Читать книгу Vampire in New York - Bianka Kurzer - Страница 7

Kapitel 5

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Das ruhige Leben in Frankreich änderte sich, als die ersten Menschen, im Jahre 1792, ihren Kopf auf der Guillotine verloren. Allerdings blieb es in der Gegend in der die Vampirzwillinge lebten ruhig. Ihre Eltern hatten sich aus politischen Dingen schon immer heraus gehalten und hatten den Menschen in ihrem Dorf und der Umgebung immer geholfen. Sie hatten niemanden schlecht behandelt und stets gute Löhne gezahlt. Die Menschen mochten den Graf und die Gräfin und auch deren hilfsbereite und freundliche Töchter.

Eines Morgens überbrachte einer der Dorfbewohner dann aber die Nachricht, dass eine Gruppe von fast einem Dutzend Männern auf dem Weg zu ihrem kleinen Landgut war. Es waren Männer die, unter dem Deckmantel der Revolution, durch die Gegend zogen, nur um zu stehlen, zu morden und andere abscheuliche Taten zu begehen. Bereits am Abend würden sie das Dorf erreicht haben. Der Mann empfahl dem Grafen zu fliehen, solange er noch Zeit hatte. Er selbst habe seine Familie schon in Sicherheit gebracht und wollte ihnen umgehend folgen. Er hatte es nur als seine Pflicht angesehen, den Grafen und seine Familie zu warnen. Der Graf dankte ihm für die Information und steckte ihm noch etwas Geld zu. Dann rannte der Mann davon.

Der Graf war zutiefst erschüttert. Er musste sofort handeln und seine Töchter und die Bediensteten in Sicherheit bringen. Leider war seine Frau, Agnès, bei schlechter Gesundheit und eine Reise kam für sie nicht in Frage. Und unter gar keinen Umständen würde der Graf seine über alles geliebte Frau alleine lassen. Als er seine Familie und seine Bediensteten in der Eingangshalle zusammen gerufen hatte, erzählte er allen was ihnen bevorstand. Er trug den Männern und Frauen, die für ihn arbeiteten, auf, sofort ein paar Sachen zusammen zu packen und mit ihren Familien irgendwo Schutz zu suchen. Einige wollte dem Grafen beistehen aber er bestand darauf, dass sich alle in Sicherheit bringen sollten.

Als er mit seiner Frau und seinen Töchtern allein war, befahl er seinen Töchtern, auch sofort ihre Sachen zu packen. Sie sollten fliehen, während er mit ihrer Mutter zurück bleiben würde. Die Schwestern waren außer sich. Niemals würde sie fliehen und ihre Eltern im Stich lassen. Soleil weigerte sich, sie war der festen Überzeugung, dass sie und Marguerite stark genug wären um die Männer zu bekämpfen. Aber ihr Vater verbot es ihnen rigoros. Er hatte Angst dass sie verletzt werden könnten. Auch wenn sie Vampire waren und kleine Wunden schnell heilten, so wusste er nicht, ob ihre Körper auch einem Messer oder eine Kugel standhalten würden. Was wenn sie den Männern unterlagen und man sie gefangen nehmen würde? Nein, dieses Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen. Zudem galt es unter allen Umständen das Geheimnis seiner Kinder zu wahren. Marguerite machte daraufhin den Vorschlag, wenigstens zusammen zu fliehen, sie würden die Mutter auch tragen. Aber auch dass schlug ihr Vater aus. Die Gräfin war einfach zu krank und zu geschwächt, als dass sie eine Flucht überstehen würde. So sehr die beiden auch auf ihre Eltern einredeten, sie konnte sie nicht umstimmen. Alles Bitten und Flehen war umsonst. Der Graf hatte seine Entscheidung getroffen und auch seine Frau hatte ihre Mädchen inständig gebeten, zu gehen.

