Читать книгу Totensee - Betty Hugo - Страница 5

Überschrift 1

Оглавление

3. Kapitel

Wieder drückte die alte Frau, mit größerer Kraft als man es einer todgeweihten Kranken je zugetraut hätte, die Hand ihrer Enkelin.

Obwohl Lisa nicht einmal ahnte, worum es ging, beteuerte sie nachdrücklich ihre Bereitschaft, alles zu tun, um dieses Familiengeheimnis aufzuklären.

Ihre Großmutter raffte ihre letzten Kräfte zusammen und begann, Lisa eine seltsame, tragische Begebenheit aus ihrer eigenen Kindheit zu erzählen, von der Lisa noch nie zuvor auch nur ein einziges Sterbenswörtchen gehört hatte. Die Erzählung ließ sie, trotz der lauen Sommerluft, in ihrem dünnen Kleid frösteln.

„Wie du weißt, stamme ich aus dem Süden des Landes und bin erst als junge Frau, der Liebe zu deinem Großvater wegen, nach Norden ins flache Land mit den vielen Feldern und Obstwiesen gekommen. Die Landschaft meiner Kindheit war auch wunderschön, mit vielen Hügeln, Wäldern und Seen. Ich bin in einem kleinen Dorf geboren worden, nicht allzu weit von einem riesigen See entfernt."

Nach einer Pause fuhr sie fort:

"Dieser See, der uns in unserer Kindheit noch viel riesiger erschien, als er tatsächlich ist, hatte eine schöne, flache Badestelle mit einem kleinen Sandstrand, der von uns Kindern aus dem Dorf in den Sommermonaten gerne zum Spielen und Schwimmen genutzt wurde. Damals ist man noch nicht in die ganze Welt hinaus in den Urlaub gefahren. Wir haben praktisch den ganzen Sommer dort verbracht. In den Schulferien waren wir von morgens bis abends dort. Unsere Mütter haben uns Brotstullen geschmiert, meine war meistens mit Leberwurst belegt.“

Ihre Großmutter lächelte bei dieser Erinnerung versonnen vor sich hin, dann wurde sie plötzlich sehr ernst.

„Einen Wermutstropfen gab es allerdings bei diesem schönen Plätzchen. Es ging im Dorf eine uralte Geschichte um, die jedem Kind erzählt wurde. Wirklich jedes Kind kannte diese Geschichte, aber keines der Mädchen und keiner der Jungen wussten, ob sie die Geschichte glauben sollten oder nicht. Schließlich war viele Jahre lang nichts passiert. Aber das hatte nicht wirklich etwas zu bedeuten. Gerade wenn alle Dorfbewohner glaubten, der Fluch des Sees sei überwunden, passierte doch wieder ein schlimmes Unglück.“

Lisas Hand verkrampfte sich, als sie einen Blick auf die Uhr über der Tür warf. Die Zeit verrann unerbittlich und sie musste dringend zur Arbeit. Aber die Erzählung hier war extrem wichtig, das spürte sie tief in ihrem Inneren. Um die Geschichte in Ruhe zu Ende hören zu können, musste sie dringend auf ihrer Arbeitsstelle Bescheid sagen. Sie flüsterte ihrer Großmutter ins Ohr, dass sie kurz aus dem Zimmer gehen müsste, aber gleich wieder zurückkäme.

Sie nahm ihr Handy und schlüpfte hinaus auf den Flur. Dort wählte sie hastig die Telefonnummer ihrer Chefin im Pflegeheim und teilte ihr mit, dass sie heute etwas später zur Arbeit kommen würde, weil ihre Großmutter im Sterben lag und sie noch eine wichtige Unterhaltung führten.

Da ihre private Situation auf ihrer Arbeitsstelle bekannt war, hatte ihre Chefin Verständnis für ihr Anliegen.

Erleichtert schlüpfte Lisa zurück ins Krankenzimmer, um sich den Fortgang der Erzählung anzuhören.

„Ich bin wieder da, Großmutter, “ wisperte sie und ließ sich erneut auf dem unbequemen Besucherstuhl nieder.

Die alte Frau holte Luft so gut es ging. Sie ließ sich von ihrer Enkelin einige Schlucke Wasser reichen und fuhr dann fort:

„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Wir hatten viele schöne Sommer, aber ein Sommer war schrecklich. Den habe ich nie vergessen, mein ganzes Leben lang nicht. Es muss in den Jahren kurz nach dem großen Weltkrieg gewesen sein, als es passierte. Ich schätze, es müssen die fünfziger Jahre gewesen sein. Ich war damals etwa zwölf Jahre alt, ein Alter in dem man sich gut an schlimme Erlebnisse erinnert. Ich habe euch nie erzählt, dass ich damals eine Schwester hatte. Sie war einige Jahre älter als ich.“

Plötzlich rannen Tränen über ihre eingefallenen Wangen. Bei Lisa, die der Erzählung bislang aufmerksam gelauscht hatte, machte sich bei diesem Geständnis augenblicklich ein flaues Gefühl in der Magengrube breit.

Was war denn das für eine seltsame Wendung der Geschichte?

Totensee

Подняться наверх