Читать книгу Reborn - Betty Barton - Страница 5
Begegnung
ОглавлениеDie Bears hatten sich wacker geschlagen und wir gewannen das große Spiel. Jenny legte einen fabelhaften Auftritt hin und Phil und ich waren ihre ganz persönlichen Groupies und feuerten sie jede Minute ihrer Tanzeinlage an.
Das Adrenalin schien noch immer in Strömen durch Jennys Adern zu fließen als wir uns auf den Heimweg machten. Sie hörte nicht auf zu plappern.
„Ich kann’s kaum glauben, dass alles so reibungslos funktioniert hat. Ich hätte nie gedacht, dass wir für unsere Performance so viel Beifall kriegen würden. Oh Mann, mein Puls rast noch immer.“
Ich konnte ihren Herzschlag bis vor zum Beifahrersitz hören.
„Ja, ihr wart wirklich Klasse.“, sagte ich.
„Vor Allem deine Choreographie am Ende war der Hammer. Das sah echt mega professionell aus.“, fügte Phil hinzu.
„Danke Leute, ich bin froh, dass es euch gefallen hat.“
Meine Mutter hatte bereits frische Limonade und Sandwiches im Garten bereitgestellt. Es warteten drei Klappbetten und ein aufgespannter Sonnenschirm auf uns. Wir wollten uns nach der vielen Aufregung ein bisschen ausruhen und noch etwas gemeinsam abhängen.
Phil parkte sich in der Einfahrt ein. Wir beide gingen Schnurstraks zu den Betten und ließen uns darauf fallen. Jenny nahm noch schnell eine Dusche bevor sie sich zu uns gesellte. Ich war schon ein wenig verwundert, dass sie lieber mit uns abhing als mit ihren Cheer-Kolleginen zu feiern. Aber wer kannte schon Jennys Beweggründe.
Während wir die Wartezeit bis zu Jennys Eintreffen mit einem belanglosen Gespräch über das herrliche Aprilwetter verbrachten, spürte ich einen altbekannten Schauer über meinen Rücken ziehen. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf und ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Es war nicht ungewöhnlich, dass es mich einfach so aus heiterem Himmel fröstelte. Schon als kleines Kind hatte ich des Öfteren ein Gänsehauterlebnis, ohne dass auch nur ein Lufthauch durch den Raum ging. Ich schenkte diesem Gefühl wenig Aufmerksamkeit und konzentrierte mich wieder auf den Smalltalk mit Phil. Nach einer gefühlten Ewigkeit war dann auch das dritte Bett besetzt.
So lagen wir bestimmt 2-3 Stunden und plauderten über das Spiel, Jennys Auftritt und was sie mit ihrem Tanztalent anfangen konnte. Phil und ich versuchten Sie zu überzeugen zuerst mit uns auf College zu gehen und ein Studium abzuschließen, bevor sie sich einer Tanzgruppe anschloss. Wir wollten einfach sicher gehen, dass sie nach einer eventuell erfolglosen Tanzkarriere noch andere Möglichkeiten hatte sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Davon wollte sie natürlich nichts wissen. Für sie war klar, dass sie eines Tages eine bekannte Choreografin werden und die Tanzeinlagen großer Stars choreographieren würde.
Als Jenny wieder mal anfing ihre Luftschlösser zu bauen und uns von ihrem Leben als beste Freundin der Stars zu erzählen, hörte ich ein entferntes Motorengeräusch, das scheinbar immer näher kam. Ich beugte mich vor und konnte am Ende der Straße einen kleinen Umzugswagen erkennen. Phil, Jenny und ich lehnten uns noch weiter vor um den kleinen Truck, der schnell näher kam, genau unter die Lupe zu nehmen.
Temecula war zwar eine schnell wachsende Stadt, in unsere Wohnstraße zogen jedoch eher selten neue Leute, da hier hauptsächlich alteingesessene Einwohner angesiedelt waren. Kaum jemand von diesen Nachbarn würde sein Haus freiwillig verkaufen.
Der Umzugswagen reduzierte seine Geschwindigkeit als er von der Hauptstraße in unsere Wohnstraße einfuhr. Er fuhr nun mit cirka 20kmh an uns vorbei. Auf dem Fahrersitz saß ein Mann mittleren Alters mit schütterem, braunen Haar und einer großen, auffälligen Brille. In der Mitte konnten wir eine Frau erkennen. Ich schätzte sie aufgrund der Ähnlichkeit zu meiner eigenen Mutter auf cirka 45. Wir bemerkten, dass sie angestrengt abwechselnd auf die Straße und den Stadtplan starrte, den sie verkrampft zwischen ihren Fingern hin und her drehte.
