Читать книгу Schatten auf meiner Seele - Bine Thunder - Страница 5
II II
ОглавлениеNeun Jahre nach Gründung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, vielen auch als DDR bekannt, so wurde ich als erstes Kind meiner Eltern in Potsdam geboren.
Der Klassenfeind befand sich im kapitalistischen Westen und „unsere“ Freunde, die sozialistischen Lehrmeister, blutsaugend im Osten.
Mein Ausgangspunkt in eine ungetrübte Kindheit, wie sie lehrbuchhafter nicht hätte sein können.
Mein Vater arbeitete bei der Deutschen Reichsbahn und meine Mutter bei der Armee, kurz NVA genannt, in der Küche.
In diesem sozialistischen Staatsgebilde war ja alles bestens geregelt, das gesamte Staatsvermögen gehörte dem Volk und so mancher „Bonze“ war halt ein bisschen mehr „Volk“. Vater Staat hatte diesbezüglich alles so eingerichtet, dass neue Erdenbürger, gleich nach dem Entzug der Mutter-Brust, so nach sechs Monaten, sollte der Staats-Drill einsetzen. Die Babys und Kleinkinder kamen in die Krippe und den Kindergarten, scherzhaft auch VEB-Gleichschritt genannt.
Hier waren wir Kleinen alle gleich und einige Privilegierte etwas gleicher …
Gleicher ging es gar nicht, hatte ein Kind einen Schnupfen mit Rotzglocke, dann hatten alle Schnupfen und oft wiederholte sich die Ansteckung, infolge meines damaligen schwachen Immunsystems, ich war ein sehr kränkelnder Fall und meine Mutter musste des Öfteren ihre Arbeitsstelle verlassen und bei mir Pflegedienst schieben.
Damals gab es schon viele Anzeichen für meine späteren Atemwegerkrankungen, die sehr oft mit einer leidigen Angina ihren absoluten Höhepunkt erreichte, selbst im Hochsommer hatte ich damals schon kalte Hände und Füße und musste stets auf der Hut sein, mich vor Zugluft und Unterkühlungen zu schützen.
Mein Vater hatte nach meiner Geburt mit dem Trinken begonnen, den wahren Hintergrund seiner Krankheit habe ich auch später nicht erfahren. Mutti war über diese Entwicklung überhaupt nicht begeistert, denn Papa fiel somit am Wochenende für eine tatkräftige Mithilfe meistens aus.
Vati war sicherlich im besten Mannesalter, musste er sich oder jemanden anderen etwas beweisen? Oder war die allgemeine Sportart der jungen DDR mit „Kampftrinken“ der wahre Hinderungsgrund? Denn eines wurde nach der Wende allen klar, so viel gesoffen und gefeiert wurde nie wieder.
Sicherlich lag es auch daran, dass die Menschen nicht allzu viel Möglichkeiten hatten anderen Dingen nachzugehen und dann war Saufen und Geselligkeit scheinbar doch etwas ganz schönes?
Am 13.August 1961 erbaute unsere Staatsmacht das schändlichste Bauwerk ihrer jungen Geschichte, angeblich als Bollwerk gegen den Klassenfeind und den Kapitalismus.
Meine Tante, die Schwester meiner Mutter, hatte die Kurve noch rechtzeitig geschafft dem Arbeiter- und Bauernstaat vor dem Mauerbau den Rücken zu kehren. Meine Eltern waren trotz verdichtender Anzeichen nicht in der Lage, es der guten Tante gleich zu tun und somit war mein bescheidender Lebensweg vorgezeichnet, ein aufrechtes Mitglied des sozialistischen neuen Deutschlands zu werden. Ich hatte damals noch keine Ahnung von all diesen Zusammenhängen, war ein Dreikäsehoch und erfreute mich meiner Kindergartenzeit und wurde eines Tages mit der Anwesenheit eines neuen Familienmitgliedes konfrontiert, mein Bruder Dirk war der Glückliche, der nach mir das Licht der Welt erblicken durfte und es sollte ein neuer Unruheherd in unserer Zweieinhalb-Raumwohnung einziehen.
Es war eine lustige Zeit, so einen kleinen Wonnepropen zu Hause zu haben. Ich war nun so richtig stolz, die große Schwester zu sein und dieses Attribut konnte mir keiner mehr streitig machen, diesen Standpunkt hieß es nun gegen alle zu verteidigen, koste was es wolle, da war ich damals schon sehr eitel.
Meine Mutti erinnerte sich noch sehr gerne an die Vorfälle, wo ich allen Neugierigen aus der Nachbarschaft den Einblick in den Kinderwagen verwehrte, stets mit der Begründung „… dies ist mein Bruder und es geht niemanden etwas an“. So war ich halt gestrickt, geradlinig und offen heraus.
Wir waren nun schon eine richtige Familie, meine Mutter brachte Dirk in die Krippe und ich durfte damals schon, ganz selbständig und verantwortungsbewusst, in den Vorschulkindergarten gehen. Eine Straße musste nicht überquert werden und so war kein zusätzlicher Gefahrenherd gegeben.
