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Der Traum
ОглавлениеIch stand auf einem großen Feld, umringt von grünen, saftig blühenden Bäumen und einem Duft, wie ich ihn zuvor noch nie gerochen hatte. Er erinnerte mich an frisch gepflückte Lilien gemischt mit geräuchertem Holz und einem Wildbach nach einem starken Regenguss.
Ich sah rings um mich herum nichts als die Natur, die diesen überwältigenden Geruch freigab. Ich sah mich um und versuchte einen Weg oder einen Pfad zu erspähen. Ich wusste nicht, was ich auf diesem Feld verloren hatte. Weder stand ein Auto, ein Fahrrad, oder gar ein Pferd neben mir, noch schien ich mit irgendeiner Art von Proviant ausgerüstet zu sein um einen längeren Fußmarsch zurücklegen zu können.
Ohne mir genau darüber im Klaren zu sein wo mein Weg mich hinführen würde, ging ich los und versuchte mit schnellen und hastigen Schritten das Feld zu überqueren um zum Waldstück auf der anderen Seite zu gelangen.
Der Himmel war strahlend blau und die Sonne schien mit ihrer vollen Stärke. Doch die Hitze war nicht so unerträglich wie ich es mir bei so einem Wetter vorstellen würde. Auf dem Feld wehte ein kühler Wind und ich merkte wie sich bei jedem Windstoß die Härchen an meinen Armen und Beinen aufstellten.
Bei jedem Schritt sog ich die wohltuende Luft zwischen meinen Zähnen ein und ließ den saftigen und frisch riechenden Duft auf mich wirken. Als ich immer näher an den Waldrand kam, der von Birken, Eichen und Erlen gesäumt war, sah ich eine Gestalt, die sich aus dem Wald auf mich zubewegte.
Ich erkannte die Umrisse der Gestalt und konnte einen Jungen ausmachen, der ebenso erstaunt wie ich durch den Wald auf die Lichtung zuschritt. Bei jedem Meter, den wir uns näher kamen, schlug mein Herz schneller. Ich verstand nicht warum mich diese Person so in Aufregung versetzte. Ich hatte keine Angst vor ihm, aus irgendeinem unerfindlichen Grund empfand ich große Freude und so etwas wie Zuneigung. Ohne mein Zutun beschleunigten meine Beine das Tempo und ich sah mich selbst den Rest des Weges bis zum Waldrand laufend zurücklegen. Auch mein Gegenüber beschleunigte seine Schritte. Bei jedem Meter weniger der uns trennte konnte ich den Jungen besser erkennen.
Er war wunderschön. Seine Haare waren von einem satten und tiefen Braun. Sie hingen ihm schwer ins Gesicht und über die Schultern. Seine Bewegungen waren elegant und stark. Die letzten Schritte, die uns noch voneinander trennten legten wir in Zeitlupentempo zurück.
Sein Gesicht war mir vertraut. Ich hatte das Gefühl es schon so oft gesehen zu haben, dass ich jeden Gesichtszug und jeden Makel auswendig kannte. Seine Augen strahlten in einem tiefen Blau, seine Wimpern waren lang und dicht. Die Wangenknochen stachen hervor und vermittelten einen starken und sehr männlichen Eindruck. Gleichzeitig hatte sein Gesicht etwas Jugendliches und Sanftmütiges, wie ich es zuvor noch bei keinem anderen gesehen hatte.
Wie von einer unsichtbaren Hand geleitet bewegte ich mich weiter auf ihn zu, langsam mit kurzen Schritten. Ich konnte mich nicht von seinen Augen und vollen Lippen lösen. Unsere Blicke hingen aneinander als würde es rings um uns herum nichts geben. Als wäre alles, was wir jemals wieder betrachten wollten die Person, die gerade auf uns zuging.
Er streckte die Hand nach mir aus. Ein sanftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ohne mein Zutun hob auch ich meine Hand und streckte sie ihm entgegen in der Hoffnung, dass unsere Hände sich treffen und ich seine Berührung auf meiner Haut spüren würde.
Mein Herzschlag wurde immer schneller und mein Mund wurde trocken. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Ich schluckte ein paar Mal nervös und spürte wie meine Hände feucht wurden vor Aufregung. Alles was ich dachte war, dass ich seine Hand halten und seine Lippen mit meinen berühren wollte.
