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III
ОглавлениеMit dem Erreichen der fünften Klasse verließ man(n) oder Mädchen die Jungpioniere und ich kam in die FDJ, das waren die Mädels und Jungs mit den tollen blauen Hemden, dem passenden Halstuch und dem FDJ-Abzeichen am rechten Ärmel, hier war schon etwas mehr Zucht und Ordnung angesagt, denn wir sollten ja aufrichtige Bürger unserer „geliebten“ DDR werden.
Wir wurden bei Empfängen und zum 1.Mai-Feiertag abkommandiert die Fähnchen des Staates zu schwenken und Beifallkundgebungen, lautstark auf Kommando, von sich zu geben.
Aber auch der Ehrgeiz wurde dadurch angestachelt und geweckt, dabei zu sein wenn es um große Aufmärsche und Machtdemonstrationen ging.
Ich entwickelte mich schön langsam zu einem flotten Teenager, hatte schon ein bisschen meine Augen auf die Jungs gerichtet und wollte den frühreifen Mädchen aus meinen und den höheren Jahrgangsstufen nicht nach stehen. Unter der Woche verblieb mir nicht viel Freizeit, denn Andre musste wegen seines Handicaps in einen weit entfernten Kindergarten für Behinderte gebracht werden, dies bedeutete für mich, vor dem Schulunterricht und sofort nach der Schule, mit der Straßenbahn um Andre hinzubringen bzw. wieder abzuholen.
Ich war oft zu spät am Morgen in der Schule, konnte mich wegen dieses Stresses wenig konzentrieren und versiebte die eine oder die andere Prüfungsarbeit. Meine schulische Leistung sank entsprechend ab und die Versetzung war mehr als einmal gefährdet.
Andre war in dieser Zeitspanne auch kein pflegeleichtes Kind, erstens wollte er nicht in den „bekloppten“ Kindergarten und wenn er schon dorthin musste, dann erpresste er mich mit einer versprochenen früheren Abholung. In dieser Beziehung war mein Bruder sicherlich ein hellwaches Bürschlein, mit allen Wassern gewaschen, was sich zu seinem Vorteil eignete. Er wusste ganz genau, wie er mich erpressen oder um den berühmten Finger wickeln konnte, mehrmals setzte er sich auf die Straße oder auf die Gleise der Straßenbahn und wollte sich überfahren lassen, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen konnte oder ich musste mich vor dem offiziellen Schulschluss aus dem Unterricht stehlen, nur weil ich meinen Bruder versprochen hatte ihn pünktlich um dreizehn Uhr abzuholen. Einmal hatte ich keine andere Möglichkeit vorzeitig den Unterricht zu quittieren, da blieb mir nur der unbemerkte Ausstieg durch das unverschlossene Klassenfenster, es war mir sehr wichtig, mein Versprechen gegenüber meinen Bruder einzuhalten, koste was es wollte …
Andre wartete schon ganz ungeduldig am verschlossenen Kindergartentor und die Betreuerin erzählte mir, das mein Bruder schon seit einer halben Stunde dort stand und er war auch nicht vom Tor weg zu locken. Das Abholen war für meinen Bruder sicherlich wichtiger als das Hinbringen am Morgen, den obligatorischen Mittagsschlaf hatte Andre stets abgelehnt, wahrscheinlich hatte er Angst, die Abholung zu verschlafen? Er war schon ein besonderer Junge, er hatte brav zu Mittag alles aufgegessen und dann nur noch sehnsuchtsvoll auf mich, seine große Schwester gewartet. Es war für uns Beide ein Teufelskreis, eine Symbiose zwischen Bruder und Schwester oder auch umgekehrt, keiner konnte ohne den Anderen.
Danach ging es ganz friedlich und gesittet mit der Tram nach Hause, als wäre Andre der beste Junge der Welt.