Am Ende stand es fest. Die beiden Schwestern würden alleine, ohne ihre Eltern, das Dorf verlassen. Der Graf war sogar so weit gegangen, dass er seinen Töchtern das Versprechen abgenommen hatte, Frankreich gänzlich zu verlassen. Egal welche Einwände die Töchter brachten, der Graf und die Gräfin ließen sich nicht erweichen. So wurden die beiden jungen Frauen in aller Eile mit Kleidern, die sie sich von den Mägden hatten geben lassen, ausgestattet. Ihr Vater hatte alles Wertvolle, wie Geld, Gold und Schmuck das er im Haus hatte, zusammen gesucht und es seinen Töchtern mit auf den Weg gegeben. Sie versteckten die Wertsachen und das Geld eingenäht in ihren Röcken und obwohl sie ihre Eltern ungern alleine ließen, gehorchten die Töchter. Unter Tränen ließen sie ihre geliebten Eltern schweren Herzens zurück.

Sobald die Schwestern die Gegend um ihr Dorf verlassen hatten, nutzten sie ihre Vampirgeschwindigkeit um so schnell wie möglich voran zu kommen. Sie verließen Frankreich und erreichten nach zwei Tagen Lausanne. Sie hatten auf ihrem Weg darauf geachtet, von niemandem gesehen zu werden. In den Nächten hatten sie sich in Höhlen oder dichten Hecken ausgeruht, anstatt sich irgendwo eine Unterkunft zu suchen. Nahrung fanden sie bei den Menschen, die auf kleinen Bauernhöfen lebten oder in den Dörfern durch die sie kamen. Die Menschen an denen sie sich nährten, wurden von ihnen schnell überwältigt. Sie tranken nicht viel, nur das nötigste und ließen die Menschen dann ohne Erinnerung an das Geschehene zurück.

In Lausanne angekommen, machten sie sich zuerst mit der Umgebung vertraut. Sie hatten beschlossen von ihrem Geld ein kleines Haus zu kaufen und fanden genau was sie suchten, etwas außerhalb der Stadt. Der Kauf war schnell abgewickelt. Da die meisten Möbel in dem Haus noch sehr gut erhalten waren, konnten sie sogar sofort einziehen. Noch am gleichen Tag schrieben sie ihren Eltern, dass sie in Sicherheit waren und nannten ihnen ihre Adresse. Die Tage und Wochen vergingen aber sie erhielten keine Antwort. Sie wussten nicht wie lange die Post brauchen würde und wie lange sie warten sollten. Aber sie hofften inständig, dass ihre Eltern wohlauf waren. Sie lebten unauffällig und zurück gezogen. Als Vampire mussten sie jedoch jeden Tag frisches Blut zu sich nehmen und so hatten die beiden Frauen es geradezu perfektioniert, sich in der Nacht an Menschen heranzuschleichen, sie schnell und gewaltfrei zu überwältigen, sich an ihnen zu nähren um es sie dann wieder vergessen zu lassen, in dem sie die Erinnerungen der Menschen löschten.

Sie versuchten immer wieder Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen, um zu erfahren wie es ihnen ging. Aber auf ihre Briefe erhielten sie nie eine Antwort. Die Schwestern waren voller Sorge dass den Eltern etwas zugestoßen sein könnte. Sie sprachen oft darüber nach Frankreich zurück zu gehen aber sie hatten ihren Eltern versprochen auf sich zu achten und erst zurück zu kommen, wenn sich die Lage beruhigt hatte. Also hielten sie ihr Versprechen, so schwer es ihnen auch fiel. Aber nicht für sehr lange.

Nach einem halben Jahr hielten es die Schwestern einfach nicht mehr aus und kehrten nach Frankreich zurück um nach ihren Eltern zu sehen. Zu ihrem großen Entsetzen fanden sie das Haus, in dem sie aufgewachsen und so glücklich gewesen waren, zerstört vor. Es musste einen verheerenden Brand gegeben haben, denn es war fast bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Sorgenvoll sahen sie sich an. Was war nur mit ihren Eltern passiert? Sie gingen ins Dorf und suchten nach Menschen, die bei ihren Eltern gearbeitet hatten. Sie fanden aber nur eine alte blinde Frau die vor der Schenke saß und um Almosen bettelte. Sie gaben ihr Geld und fragten sie, ob sie wüsste, was mit dem Graf und der Gräfin Beaumont passiert war. Die alte Frau dankte den beiden Frauen überschwänglich und erzählte ihnen dann, was sie gehört hatte.