Mein ganzer Körper fühlte sich zu diesem Jungen, der gerade auf mich zuging und mich mit seinen tiefen blauen Augen ansah, hingezogen. Jede Faser meines Körpers wollte nichts anderes als von ihm berührt zu werden. Mein Herz hüpfte wie verrückt in meinem Brustkorb. Alles was ich mir wünschte, war bei ihm zu sein. Egal wo, egal wie, einfach nur bei ihm sein, mit ihm gemeinsam zu sein. Mein Körper und mein Herz verlangten danach.
Unsere Hände würden sich gleich treffen, gleich würde ich seine Haut auf meiner fühlen und ihm so nah sein, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Es waren nur noch wenige Schritte zwischen uns, ein paar kleine Schritte, die uns voneinander trennten. Ich merkte wie mein ganzer Körper sich verspannte in der Erwartung endlich bei ihm zu sein, in seinen Armen zu liegen und seine Lippen auf meinen zu spüren. Nur noch ein paar Schritte, dann war es soweit. Wir würden zusammen sein.
„GUTEN MORGEN TEMECULA! Es ist 7:00 Uhr und Zeit für euch Schlafmützen aus den Federn zu kommen.“
Eine schrille und durchdringende Stimme riss mich unsanft aus meinem wundervollen Traum.
„Heute erwartet uns ein herrlicher Apriltag. Freut euch auf einen angenehmen Frühling und versucht die ersten Sonnenstrahlen des Jahres zu genießen.“
Wie ich diesen Wecker hasste. Immer zu den ungünstigsten Zeitpunkten musste er läuten. Ich suchte nach dem Abschaltknopf, hatte jedoch vergessen, dass bei diesem Wecker die Aus-Taste auf der Unterseite, und nicht wie bei meinem alten Wecker auf der Oberseite, angebracht war. Verzweifelt schlug ich mit der flachen Hand auf den lärmenden Gegenstand in der Hoffnung, dass er vielleicht doch ausgehen würde wenn ich es mir nur fest wünschte. Doch nichts. Scheinbar war es mir nicht vergönnt mich wieder in meine Traumwelt zurück zu ziehen.
Ich wischte mir den Schlaf aus den Augen und ging ins Bad um mich für die Schule fertig zu machen. Zähne putzen, Haare kämmen, ein bisschen Make-Up auflegen, und schon war ich fertig für einen neuen Tag in der Lernanstalt. Während meiner Morgenprozedur dachte ich über den Traum nach, der sich wie eine reale Erinnerung in mein Gedächtnis gebrannt hatte.
Ich konnte mich noch genau an das Gesicht des Jungen erinnern, an die Umgebung und deren Geruch. Fast so als würde ich noch mitten auf der Lichtung stehen und auf ihn zugehen. Wer war dieser Junge nur? Ich kannte niemanden, der ihm auch nur ähnlich sah.
„Bonnie, beeil dich. Frühstück ist fertig. Und Philip wird gleich da sein.“, hörte ich meine Mutter aus dem Untergeschoss zu mir herauf rufen.
Meine Mutter war leidenschaftliche Frühaufsteherin. Es gab keinen Tag, nicht mal am Wochenende, wo sie nicht um spätestens 5 aus dem Bett stolperte. Es machte ihr nichts aus so früh aufzustehen, im Gegenteil. Für sie war das die einzige Zeit des Tages wo sie sich voll und ganz um sich selbst kümmern konnte. Dad und ich lagen noch in den Federn und sie konnte sich in Ruhe für den bevorstehenden Tag fertig machen. Und dieses Morgenprozedere nahm doch einiges an Zeit in Anspruch.
Ich möchte nicht behaupten, dass meine Mutter übermäßig eitel war, jedoch konnte sie auch nicht abstreiten, dass ihr ihr äußeres Erscheinungsbild sehr wichtig zu sein schien. Es hatte sie immer schon gestört, dass ich nicht so auf mein Aussehen fixiert war wie sie. Immer wieder versuchte sie mich zu einem ausgiebigen Wellnesswochenende mit ihr zu überreden. Gesichtspeelings, Massagen, Schlammpackungen und was ihr noch so alles einfiel. Doch ich hatte nie besonders große Lust darauf und verbrachte meine Zeit lieber mit einem Basketballspiel oder einem Ausflug mit meinen Freunden.
