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ANNA Klang alles anders. Maja! Maja!

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Auf Maja hatten wir gewartet: Jahre, Herbert, ich, ein Paar, das noch und noch zusammenbleibt, und plötzlich sagten sie, das Kind sei abzuholen: Maja.

Vielleicht macht heil das Kind, verfugt den Riss und kittet. Ich flog nach Nepal, Maja abzuholen, Herbert flog nicht mit, weil seine Arbeit eine Unterbrechung grade nicht erlaube, Workaholic, Egomane, warf ich ihm zum Abschied an den Kopf. Männer ließ ich aus, weil ich mich schwanger fühlte, ließ aus den Mann, der Zeug aus Nepal in die USA verkaufte, duftete und an die Scheibe tippte; Fotos zeigte ich dem Mann von Maja, meinem Kind, das ich bald sehen würde.

War alles anders, weil ich mich schwanger fühlte, strange, ich wich dem Dreck nicht aus und sah kaputte Schlappen, sah zerschlissenes Gewand, trug Sonnenbrillen, auch wenn keine Sonne schien, damit ich über Blinde weinen konnte, die mir die Hand entgegenhielten, über Bettler, die am Rand der Straße Müll verheizten, über Kinder, die an Autoscheiben klopften, rüd dabei vertrieben wurden, Sonnenbrillen trug ich, auch wenn keine Sonne schien, damit ich über Hunde, die sich um ein Fleischstück balgten, weinen konnte, Köter, ausgemergelt, ohne Fell, nur rosa Haut und Krätzenblüten, groß gewachsne Zitzen.

Dann sah ich Maja, Maja – hatt samtne Haut mein Kind, gezopft das Haar, das an den Bund des Rocks ihm reichte, rot der Rock und ausgewaschne Socken trug es – schlecht gestopft warn Bluse, Socken, Rock, und spürt ich Freude, die beschämte, in den Himmel hob – und scharten sich die Kids vom Waisenhaus um mich und lachten, fünfzehn teilten sich nen Raum, drei Betten immer übereinander, öffneten die Kids vom Waisenhaus mir Truhen mit leuchtendem Gesicht, die unter ihren Betten und auf Brettern lagen: Hefte, Zettel, Bücher, ausgewaschne Shirts und Kreiden, Stifte, Reifen, abgetragne Schuhe, Bälle, Bänder, Fotos, Fotos, it’s my brother, it’s my sister, it’s my mum, my dad, und wieder diese Freude die beschämte, in den Himmel hob.

Mein Glück, mein Sonnenschein war Maja; lehrte ich sie, was man so können muss, lehrte Maja mich die Freude und den Mut; und Leben, so viel Leben war in ihr und nicht die Gier nach Leben, die ich vom Pflichtprogramm her kannte, von der Kür. Berührte sie die Tiegel, Schälchen, Gels, Lotionen und Shampoos und schmiegte sich, als ich ihr vorlas, in den Arm; ich nahm sie auf den Schoß, ich wiegte sie, ich drehte in der Dusche Wasser auf für sie und stellt mich drunter, Maja starrte hin zu mir, um selbst dann in der Dusche Wasser auf- und zuzudrehen, es zu mustern, wie’s in Strahlen aus dem Duschkopf kam, die Wände runter rann und in die Tasse fiel, dann legte Maja sich ins Bett und drückte sich ne Packung Chips, die sie zum Abschied mitbekommen hatte, an die Brust, umarmte diese Packung Chips wie eine Puppe, wie ein Tier aus Plüsch, und ich ging raus auf den Balkon und weinte.

Die Bäume, die am Wegrand standen, nahm ich wahr, den Plastiksack, den raschelnd leicht ein Windstoß hob, wir schauten Wolken an, wir gaben ihnen Namen, gingen Hand in Hand die Felder lang, wir spielten, schwiegen: alles Gegenwart; auch war mir klar, dass ich mit Maja anders leben würde, nicht dies designte Glück, das abgeschaut und durchgeplant in einem fort zu stemmen war.

Herbert holte uns vom Flugplatz ab, auch Herbert nannte Maja Sonnenschein und hatte kaum Affären mehr, er schnitt sich seiner Seele Innerstes heraus und gab es in ein Glas, das er nur dann aufmachte, wenn er zum Radfahrn ging mit Maja oder Skaten, wenn er ihr vorlas oder sich mit ihr nen Film ansah – ich wollte weg, nur weg, wenn Herbert, come, come on und super, weiter, einmal noch und höher sagte; sein Atem renne wie ein Irrlicht her vor ihm, verscheuche Majas Heiterkeit. Ach, Hirngespinst, er bringe halt was weiter und lebten, nebenbei, wir gut davon, denn was schon gehe mit nem Lehrerinnenlohn.