Diese Vorschulzeit ging nun auch für meinen Bruder zu Ende und er wurde in eine Behindertenschule, in der Nähe von meiner Mutter ihrer Arbeit, eingeschult. Nun war ich die stressige morgendliche Fürsorge für meinen Bruder los, denn er wurde von meiner Mutter mitgenommen, ich für meinen Teil konnte mich wieder vermehrt auf meinen Schulunterricht konzentrieren, was mir nach diesen Jahren nicht auf Anhieb gelang. Die schulischen Leistungen im zweiten Halbjahr waren dann jedoch erfreulich gut.
Die mir als Kind schon aufgebürdeten Arbeiten und die Verantwortung hatten schon irreparable Schäden an Leib und Seele hinterlassen, meine Kindheit wurde in keinster Weise berücksichtigt und gefördert, von wem auch? Meine Mutter arbeitete den ganzen Tag und mein Vater glänzte mit seiner „Krankheit“ und war kein Ansprech-Partner.
Ich war von Anfang an ein schwächliches Kind mit großer Anfälligkeit für alle nur erdenklichen Krankheiten und das mehrfach im Jahr, dazu bin ich ein extrem Haut empfindlicher Typ und sah sogar im Hochsommer so aus, als gehöre ich mit meiner vornehmen Blässe dem Hochadel an.
Da meine Familie zu den Kinderreichen der Nation gehörte und ich stets Untergewicht und dazu die vornehme Blässe hatte, so waren meine jährlichen Ferienaufenthalte im Sommer regelmäßig von Staatswegen vorbestimmt, soll einer mal sagen unsere „geliebte“ DDR hätte nichts für die Jüngsten getan? Es ging stets für sechs Wochen in ein VEB-Ferienlager an die See oder ins Gebirge, manchmal war es sogar ganz dufte, ich lernte neue Leidensgenossen kennen, schloss neue Freundschaften, versuchte die Erzieher auszutricksen und zog den Kürzeren wenn ich erwischt wurde, dann hieß es den stark machenden Haferschleim unter Aufsicht auf zu essen, auch wenn ich unter Ekel schon würgte. Hier bekam ich den Drill des Gehorsames ganz charmant beigebracht.
All diese Ereignisse trugen dazu bei, dass ich trotz schulischer Schwächen, doch sehr selbstbewusst wurde. Ich legte mir auch eine gewisse Kühle zu und lies mir nicht alles gefallen, auch wenn ich das eine oder andere Mal nicht im Recht war.
Mein Körper nahm schön langsam weibliche Formen an und die Jungs versuchten auch mir den Hof zu machen, aber so richtig hatte ich noch nicht den Dreh heraus und außerdem waren die Schuljungen noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, es ist ja erwiesen, dass sie einige Jahre uns Mädels hinterher hängen!
Durch meine Pubertät bekam ich öfters Migräneanfälle, die mich sehr oft zur Verzweiflung brachten, da diese mit einer solchen Intensität auftraten, dass ich sogar einmal vor lauter nicht enden wollenden Schmerzen, mir meinen Kopf gegen die Wand schlug, die Schmerzen wurden dadurch auch nicht weniger, eher mehr und eine Beule zierte zusätzlich meine Stirn. Dies war also auch nicht der ideale Weg zur alternativen Schmerzbekämpfung.
Die Schulzeit neigte sich nach einigen Jahren dem Ende zu und es wurden langsam die Weichen gestellt, die lernschwächeren Schüler und Schülerinnen nicht absacken zu lassen, sondern diese mittels Nachhilfestunden auf Vordermann oder Vorderfrau zu bringen. Mit Hilfe dieser freiwilligen Idealisten kam mein Wissen auf einen nie da gewesenen Leistungsstand. Der Russisch-Unterricht war nicht gerade ein Buch mit sieben Siegel, aber sechs Siegel waren es bestimmt, ich erinnere mich heute noch an diese kleine Episode, die mir immer noch ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert.