Je älter ich wurde desto mehr Ruhe gönnte sie mir von ihren Verschönungskuren. Irgendwann meinte sie resignierend, dass ich ja doch nicht zustimmen würde, abgesehen davon hätte ich es nicht nötig da ich eine natürliche Schönheit war. Tja, sagen das nicht alle Mütter über ihre Töchter? Ich hielt mich eher für durchschnittlich.
„Jetzt mach schon, oder willst du Philip wieder unnötig lange warten lassen?“
„Ja Ma, ich komm ja schon. Pack mir das Frühstück bitte ein. Sonst komme ich zu spät zur Schule.“
Ich packte noch schnell meinen Rucksack für den heutigen Tag und hastete die Treppe hinunter. Meine Mutter stand bereits bei der Tür mit einer braunen Papiertüte in der Hand. Ich nahm ihr die Tüte ab, gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange und war auch schon aus der Tür.
Philip parkte in der Auffahrt um die Straße nicht zu blockieren. Er war schon daran gewöhnt, dass ich zu spät kam. Ich beeilte mich und sprang auf den Beifahrersitz. Ich setzte mein breitestes Lächeln auf und gab ihm einen Begrüßungskuss.
„Na, mal wieder zu lang geduscht?“
Sein Unterton war hörbar amüsiert.
„Irgendwie bin ich heute Morgen nicht aus den Federn gekommen. Fast so als hätte mich jemand mit Superkleber an die Matratze geklebt.“
„Ja du hast schon ein schweres Schicksal zu tragen.“
Ich war daran gewöhnt von ihm veräppelt zu werden. Es erschien mir fast wie eine Art Morgenritual, dass wir vor einem Jahr, als Philip mich das erste Mal mit dem Auto abholte, begonnen hatten.
Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Einfahrt.
„Phil, vergiss nicht bei Jenny vorbei zu fahren.“
Ein leicht verwirrter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Fährt sie denn nicht mit Jason?“
Ich zog den rechten Mundwinkel hinauf und sah ihn fragend an.
„Hast du das wirklich erwartet? Hast du denn nicht mitgezählt, es sind schon wieder vier Monate um.“
Er riss die Augen überrascht auf.
„Achja, das hatte ich ja ganz vergessen. Tja, scheinbar hoffe ich noch immer darauf, dass sie sich irgendwann mal ändert.“
„Du Träumer.“, sagte ich zu ihm und boxte ihm leicht auf die Schulter.
Es dauerte gerade mal fünf Minuten bis wir bei Jennys Haus ankamen. Sie wartete schon ungeduldig in der Einfahrt und schaute nervös auf ihre Uhr.
„Als ob ich es nicht erwartet hätte.“ murmelte sie, als sie ins Auto einstieg.
„Wenn du es eh schon weißt, warum regst du dich dann noch auf? Du hättest ja auch mit Jason mitfahren können.“
Ich lachte hämisch.
„Fang mir ja nicht mit dem an!“ Ihre Stimme klang zornig und enttäuscht zugleich.
„Der soll bloß bleiben wo der Pfeffer wächst!“
„Was ist denn passiert? Letzte Woche war doch noch alles okay zwischen euch?“
Ich fragte mich warum Philip überhaupt so eine Frage stellte, wenn er die Antwort ohnehin schon kannte. Es war immer dasselbe mit Jenny und ihren Freunden. Am Anfang war alles eitle Wonne, die große Liebe, wie sie uns immer versicherte. Sie verbrachte Tag und Nacht mit ihrem Freund und ließ alle an ihrem Glück teilhaben. Selbst die, die es nicht im geringsten interessierte was sie oder mit wem sie was machte.
Doch schon nach 3 Monaten merkten wir wie die Stimmung umschlug und sie mehr genervt als erfreut über seine Anwesenheit war. Und dann fehlte nur noch ein kleiner unbedeutender Zwischenfall um sie davon zu überzeugen, dass er doch nicht der Richtige für sie war und ihr Grund genug gab die Beziehung zu beenden.
Bei Clark war es eine unbedachte Aussage über ihre neue Haarfarbe. Bei Flynt war es ein kurzer verstohlener Blick, den er einer anderen zuwarf, dessen er sich selber gar nicht bewusst war. Doch Jenny hatte es natürlich genau gesehen und so lange auf ihn eingeredet bis er „gestand“ es getan zu haben.
Es war nur eine Frage der Zeit bis sich auch Jason einen Fehltritt leistete, der es ihr ermöglichte die Beziehung ohne weitere Fragen beenden zu können.
