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Ein großer Schritt
ОглавлениеDie nächsten Tage verbrachte ich damit mich voll und ganz auf die Schule zu konzentrieren. Ich mied jeglichen Kontakt zu Brian. Mr Solece, der kleine näselnde Wicht, war natürlich neugierig und wollte wissen ob wir bereits gelernt und er den Stoff verstanden hatte. Ich musste mich nicht rechtfertigen. Brian kam mir zuvor und erklärte Mr Solece, dass wir alles Nötige für den Test durchgenommen hatten und er sich jetzt auf die Übungsbeispiele konzentrierte. Also war ich aus dem Schneider. Ich fand es sehr fair von ihm mir diesen Abstand zuzusprechen, schließlich hätte er mich ja auch auflaufen lassen können. Ich hätte ihm weiter Nachhilfe geben müssen und keine Möglichkeit gehabt Abstand von ihm zu bekommen.
Jenny jedoch ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Ihr permanentes Gefrage und ihre ständigen Selbstbeweihräucherungen waren mittlerweile mehr als lästig. Immer und immer wieder fragte sie mich ob ich Brian von ihr erzählt hatte und die Dinge, die „wir“ besprochen hatten während des Lernens fallen gelassen hatte. Ich antwortete immer mit einem knappen ja. Doch wie erwartet reichte ihr diese Antwort nicht.
„Na sag schon, was hat er dazu gesagt. Wird er mich um ein Date bitten? Was hast du ihm alles erzählt? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“
Ich hatte einfach keine Geduld mehr für dieses Fragespiel.
„Jenny, bitte. Ich habe dir schon erzählt was ich zu ihm gesagt habe.“
„Ja, aber wie hat er darauf reagiert? Wie hat er dabei ausgesehen? Wirkte er interessiert oder überrascht, oder erfreut oder…“
„… oder genervt.“, vollendete ich ihren Satz. Im selben Moment als ich es ausgesprochen hatte tat es mir auch schon wieder leid. Ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen, aber das ständige Reden über Brian war mir auch nicht recht. Ich wollte mich so wenig wie möglich mit diesem Jungen befassen.
Jenny blabberte immer weiter, unaufhörlich. Manchmal fragte ich mich ob sie sich selbst beim Reden zuhörte, und falls ja, ob sie merkte wie sehr sie nerven konnte wenn sie wollte.
„Jetzt mach mal halblang. Wenn du unbedingt ein Date mit ihm möchtest, dann frag ihn doch ganz einfach. Und halte mich aus dieser ganzen Sache raus, okay?“
Ich sprach mit solch einer energischen und fast schon zornigen Stimme, dass es Jenny die Sprache verschlug. Ich war überrascht, dass es eine Möglichkeit gab sie zum Schweigen zu bringen. Hätte ich das doch bloß früher schon entdeckt. Dann hätte ich mir viele stundenlange Monologe erspart.
„Ist ja schon gut. Ich hab‘s kapiert.“
Es war nicht zu übersehen, dass ich sie verärgert hatte. Ich wollte sie nicht verletzen, aber dieses unaufhörliche Geschwafel über Brian machte mich einfach nur fertig. Ich wollte mich in keinster Weise mehr mit diesem Jungen befassen müssen. Ich war wütend auf ihn und die Gefühle, die er in mir auslöste.
„Es tut mir leid Jenny. Ich will nicht, dass du sauer auf mich bist. Aber ich finde wirklich du solltest die Sache selbst in die Hand nehmen.“
Sie wirkte sehr nachdenklich.
„Ja, du hast ja recht. Aber was wenn er nein sagt und mich einfach abblitzen lässt?“
Da war es wieder, ihr unsicheres Verhalten, dass sie versuchte mit diesen selbstüberschätzenden Äußerungen zu verdecken. Ich kannte sie einfach zu gut. Ich wusste genau, dass der einzige Grund für ihre überspitzte Art die Unsicherheit war, die sie empfand. Nicht, dass sie sich ihres ansprechenden Äußeren nicht bewusst gewesen wäre. Doch was ihren Charakter angelangte, war sie schon immer sehr selbstkritisch. Ihre offene und naive Art hatte ihr schon so manche Probleme eingebracht. Erst nachdem sie sich diesen oberflächlichen Schutzpanzer zugelegt hatte und sich selbst als oberflächlich und von sich selbst überzeugt gab, begannen auch die anderen sie auf diese Art zu sehen.