Stunden vor der verhängnisvollen Nacht, als die Bande von Männern in das Landgut eingedrungen war, hatten sich der Graf und die Gräfin in ihr Bett gelegt und einen Gifttrunk zu sich genommen. Friedlich sollen sie Arm in Arm eingeschlafen sein. Die Töchter und die treuen Bediensteten hatten noch rechtzeitig fliehen und sich in Sicherheit bringen können. Als die Männer dann eintrafen, gab es nichts mehr von Wert zu stehlen und der Graf und seine schöne Gräfin waren bereits tot. Wütend darüber hatten die Männer erst alles zerschlagen und dann das Landgut mit all seinen Gebäuden in Brand gesteckt. Die alte Frau erzählte ihnen auch, dass der Hausdiener ein paar Tage später zurückgekommen sei und in dem Garten des Landguts zwei Grabsteine errichtet hatte und dort die Überreste des Grafen und seiner geliebten Gräfin vergraben hatte. Die Schwestern fragten ob sie wüsste, was aus dem Hausdiener geworden sei. Die blinde Frau erzählte ihnen, dass er im Dorf geblieben war und nun über der Schenke leben würde. Die Schwestern bedankten sich bei der Frau und suchten sofort ihren alten Hausdiener auf.

Sie fragten den Wirt nach seinem Zimmer und standen bereits wenige Minuten vor seiner Tür. Soleil klopfte leise. Als Antoine einen Moment später die Tür öffnete und sah, wer vor ihm stand, holte er überrascht Luft.

„Ihr!“, stieß er hervor und war überglücklich seine geliebten Mädchen lebend wiederzusehen. Hatte er doch so lange nichts mehr von ihnen gehört und schon das schrecklichste angenommen. Ohne darüber nach zu denken schloss er sie überglücklich in seine Arme.

„Es tut so gut euch wohlauf wiederzusehen“, sagte er und seine Stimme versagte ihm fast vor Rührung. Soleil und Marguerite hätte nicht überraschter über seine Reaktion sein können, freuten sich aber ebenfalls ihn gesund wiederzusehen.

Als er sich wieder von ihnen löste stand er vor ihnen und wischte sich mit einer schnellen Handbewegung eine Träne aus dem Augenwinkel. „Das war ihr einziger Wunsch, dass es euch gut gehen sollte.“

Soleil begann zu weinen. Ihre Schwester nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten aber auch sie konnte ihre Tränen nicht zurück halten.

„Weißt du was passiert ist? Was ist mit unseren Eltern geschehen?“

Antoine bat sie herein zu kommen. Die Schwestern setzten sich auf die beiden Stühle in dem kleinen Zimmer und Antoine gab ihnen etwas Zeit bevor er begann von der schlimmsten Nacht seines Lebens zu erzählen.

„Nachdem ihr geflohen ward, schickte euer Vater nach dem Notar. Er verfügte, dass das restliche Vermögen, das er euch nicht hatte mitgeben können, verteilt werden sollte. Wir Bediensteten erhielten einen kleinen Teil, der es uns ermöglicht, sorglos zu leben. Den Großteil jedoch überschrieb er euch, seinen Töchtern und Erben. Er bat mich, hier auf euch zu warten, da er hoffte, dass ihr eines Tages zurückkommen würdet. Er trug mir aber auch auf, dass ich, sollten Jahre vergehen, bis ihr kommen würdet, einen vertrauensvollen Nachfolger benennen sollte, der die mir übertragene Aufgabe übernehmen sollte“, er lächelte sie beide an, „gut dass ihr jetzt gekommen seid, so kann ich meine Aufgabe selbst erfüllen.“