„Ich möchte gar nicht drüber reden.“
„Ach sag bloß“, rutschte es mir heraus.
Natürlich war ich neugierig welchen Fehler er gemacht hatte. Doch ich wusste genau, dass sie uns bis ins kleinste Detail erzählen würde, was passiert war, egal ob wir sie fragten oder nicht. Sie wollte immer darüber reden, egal welchen Typen sie in die Wüste geschickt hatte. Ich konnte mich, wenn ich so die letzten 12 Jahre zurückdachte, nicht an einen Moment erinnern, wo Jenny nicht gerne geredet hatte.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen was er mir angetan hat. Es war einfach unfassbar.“
Phil sah mich lächelnd an und sagte dann zu Jenny „Was hat er denn angestellt? Hat er es sich erlaubt etwas gegen dein Outfit zu sagen? Oder wollte er mal zur Abwechslung einen Satz selbst beenden?“
Ich konnte mir ein lautes Lachen nicht verkneifen. Jenny verzog das Gesicht und starrte uns zornig an.
„Jaja, macht euch nur über mich lustig. Ihr steckt ja nicht in meiner Haut. Ich war so entsetzt. Er wollte mir doch wirklich einen Ring zu unserem Monatstag schenken!“
„Oh mein Gott wie schrecklich!“ platze ich heraus und kicherte weiter.
Phil gab Jenny die Möglichkeit weiter zu erzählen indem er fragte warum es denn so schlimm für sie war einen Ring geschenkt zu bekommen.
„Ich weiß genau warum er das getan hat. Er wollte mich dazu zwingen mit ihm zusammen zu bleiben. Er wollte mich an ihn binden.“
„Hat er dir denn gleichzeitig als er dir den Ring geschenkt hat auch einen Heiratsantrag gemacht?“ fragte ich neugierig.
„Spinnst du? Das hätte mir noch gefehlt. Aber er brachte es irgendwie so rüber als wäre ich sein Eigentum in dem Moment wo er mir den Ring an den Finger steckt. So etwas wie ein voreheliches Versprechen. Auf sowas steh ich nun mal nicht. Ich lass mich nicht gerne zwingen mit jemandem zusammen zu bleiben.“
Phil und ich erwiderten im gleichen Atemzug „Ich verstehe.“, obwohl keiner von uns beiden auch nur im Geringsten nachvollziehen konnte warum Jenny gleich so überreagiert hatte. Armer Jason, er hatte Jenny wirklich sehr gerne und hätte ihr die Welt zu Füßen gelegt wenn er gekonnt hätte.
Damit war dieses Thema fürs Erste vom Tisch. Mal abwarten wen sie sich als nächstes aussuchen würde. Langsam wurde die Zahl der potentiellen Gefährten knapp. An unserer Schule wollte keiner mehr mit ihr zusammen sein. Sie hatte viele Verehrer, doch keiner wollte sich auf eine Beziehung mit ihr einlassen. Ihr Ruf als Herzensbrecherin eilte ihr einfach voraus.
„Ihr beide braucht euch ja keine Gedanken zu machen. Ihr habt ja euch.“ Sie seufzte hörbar tief, und mir versetzte dieser kleine Satz einen Stich ins Herz.
Ich verstand was sie meinte und das schon alteingesessene Gefühl des Verrats machte sich wieder in mir breit. Jenny und ich waren von klein auf beste Freundinnen. Phil zog mit seiner Familie erst vor cirka 8 Jahren nach Temecula. Jenny und ich verguckten uns natürlich beide in den neuen Jungen in der Nachbarschaft. Er war eigentlich überhaupt der erste Junge, an dem wir Interesse hatten. Ich würde nicht sagen, dass er eine Augenweide war. Damals hingen ihm seine schwarzen, strähnigen Haare ins Gesicht und verdeckten seine grüngrauen Augen. In seiner Art lag aber bereits in Kindertagen solch eine Warmherzigkeit und Ehrlichkeit, dass er uns den Kopf verdrehte. Als wir begriffen, dass wir beide Phils Freundin sein wollten, merkten wir wie belastend das für unsere Freundschaft ist. Daher einigten wir uns darauf niemals wegen eines Jungen zu streiten. Wir begegneten ihm auf rein freundschaftlicher Ebene, was nicht immer leicht war. Über die Jahre wurden wir zu einer zusammengeschweißten kleinen Clique, die niemand trennen konnte.