Die russischen Vokabeln sollten wir in einem Satz einbinden und so leichter in unser Gedächtnis einprägen. Für mich stellte diese Fremdsprache ein ungewolltes „Muß“ dar, ich hätte lieber Englisch oder eine westliche Sprache erlernt aber dies war nur den absoluten Strebern und „Bonzenkindern“ mit Beziehung vorenthalten. Zu diesem auserwählten Förderungskreis zählte ich leider nicht und so blieb für mich nur das ungeliebte Pauken wie „Stor eta …Ratzefummel“, der Name für den Radiergummi fiel mir beim besten Willen nicht ein und dafür gab es einen Stundenverweis vor der Klassenzimmer-Tür, wie peinlich. Dieser Zustand schmeckte mir in keinster Weise und zu allem Übel kam auch noch der Direktor den Flur entlang und wollte aufgeklärt werden, warum ich vor dem Unterrichtssaal stand? Ich selbstbewusst wie ich schon war, schob den Schwarzen Peter der Russischlehrerin zu und das ging Herrn Direktor nun total gegen den Strich. Nun gab es erst einmal einen Anpfiff, von wegen einen schwachen Schüler vom Unterricht auszusperren anstatt diesen verstärkt einzubinden, nun hatte ich meinen neuen Sitzplatz inne, vorne erste Reihe, im Blickfeld meiner gescholtenen Lehrerin.
Ohne größere Probleme gingen die folgenden Schuljahre über die Bühne, ich hatte ein gesundes Arrangement mit der Schule und dem Lehrkörper gefunden, nicht mehr auffallen war meine Devise.
Zu Hause war öfters dicke Luft angesagt, denn mein Vater fühlte sich weiterhin des öfteren dem besten Freund des Menschen, dem Alkohol zugeneigt. Früher geschah dies regelmäßig an den Wochenenden, nun aber verlagerte sich sein Alkoholkonsum auch auf den Feierabend, ich hatte die undankbare Aufgabe am Spätnachmittag, vom Wohnzimmerfenster aus die Straße zu beobachten, welche Richtung unser Herr Papa wohl für den nach Hauseweg einschlagen würde? Wenn er die Straßenseite wechselte, dann kam er kurze Zeit später in die Wohnung und der Familienfriede war zumindest für diesen Tag gerettet, aber meistens ging sein Weg gerade aus dies bedeutete wieder Ärger und Getöse, wir Kinder kannten diesen Teufelskreis nun schon zur Genüge.
Meine Mutter hatte nun schon vier Kinder am Hals, eins davon war behindert und einen Mann der seine Krankheit nicht einsehen wollte, geschweige daß dieser Mann ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hätte, er war ein Alkoholiker und er sah es nicht ein! Die Nerven lagen sehr oft blank, Mutti versuchte dieses Problem, von uns Kindern so gut es ging, fern zu halten, was in unserer kleinen Wohnung, mit den Stockbetten für uns Kinder und den verschlossenen Türen am Abend, jedoch nicht gelang. Die Wände unserer Altbauwohnung, kein Vergleich zum heutigen Wohnungsbau, hatten viele Ohren und ich, als Älteste konnte mir meinen eigene Meinung darüber bilden.
Ich war damals noch der Meinung, dass man doch zu jeder Zeit mit dem Trinken aufhören könnte und ich hoffte stets vermehrt darauf, wenn Papa seinen „Milchtag“ hatte, das nun eine Wende in seiner Sucht eingetreten war, ich und auch später meine Brüder wurden stets aufs Neue enttäuscht. Für meine Mutter, so hatte ich es damals schon empfunden, gab es diesbezüglich keine Hoffnung.
Unser aller Wünsche wurden so nicht erfüllt, meine Mutter musste all diese Vorfälle herunter schlucken und eine gute Miene zu diesem Trauerspiel machen. Einmal, so erinnere ich mich später, hat meine Mutter die Nerven verloren oder auch nur ihre Hilflosigkeit hinaus schreien wollen, mein Vater kam stockbesoffenen, spätabends nach Hause und dann hat er von Mutter die Milchflasche übergezogen bekommen.