Soleil sah zu ihm auf. „Um was hat dich unser Vater gebeten?“

„Er bat mich euch etwas zu sagen“, er blickte von einer zur anderen. „Dass eure Eltern ein erfülltes Leben hatten, denn ihr habt es dazu gemacht. Als sie sich entschlossen hatten aus dem Leben zu treten, taten sie es ohne Bedauern. Sie haben einander und euch über alles geliebt. Sag meinen Mädchen, dass sie nicht um uns trauern sollen, sagte er zu mir. Und das ihr hinaus in die Welt gehen sollt, um euer Leben in vollen Zügen zu genießen.“

Soleil und Marguerite blicken ihn aus tränenverschleierten Augen an.

„Ich habe auch noch etwas für euch.“ Er ging zu einer kleinen Kommode, öffnete die unterste Schublade und holte eine große Ledermappe hervor. „Euer Vater, gab mir dies zu treuen Händen.“

Er überreichte die Mappe Marguerite. „Was ist das?“

„Das sind alle Dokumente und die Besitzurkunde die ihr benötigt um euch als Erben von dem Landgut und den Ländereien zu legitimieren. Es ist auch ein Brief für euch dabei.“

„Was sollen wir damit anfangen?“ Sie sah ihre Schwester ratlos an.

„Was immer ihr wollt. Ihr könnt das Land verkaufen oder das Landgut wieder aufbauen und hier leben. Es gehört euch, tut was ihr für richtig haltet.“

„Darüber müssen wir erst mal nachdenken“, sagte Soleil und Marguerite nickte zustimmend.

„Was habt ihr jetzt vor?“

„Ich würde vorschlagen, dass wir ein paar Tage hierbleiben, uns in Ruhe überlegen was wir machen wollen und dann entsprechend alles regeln. Was meinst du?“, wandte sich Marguerite an ihre Schwester.

„Ja, du hast Recht.“

„Dann nehmt euch doch hier ein Zimmer“, schlug Antoine vor, „und… vielleicht könnten wir uns ja noch einmal sehen“, sagte der alte Mann hoffnungsvoll.

Soleil drückte Antoine an sich. „Wir werden uns jeden Tag sehen“, versprach sie und brachten ihn damit zum lächeln.

Marguerite stand neben den beiden und drückte die Mappe fest an sich. „Wir werden jetzt erst mal fragen ob noch Zimmer frei sind. Vielleicht hättest du nachher Zeit uns auf einem Spaziergang zu begleiten?“

„Das mache ich gerne“, freute sich Antoine.

Die Schenke hatte noch Zimmer frei und so mieteten die Schwestern eins der größeren. Kaum das sie in dem Zimmer allein waren, wollten beide wissen, was ihr Vater ihnen geschrieben hatte. Also las Soleil den Brief ihres Vaters laut vor. Er bestand nur aus wenigen Zeilen

Meine lieben Kinder,

wenn ihr diese Zeilen in Händen haltet, dann weilen wir, eure Eltern, nicht mehr unter den Lebenden. Meine geliebte Agnès, eure geliebte Mutter, ist schon seit vielen Monaten sehr krank. Wir haben es vor euch geheim gehalten, weil wir euch nicht beunruhigen wollten.

Weil ich es nicht ertragen könnte, ohne eure Mutter zu leben, haben wir uns entschieden, gemeinsam aus dem Leben zu treten. Zu wissen, dass ihr gut versorgt seid und euch auf Grund eurer Andersartigkeit ein langes, und so hoffen wir, glückliches Leben bevorstehen wird, fiel uns diese Entscheidung leicht.

Lebt meine schönen Töchter und denkt nicht in Traurigkeit an uns, denn wir hatten ein erfülltes Leben.

Ihr ward das wunderbarste Geschenk, das Gott uns machen konnte. Wir sind sehr stolz auf euch und werden euch immer lieben.