Wir hingen immer gemeinsam nach der Schule ab und zeigten allen, dass wir zusammen gehörten. Vor drei Jahren, beim Ballon-Fest, das jährlich in Temecula stattfindet, gestand Philip mir, dass er sich in mich verliebt hatte. Ich wusste anfangs nicht recht mit der Situation umzugehen, also blieb ich ihm die Antwort auf seine Frage ob ich mit ihm zusammen sein wollte eine Zeit lang schuldig. Ich erklärte ihm, dass ich mir das überlegen musste, da wir ja schließlich Freunde waren und ich das nicht aufs Spiel setzen wollte.
Natürlich ging es mir auch darum wie Jenny wohl reagierte, wenn Phil und ich auf einmal ein Paar waren. Ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen, dafür war sie mir zu wichtig. Also lud ich sie an einem Samstag ein, bei mir zu übernachten. Es war nichts ungewöhnliches, da es häufiger vorkam, dass einer von uns beiden beim anderen schlief. Wie gesagt, wir waren unzertrennlich. An diesem Abend jedoch war die Stimmung von Phils Liebeserklärung getrübt.
Ich musste es ihr einfach erzählen und sie um ihre Meinung bitten. Jenny war natürlich nicht gerade erfreut. Nicht nur, dass wir uns damals, als Phil hergezogen war, versprochen hatten ihm nur freundschaftlich zu begegnen, da wir Streitereien vermeiden wollten. Es war uns auch beiden bewusst, dass Jenny sehr viel für Phil empfand. Im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich sogar mehr als ich. Ich wollte sie einfach nicht verletzen. Nach einem langen und ausführlichen Gespräch meinte Jenny sie könne damit leben wenn wir ein Paar wären, wenn ich das wirklich wollte. Sie wollte, dass Phil und ich glücklich waren, weil wir ihr so viel bedeuteten.
Nach ihrer Zustimmung war es an mir mich zu entscheiden, ob ich wirklich bereit dazu war eine Beziehung mit meinem besten Freund einzugehen. Ich wusste, dass ich ihn liebte, jedoch wusste ich nicht ob es die Liebe zu einem Freund oder die Liebe zu einem Mann war, die mich erfüllte. Mittlerweile, nach drei Jahren, konnte ich es mir nicht mehr anders vorstellen. Phil war ein fixer Bestandteil meines Lebens.
Er sagte mir wie hübsch er mich fand und was für ein wundervoller Mensch ich war. Er gab mir das Gefühl gebraucht, gewollt und begehrt zu werden. Und er kannte mich besser als jeder andere. Es gab nur wenige Dinge, die er nicht von mir wusste.
Phil und ich zeigten unsere Beziehung Jenny gegenüber nicht in dem Ausmaß, wie man es von zwei 17 Jährigen erwarten würde. Wir hielten uns sehr zurück und verhielten uns einfach nur wie Freunde, wenn wir gemeinsam unterwegs waren. Unsere Clique sollte nicht wegen unserer Beziehung auseinander brechen.
„Ach was soll‘s.“ sagte Jenny als sie unseren betrübten und schuldbewussten Gesichter im Rückspiegel sah.
„Der nächste kommt bestimmt.“
Sie zwinkerte uns zu und ließ sich mit einem lauten und erlösend klingenden Seufzer nach hinten in den Sitz fallen. Die restlichen Fahrt zur Schule verbrachten wir damit uns über den Moderator des einzig hörbaren Radiosenders in Temecula lustig zu machen.
„Und nicht vergessen meine Lieben! Diese Woche findet das große Spiel statt. Also GO BEARS!!!“
Aus dem hinteren Teil des Autos schallte es in voller Lautstärke „Jawohl, GO BEARS!!!“
Jenny wedelte mit ihren Ponpons. Sie war Cheerleader und natürlich Feuer und Flamme für das Spiel, da sie endlich die Möglichkeit hatte ihre neue Show zu präsentieren.
Wir waren natürlich alle ganz gespannt darauf. Nicht, dass Phil und ich nicht bereits jede Bewegung und alle Abläufe des Programms kannten, nachdem Jenny sie uns immer und immer wieder vorgetanzt hatte. Es machte großen Spaß ihr dabei zuzusehen. Auch wenn ich dieser Hüpferei und Grölerei in kurzen Röckchen nichts abgewinnen konnte, entging mir dennoch nicht wie viel Spaß Jenny dabei hatte und dass sie ein richtiges Entertainmenttalent war. Jenny war perfekt für die Rolle als Captain der Cheerleadermannschaft geeignet. Ihre großen braunen Augen und ihr goldenes Haar, ihre schlanke und zierliche Gestalt, sowie ihre quirlige Art, machten sie zu dem perfekten Vorzeigepüppchen in der Schule und bei nationalen Wettbewerben.