Nur Phil und ich wussten wie es wirklich in ihr aussah. Vielleicht war ich auch deshalb so genervt von ihrer Art. An irgendeinem Punkt hatte sie begonnen sich auch uns gegenüber so zu verhalten. Ich würde fast soweit gehen zu sagen, sie hatte sich selbst verraten nur um den anderen zu gefallen. Und das ärgerte mich am Meisten. Denn so wie sie war, war sie ein wundervoller und liebenswerter Mensch. So wie sie sich jetzt benahm, war sie nur eine unter den vielen Pubertierenden an der Valley High. Ich antwortete nicht auf ihre Frage. Ich wusste was ich hätte sagen sollen. Aber ich wollte ihr keine unnötigen Hoffnungen machen.
Ich ging nach der Schule so schnell ich konnte nach Hause. Dort konzentrierte ich mich aufs Lernen. Um etwas Ausgleich in die Sache zu bringen ging ich jeden Tag zum Basketballplatz und warf ein paar Körbe. Der Weg zum Jugendzentrum war zwar etwas weiter als sonst, da ich das Haus der Smiths umging, aber das störte mich nicht im Geringsten. Hauptsache ich lief nicht „zufällig“ in Brian hinein. Ich tat alles um die Zeit bis zu Phils Rückkehr so schnell wie möglich vergehen zu lassen.
Jenny rief mich ein paar Mal an um ihr Verständnis für einige der Matheübungen ein wenig aufzufrischen. Ich erwartete jeden Tag, dass sie mir von ihrem Versuch Brian zu einem Date einzuladen erzählte. Doch sie tat es nicht. Ich wusste nicht, ob sie ihn bereits gefragt und er nein gesagt hatte und es ihr zu peinlich war es mir zu erzählen, oder ob sie sich dazu entschloss sich vorerst auf das Wesentliche, den Mathetest zu konzentrieren und erst danach ihre Pläne mit Brian in die Tat umsetzte.
Ich war froh als der Freitag endlich vorbei gegangen war, und ich mich auf ein Wochenende mit Phil freuen konnte. Er hatte bestimmt viel zu erzählen. Diese Familienfeiern waren immer etwas Spannendes. Man konnte fast darauf wetten, dass sich irgendein Teil der Familie mit einem anderen Teil in die Haare kriegte. Es waren einfach zu viele unterschiedliche Menschen auf einem Haufen. Im Normalfall konnte man sich von Personen, mit denen man nicht gut zu Recht kam fern halten. Doch seine Familie kann man sich nun mal nicht aussuchen. Also egal wie wenig man mit einem Familienmitglied gemeinsam hat, und alles was einen verbindet die DNA ist, so muss man doch irgendwie versuchen mit der Person auszukommen. Schließlich ist sie ein Teil der Familie.
Mom holte mich von der Schule ab. Ein Unwetter war dabei aufzuziehen. Laut Wettervorhersage sollte es das ganze Wochenende dauern. Es störte mich nicht sonderlich zu wissen, dass ich wenig Zeit außerhalb meiner vier Wände verbringen würde. So konnte ich die Zweisamkeit mit Phil wenigstens richtig genießen, ohne, dass uns jemand ablenkte oder störte.
Als er dann endlich vor meiner Tür stand, triefend nass und wie immer mit einem Geschenk in der Hand, ein Mitbringsel seines Familientreffens, war meine Freude fast schon erdrückend. Meine Mutter brauchte mich nicht mal mehr zu rufen um mich zu informieren, dass Phil gekommen war. In dem Moment als ich die Türglocke hörte stürmte ich die Stufen hinunter, rannte auf die Eingangstür zu und war noch vor meiner Mutter da um sie zu öffnen.
Mir gegenüber stand ein triefend nasser, breit lächelnder Phil, der mir ein kleines Geschenk entgegenhielt. Ich nahm das Geschenk, stellte es schnell beiseite und sprang ihm in die Arme.
„Ich habe dich vermisst.“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
Ich hatte ihn vermisst. Sehr sogar. Ich wusste er konnte mich ablenken, mich auf andere Gedanken bringen und mein Vorhaben Brian aus dem Weg zu gehen unterstützen. Er würde sich sogar darüber freuen, dass ich nichts mehr mit diesem Jungen zu tun haben wollte.