„Vielleicht haben Sie sich ja verfahren.“, sagte Jenny.
„Ich wüsste nicht wo hier ein Haus frei wäre.“, meinte Phil.
Wir sahen weiter zu dem Truck hinüber. Ganz links außen saß ein Junge. Ich schätzte er war in unserem Alter, um die Siebzehn. Sein Gesicht war nur von der Seite zu sehen, aber genug um die Grundzüge zu erkennen.
Ganz langsam und ohne mein Zutun öffnete sich mein Mund. Mir viel sprichwörtlich die Kinnlade herunter. Ich betrachtete den Jungen so genau wie ich es nur konnte. Schließlich war der Wagen ja noch in Bewegung. Doch ich brauchte nicht lange hinzusehen um mir sicher zu sein, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte.
„Dieses Gesicht. Die…Dieses Gesicht.“, stammelte ich vor mich hin.
Phil und Jenny sahen mich mit einem dicken, fetten Fragezeichen über ihren Köpfen hängend an.
„Ist alles okay mit dir Bonnie?“
Ich reagierte nicht auf ihre Frage, sondern starrte weiter auf den Umzugswagen und den Jungen, der darin saß.
„Hey, Bonnie. Hallo, was ist los? Erde an Bonnie!“
Jennys Worte drangen nicht bis zu meinem Verstand vor. Meine Augen fixierten noch immer diesen Jungen. Dann packte sie mich sanft am Arm und schüttelte mich. Ich erwachte aus meiner Starre, schüttelte die Verwunderung von mir ab und wandte mich Phil und Jenny zu.
„Was war denn los mit dir?“, fragte Jenny mit einem merklich besorgten Unterton.
„Nichts, ich… ich dachte nur ich würde die Familie kennen. Ich habe mich aber geirrt.“
Ich war froh, dass keiner von beiden weiter nachfragte, sondern mein eigenartiges Verhalten ganz einfach abhakten.
„Komisch. Normalerweise erfahren wir immer wenn sich etwas in unserer Straße tut. Da muss ich doch gleich meine Mom anrufen.“
Jennys Mom war so etwas wie die Klatsch-Königin in Temecula. Sie wusste über Alles und Jeden Bescheid und trug wesentlich zur Verbreitung von Gerüchten und Neuigkeiten bei. Jenny hatte ihr Handy gezückt und ich konnte sie aufgeregt mit ihrer Mom sprechen hören. Meine Gedanken waren noch immer von dem Jungen in dem Wagen dominiert, so vernahm ich nicht, was genau Jenny mit ihrer Mutter besprach.
Phils besorgter Gesichtsausdruck war noch nicht ganz verschwunden. Er hatte meine veränderte Art der letzten Tage, seit ich das erste Mal von diesem Jungen geträumt hatte, nicht vergessen. Er wusste zwar nicht warum ich mich so verhalten hatte, aber er kannte mich schon gut genug um zu wissen, dass etwas im Busch war.
Ich war innerlich total aufgewühlt. Hatten mir meine Augen einen Streich gespielt? Vielleicht wünschte ich mir ja nur, dass ich den Jungen aus meinem Traum im realen Leben gesehen hatte. Wie konnte ich sicher sein, dass ich mich nicht getäuscht hatte?
Phils Blick durchbohrte mich förmlich. Ich wusste, dass er eine Reaktion von mir erwartete. Irgendetwas, dass seine Unsicherheit ein wenig milderte. Also griff ich nach seiner Hand und drückte sie sanft. Da Jenny sowieso gerade abgelenkt war, würde es ihr bestimmt nicht auffallen, wenn wir kurz ein paar Berührungen austauschten. Phil freute sich über meine Geste und erwiderte meinen Händedruck. Er strich sanft über meinen Handrücken und ich lächelte ihm zuversichtlich entgegen. Als Jenny ihr High Tech Handy, dass meiner Meinung nach viel zu viele Funktionen für ein simples Mobiltelefon hatte, zurück in ihre Tasche packte, lösten Philip und ich uns wieder voneinander.