Papa

Noch während des Lesens waren Soleil die Tränen über die Wangen gelaufen und ihre Schwester hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte leise. Als Soleil geendet hatte, nahm sie ihre Schwester in den Arm. Sie hielten sich aneinander fest und weinten um ihre Eltern. Nach einer Weile setzten sie sich auf eines des Betten und überlegten gemeinsam, was sie mit dem Land anfangen sollten.

Am Nachmittag lösten die Schwestern ihr Versprechen ein und holten Antoine zu einem Spaziergang ab. Nach einer Weile, in der sie gemeinsam darüber sprachen, ob sie das Land behalten oder verkaufen sollten, führte Antoine sie zu den Gräbern ihrer Eltern.

„Sie sollten auf einem richtigen Friedhof ruhen,“ meinte Soleil leise als sie vor den schlichten Grabsteinen kniete.

Ihre Schwester nickte, während sie ein paar Blätter von den Steinen entfernte. „Du hast Recht… Antoine, geht das? Können wir unsere Eltern auf einem richtigen Friedhof beisetzen lassen?“

„Natürlich. Es gibt einen Bestatter im Dorf. Ihr könnt ihn damit beauftragen.“

„Zeigst du uns bitte den Weg“, bat Soleil und Antoine begleitete die zwei zum Haus des Bestatters. Sie gaben dem Mann den Auftrag zwei richtige Gräber auf dem Friedhof zu stellen. Sie zahlten ihm viel Geld damit er auch für die nächsten Jahre die Gräber pflegen und jeden Tag mit frischen Blumen belegen sollte. Der Bestatter hatte den Graf und die Gräfin gekannt. Er sprach den Schwestern sein aufrichtiges Beileid aus und versprach ihnen, alles in ihrem Sinne zu regeln.

Danach suchten die Schwestern den Notar auf. Sie hatten sich zwischenzeitlich entschieden. Da ihr Elternhaus nur noch eine Ruine war und sie mit dem Land nichts verband, wollten sie alles zum Verkauf anbieten und baten den Notar alles Erforderliche in die Wege zu leiten. Sie versprachen ihm einen großzügigen Anteil am Verkaufspreis und hinterließen ihre Anschrift in der Schweiz. Er sollte ihnen das Geld dann durch einen zuverlässigen Boten überbringen lassen. Der Notar war etwas erstaunt über das Vertrauen, dass die beiden Frauen ihm entgegenbrachten und sie begründeten es damit, da ihr Vater ihm vertraut hatte, sie ihm auch vertrauen konnten. Der Notar bedankte sich und versprach das Land sofort zum Verkauf anzubieten und ihnen dann das Geld zukommen zu lassen. Die Schwestern unterzeichneten noch einige Papiere und damit war die Angelegenheit für sie erledigt.

Bevor sie ihre Rückreise antraten, besuchten sie noch einmal Antoine.

„Antoine, wenn du möchtest, dann kannst du gerne mit uns kommen.“

Er lächelte dankbar. „Das ist ein sehr schönes Angebot… aber ich möchte lieber hier bleiben. Ich habe nicht mehr allzu viele Jahre übrig und die möchte ich in der Nähe meiner Herrschaften verbringen.“

Sie wollten ihm Geld für seine treuen Dienste überlassen, aber er lehnte ab. Da der Graf ihn schon sehr großzügig bedacht hatte, bräuchte er nicht mehr. Zum Abschied versprach er ihnen nach den Gräbern zu sehen, wann immer er es konnte und sie dankten ihm aufs herzlichste. Dann verabschiedeten sie sich von ihm in der Gewissheit ihn nie wiederzusehen.

Zurück in der Schweiz erreichte sie tatsächlich einige Wochen nach ihrer Rückkehr ein Bote, der ihnen einen großen Brief überreichte, der vom Notar kam. In dem Umschlag waren ein Anschreiben, die Verkaufsurkunde und das Geld. Die Schwestern entlohnten den Boten großzügig und er verließ sie wieder. Das Geld aus dem Verkauf zahlten sie auf ihr Konto ein. Durch den Verkauf einiger Schmuckstücke, die sie bei der Flucht hatten mitnehmen können und des Geldes durch den Verkauf des Landgutes, standen die beiden Schwestern sehr gut da.