Phil schien sichtlich erleichtert über meine Freude zu sein. Vielleicht war er besorgt, weil er wusste, dass mich Mr Solece zum Lernen mit Brian verdonnert hatte. Vielleicht machte er sich Sorgen mich an ihn verloren zu haben. Nicht, dass diese Sorgen unbegründet gewesen waren. Fast wäre dieser Fall auch eingetreten.
„Komm schnell, gehen wir hinauf.“ Ich packte ihn an der Hand und zog ihn hinter mir her. Meine Mutter sah uns nur erstaunt nach.
„Teenager.“, murmelte sie und ging wieder zurück in die Küche um das Abendessen vorzubereiten.
Im Zimmer angekommen warf ich Phil aufs Bett und setzte mich auf ihn. Ich wollte ihn fixieren, damit er nicht weggehen konnte und mich wieder meinen Gedanken überließ. Als ob er das vorgehabt hätte. Nach einer Weile des Küssens, Kuschelns und Lachens bat ich ihn seine Eltern anzurufen und zu fragen ob er heute bei mir übernachten könnte. Phil zögerte sichtlich, da es doch eine sehr gewagte Frage war. Zwei Teenager, beide siebzehn, in der Blüte ihrer Entwicklung, alleine in einem Zimmer. Das würde ihnen sicher nicht recht sein. Aber mir war es egal. Ich wollte keinen Moment ohne Phil sein. Es war so schön ihn zu sehen und ich hatte seit seiner Ankunft keinen Moment über Brian nachgedacht. Zumindest redete ich mir das ein.
Also rief er an. Er sprach bestimmt fünfzehn Minuten mit seiner Mutter. Dann ging er, sein Handy in der Hand und seine Mutter noch in der Leitung, die Stiegen hinunter zu Mom, und gab ihr den Hörer.
„Was wollen sie? Tja, das habe ich schon fast erwartet. Mach dir keine Sorgen, ich werde aufpassen, dass nichts passiert. Es sind ja zwei vernünftige Kinder.“
Meine Mutter gab Phil den Hörer zurück, zwinkerte ihm zu, was ich mehr als unpassend fand, und kümmerte sich wieder um das Essen.
Phil kam langsamen Schrittes und mit erstauntem und leicht fassungslosem Blick hinauf zu mir und sagte „Sie haben ja gesagt. Ich schlafe heute bei dir.“
Meine Freude war unermesslich. Ich umarmte und küsste ihn und schloss die Tür hinter uns. Wir redeten über sein Familienfest, wer diesmal mit wem gestritten hatte und was es zu essen gab. Mein Magen knurrte schon, daher war ich froh als Mom uns zum Essen rief. Sie und Dad wechselten ein paar strenge Blicke. Scheinbar war er nicht so begeistert davon, dass Phil heute die Nacht bei uns verbringen würde. Doch gegen Mom hatte er keine Chance. Wenn sie auf meiner Seite stand konnte Dad so gut wie nichts ausrichten. Er nahm uns das Versprechen ab die Tür bevor wir schlafen gingen aufzumachen, damit wir uns keinen Unsinn einfallen ließen. Peinlich berührt bat ich Dad darum das Thema, dass er dabei war anzuschneiden, einfach zu meiden. Meine Wangen färbten sich rot und ich konnte auch in Phils Augen ein ziemliches Unbehagen erkennen.
Den restlichen Abend redeten wir über die bevorstehenden Sommerferien und unsere Pläne. Vielleicht würden unsere Eltern uns ja diesmal erlauben einen kleinen Trip mit dem Auto zu machen. Wir überlegten ob wir Jenny mitnehmen würden, mussten uns dann aber beide eingestehen, dass wir uns einen Ausflug ohne sie gar nicht vorstellen konnten. Sie gehörte einfach zu uns. Ohne sie war unsere Truppe nicht vollständig, unabhängig davon ob Phil und ich ein Paar waren oder nicht.
Mein Liebster erinnerte mich an das Geschenk, dass er mir mitgebracht hatte. Ich hatte total darauf vergessen, und holte meine Unachtsamkeit in kürzester Zeit nach. Ich riss das Päckchen auf und holte den Inhalt so schnell es ging heraus. Anfangs konnte ich nicht genau erkennen um was es sich handelte. Phil erklärte mir, nachdem er meinen verwirrten Blick verstanden hatte, was er mir da genau mitgebracht hatte.