„Also…. Mom weiß auch nichts von einer neuen Familie. Was ihr aber zu Ohren gekommen ist, ist dass Mr. Smith, ihr wisst schon, der Rasenfetischist, erst vor kurzem in ein Heim gezogen ist. Sie nimmt also an, dass diese Familie jetzt in sein altes Haus einzieht.“
Phil und ich erwiderten nichts. Mein Freund hatte wenig Interesse an den Hintergründen und wer nun genau die „Neuen“ in der Straße waren. Ich hingegen musste mich beherrschen nicht gleich hinüber zu Mr. Smiths Haus zu laufen und mich zu vergewissern, dass ich mir die Ähnlichkeit des Jungen mit dem Mann meiner Träume nur eingebildet hatte.
Ich versuchte mir meine Gedanken nicht weiter anmerken zu lassen, was mir scheinbar ganz gut gelang. Phil, Jenny und ich saßen noch eine Zeit lang im Garten, tranken Limonade, aßen Sandwiches und diskutierten darüber, welche Testfragen wir die kommenden Wochen wohl zu erwarten hatten. Ich wartete bis meine beiden besten Freunde sich auf den Heimweg machten, ging dann hinauf in mein Zimmer und widmete mich unverzüglich meinen Zeichnungen.
Ich sah den Neuankömmling nur von der Seite. Also konnte ich eine Übereinstimmung mit dem Jungen aus dem Traum nicht hundert prozentig bestätigen. Es hätte gut sein können, dass ich mir diese Ähnlichkeit nur eingebildet hatte. Aber woher kam dann dieses Gefühl in meiner Magengegend? Dieses Flattern, dieses nervöse Kitzeln? Ich versuchte das Thema für heute geistig beiseite zu legen. Ich würde der Familie bestimmt demnächst begegnen. Wenn wir das Alter des Jungen richtig geschätzt hatten, dann würde er mit Sicherheit an unserer Schule auftauchen. Spätestens dann konnte ich mir ein genaueres Bild von ihm machen.
Ich legte mich aufs Bett und schaltete meinen Ipod ein und lauschte den intensiven und rockigen Klängen meiner Lieblingsband. Immer wieder flackerten Bilder aus meinen Träumen vor meinem geistigen Auge auf. Meine Verdrängungstaktik ging nicht wirklich auf, also ließ ich meiner Fantasie freien Lauf und mich von den Erinnerungen in einen tiefen Schlaf begleiten.
Am nächsten Tag holte mich Phil wie gewohnt von zu Hause ab. Wir fuhren bei Jenny vorbei um sie mitzunehmen. Obwohl ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, kam Jenny auf meine Reaktion gestern und mein zurückhaltendes und nachdenkliches Verhalten seit einigen Tagen zu sprechen.
„Sag mal, was ist in letzter Zeit mit dir los? Du wirkst so gedankenverloren. Ist irgendetwas passiert?“
Ich wusste ich konnte es nicht länger vor ihr verbergen, sie kannte mich einfach zu gut. Phil konnte ich bis zu einem gewissen Grad täuschen. Er war so über beide Ohren in mich verliebt, dass egal was ich ihm sagte, er es akzeptieren würde, solange ich ihn dabei liebevoll und ehrlich anlächelte. Also spielte ich ihm etwas vor, während ich Jenny gleichzeitig klarmachte, dass das nicht der geeignete Zeitpunkt für dieses Gespräch war und ich später darauf zurückkommen würde.
„Na klar ist alles in Ordnung. Ich war nur etwas in Gedanken versunken wegen des Ballonfests.“
Ich zwinkerte Phil zu und lächelte ihn liebevoll an.
„Ach Jenny, ich wollte dich fragen ob du heute bei mir übernachten möchtest. Mal wieder so einen richtigen Mädchenabend machen. Was meinst du?“
Jenny verstand den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. Ich sprach so gut wie nie von einem Mädchenabend, außer es gab etwas Privates zu besprechen, dass nicht mal unser gemeinsamer bester und mein fester Freund Phil wissen sollte.
