung trat ein.
Was ist, wenn dieser Mann überhaupt nichts mit diesem toten Mädchen zu tun hat?
Ich beobachtete Sören, der die Beine zu sich hingezogen hatte und mit seiner ausgeprägten Stirnfalte zwischen den Augen nachdachte. Er sah so süß aus, wenn er in sich gekehrt war. Als ich ihn betrachtete, hatte ich das Gefühl, ihn schon ein ganzes Leben lang zu kennen. Seine Gegenwart war mir mittlerweile vertrauter als mein vorheriges Leben in Bayern.
Wie kann das sein, nach so kurzer Zeit?
Plötzlich schaute er mich an und sagte:
»Weißt du was? Wir gehen da einfach hin und klingeln. Was soll schon passieren?«
Ein bisschen seltsam kam es mir schon vor, einfach so bei einem Fremden zu klingeln und zu sagen, ja was eigentlich?
»Und was sagen wir dann?«, fragte ich Sören. »Wir können schlecht wortwörtlich mit einem Geist ins Haus fallen, oder?«
»Nein das nicht«, sagte er und grinste breit, »aber ich hab da schon eine Idee. Wir werden diesem Herrn erzählen, dass wir für die Schule an einem Projekt arbeiten, bei dem wir über alte Familien in Prerow recherchieren. Wie findest du das?«
Er lächelte und sah mich erwartungsvoll an. Bei diesem Blick hätte ich niemals etwas anderes sagen können, als dass ich diese Idee super fand und ich dachte mir, dass das auch glaubwürdig klingen könnte. Ich hörte wie die Haustüre unten aufgesperrt wurde, denn meine Eltern kamen nach Hause.
Unglaublich wie schnell die Zeit vergeht in Gesellschaft von Sören.
»Wir sind hier oben«, rief ich zu meinen Eltern hinunter.
»Ich mache gleich Abendessen, möchte Sören vielleicht mitessen?«, rief meine Mutter nach oben.
Ich sah Sören an und ich bemerkte, dass er peinlich berührt war.
Wie schnell ist das eigentlich gegangen, dass wir uns so vertraut sind, so vertraut, dass er in den Augen meiner Mutter schon zur Familie gehört?
Er nickte und sagte, dass er danach aber nach Hause müsse. Ich lächelte ihn an und wir machten uns auf den Weg nach unten.