„Du weißt ja, ich versuche mir immer ab und zu eine kleine Familienpause zu gönnen und gehe ein wenig auf dem Grundstück meiner Tante spazieren. Einmal bin ich an ihrem Teich entlang gegangen und da habe ich diesen Stein entdeckt. Ich fand sofort, dass er wie ein Herz aussieht und dachte mir, das wäre das perfekte Mitbringsel für dich.“
Ich freute mich über diese Geste und umarmte ihn mit einem breiten Grinser auf meinem Gesicht.
Spät abends, die Sonne war schon untergegangen, lagen wir im Bett, unsere Gesichter einander zugewandt. Phil streichelte meine Wange und küsste meine Nasenspitze. Ich lächelte sanft und streichelte seinen Arm. Er küsste meine Wange, und drückte mir dann einen langen Kuss auf die Lippen. Es fühlte sich gut an, bekannt und irgendwie angenehm. Aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen es als richtig zu empfinden. So als würde ich mit diesem Kuss meine wahren Gefühle betrügen. Um dieses unangenehme Gefühl in meiner Magengegend zu verbannen, zog ich Phil zu mir und küsste ihn stürmisch.
Er schien überrascht zu sein, wehrte sich aber nicht dagegen. Ich hatte das Gefühl ich müsste diese Beziehung auf ein anderes Level bringen, als wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für den nächsten Schritt. Als könnte ich mir selbst nur dadurch beweisen, dass Phil der richtige für mich war. Also stand ich auf und ging zur Tür. Ich öffnete sie und hörte kurz hinaus. Dads schnarchen war unüberhörbar und Mom war ebenfalls bereits ins Schlafzimmer gegangen. Ich entschied mich unser Versprechen Dad gegenüber zu brechen, und schloss die Zimmertür.
Phil hatte sich mittlerweile im Bett aufgesetzt. Direkt neben meinem Bett lag eine Matratze mit einem frisch bezogenen Bettzeug darauf. Meine Mutter hatte es auf Anraten meines Vaters vorbereitet. Es war schon schlimm genug für Dad zu wissen, dass Phil die Nacht im selben Zimmer wie ich verbrachte, aber im selben Bett, das konnte er nicht zulassen.
Ich ging auf Phil zu und setzte mich zu ihm. Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und drückte meine Lippen auf seine. Er erwiderte meinen Kuss und umarmte mich dabei. Für einen kurzen Moment nahm ich meine Lippen von seinen und legte mich flach in die Mitte des Bettes. Mit einem erwartungsvollen Blick sah ich ihn an und hoffte er würde meine Avancen verstehen. Und das tat er. Er war sichtlich überrascht, er hatte nicht damit gerechnet. Ihn schien die Situation mehr als nervös zu machen, doch er fasste seinen ganzen Mut zusammen und legte sich auf mich. Wir küssten uns und ich hatte das Gefühl als würde sich das gesamte Bett wie wild im Kreis drehen. Ich spürte wie Phils Körper wärmer wurde und wie mein eigener begann die Temperatur zu steigern. Ich streichelte ihm über die Wange und begann sein Shirt auszuziehen. Er half mir dabei indem er sich kurz aufsetzte und es über seinen Kopf zog. Dann legte er sich wieder auf mich und fuhr fort mich zu küssen. Unsere Küsse wurden immer intensiver und gewannen zunehmend an Innigkeit.
Phil setzte dazu an mein T-Shirt hochzuziehen. Er schob seine Hand unter mein Shirt und berührte meinen blanken Bauch. In diesem Moment wusste ich, dass es falsch war. Alles was wir hier gerade im Begriff waren zu tun war falsch. Es sollte einfach nicht sein. Und so sehr ich mich dagegen wehrte, ich musste mir eingestehen, dass ich diesen Schritt nicht gehen konnte. Nicht jetzt und nicht mit Phil.
Mir zerriss es das Herz. Ich fing an zu weinen. Phil hörte sofort auf mein Shirt hochzuziehen und legte sich neben mich. Er versuchte mich zu beruhigen, streichelte meinen Arm und meinte
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
Ich hatte Angst davor in anzusehen, ihm in die Augen zu sehen und zu wissen, dass ich nie wieder so wie noch vor ein paar Minuten für ihn empfinden würde. Es tat weh zu wissen, dass Phil nicht der Richtige für mich war. So sehr ich es mir gewünscht hatte, er war es einfach nicht.
„Bonnie, bitte sprich mit mir.“
Er war verzweifelt und fühlte sich hilflos, das konnte ich an seiner Stimme hören.