„Ja klar. Warum nicht. Hatten wir schon lang nicht mehr. Außer es stört dich Phil?“
Wir wussten beide, dass er nichts dagegen haben würde. Es war ihm denke ich durchaus bewusst, dass an solchen Abenden Dinge besprochen wurden, von denen er nichts wissen sollte und wahrscheinlich auch nichts wissen wollte. Wir hielten zum Beispiel solch einen Mädchenabend ab, als Jenny und ich das erste Mal die Tage hatten. Damals googelten wir das Thema stundenlang. Wir wollten auf Nummer sicher gehen, wissen ob wir zu früh oder zu spät dran waren. Natürlich wollten wir auch wissen, was das für uns in Zukunft bedeuten würde. Was würde sich ändern? Auf was mussten wir besonders achten? Wir ließen uns nicht gerne überraschen und versuchten uns so gut wie möglich auf die Pubertät, die durch den Eintritt der Monatsblutung folgte, einzustellen.
Wir waren damals 13 Jahre alt. Phil fragte uns über was wir den ganzen Abend lang gesprochen hatten. Er fühlte sich zu diesem Zeitpunkt scheinbar ausgeschlossen. Es gab bis zu diesem Moment nichts, dass wir nicht gemeinsam machten. Phil durfte sogar bei Jenny oder mir übernachten. Unsere Eltern wussten wie innig unsere Freundschaft war, und hatten daher nie Sorge, dass etwas Unsittliches passieren könnte. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt als wir ihnen von unserer eingesetzten Periode erzählten. Von da an war eine Übernachtung eines Jungen, egal ob es Phil oder ein anderer Junge war, absolut und striktestens verboten.
Wir erzählten ihm damals um was sich der Abend gedreht hatte. Es war nicht mal die gesamte Geschichte. Nur ein Bruchteil. Die Kerninformation, dass Jenny und ich nun zu Frauen wurden. Das hatte ihm völlig gereicht. Seit diesem Zeitpunkt hatte er nie wieder gefragt was nun genau an unseren Mädchenabenden besprochen wurde. Ich nahm an, dass es ihm peinlich war und er sich bei manchen Themen mit Sicherheit mehr als unwohl gefühlt hätte.
„Nein, warum sollte ich was dagegen haben. Ich wollte mich dieses Wochenende sowieso mit Lucas zusammensetzen. Wir müssen unsere Projektarbeit endlich fertig schreiben.“
„Das trifft sich ja gut.“, meinte Jenny freudestrahlend. Also ein Mädchenabend.
Die erste Hälfte des Schultages verging recht schnell und ich konnte es kaum erwarten in die große Mittagspause zu gehen. Das Wetter war schön warm und die Sonne schien. Jenny, Phil und ich machten uns auf den Weg zum Schulhof.
Wir hatten unseren Stammplatz, auf dem wir saßen, wenn das Wetter schön genug für Lunch im Freien war. Menschen sind Gewohnheitstiere, daher hatte niemand ein Problem damit, dass wir uns diesen Platz immer reservierten, schließlich wollten die anderen ja ebenso ihren gewohnten Pausenplatz besetzen. Als wir aus der großen Flügeltür kamen, sahen wir, dass sich jemand auf einen der Stühle an unserem Tisch gesetzt hatte. Es war nicht weiter tragisch. Die Sitzgelegenheit war für 4 Personen konzipiert. Wir saßen fast immer zu dritt dort, außer Jenny hatte gerade einen neuen Lover, dann war der Platz natürlich belegt.
Jenny, Phil und ich sahen uns an. Wir drei wussten, dass der „Neue“, den wir gestern an uns vorbei fahren sahen, dort Platz genommen hatte. Das Gesicht war genau wie gestern nicht ganz zu sehen. Ich spürte wie meine Hände schwitzig wurden und steckte sie in die Hosentaschen. Phil und ich würden sowieso nicht Händchen halten, schließlich war das ja unsere Abmachung. Wenn Jenny dabei war verhielten wir uns wie zwei Freunde, nicht wie ein Liebespaar.
Gleich würde ich Gewissheit haben. War der Neue wirklich der Junge aus meinem Traum? Oder war das alles nur Einbildung? Die Neugierde brachte mich fast um den Verstand. Fast so als hätte jemand ein Seil um meine Hüften geschwungen und mich zu sich gezogen, bewegte ich mich schnell und ohne viele Schritte in Richtung unseres Stammtisches. Phil und Jenny versuchten mit mir Schritt zu halten, mussten jedoch zwischendurch immer wieder vom schnellen Gehen zum Laufen beschleunigen um mit mir auf selber Höhe zu bleiben. Ich blieb direkt vor dem Tisch stehen, bewegte mich keinen Zentimeter mehr und wartete bis der Junge den Kopf hob und mir entgegensah. Er war vertieft in ein Buch, vielleicht hatte er mich deswegen nicht kommen hören. Meine Lippen waren wie zusammengenäht. Ich versuchte ein Hallo herauszupressen, es tat sich aber nicht das Geringste. Gott sei Dank war Jenny auch schon neben mir und brüllte das Hallo, das mir im Hals stecken geblieben war, heraus.