Nun stand die feierliche Einschulung in die Poly-Technische Oberschule an, hier sollten zehn harte Schuljahre auf mich warten und abgesessen werden, damals noch keine große Aufgabe, aber diese Hürde sollte sich noch zu so mancher Katastrophe auswachsen. Nach dem Schuleintritt kam man(n) oder Mädchen, automatisch zu den Jungpionieren, ein lustiger Freizeitclub, einmal die Woche am Nachmittag nach dem Schulunterricht. Hier unternahmen wir viele tolle Wanderungen, gingen zum Schwimmen oder bastelten für die anstehenden Feste und parteilichen Ehrentage. Ein großer Wettstreit spornte uns Schüler stets an, wenn wir zu Wertstoff-Sammlungen aufgerufen wurden, denn Rohmaterialien waren auch in unserer „geliebten“ DDR sehr knapp.
Meine Mutti, bei der Armee, organisierte für mein Einzugsgebiet Unmengen von Altpapier und aus der Küche kamen die Flaschen und Gläser, nicht wie vielleicht vermutet von Papa.
Drei Jahre nach Dirk kam mein Bruder Andre am selben Geburtstag auf die Welt, oder wie es damals so üblich war „… den hat der Klapperstorch hier abgegeben“.
Ich war damals schon fast acht Jahre alt und konnte abermals das Erlebnis mit einem neuen Baby hautnah miterleben.
Mein Brüderchen Andre war jedoch nicht so geraten, wie es hätte sein sollen, Andre war behindert, nicht körperlich, aber im Geiste und somit war mir dieser Bruder besonders an mein Herz gewachsen und er war sich seiner Obhut sicher.
Über die Ursache seiner Behinderung, auch später in unserer Familie, wurde nie gesprochen, mir war selbst der Name des Handicaps bis heute nicht bekannt. Es war so und es blieb so?
Ob meine Mutter ein falsches Medikament während der Schwangerschaft eingenommen hatte oder ob die Trunksucht meines Vaters an diesem Defekt die Ursache war, wurde nie uns Kindern erzählt. Es würde auch nichts an der Tatsache verändern.
Von seinem körperlichen Verhalten war Andre genau das Gegenteil wie es sich heute darstellt, er war rank und schlank, eher unterernährt und nicht ein solcher „Pfundskerl“ wie in der TV-Sendung „Bauer sucht Frau“.
An dem Kindersegen hatten sich meine Eltern scheinbar gewöhnt oder aber Gefallen an der Machart gefunden, es war zwar etwas eng am Wochenende, wenn alle zu Hause waren, aber für einen zusätzlichen „Hosenscheißer“ sollte auch noch ein Plätzchen vorhanden sein.
An dem Strickmuster hatte mein Vater nichts auszusetzen und es erblickte Nummer vier in der Thronfolge, abermals ein Junge das Licht der Welt, zwei Jahre nach Andre.
Nun ging das nun schon bekannte Geplärr noch einmal von vorne los, sehr oft im Gleichklang von Andre und dem jüngsten Familienmitglied, Jens hieß der lustige Spross.
Dirk war ja nun schon fast fünf Jahre alt und wartete ungeduldig darauf, es seiner großen Schwester gleich zu tun und im nächsten Jahr eingeschult zu werden. Für mich kam es langsam knüppeldick, denn ich war ja die Große und wurde für alle Arbeiten eingespannt, denn Vater fiel ja am Wochenende sehr oft wegen „Krankheit“ aus und so war meine Mutter mit den vier Kindern auf sich alleine gestellt. Meine nicht immer freiwillige Mithilfe im Haushalt und das Aufpassen und das sich Beschäftigen mit meinen Geschwistern, gaben mir sehr wenig Freiraum zum Spielen mit Freundinnen, zu Hause gab es ja nur Jungs und die konnten ganz schön nervig und hinterhältig sein. Ich rächte mich des Öfteren, auch mal mit einer Kopfnuss oder es setzte auch einmal etwas Dresche, ganz nach Lust und Laune, so wie es Jungs, es ebenso verdient hatten.
Andre war davon meistens ausgenommen, er war den Hänseleien der Brüder oder aber auch der Nachbarkinder verstärkt ausgesetzt, da er sich nicht so zur Wehr setzen konnte. Er erwehrte sich dadurch, dass Andre die Kinder biss, wo er sie auch nur erwischen konnte und dann gab es großen Ärger zu Hause, Vater konnte diesem Zustand überhaupt nichts abgewinnen und oft gab es deshalb für die Jungs den Hosenboden versohlt, so etwas nannte man wohl antiautoritär?
Ich, als besonders „brave“ Tochter des Hauses war natürlich von solchen Strafexkursionen verschont, da ich ja kein Wässerchen trüben konnte, heute würde ich diesen Zeitraum meiner Entwicklung etwas anders sehen …