„Habe ich…. etwas falsch gemacht?“
Oh Nein, nicht auch noch das. Er dachte er hätte etwas falsch gemacht? Wie abwegig dieser Gedanke war. Phil hatte überhaupt nichts falsch gemacht. Ich war diejenige, die gerade dabei war ihn zu verletzen. Auf eine bösartige und gemeine Art und Weise. Ich weigerte mich ihn anzusehen, ich wollte ihm nicht zeigen was in mir vorging. Ich wollte ihn nicht verletzen.
Er wischte mir die Tränen mit seiner Hand aus dem Gesicht. Das brachte mich noch mehr zum Weinen, ich wusste nicht was ich tun sollte.
„Bitte.“, flüsterte er. „Bitte sag mir was in dir vorgeht.“
Er strich mir über die Wange und drehte mein Gesicht zu ihm. Ich hielt die Augen geschlossen. Er strich mir weiter über die Wange und versuchte mich durch seine Berührungen zu beruhigen.
„Bitte, Bonnie. Sieh mich an.“ Seine Stimme klang flehend und ängstlich. Fühlte er was in mir vorging? Hatte er schon eine Ahnung was ihn erwarten würde?
Ich öffnete meinen Augen, und sah ihm direkt entgegen, verheult und verzweifelt. Nach einem tiefen und endlos langen Blick in seine Augen überwältigte mich die Traurigkeit und ich weinte noch mehr als zuvor.
Phil schien wie erstarrt. Er starrte mich an, zwinkerte ein paar Mal, so als ob er sicherstellen wollte, dass mein Blick sich während der letzten paar Sekunden nicht geändert hatte. Oder dass er nie da gewesen war und ihm seine Augen einen Streich spielten.
Doch mein Blick war immer noch derselbe. Es fehlte etwas, etwas in mir war nicht mehr so wie zuvor. Es war keine Liebe mehr darin, die Zuneigung und der Glaube an eine gemeinsame Zukunft fehlten. Es war nur noch Traurigkeit und Verzweiflung zu erkennen.
Phil setzte sich auf.
„Ist es wegen ihm?“ Ich wusste natürlich wen er meinte. Es wäre nur fair gewesen Phil eine ehrliche Antwort zu geben, doch ich brachte es nicht über die Lippen. Jedoch war es auch nicht nötig die Worte auszusprechen, Phil wusste ohnehin, dass die Antwort „ja“ lautete.
Er stand auf und zog sein T-Shirt wieder an. Dann drehte er sich noch einmal zu mir um und sagte: „Warum tust du das? Du kennst ihn doch gar nicht!“ Ich hatte das Gefühl, dass er mir die Worte ins Gesicht brüllen wollte, doch seine Stimme überschlug sich vor Zorn und Unverständnis.
Sein Schmerz zerriss mich innerlich. Ich wollte ihn nie verletzten, er war so wichtig für mich. Er kannte mich besser als jeder andere. Doch wie hätte ich ihn weiter belügen können, ihm vorspielen, dass ich ihn liebte, wenn ich es nicht mehr tat?
Ich bemerkte in Phils Mimik, dass er keinen weiteren Moment mehr in meiner Nähe sein konnte, ohne weiter auseinander zu brechen. Daher verstand ich auch, dass er seine Sachen packte und das Haus verließ. Ich hörte wie er ausparkte und wegfuhr.
Auch meinen Eltern war das Spektakel nicht entgangen. Mein Vater stürmte in mein Zimmer, sah hektisch von links nach rechts, und fragte voller Innbrunst „Was ist los, was ist passiert? Hat er dir etwas getan?“
Wie konnte er nur annehmen, dass Phil mir etwas getan hatte? Er kannte ihn seit 9 Jahren. Er wusste, dass er mir niemals etwas antun würde, er niemals gegen meinen Willen auch nur irgendeine Körperstelle von mir berühren würde. Und trotzdem beschuldigte er ihn ohne zu wissen, was vorgefallen war. Ich war diejenige, die ihn verletzte und nicht umgekehrt. Ich hatte ihn verärgert und nicht er mich.
Ich wurde zornig. All die Trauer und Verzweiflung über den Schmerz, den ich Phil zugefügt hatte, wandelte sich unmittelbar nach dem Eintreffen meines Vaters in Wut. Wut auf ihn, weil er es wagte Phil solche Unterstellungen zu machen und Wut auf Brian, dass er mir all das antat. Mein Vater hörte einfach nicht auf damit zu fragen was Phil gemacht hatte und warum er aus dem Haus gestürmt war. Er verlangte eine Antwort von mir, die ich ihm nicht geben konnte. Ich wollte nicht mit ihm darüber sprechen. Ich wollte einfach nur für mich sein.