Dies war sicherlich eine Affekthandlung, aber geändert hatte dieser Vorfall zu dem damaligen Zeitpunkt überhaupt nichts und die gute Laune war stets weiter im Keller, wenn ich von meinem Beobachtungsfenster den geraden Durchmarsch, Richtung Kneipe meldete.
Später war mir erst klar geworden, wie eine solche durchlebte Alkoholsucht meines Vaters, sich auf uns Kinder ausgewirkt hatte.
In der Schule wurden wir gehänselt, heute sagt man wohl gemobbt, der Endeffekt war jedoch derselbe, wir standen abseits, hatten nur uns als Geschwister und selten gelang uns oder mir ein ehrlicher Kontakt zu Gleichaltrigen.
Ich glaubte, dass mein Vater kein einziges Mal diesbezüglich über seine Krankheit nachgedacht hatte? Heute verstehe ich auch das damalige Verhalten meiner Mitschüler, denn wer will schon mit einem Kind aus einer „Säuferfamilie“ Kontakt schließen? Auch mein jüngerer Bruder litt sehr unter diesen Umstand, meine Mutter reagierte mit Beschimpfungen und auch einmal im Affekt, aber sie schaffte es nicht eine Trennung für sich oder für uns Kinder herbei zu führen.
Wie wir jedoch alle zur Kenntnis nahmen konnten, so hatte die ehemalige, abgewirtschaftete DDR ein unwahrscheinliches Suchtverhalten im Alkoholkonsum.
Andre, mein behinderter Bruder war zwischenzeitlich auch eingeschult worden und besuchte eine Sonderschule und hatte als kleines Bürschlein schon einen ausgewachsenen Dickkopf, seine Lehrerin hatte hier die größten Probleme, dies ging soweit, dass diese geduldige Frau kurz vor einen Nervenzusammenbruch stand. Zuhause traute sich mein kleiner Bruder nicht diesen Dickkopf an den Tag zu legen, da war ja noch meine resolute Mutter und wenn das nicht half, dann war immer noch unser Vater mit seiner strengen Hand zur Stelle. Wenn dieser Mann nur einmal diese Strenge bei sich als Maßstab angelegt hätte, war mein Fazit auf dem Balkon unseres Hotels in Nordafrika.
Meine Brüder hatten es sicherlich nicht immer leicht, meistens wurden sie von mir zum Blödsinn angestiftet, denn ich war mit ihnen mehr unterwegs als mit Freunden oder Freundinnen, aus den schon bekannten Gründen. Viele Kellerfenster gingen beim Fußballspielen zu Bruch und wer war es? …natürlich die Jungs! Oft mussten sie unberechtigte Schelte dafür kassieren, aber ich fand es schon als Ausgleich für ihre Lausbubenstreiche und außerdem war ich ein braves, wohlerzogenes Mädchen. Dirk war schon ein kleiner, hinterhältiger Geschäftsmann, der von meinen ersten „Knutschabenteuern“ Profit herausschlagen konnte, mit meiner Clique trafen wir uns im Hochsommer zum Baden am See, ohne meine Brüder konnte und durfte ich nicht zu diesem fröhlichen Vergnügen gehen, dazu kam die auferlegte verantwortungsvolle Aufgabe des Aufpassens und das, bei drei Jungs, die nur noch das kühle Nass sahen und mehr im Wasser als am Land waren. Sie waren damals alle noch keine sicheren Schwimmer oder sie konnten es noch gar nicht.
Ich hatte schon ein Auge, vielleicht auch zwei auf einen jungen Matrosen geworfen und mit diesen jungen Mann wollte ich auch einmal alleine sein.
Hier war guter Rat teuer, bei drei Jungs, das Beruhigungseis war schnell auf geschleckt und nur Fußball spielen war auch nicht so toll, etwas vernünftiges kam für beide Seiten dabei nicht heraus. Mein kesser, kleiner Bruder wollte dann noch Schweigegeld von mir und drohte sonst alles Papa zu erzählen. Ich rückte etwas von meinem schwer verdienten Ferienjobgeld heraus und nahm mir vor, zukünftig besser auf der Hut zu sein.