Phil und ich waren im Cinema Club und beteiligten uns auch aktiv im Sleep Club. Das war meiner Meinung nach der beste Club an der Temecula Valley High. Wir stellten alle möglichen Thesen auf und untermauerten diese durch aussagekräftige Argumente um die Beginnzeiten der Schule auf später verschieben zu lassen und daher länger schlafen zu können. Ich denke Phil war nur meinetwegen Mitglied in diesem Club. Er hätte so ziemlich alles getan um mich glücklich zu machen.
Bei der Schule angekommen war das vorherrschende Gesprächsthema einfach nicht zu überhören. Es ging natürlich um das große Spiel. Jenny stürmte aus dem Auto und rannte zu ihren Cheer-Kolleginen, die bereits neugierig auf sie warteten. Schließlich war es ihnen nicht entgangen, dass Jenny mit uns mitgefahren war, statt von Jason chauffiert zu werden.
Wir kannten Jenny nur zu gut. Sie würde ein genervtes Gesicht machen, ganz so als wäre es ihr unangenehm und lästig über die Ring-Sache zu sprechen. Und kurz darauf würde sie losplappern und alle Mädls würden gebannt an ihren Lippen hängen und ihrer unglaublichen Geschichte über den Ring und dessen Bedeutung für sie lauschen.
Und genau so geschah es. Es war teilweise erschreckend wie gut wir uns kannten.
Wir gingen zu unserem Spint um die überflüssigen Bücher loszuwerden. Erste Stunde Mathe. Tja, nicht gerade erfreulich, aber leider unvermeidbar. Ich hatte keine Probleme mit Mathe. Ich konnte unseren Lehrer nur einfach nicht ausstehen. Ich bildete mir immer ein, dass er in Wirklichkeit wohl ein unzufriedener und genervter Troll war, der als Strafe für irgend eine Schandtat, die er in seinem Leben begangen hatte, nun Lehrerdienst in einer High School absolvieren musste. Nicht nur, dass er wie ein Troll roch und seine Körperbehaarung auch deutlich darauf hinwies, abgesehen von seiner Körpergröße. Das stärkste Indiz jedoch war seine Stimme. Er näselte furchtbar beim Reden, so als wäre der hintere Teil seiner Zunge an seinen Gaumen angewachsen. Oft mussten wir ihn bitten den zuletzt gesprochenen Satz zu wiederholen. Ich glaube Jenny hat ihn mal gefragt was für ein Akzent das ist, den er da immer wieder durchblitzen lässt. Doch keiner konnte die kryptische Antwort, die er auf diese Frage gegeben hatte, entziffern. Er sprach von Europa, aber viel genauer wurde er nicht. Seine Flucherei ließ uns immer hellhörig werden, doch keiner konnte nachvollziehen in welcher Sprache er seine Schimpftiraden vom Zaun gelassen hatte.
Während der Stunde schweiften meine Gedanken immer wieder um diesen Traum. Wer war dieser Junge, wieso war er mir so vertraut? Ich überlegte ob ich ihn vielleicht schon einmal im Fernsehen gesehen hatte, oder ob er mal als Austauschstudent auf der Valley High war. Doch ich konnte mir kein vergleichbares Gesicht ins Gedächtnis rufen. Dieses starke Gefühl der Zugehörigkeit und des Verlangens nach diesem Unbekannten brachten meine Wangen zum erröten.
Natürlich war Phil mein Gesichtsausdruck nicht entgangen. Immer wieder fragte er mich ob alles ok war. Ob ich irgendetwas auf dem Herzen hatte. Ich verneinte stets. Ich hielt es nicht für angebracht ihm von einem Traum zu erzählen, indem ein anderer Junge vorkam, der anziehend auf mich wirkte. Ich hatte das Gefühl er würde sich nicht gerade darüber freuen so etwas zu hören. Auch Jenny war meine Stimmung nicht entgangen. Sie versuchte zwanghaft mir mein „Geheimnis“ zu entlocken. Ich wusste ich hätte es ihr erzählen können. Sie hatte noch nie eines meiner Geheimnisse verraten. Was das anging konnte ich ihr blind vertrauen. Ich wollte nur nicht unnötig Staub wegen einer Sache aufwirbeln, die nicht relevant war.