„Nein, er hat mir nichts getan. Ich bin es. Ich bin diejenige, die ihm etwas getan hat.“, schrie ich ihn an.
Er setzte sich in Bewegung um mir noch näher zu stehen und wollte mir erneut eine Frage stellen, doch schon hatte ich ihn unterbrochen.
„Nein, ich will nicht darüber reden. Lass mich einfach in Ruhe!“, meine Stimme überschlug sich vor Wut. Doch er wollte nicht ablassen. Immer und immer wieder bombardierte er mich mit Fragen. Meine Mutter bemerkte die angespannte Stimmung um wollte meinen Vater zurückhalten. Sie flüsterte ihm ins Ohr er solle es doch jetzt auf sich beruhen lassen und wir würden morgen noch genügend Zeit haben darüber zu sprechen. Doch er wollte sich einfach nicht beruhigen.
„Lass mich in Ruhe!“, schrie ich ihm ins Gesicht und rannte aus der Tür, die Stiegen hinunter und hinaus in den Regen. Ich rannte so schnell mich meine Füße tragen konnten. Ich verspürte keine Kälte, keine Nässe und keine Erschöpfung. Meine Wut und meine Verzweiflung füllten alle Empfindungen aus und ließen keinen Platz für andere Gefühle. Ich rannte und rannte. Bis ich am Basketballplatz angekommen war. Dort fing ich an zu schreien, ich brüllte den ganzen Platz zusammen, wohlwissend, dass um diese Uhrzeit niemand in der Nähe war, der mich hören konnte. Ich ließ mich gehen und stampfte ein paar Mal wütend auf.
Plötzlich hörte ich hinter mir eine Stimme. Ich drehte mich um und da stand Brian. Ebenso triefend nass und ein wenig vor Kälte zitternd stand er am anderen Ende des Basketballplatzes und rief mir zu.
„Bonnie, was ist passiert?“, hörte ich ihn sagen.
„Was passiert ist?“, brüllte ich ihm entgegen.
„DU bist passiert. Du hast mein ganzes Leben durcheinander gebracht. Seit du hierhergekommen bist steht alles Kopf.“
Er kam auf mich zu. Ich wollte weglaufen, doch ich war am ganzen Körper stocksteif und wie gelähmt. Nach ein paar Schritten stand er mir gegenüber und sah mir direkt in die Augen. Er legte seine Hände auf meine Schultern und versuchte die Kälte behutsam wegzustreicheln. Doch ich wollte das nicht, ich wollte nicht von ihm berührt werden. Ich stieß ihn von mir weg und versuchte mich gegen den Drang ihm nahe sein zu wollen zu wehren.
„Bonnie, bitte.“, sagte er und trat wieder einen Schritt näher.
„Nein, bleib ja wo du bist. Ich …. Ich halte deine Nähe einfach nicht aus. Du bringst mich total durcheinander, ich will dich, aber ich weiß nicht warum. Ich träume von dir noch bevor ich dich kennenlerne und ich weiß nicht warum. Das ist doch nicht normal!“
Meine steifen Glieder wurden von einer Sekunde auf die andere weich und ich sackte zusammen. Brian stürzte sich sofort auf die Knie und legte seine Jacke um meine Schultern. Er war mir so nahe, ich konnte seinen wundervollen Geruch wieder einatmen. In diesem Moment verschwand das Verlangen mich von ihm fern zu halten. Der Zweifel und die Wut ihn kennengelernt zu haben wandelten sich in unermessliche Zuneigung und Leidenschaft. Als hätte ich alle Schlösser hinuntergerissen und meinen tiefsten Gefühlen freies Geleit gegeben, erfüllten sie mich durch und durch. Ich hob meinen Kopf und sah ihm direkt in seine schönen strahlend blauen Augen.
„Ich kann einfach nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr dagegen wehren.“
Er nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest. Noch nie zuvor hatte ich mich so geborgen und wohl gefühlt. Es fühlte sich an als wäre es nie anders gewesen, als hätte mich nie jemand anderes als er gehalten und als würde es auch nie wieder jemand anderes tun.