Bei uns in Ostdeutschland, wo die Kirchenmacht keine so weltliche Stellung inne hatte wie im kapitalistischen Westen, hier stand anstelle von der Firmung oder der Konfirmation im Westen, bei uns mit vierzehn Jahren die Jugendweihe zur Feier an.
Meine Jugendweihe erfolgte in der Schulgemeinschaft mit meinen Klassenkameraden. Die Turnhalle war feierlich für diesen großen Rahmen geschmückt und ich hatte voller Stolz ein gutes Sonntagskleid angezogen, dazu nicht enden wollende langweilige Reden der Parteibonzen, über den Sinn des Erwachsen werden.
Als Erinnerung an diesen Tag bekamen wir noch den Bildband „Weltall, Erde, Mensch“ mit persönlicher Widmung überreicht, dies war der parteipolitische, offizielle Teil.
Kakao und leckeren Kuchen gab es dann bei Mutti zu Hause und meine Brüder fanden diese Leckereien, das beste von diesem langen Tag.
Andre war damals schon ein ganz „süßer“ und versuchte stets die doppelte Portion zu er haschen.
In den Sommerferien hatte ich über „Vitamin B“, gleichgesetzt mit Beziehung durch meinen Vater, einen Küchenjob im Interhotel ergattert.
Hier kam ich auf den guten Geschmack und entwickelte meine Vorliebe, diese Tätigkeit zu meinen Beruf zu machen. Bei dieser vorerst nur angedachten Hilfstätigkeiten in meinen Ferien verrichtete ich meistens nur Handlangerdienste, wie heute die unbezahlten Praktikanten, doch ich lernte viele Kostbarkeiten kennen, von denen ich noch nie etwas gehört oder gesehen, geschweige geschmeckt hatte, es war für mich ein Paradies, ein Traum. Natürlich ereilte mich auch etwas Ekel und Abscheu, wenn Innereien und Blut ins Spiel kamen, das war nun die Schattenseite der berühmten Medaille. Irgendwie wollte ich auch dieses Hindernis überwinden und redete mir ein, dass diese Arbeiten dann sicherlich von einem starken Geschlecht ausgeführt werden, genauso wie das „Abmurksen“ von lebenden Getier, wenn dies einmal anfallen sollte.
Das Leben spielt oft ein sehr seltsames Spiel, ich sollte Aale und Krebse ins „Jenseits“ befördern und schon hatte ich meine Ar …karte gezogen, ich brachte es nicht über mein immer schneller klopfendes Herz, zur Abhärtung musste ich einen großen Eimer Zwiebeln häuten und schneiden, bis die bitteren Tränen flossen, aber mein Berufswunsch stand nach dieser Ferienzeit fest, ich werde Köchin.
Für das folgende Schuljahr, meine Abschlussklasse, wurde schwer gebüffelt, denn das Zeugnis sollte schon für meinen Wunschberuf ausreichend ausfallen. Das Auswählen eines Berufes war in unserer „geliebten“ DDR nicht so selbstverständlich, wie seinerzeit in Westdeutschland.
Ich verließ nun nach zehn Jahren mit der Mittleren Reife die Polytechnische Oberschule und war voller Vorfreude bereit das große Abenteuer „Beruf“ in Angriff zu nehmen. Die Ausbildung sollte zwei Jahre andauern und alle Schwerpunkte der Groß- und Kleinküche durchlaufen.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, diesen Leitspruch musste ich mir in den nächsten zwei Jahren noch des Öfteren anhören, wenn ich erschöpft mit überdimensionalen Kochtöpfen, allzu großen und schweren Gusspfannen mich abquälte oder stundenlang Kartoffel schälte oder Zwiebel und Gemüse schnitt, in der Spargelsaison dann das ewige Schälen des edlen Gemüses.