Trotzdem oder gerade deshalb führten sie ein bescheidenes Leben, denn sie wollte auf keinen Fall auffallen. Sie waren zu jedermann freundlich und lebten unter den Menschen ohne dass diese um die wahre Natur der Schwestern wussten.

Die Schwestern hatten noch nie einen von ihrer Art getroffen, jedenfalls nicht das sie davon gewusst hätten. Sie bedauerten dies, denn sie hatten noch so viele Fragen die ihnen nur jemand beantworten konnte, der so war wie sie.

Jede Nacht gingen die Zwillingsschwestern auf Nahrungssuche.

In einer Nacht im Oktober war ein Sturm aufgezogen. Am Himmel zogen sich bereits dunkle Wolken zusammen und es begann zu regnen. Die Nacht war tiefschwarz und die umliegenden Häuser waren alle dunkel. Soleil und Marguerite wollten nicht lange in dieser ungemütlichen Nacht draußen sein und hielten Ausschau nach Obdachlosen, an denen sie sich schnell nähren konnten. Auch wenn sie sich so schnell bewegen konnte, dass ihnen kein menschliches Augen hätte folgen können, trugen sie schwarze Kleider und Umhänge in gleicher Farbe, damit sie mit der Nacht geradezu verschmelzen konnten. Sie schlichen eine enge Straße entlang, als sie einen erstickten Laut hörten. Sie sahen sich fragend an und folgten eilig dem Geräusch. Aus einer kleinen schmalen Gasse war nun ein Wimmern zu vernehmen, das sie sehr beunruhigte. Sie hielten an und blickten vorsichtig um die Ecke.

Was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Ein großer Vampir, schön wie ein Engel aber offensichtlich mit dem Teufel im Leib, hielt einen beleibten Mann von hinten fest umklammert und hatte seine Fangzähne tief in seinem Hals vergraben. Wo die Schwestern immer bemüht waren, sehr sanft und vorsichtig bei der Nahrungsaufnahme vorzugehen, riss dieser Vampir dem Mann förmlich den Hals auf, so dass das Blut hervor spritzte. Er umklammerte den Brustkorb des Mannes mit seinen starken Armen so fest, dass der Mann kaum noch Luft bekam. Gierig trank der Vampir das Blut, das warm und dickflüssig, aus dem Hals des Mannes floss. Dabei machte der Vampir schlürfende Geräusche, so dass Soleil sich angewidert von dem Anblick abwandte.

Sicher, sie waren Vampire und sie musste Menschen beißen und deren Blut trinken um zu überleben, aber sie waren auch Menschen, mit einem Gefühl für Recht und Anstand. Das hier, war falsch. Und unmenschlich. Vampire mussten nicht töten um sich zu ernähren. Aber dieser Vampir schien Freude dabei zu empfinden, während er brutal von dem Mann trank und ihm gleichzeitig quälende Schmerzen zufügte.

Marguerite dachte kurze darüber nach, den Vampir von dem Mann wegzuziehen aber sie wusste nicht, ob sie stark genug war, um sich gegenüber dem fremden Vampir, der sehr groß und muskulös war, behaupten zu können. Zudem wurde der Herzschlag des Mannes zusehends schwächer. Er würde nur noch wenige Sekunden leiden müssen, dann würde sein Leben vorbei sein.