Brian und ich hockten noch einige Zeit auf dem überschwemmten Boden des Basketballplatzes und lagen uns in den Armen. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sprechen hielten wir uns so fest wir nur konnten. Keiner von uns wollte den anderen auch nur für eine Sekunde loslassen. Die Gefahr, dass das alles nur ein schlechter Traum gewesen war, und wir gleich aufwachen würden, war einfach zu groß.
Nach einer Weile jedoch merkten wir, wie das Gefühl der unangenehmen Nässe und Kälte langsam überhandnahm. Brian half mir hoch und begleitete mich nach Hause. Es regnete noch immer wie aus Eimern und am Rand des Gehsteiges rannen Wassermassen in die Kanalausbuchtungen. Es hätte mich nicht gewundert wenn das Wasser, so schnell wie es hinunter rann, gleich wieder hinauf gesprudelt wäre. So einen starken Regen hatte Temecula schon lange nicht mehr erlebt.
Vor meiner Haustüre angekommen gab ich Brian seine Jacke zurück.
„Willst du nicht noch kurz mit rein kommen und dich ein wenig abtrocken? Ich kann meinen Dad bitten dich nach Hause zu fahren.“
Ich war mir nicht sicher ob Dad das überhaupt gemacht hätte so wütend wie ich ihn zurückgelassen hatte.
„Nein, danke. Ist schon okay. Ich hab‘s ja nicht weit nach Hause.“
„Danke.“, sagte ich in einem sanften Ton.
Eine Frage brannte mir noch unter den Nägeln. „Sag mal, woher wusstest du eigentlich, dass ich beim Basketballplatz bin?“
„Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es dir schlecht geht. Und als ich dann aus dem Fenster gesehen habe, bist du gerade wie eine Wahnsinnige vorbeigerannt. Da war ich mir sicher, dass etwas nicht stimmt. Also bin ich dir hinterher.“
Leicht kopfschüttelnd über diese Erklärung drückte ich seine Hand noch ein letztes Mal bevor wir uns verabschiedeten. Er lächelte mich noch einmal liebevoll an und wandte sich dann um und ging die Straße hinunter. Ich blieb noch kurz vor der Haustüre stehen und sah ihm nach. Nun war es also passiert. All die Gegenwehr, die ich geleistet hatte um die Gefühle zu Brian zu unterdrücken und all die Verzweiflung, die ich in dieser Zeit empfunden hatte, war wie weggespült. Ich war mir sicher, dass ich ihn wollte. Und ich war mir auch bewusst darüber, dass es ihm genauso erging.
Mit Herzen in den Augen betrat ich das Haus. Mein Vater und meine Mutter sprangen beide aus ihren Sesseln im Wohnzimmer und stürmten auf mich zu. Mom umarmte mich sofort und fragte aufgelöst „Schätzchen, ist alles in Ordnung mit dir? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“
„Ja Mom, keine Sorge. Es ist alles in Ordnung. Ich …. musste nur ein wenig frische Luft schnappen.“
Ihre besorgte Miene schien sich etwas zu lösen. Sie sah mich von unten bis oben an und meinte dann
„Du bist ja klatschnass! Ich hole dir ein Handtuch und dann komm ins Wohnzimmer und wärm dich ein bisschen auf. Ich mach dir eine Tasse Tee.“
„Danke Mom.“
Und schon war sie auf dem Weg ins Badezimmer um das versprochene Handtuch zu holen.
Ich wagte es nicht meinem Vater in die Augen zu sehen. Ich wusste, dass er sehr zornig war und wollte ihn nicht noch mehr aufregen, als ich es ohnehin schon getan hatte.
„Dad, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anbrüllen.“
Während ich die Worte sprach sah ich an die Wand. Ich wartete auf eine Reaktion, doch sie kam nicht. Ich traute mich noch immer nicht hinzusehen um aus seinem Gesicht abzulesen was gerade in ihm vorging.
Eine endlos lange Minute voll Stille trat ein. Dann sagte er „Trink eine Tasse Tee und wärm dich ein wenig auf. Dann geh zu Bett. Für heute ist es genug.“
Er drehte sich um, ging die Stiegen hinauf und verschwand im Schlafzimmer. Die Tür schloss er hinter sich. Sein flotter Abgang machte mich traurig. Ich hatte nie vor meinen Dad so vor den Kopf zu stoßen. Doch meine Wut nahm einfach überhand und ich entlud sie an der ersten Person, die mir in die Quere kam.