Meine ersten Erfahrungen sammelte ich in einer Großküche, ich wusste schon was meine Mutti für unsere Familie für Töpfe und Pfannen benötigte, aber das hier war einfach nur gigantisch, ich hätte mich in so manchen Topf locker verstecken können. Diese Küche befand sich in Drewitz am Autobahnring von Berlin, damals noch zu der Transitstrecke gehörend.
Hier erlebte ich auch das der berühmte Leistungs- und Zeitdruck an der Tagesordnung war, denn die Essenszeiten hingen strikt mit dem Fertigungsablauf der Werkstätten zusammen und eine Verspätung war nicht drin. Ich erlernte alle Höhen und Tiefen des Kochberufes, heute habe ich das Gefühl, das dies hauptsächlich die Tiefen waren. Die Arbeit in der Großküche war für mich, als zierliches Leichtgewicht, sehr schwer, die Mengen die vorbereitet gekocht oder auch gebraten und gebacken wurden waren enorm, hier wurde nicht nach Gramm gerechnet, sondern nach Pfund, Kilogramm und Zentner, meine Rechenkünste wurden schwer auf den Prüfstand gestellt. Die größte Freude hatte ich bei der Essensausgabe in der Kantine, wenn ich mithelfen durfte und auch den Kleinverkauf übertragen bekam. Die Großküche war wegen der oberflächlich und lieblos hergestellten Massenware nicht so mein Lieblingsfach, es war mir zu anonym, ich wollte echt leckeres Essen zubereiten und fühlte mich damals schon zu Höheren berufen und so hoffte ich im zweiten Jahr meiner Ausbildung die in Babelsberg, dort wo die UFA-Filmstudios angesiedelt waren, fortgesetzt wurde, endlich die gute Gastronomie kennen zu lernen. In der Gaststätte zur „Eisenbahn“ sollten meine inneren Wünsche in Erfüllung gehen. Der Eindruck bei Dienstantritt war jedoch sehr negativ, die vorhandene Küchen-Ausstattung hatte mit der schicken Anlage des Interhotels, die ich vom Ferienjob kannte, wenig gemeinsam.
Ich war schon etwas mehr enttäuscht und machte mir selber Mut mit der Feststellung, dass die Qualität der Speisen doch in erster Linie von einer guten Ausführung und von einwandfreien und frischen Produkten abhängig war.
Mein Küchenchef war ein Meister seines Faches und ich konnte viel Fachwissen für die normale Tagesküche in einer Gaststätte erlernen.
Von meinem Ferienjob im Interhotel hatte ich immer noch Kontakt zu dem Leiter, dieser fungierte nun als Mentor und hier erlernte ich in meiner Freizeit die Kochkünste der gehobenen Gastronomie.
Die Speisen appetitlich auf die Teller zu drapieren und dekorieren, anspruchsvolle Vorspeisen und Desserts zu bereiten, das machte Freude, das war mein Metier.
Mit Hilfe dieses Mentors und durch vielfältiges Nachkochen der Menüs zu Hause hatte ich viel Routine und Geschicklichkeit erlangt, meine Familie war immer der Versuchsstützpunkt und meine Brüder große Fans, wenn es am Wochenende was Ausgefallenes auf dem Speiseplan stand. Die Portionen konnten zum Teil nicht groß genug sein, es waren halt Jungs im pubertierenden Alter und der Appetit entsprechend groß. Für mich bedeutete dies allerdings, dass in der Praxis maßvoll mit den Portionsgrößen umgegangen werden musste, weniger war mehr.
Ich hatte mich zwischenzeitlich zu einer jungen Dame entwickelt, die Rundungen waren dort, wo sie hingehörten und die ein oder andere Liebschaft hatte hoffnungsvoll begonnen und meistens war diese einige Wochen oder Monate später wieder verflossen.
Bei uns zu Hause war es auch nicht gemütlicher geworden, wir hatten zwar eine größere Wohnung bezogen und ich bekam ein eigenes Zimmer im Gegensatz zu meinen drei Brüdern, die sich ein Zimmer teilen mussten. Vater hatte immer noch die liebgewordene Sportart, das einhändige Trinken.