Der Vampir hatte so viel Blut von dem Mann getrunken, das nichts und niemand den Mann mehr hätte retten können. Die Schwestern warfen sich einen Blick zu und nickten stumm. Im nächsten Moment waren sie verschwunden. Ließen den Mann, dessen Herz gerade zum letzten Mal geschlagen hatte, bei dem Vampir der auch noch den letzten Tropfen Blut aus dem Körper saugte. Als sich die Schwestern bereits in Vampirgeschwindigkeit entfernt hatten, blickte der Vampir auf. Er war so versunken gewesen, ganz auf sein Vergnügen fokussiert, dass er die beiden anderen Vampire nicht bemerkt hatte. Nun ließ er den toten Körper des Mannes achtlos zu Boden sinken, wischte sich mit dem Handrücken über seinen Mund und leckte sich noch einmal genüsslich die Lippen. Dann, nur einen Wimpernschlag später, war er verschwunden. Der Körper des toten Mannes lag in der Gasse und der Regen würde alle Spuren fortspülen. Wenn man ihn finden würde, dann würde man annehmen, dass ihn ein wilder Hund oder ein verirrter Wolf getötet haben würde.

Soleil und Marguerite waren zurück nach Hause gelaufen, ihnen war der Hunger vergangen.

„Meinst du, wir werden auch einmal so?“, fragte Marguerite während sie eine Kanne Tee aufgoss.

„Nein. Jedenfalls hoffe ich das. So würde ich nicht leben wollen. Der Mann ist tot. Der Vampir hat ihn vollständig leer getrunken. Er war brutal und rücksichtslos… ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen so zu sein.“ Soleil saß auf dem kleinen Sofa und hatte ihre Füße an ihren Körper gezogen. Sie hatte immer noch den panischen und ängstlichen Blick des Mannes vor Augen, der sie sicherlich noch lange verfolgen würde.

„Ich war kurz am überlegen, ob wir den Mann hätten retten sollen“, sagte Marguerite als sie mit der vollen Kanne Tee ins Wohnzimmer kam, Tee in die vorgewärmten Tassen einschenkte und sich dann zu ihrer Schwester aufs Sofa setzte.

„Wir hätten für den Mann nichts mehr tun können.“

„Ich weiß, aber wir hätten ihn alles vergessen lassen können und er wäre friedlich und ohne Angst gestorben.“

„Aber hätten wir den anderen Vampir besiegen können, wenn es zu einem Kampf gekommen wäre? Der sah nicht so aus, als hätte er sich freundlich von uns überreden lassen.“

Marguerite nickte, daran hatte sie natürlich auch gedacht.

Sie mussten sich eingestehen, dass sie nichts für den Mann hatten tun können.

Es war ihre erste Begegnung mit einem ihrer Art gewesen. Sie hatten immer gehofft, dass sie auf einen Vampir treffen würden, der so wie sie war, freundlich und begierig darauf, andere Vampire zu treffen und der ihnen mehr über sich hätte erzählen können. Sie hätten aber nie damit gerechnet, dass der erste Vampir dem sie über den Weg liefen, ein wahres Monster war. Kein Wunder, dass sich die Geschichten um blutsaugende Monster, wie Vampire oft bezeichnet wurden, so lange hielten. Dieser Vampir war sicherlich nicht die Ausnahme, aber die Wahrheit mit eigenen Augen ansehen zu müssen, hatte die beiden Schwestern sehr getroffen.

Sie nahmen sich vor, von nun an den Menschen beizustehen, wenn sie es konnten.

„Wir müssen kämpfen lernen“, schlug Soleil und pustete vorsichtig in ihren Tee.

„Aber wer wird uns das zeigen?“

„Hier sicherlich niemand, dafür müssten wir ins Ausland gehen.“

Marguerite sah sie mit großen Augen an. „Du willst von hier weg?“

„Ich habe mal davon gehört, dass man in China die Kampfkunst beherrscht, vielleicht würde uns dort jemand etwas beibringen.“

„Also, bevor wir unsere Koffer packen, würde ich mich gerne umhören, ob es hier nicht jemanden gibt, der uns das Kämpfen lehren kann.“

Soleil zuckte mit ihren Schulter. „Na schön, mach das. Aber wenn ich das nächste Mal einen Vampir sehe, der einen Menschen quält, dann werde ich eingreifen.“

Und Marguerite konnte sehen, dass es ihrer Schwester ernst damit war.