Erschrocken blickte der Junge plötzlich auf. Er schien uns wirklich nicht gehört zu haben und war von unserem Eintreffen an diesem Platz sichtlich überrascht.
Sein Gesicht war dasselbe wie das Gesicht des Jungen aus meinem Traum. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Diese tiefblauen Augen, die kantigen Wangenknochen und diese vollen und unwiderstehlichen Lippen. Er war es eindeutig. Er hatte dichtes braunes Haar, wie passend. Doch die Länge stimmte nicht. Er hatte sich den Großteil seiner Haare mit Gel hochgestellt, der Rest war kurz geschnitten.
Es fühlte sich an als ob jemand mein Herz genommen und zum Tanz ausgeführt hatte. Da saß er, direkt vor mir. Der Junge aus meinem Traum. Und ich empfand dasselbe Kribbeln in meinen Gliedern wie auf dem Feld, wo ich ihm das erste Mal begegnet war.
„Hey Bonnie, reiß dich zusammen. Es war nur ein Traum. Ein verrückter und eigenartiger Zufall. Komm mal wieder runter. Steh hier nicht so peinlich herum und starre ihn an.“, versuchte ich mich selbst aus meiner Starre zu lösen. Doch erste Phils Berührung an meinem Unterarm riss mich aus meiner gedankenverlorenen Stille. Als ich zu ihm hinüber sah begegnete mir ein verständnisloser und etwas hilflos wirkender Blick. Jenny unterhielt sich unterdessen mit dem Neuen.
„Du sitzt auf unserem Stammplatz“. meinte sie mit einem erfreuten Tonfall zu dem Jungen meiner Träume.
Er sah peinlich berührt auf die Sitzbank und antwortete „Oh, das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass hier schon reserviert war.“
„Mach dir nichts draus. Du kannst ruhig hier sitzen bleiben. Momentan ist der vierte Platz ohnehin nicht besetzt.“
Ich wartete bis Jenny ihren Satz fertig gesprochen hatte und tat es dann meinen Freunden gleich. Ich setzte mich auf meinen Platz, der genau gegenüber von unserem neuen Mitschüler lag.
Ich konnte die Augen nicht von ihm lassen, ich analysierte jedes Detail in seinem Gesicht. Und genauso wie in meinem Traum kam es mir auch jetzt so vor, als würde ich ihn schon ewig kennen, als hätte ich diese Gesichtszüge tausende Male gesehen.
Als ich zu Jenny hinüber blickte merkte ich, dass auch sie von seinem Aussehen gebannt war. Scheinbar gefiel ihr der Neue.
„Wer weiß, vielleicht ist das genau der richtige Platz für dich.“, führte Jenny die Konversation mit dem Neuen fort und bekundete durch ihren Tonfall ihr eindeutiges Interesse an ihm. Sie sah kurz zu mir hinüber und ein verstohlenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.
Ich versuchte ihr Lächeln zu erwidern, doch meine Mundwinkel bewegten sich nicht. Ich fühlte mich mehr als unwohl in dieser Situation. Ich wollte nicht, dass Jenny Anspielungen darauf machte, dass sie den neuen Mitschüler als ihre nächste Errungenschaft sah. Ich wollte nicht, dass sie ihm auf so eine persönliche und intime Weise näher kam. Ich wollte nicht einmal, dass sie seine Hand berührte oder ihn auch nur zu lange ansah. In mir machte sich ein starkes Gefühl der Eifersucht breit. Sie brannte förmlich in meinen Gliedern.
Doch warum war ich eifersüchtig? Neben mir saß Phil, mein Freund, den ich seit Jahren kannte und der mir mehr als vertraut war. Warum kümmerte es mich ob Jenny diesen Neuen, mit dem ich noch nicht ein Wort gewechselt hatte, gut fand oder nicht. Ich wusste nichts über ihn, ich kannte ihn nicht im Geringsten und trotzdem kamen in meinem Inneren Besitzansprüche auf.