Mein sehnlichster Wunsch war, um mich besser auf meinen Beruf konzentrieren zu können, ich wollte hier nur noch hinaus, etwas eigenes haben, alles belastende hinter sich lassen, ich wollte leben und selbständig sein, es reichte schon, dass wir hier in der „geliebten“ DDR eingesperrt waren. Dieser Gedanke war jedoch in diesem unserem Arbeiter- und Bauernstaat nicht so leicht zu realisieren. Wohnungen wurden zugeteilt und dazu musste man im Normalfall, ohne Vitamin „B“, gleich Beziehung, erst einmal verheiratet oder schwanger sein. Ich begab mich auf Bräutigamssuche, in einem Käseblatt aus unserem Bezirk las ich eines Tages die Anzeige eines jungen Mannes, namens Gerd. Ein erstes Treffen war für das übernächste Wochenende schnell vereinbart, denn damals ging noch alles Handschriftlich mit der guten alten Post, denn Telefone waren in der DDR, nur den Parteibonzen oder den Hauswarten vorenthalten, wahrscheinlich um die aktuellen Überwachungen sofort der Stasi übermitteln zu können.
Schick angezogen und etwas Lippenstift aufgetragen so begab ich mich zu dem vereinbarten Stelldichein und er kam überpünktlich, mein Kavalier aus der Zeitungsanzeige. Dieser junge Mann war gutaussehend, schlank, von guten Manieren, hatte sich gut gekleidet und trug einen hellen Staubmantel für den kühleren Abend. Wir kamen schnell ins Gespräch und es kam keine Langeweile auf, ich hatte einen sehr positiven Eindruck von diesen jungen Mann und beschloss nach einigen Treffen, ihn meinen Eltern vorzustellen. Gerd hatte sehr schnell die Zustimmung meiner Eltern, dann zur Hochzeit erhalten, obwohl mein Lehrabschluss noch ausstand. Die Aussicht für meine Eltern und auch für meine Brüder, dass mehr Platz in der Wohnung sein würde und ich auch ganz verliebt in Gerd war, so wurde der Hochzeitstermin für Ende April festgelegt. Es sollte ein schönes, großes Fest für die einzige Tochter des Hauses werden, mein Bruder Dirk, der mit der Schweigegeld-Erpressung, hatte an diesem Wochenende auch noch seine Jugendweihe und so verlegten wir den Polterabend auf den Freitag und die Hochzeits-Feierlichkeit mit der Trauung am Standesamt, für den Samstag.
Gefeiert haben wir bei meinen Eltern in der Wohnung und für die Hochzeitsnacht, die ja recht kurz war, wurde mein Mädchenzimmer entweiht.
Unsere Hochzeitsreise ging für ein paar Tage an den Rennsteig im schönen Erzgebirge zum Skifahren oder besser gesagt zum Erlernen des besseren Hinfallens, es blieb uns nicht viel Zeit, denn ich war ja noch in der Lehrausbildung und meine Facharbeiter-Prüfung stand in einigen Monaten an.
Leider hatten wir als Frischverheiratete zu diesen Zeitpunkt noch keine eigene Wohnung, da diese erst mit der Heiratsurkunde von Amtswegen zugeteilt wurde, die Wartezeit von einigen Wochen mussten wir auch noch billigend in Kauf nehmen.
Nach endlos erscheinenden Wochen des Wartens bekamen wir endlich die Zuteilung einer eineinhalb Raum-Dachgeschosswohnung, ganz oben im Wohnblock. Die Wohnung war, wie soviel in diesem Staat, eine Zumutung, im Sommer sehr heiß, dafür im Winter umso kälter, von Isoliertechnik und normalen Wohnkomfort keine Spur. Die Küche und das Bad hatten nur ein kleines, mit einfachen Drahtglas versehenes Dachflächen-Fenster, primitivster Bauart, wo bei Temperatur-Unterschieden das Schwitzwasser abtropfte. Es störte niemanden, wenn im Winter die schwer einzubringende Wärme in Windeseile wieder durch die Wände und Decken entwich, so ruinierte sich der Staat ganz von alleine.