„Und ich werde dich unterstützen.“, versprach sie ihr.

Sie fanden niemanden, der sie lehrte wie man richtig kämpfte. Allerdings hätte sie auch nie Gelegenheit gehabt, ihr Wissen anzuwenden, denn auch wenn sie Augen und Ohren immer offen hielten, so lief ihnen in den nächsten Jahrzehnten kein weiteres Mal ein Vampir über den Weg.

Im Laufe der Jahre lernten sie, all ihre Fähigkeiten zu perfektionieren und fanden heraus das sie noch über zusätzliche Fähigkeiten verfügten, von den ihnen ihre Eltern nichts erzählt hatten. So konnte Soleil einem Menschen nicht nur die Erinnerung nehmen, sondern gelöschte Erinnerungen auch wieder zurückgeben. Sie hatte es einmal versucht, als sie einen Mann gebissen hatte, den sie mochte. Es schien ihm gefallen zu haben, dass sie ihm während ihres Liebesspiels gebissen hatte und so hatte sie ihm die vorher gelöschte Erinnerung zurückgegeben, in der Hoffnung, er würde sie für das was sie war akzeptieren. Aber kaum das er sich wieder an das, was war und was sie getan hatte erinnern konnte, hatte er panisch geschrien und hatte versucht vor ihr zu fliehen. Kein Mensch konnte einem Vampir entkommen und so hatte Soleil ihn schnell wieder eingeholt und ihm die Erinnerungen dann wieder gelöscht. Diesmal jedoch so gründlich, dass er sich danach kaum noch an etwas erinnern konnte. Soleil wusste nicht wie das passiert konnten, denn das war nicht ihre Absicht gewesen. Aber auch wenn sie den Mann nicht getötet hatte, so hatte sie ihm ein Teil seiner Persönlichkeit für immer genommen. Trotz dem was passiert war, hatte Marguerite ebenfalls einmal versucht, gelöschte Erinnerungen zurück zu geben, aber es hatte nicht funktioniert. Sie konnte nur Erinnerungen löschen. Dafür konnten beide die Erinnerungen von Menschen komplett manipulieren, also alte Erinnerungen durch neue ersetzen. Zudem verfügten sie beide über eine Macht in ihren Stimmen, die Menschen dazu brachten, alles zu tun was sie ihnen befahlen. Sie wussten nicht, ob alle, die wie sie waren, über ebensolche Fähigkeiten verfügten oder ob das bei jedem anders war, denn sie hatten ja noch keinen Vampir danach fragen können.

Alle zehn bis fünfzehn Jahre zogen sie in eine andere Stadt oder gar in ein anderes Land, denn sie wollten unter allen Umständen vermeiden, dass jemand bemerkte, dass sie nicht alterten. Sie reisten durch ganz Europa und waren sogar für ein paar Jahre auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs. Sie besuchten Indien, Russland, China, Japan und Tibet. Am Ende jedoch, zog es sie immer wieder zurück nach Lausanne, wo sie ihr kleines Haus während ihrer Abwesenheiten immer einem Verwalter überließen. Egal in welchem Land sie sich aufhielten, die Schwestern lebten stets sehr zurückgezogen ohne jemandem aufzufallen. Es war anfangs sehr einfach, sich eine neue Identität anzueignen, zumal sie sehr reich waren. Aber dies änderte sich im Laufe der Jahrzehnte. So verging die Zeit in der sie viele unterschiedliche Länder sahen, viele Menschen kennen lernten, verschiedene Sprachen lernten und das taten was sich ihre Eltern gewünscht hatten: sie genossen ihr Leben.

Ab dem zwanzigsten Jahrhundert war es dann nicht mehr ganz so einfach sich eine neue Identität zu beschaffen, auch wenn man, wie die beiden ewig jungen Frauen, über die nötigen Geldmittel verfügte.

Vampire in New York

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