„Meine Güte, Bonnie. Beruhig dich mal wieder. Es war nur ein Traum. Ein bedeutungsloser und unrealistischer Traum.“ Immer wieder sagte ich mir diese Worte in meinen Gedanken, in der Hoffnung damit das Gesicht des Jungen aus meinem Gedächtnis zu verbannen.
Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Ständig dachte ich an diesen Traum, dieses Gesicht, diese Anmut und Stärke, diese Vertrautheit. Es war mir einfach unbegreiflich wie Träume sich so real anfühlen konnten. Wenn ich alleine in meinem Zimmer saß zeichnete ich das Gesicht aus meiner Erinnerung nach. Ich versuchte die Umgebung und den Jungen so gut wie möglich zu treffen. Ich kniff meine Augen fest zusammen und rief mir alle Begegnungen, die ich in meinem kleinen Traumland mit dem Jungen hatte, noch einmal genau ins Gedächtnis. Während ich das tat strich meine Hand, mit dem stark angespitzten Bleistift darin, wie von selbst über das Papier. Während meiner künstlerischen Ergüsse öffnete ich die Augen um mich zu vergewissern, dass sich die Spitze meines Stiftes noch auf dem Papier befand und ich nicht vor lauter Konzentration den Tisch bemalte.
Die Erinnerung war noch immer so stark in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich keinerlei Problem damit hatte sie zu Papier zu bringen. Das Ergebnis meiner künstlicherischen Ergüsse beeindruckte mich zutiefst. Ich war noch nie sonderlich gut im Zeichnen, bei mir sahen alle Gesichter immer wie Karikaturen aus. Doch diese Bilder waren sehr genau, detailgetreu und wirkten so realistisch, fast wie ein Foto. Ich versteckte die Bilder in einer meiner Schublade, damit weder Phil noch Jenny sie bei einem ihrer Besuche zufällig entdecken konnten. Es wäre mir einfach unangenehm gewesen lästige Fragen zu beantworten. Warum zeichnest du fremde Männer? Wer ist der Junge? Woher kennst du ihn? Und so weiter und so weiter.
Am Tag vor dem großen Spiel hatte ich wieder einen Traum von dem Jungen. Genauso wie beim letzten Mal war die Kulisse eine Lichtung umringt von Wäldern und Bergen. Wieder sah ich Erlen, Eichen und Birken und dieser unvergleichlich frische Duft war ebenfalls in der Luft.
Wie auch zuvor bewegten der hübsche Junge und ich uns aufeinander zu. Wie in Zeitlupe kamen wir uns näher und waren kurz davor uns zu berühren. Mein Herz schlug schneller und meine Hände wurden schwitzig. Und wieder wachte ich auf. Diesmal war es nicht der Wecker, der mich aus dem Schlaf riss, sondern ein lauter anhaltender Schrei meiner Mutter.
Sofort rannte ich die Stiegen hinunter und suchte die Quelle des Gebrülls. Meine Mutter stand regungslos und mit erhobenen Händen in der Küche und starrte wie gebannt auf den Fußboden. Dort krabbelte eine kleine Spinne gemütlich vor sich hin und suchte sich wahrscheinlich gerade eine Nische, wo sie ihr neues zu Hause bauen konnte.
„Mom, bist du verrückt geworden? Du kannst doch nicht einfach so herumbrüllen. Ich dachte dir wäre etwas passiert!“
„Nennst du das etwa nichts?“ entgegnete sie mir hysterisch.
„Mach das weg, mach das weg!“
Ihre Spinnenphobie schien durch die Hypnosetherapie keinen Deut besser geworden zu sein.
„Ich nahm ein Stück Küchenpapier und hob die Spinne vorsichtig auf. Ich trug sie zum nächstgelegenen Fenster und beutelte das Tuch dann vorsichtig aus.
„Mach‘s gut Kleine, ich würde dir raten nicht mehr ins Haus zu kommen. Wer weiß ob sie beim nächsten Mal nicht reflexartig auf dich drauf tritt.“
Also ob sie mir danken wollte wandte sie sich in meine Richtung, und krabbelte dann Richtung Garage. Ich sagte meiner Mutter nichts vom Kurs der Spinne. Ich wusste genau, dass sie die Garage sonst mit Sicherheit nie wieder betreten würde.