Jenny bemerkte meinen geistesabwesenden Blick und sah mich verständnislos an.
„Bitte entschuldige das unhöfliche Verhalten meiner Freunde. Das hier sind Phil und Bonnie.“
Der Junge sah zuerst Phil und dann mich an. Als unsere Augen sich trafen war es als würde etwas in mir explodieren und eine unerträgliche Hitze freigeben. Ich fühlte mich als wollte ich nie wieder in die Augen eines anderen sehen. Als würde es mir reichen den Rest meines Lebens hier zu sitzen und in diese tiefblauen Augen hinein zu blicken. Sein Blick hing genauso an mir wie meiner an ihm. Es fiel ihm sichtlich schwer die Augen von mir zu nehmen, auch nachdem Jenny ihn wiederholt nach seinem Namen gefragt hatte.
„Ähm, mein Name ist Brian. Schön euch kennen zu lernen.“
Er reichte uns die Hand zum Gruß. Jenny freute sich über diese Geste und streckte ihm ihre Hand in Windeseile entgegen. Es kam mir vor als würde dieser Handschlag eine halbe Ewigkeit dauern. Jenny schien keine Lust zu haben seine Hand loszulassen, doch nachdem er das dritte Mal versucht hatte sich aus ihrem Griff zu lösen, gab sie auf und zog zurück. Phil streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen und begrüßte ihn. Dann, als er sich mir zuwandte und meine Begrüßung erwartete, trafen sich unsere Blicke erneut.
„Hallo Bonnie.“, sagte er mit einer engelsgleichen und dennoch kräftigen Stimme. Sein Akzent erinnerte mich an einen meiner Lieblingsfilme. Typisch Britisch. Er war mit Sicherheit Engländer.
„H… Hi Brian. Freut mich.“
Ich erwiderte seine Begrüßung und legte meine Hand in seine.
Noch nie hatte ich so ein Gefühl empfunden. So als wäre es Bestimmung seine Hand zu halten. Als hätte es niemals anders sein sollen. Auch er sah verwundert auf unsere Hände und machte keinerlei Anstalten den Griff zu lösen.
Philip räusperte sich hörbar laut neben uns. Ich schüttelte die verträumten und abwegigen Gedanken ab und löste mit großer Überwindung den Griff. Ich sah zu Phil hinüber und konnte seinem eifersüchtigen und vorwurfsvollen Blicken nicht standhalten. Den Rest der Mittagspause starrte ich auf mein Sandwich und hoffte keine weiteren Fehler mehr zu machen.
Jenny hingegen nutzte mein Schweigen und Phils Desinteresse und konzentrierte sich voll und ganz auf Brian.
„Also Brian. Wo kommst du her? Und was verschlägt dich nach Temecula?“
Brian zögerte nicht einen Moment und beantwortete geduldig jede einzelne von Jennys Fragen. Ich hing wie gebannt an seinen Lippen. Der Klang seiner Stimme vibrierte in meinem Körper und durchzog mich mit einem angenehmen Schauer.
Am Ende der Pause wussten wir, dass Brian aus London hierhergezogen war, weil sein Großvater in eine betreute Wohngemeinschaft ging und sich wünschte, dass seine Familie näher bei ihm lebte. Sein Vater fand schnell einen Job als Buchhalter und sie konnten ohne Probleme umsiedeln. Er war im selben Jahr wie wir geboren und, was für Jenny am Wichtigsten war, er hatte keine Freundin in London zurückgelassen.
Die letzte Information war für meine beste Freundin die erfreulichste. Sie strahlte mit der Sonne um die Wette.
„Tja, dann warten wir mal ab ob du hier vielleicht ein nettes Mädchen kennenlernst.“
Ihre Stimme klang so süß und einschmeichelnd, dass mir schlecht von ihrem plumpen Anmachversuch wurde.
„Ja, vielleicht.“, antwortete Brian und warf mir einen kurzen Blick zu. Kurz genug, dass Phil und Jenny ihn nicht bemerkten.
Hatte er auch dieses komische Gefühl in meiner Gegenwart? Fühlte er sich ebenso zu mir hingezogen wie ich mich zu ihm?
„Wir sehen uns bestimmt noch. Mach‘s gut.“, hörte ich Jenny sagen als sie vom Tisch aufstand um zurück in die Klasse zu gehen.