Meine Mutter war mittlerweile mit dem Handtuch und ein paar frischen Klamotten zurückgekommen. Ich trocknete mich ab und zog mich um. Den Haufen nasser Wäsche wollte ich gleich in den Keller tragen, um ihn in die Waschmaschine zu stopfen. Doch Mom war mir bereits zuvor gekommen. Als ich auch dem Bad kam, stand auch schon eine warme Tasse Tee bereit.
Ich ging hinüber zum Tisch und nahm mir die Tasse mit zur Wohnzimmercouch. Ich schlug die Beine übereinander, legte mir die kuschelige Wolldecke, die wir immer auf der Couch deponiert hatten, darüber und stellte die Teetasse nach ein zwei Schlucken auf meinem Knie ab.
Mom setzte sich auf ihren Sessel und sah mich neugierig und fragend an.
„Also Bonnie. Willst du mir nicht erzählen was heute passiert ist?“
Ich war ehrlich gesagt nicht in der Stimmung über die Ereignisse der letzten Wochen zu reden, allerdings wusste ich auch, dass Mom keine Ruhe geben würde, bevor ich ihr nicht zumindest einen Bruchteil der Story erzählt hatte. Ich entschied mich dafür die Details über Brian, unsere Träume und unsere Zuneigung zueinander wegzulassen und beim für sie Wesentlichen zu bleiben.
„Ich habe heute mit Phil Schluss gemacht.“ Beim Aussprechen der Worte erinnerte ich mich wieder an den unendlichen Schmerz in seinen Augen, als er begriffen hatte, dass mein Herz nicht mehr ihm gehörte, falls es das überhaupt irgendwann tat.
Sie überlegte. „War er zu aufdringlich?“ Ihr war die Frage sichtlich unangenehm.
„Nein Mom, bitte.“ Ich seufzte.
„Phil trifft keine Schuld. Er hat nichts getan. Ich… ach ich weiß nicht. Es fühlte sich einfach nicht mehr richtig an mit ihm zusammen zu sein.“
Wieder überlegte sie. Es schien mir als ob sie ihre Worte sorgfältig auswählte um mich nicht noch mehr aufzuregen.
„Hat es vielleicht etwas mit diesem Jungen zu tun, der dich letztens besucht hat?“
„Mom!“, ich verlieh diesem einen Wort so viel Nachdruck, dass sie wusste ich würde nicht weiter darüber sprechen. Es war mir peinlich mit meiner Mutter über Männer zu reden. Sie war zwar wie eine Freundin für mich, da ich immer mit allen Problemen zu ihr kommen konnte, doch hierbei handelte es sich um etwas viel Persönlicheres als sonst.
„Ich verstehe.“
In Ihren Worten war keinerlei Enttäuschung über meine Zurückhaltung. Ich war mir sicher sie hatte bereits damit gerechnet, dass ich die Information bei einem Minimum halten würde.
Sie stand aus ihrem Sessel auf und wandte sich um. Bevor sie den Raum verließ sagte sie noch „Weißt du Kleines. Oft gibt es keine Erklärung warum etwas passiert. Und nicht selten scheint es zu Beginn abwegig und unverständlich. Doch ich denke, dass gerade das die Definition von Schicksal ausmacht. Und das Schicksal lässt sich nun mal nicht betrügen.“
Sie lächelte mich an und ging hinauf ins Schlafzimmer.
Ich saß noch ein paar Minuten auf der Couch und trank meine Tasse Tee zu Ende. Dann ging auch ich ins Bett. Die Erlebnisse der letzten Stunden hatten mich ausgelaugt und ich fühlte mich unendlich müde. Als ich im Bett lag dachte ich noch einmal über die Worte nach, die meine Mutter zuletzt zu mir gesagt hatte. „Das Schicksal lässt sich nun mal nicht betrügen.“ Wie recht sie hatte. Ich hatte versucht dagegen anzukämpfen und scheiterte kläglich. Scheinbar war Brian mein Schicksal und ich traute mich nur nicht es mir einzugestehen.
Brian, er war so wunderschön. Diese blauen Augen und zarten Lippen. Sein dichtes Haar und diese maskuline Ausstrahlung. So etwas sah man selten bei einem Jungen seines Alters. Ich merkte wie mein Mund sich zu einem Lächeln verformte. Das erste Mal seit zwei Wochen hatte ich das Gefühl wieder richtig glücklich zu sein. Mit diesem Gedanken schlief ich selig ein.