Ich kannte aus dem verbotenen Westfernsehen, dass wir natürlich nie eingeschalten hatten, die schicken Wohnungseinrichtungen, die neuzeitlichen Autos und die schicke Mode und ich hoffte inständig einmal in meinem Leben auch diese Dinge mir kaufen und leisten zu können.
Unser Lebensstandard hinkte in allen Bereichen des täglichen Lebens hinterher, wenn nicht meilenweit und unerreichbar? Einen Fortschritt habe ich eigentlich nie erkennen können, die Bevölkerung musste sich für den täglichen Bedarf anstellen, Autos waren unerschwinglich teuer und die Lieferzeit für das kleinste Auto, den „Trabi“, war mindestens zwölf lange Jahre …
Die Kriminalität war in diesem gelobten Land so gut wie nicht existent, mir war nicht bekannt, dass in unserem Umfeld oder in unserer Stadt auch nur ansatzweise über Schwerverbrechen berichtet wurde, das was heute in Deutschland und der Welt passiert, ist gerade zu erschreckend und fast schon unglaubhaft …
Es gab in Ostdeutschland nicht den Verdrängungs-Wettbewerb, nicht den hier bekannten Stress und den allgemeinen Neid, denn keiner hatte unwesentlich mehr als sein Nachbar, ausgenommen dieser Nachbar hatte Verwandte im Westen, die ihn mit Waren und Devisen unterstützten. Diese Nachbarn zeigten dann auch nach außen, dass es ihnen besser ginge, als der normalen Arbeiterklasse, sie kamen schneller an den ostdeutschen Volksporsche, den Trabi 604, hier konnte man die riesige „Auswahlpalette“ nach Herzenslust schon bei der Bestellung in Augenschein nehmen wie z.B. ein- oder zweifarbig, Kombi oder Limousine oder verchromte oder lackierte Stoßfänger, naja das war es auch schon! Der stolze Preis für diese Luxuskarosse mit Zweitakter-Motor circa acht bis Zehntausend Ostmark und mit westlichen Devisen wurde die Lieferzeit auf ein Minimum reduziert.
Wir richteten unsere kleine Dachwohnung mit Geschick und noch kleineren Etat sehr gemütlich ein und heizten im Winter wie verrückt, dass die Bude einigermaßen gemütlich warm wurde.
Der Sommer nahte und somit auch mein Prüfungstermin mit der theoretischen und praktischen Prüfung. Mein Büffeln und die Vorbereitung mit meinen Mentor, sowie die vielen Kochversuche zu Hause waren mein gutes Rüstzeug um vor dem Prüfungsausschuss zu bestehen. Stolz wie Oskar nahm ich nach diesen Prüfungstagen mein Facharbeiterzeugnis in Empfang.
Unser gemeinsames Leben nahm nun immer bessere Formen an, die Prüfungsangst existierte nicht mehr und ich konnte nun meinen werktäglichen Aufenthalt bei meinen Eltern aufgeben, denn meine Lehrzeit war mit dem Ablegen der Facharbeiter-Prüfung beendet und ich bekam eine neue Arbeitsstelle in einem großen Krankenhaus, in der Kantine. Diese Arbeitsstelle war nun sehr gut von unserer kleinen Wohnung aus zu erreichen, mein Mann arbeitete damals auch noch sehr zielstrebig, bis zu drei Schichten, denn wir wollten auch eine richtige kleine Familie gründen und das war auch in der DDR mit höheren Kosten verbunden.
Außerdem wäre dann auch eine größere Wohnung fällig geworden mit den entsprechenden Möbeln und wir waren ja auch noch sehr jung und wollten gemeinsam unsere Jugend genießen, soweit dies in diesem Staat überhaupt möglich war. Unsere Träume wollten wir zu minderst nicht unerledigt zu den Akten legen …