Phil verabschiedete sich ebenfalls, nahm meine Hand und zog mich mit sich aus dem Sessel. Er schien es eilig damit zu haben mich aus der „Gefahrenzone“ zu bringen. Er hatte sonst nie einfach so meine Hand genommen, außer wir waren unter uns und Jenny war nicht in der Nähe.
Es war mir unangenehm, dass Brian Phil und mich Händchen haltend von ihm weggehen sah. Ich drehte mich noch einmal kurz zu ihm um einen letzten Blick zu erhaschen. Er sah auf Phils und meine Hand, die ineinander lagen und senkte seinen Blick wieder auf sein Buch. Ich konnte nicht deuten, was diese Geste für ihn bedeutete. Ich wusste nicht, ob es ihn störte Phil und mich als Pärchen zu sehen oder ob es ihm gleich war. Ich hätte so gerne gewusst, was er in diesem Moment, als er uns Hand in Hand davongehen sah, dachte. Insgeheim wünschte ich mir, dass er sich vorstellte er würde meine Hand halten und mit mir davon gehen.
Den ganzen Nachmittag über hatte Phil nicht ein Wort mit mir gesprochen. Jenny hingegen hörte nicht auf zu plappern. Sie schilderte uns ihren Eindruck von Brian so detailliert wie es ihr nur möglich war. Er gefiel ihr, das stand außer Frage. Ich konnte mir kein Mädchen vorstellen, das nicht Gefallen an ihm fand. Er war verdammt gut aussehend, höflich und sehr zuvorkommend. Mehr brauchte man nicht zu wissen um sich in jemanden zu verknallen. Ich hörte ihr halbherzig zu und nickte ab und an mit dem Kopf um ihr zu signalisieren, dass ich ihren Ausführungen folgte. Doch meine Gedanken kreisten nur noch um diesen Jungen, den Traum, die Blicke, die er mir zugeworfen hatte und die Berührung seiner Hand, die mich so aus der Bahn warf. Ich hoffte ihn noch einmal nach dem Läuten der Glocke zu sehen, doch ich wusste, dass der erste Tag in der Valley High von Leistungstests und Einstufungen gespickt war, was auch erklärte, warum er noch nicht in der Klasse aufgetaucht war. Ich nahm an, dass er wahrscheinlich schon etwas früher gehen durfte und uns daher nicht mehr über den Weg lief.
Phil fuhr zuerst Jenny, dann mich nach Hause. Bevor sie ausstieg erinnerte sie mich noch an unseren Mädchenabend. Ich nickte und stimmte der Uhrzeit zu, zu der sie bei mir auftauchen wollte.
Als ich alleine im Auto mit Phil saß, wurde mir bewusst wie verletzend und unangenehm die Situation heute Mittag für ihn gewesen sein musste. Es war offensichtlich, dass dieser Junge mich interessierte. Mein ganzes Verhalten in den letzten Stunden seit unserer Begegnung war zu eindeutig um es abstreiten zu können. Ich wollte das Eis brechen und mich mit ihm über mein schlechtes Verhalten aussprechen. Doch als ich ansetzte um das Gespräch zu beginnen, standen wir auch schon in meiner Einfahrt.
„Bonnie, was auch immer da heute los war. Es ist okay.“
Also damit hatte ich auf keinen Fall gerechnet. Es war okay für ihn? Er wusste ja nicht mal was in mir vorging.
„Er ist neu hier und es muss sehr interessant für dich und Jenny sein mal ein anderes hübsches Gesicht als meines zu sehen.“ Er lächelte sanft. Doch sein Blick blieb weiterhin auf das Lenkrad gerichtet.
„Bitte versprich mir nur eins. Mach keine Dummheiten. Solche Schwärmereien sind schneller wieder vergangen als sie aufgekommen sind. Aber das was wir haben ist um ein Vielfaches wertvoller. Findest du nicht?“ Diesmal sah er mir direkt in die Augen.
„Natürlich. Es tut mir leid, wie ich mich heute verhalten habe. Es war einfach nicht richtig. Und keine Sorge, ich schwärme nicht für ihn. Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen.“
Ob er mir das abnahm?
„Ich mache mir keine Sorgen. Ich vertraue dir.“
Er küsste mich auf die Stirn.
„Wir sehen uns Montag wieder, okay?“
„Okay, bis dann.“
Er parkte aus und fuhr die Straße hinunter zu seinem Haus.