„Sag mal, wo ist Dad eigentlich?“
Die letzten Tage hatte ich meinen Vater kaum zu Gesicht bekommen.
„Du weißt doch, dass er um die Zeit immer die meiste Arbeit hat. Das Ballonfest ist nur noch zwei Monate entfernt und er muss die ganzen Vorbereitungen für die Weinverkostungen und die Verkaufsstände machen. Da ist er schon früher als gewohnt aus dem Haus.“
„Und kommt auch später als üblich wieder zurück.“, dachte ich mir. Ich war froh, dass Dad glücklich mit seinem Job als Weinbauer war. Naja, nicht wirklich als Weinbauer, mehr als Geschäftsführer des Unternehmens, dass als Eigentümer der Weinberge eingetragen war. Sein Vater hatte das Geschäft aufgebaut und es an ihn weitergegeben. Anfangs, nach Opas Tod, war Dad totunglücklich über die Aufgabe.
Es lag ihm einfach nicht Leute herumzukommandieren. Nach einer schlechten Ernte hätte er einmal ein paar Mitarbeiter entlassen müssen. Doch er brachte es nicht übers Herz. Er kannte ihre Familien und wusste, dass er ihnen damit ihre Existenz nehmen würde. Also besuchte er einen Intensivkurs in moderner Geschäftsführung. Er lernte viel über moderne Märkte, neue Vertriebswege und viele andere nützliche Dinge. Er konnte viele Verkaufserfolge für sich verbuchen und musste daher auch keine weiteren Mitarbeiter aus der Firma werfen. Seitdem lief es ausgezeichnet. Außerdem hätte er nie aufgegeben, egal wie unglücklich er war. Alleine schon aus dem Grund, dass Opa sich nichts sehnlicher wünschte als dass der Betrieb in der Familie blieb. Und da er nur einen Sohn, meinen Vater, hatte, gab es nicht viele Möglichkeiten wer das Geschäft übernehmen konnte.
„Achja, das hatte ich schon wieder vergessen.“ , murmelte ich in mich hinein.
Nur noch zwei Monate, dann war das jährliche Ballonfest.
Es fand immer am ersten Wochenende im Juni statt. Es gab tolle Live-Auftritte von namenhaften Bands, Sportveranstaltungen und natürlich Ballonflüge und Weinausschank. Es war eine große Sache für Temecula, da es viele Touristen anlockte und ein großer Erfolg für die Stadt und ihr Image war. Es machte irrsinnig Spaß beim Festival dabei zu sein, auch wenn die Einwohner von Temecula oft überwältigt von den Zuströmen an fremden Menschen waren.
Außerdem war dieses Jahr Phils und mein dreijähriges Beziehungsjubiläum. Ich hatte mich bereits darauf vorbereitet, dass Phil mich unbedingt außerhalb des Ballonfests treffen wollte. Er meinte es wären ihm zu viele Leute dort um den Abend richtig würdigen zu können. Wir würden uns aber in der Nähe aufhalten um das Feuerwerk sehen zu können. Da es sonst an diesem Wochenende kein anderes Event gab, geschweige denn, dass irgendein Lokal geöffnet hatte, blieb nur eine Möglichkeit. Ich ging davon aus, dass er so etwas wie ein Candlelight-Picknick plante. Natürlich freute ich mich über die Mühe, die er sich mit dieser ganzen Jahrestagsfeierei machte.
Und dennoch. Trotz des bevorstehenden Jubiläums kreisten meine Gedanken hauptsächlich um diese verwirrenden Träume. Der unbekannte Junge, der mir so vertraut war und mich so in seinen Bann gezogen hatte. Ich musste versuchen abzuschalten. Es waren nur Träume, sonst nichts. Ich kannte den Jungen nicht, ich wusste nicht mal ob es ihn überhaupt gab. Es gab nichts, was auf seine Existenz hinwies. Vielleicht spielten meine Hormone einfach nur ein gemeines Spiel mit mir. Vielleicht hatte ich den Höhepunkt meiner Pubertät erreicht und halluzinierte über einen wunderschönen Jungen, der gerade mich wollte und mit dem ich mich auf ewig verbunden fühlte. Was auch immer es war, ich würde es beiseiteschieben und mich auf das hier und jetzt konzentrieren. Das war alles was zählte.