Flanierten wir durch Straßen Hand in Hand und Maja liebte Sauberkeit und Maja liebte Straßenbahnen und entwertete die Karten, setzte sich und schaute auf die sauberen Jeans und schmiegte sich an mich, bedankte sich nach jedem Satz, bis ich ihr sagte, dass sie nicht immer danke sagen müsse, ein Wunder warn für Maja Einkaufswagen, die sie sorgsam schob, Gefährte aus dem Traum, in die man legt, was einem so gefällt; gemeinsam kochten wir und warteten auf Herbert, mit Widerwillen ich, mit Freude Maja, und im Sekundenbruchteil fragte Herbert, was sie gelernt, gedacht – danke, sagte Maja, danke, wenn sie nicht weiter wusste, danke sehr, ich wollte aufstehn, weg, nur weg mit Maja in ein andres Leben, das nicht gespannt war, auf dem Sprung und jeden Augenblick vernutzte, nichts verschenkte, keinen Millimeter.

Mit Maja ging ich langsam, schau, die Weiden, wie sie Kätzchen tragen, schau die Primeln, die Platanen; neben Maja blieb ich sitzen auf dem Wiesenstück, trank ­Apfelsaft und schaute Äste, Blätter, den azurnen Himmel an, wir beide hielten inne, warn in diesem Stückchen Himmel. Maja weinte sich die Sehnsucht von der Seele, Freundinnen und riechen, Roti riechen, Blumen riechen, Haare riechen, Seife, Lachen, Mist. Da umarmte ich mein Kind und weinte mit ihm, Bäume, Schreine zeichnet’ Maja, färbt’ das Waisenhaus, den Himmel, Kinder rot mit Sindoor ein. Das Herz sprang mir zur Mitte und hinauf um ein, zwei Finger breit, wenn Maja lachte, wurde weit, wenn Maja mich frisierte, mir erzählte, mein Herz zog sich zusammen, wenn Herbert aufsprang, um ein Tuch zu holen und Speisen auf den Teller, in den Mund sich legte, schluckte, Maja im Sekundenbruchteil fragte, wie sie denn ihre Zeit verbracht, was Neues sie gelernt hat, jeden Fehler korrigierte und zur Übung analoge Sätze bildete.

Zur Schule hatten wir den gleichen Weg, ich lehrte, Maja lernte; rutschte auch in der Schule aus der Schnürung, was gebunden war und driftete, ich hörte mich Selbstbestimmtheit, Empathie und Geist den Schülern sagen, sah mich Wendigkeit, Verfügbarkeit und Effizienz verlangen; ich sah, dass Herbert ohne Freude war im Grunde seines Herzens und den Grund deshalb versiegelt hielt; auch Maja spürte es, obwohl er dauernd sagte, wie erfolgreich und gefordert er denn sei und sich am Leben spüre, Maja aber blieb ihm nah, Maja schmiegte sich an ihn und schenkt’ ihm Zeichnungen mit Bäumen, Tieren, weiten Himmeln, schenkte Blätter ihm und Steine, Federn, Wurzeln und die Buchstaben aus der Schule.

Wir lernten Georg kennen, seine Frau und seine Kinder; Georg: Softie, Loser, ausgebrannter Wirtschaftsguru; Herbert fand ihn unerträglich – er, nicht das System, sei krank, der Loser, der nichts auf die Reihe bringt und plötzlich von Bescheidung spricht.

Ich mochte ihn, den Loser, mochte, was in ihm zu gehen lernte, sich nach Flügeln sehnte, ich mochte seine Zuversicht, dass er, der Loser, auf dem Lande anders leben würde. Der Unterhaltungskünstler Herbert mimte Georg, den Romantiker – mistete aus, stach Schweine ab und setzte Bohnen zwischen Gartenzwerge und Salat und alle hielten sich den Bauch; ich geh aufs Land mit diesem Loser, sagte ich, und nehme Maja mit. Ich wurde fremd, erzählte Maja von dem Haus am Land, in dem die Menschen gut zusammen lebten, achtsam seien, anders dächten, grün sei alles um das Haus und glücklich, blühe. Gerne lebte ich mit ihr in diesem Haus und Herbert käme uns besuchen; Herbert, komm mit uns ins Haus, dann hast du eine Zeit. Maja ließ ne Pause, eine … Zeit und deutete das Nicht-Zerhackte, Ganze an.

Sein Atem sei zu schnell und treibe Maja an – er drauf immer, Maja leide deshalb, weil die Mutter esoterisch, egoistisch sei, und manchmal sagte er schuld, dass ich an Majas Schwermut schuld sei; er sei schuld, entgegnete ich, er, der alles bloß vernutze, nicht den kleinsten Spalt frei ließe, er sei schuld, weil alles Zweck sei, aber auch schon alles, und stritten wir, bis wir einander fremd und müde wurden.

Ein Jahr vereinbarten wir und nannten es Versuch, Scheiß-Spinnerei und Schmonzes sagte Herbert, die Traurigkeit versiegelt’ er, dass sie nicht hochstieg und das Denken infizierte; Sonnenschein, nannte er Maja, und, lieb, sagt’ er, ich hab dich sehr, sehr lieb - am Abend würd’ er immer an sie denken, wenn er aufwacht in der Früh: sie müsse wiederkommen, bitte, wiederkommen, ja, versprechen bitte muss sie, dass sie wiederkommen wird; die Bitte schmeckte nach der Traurigkeit, die er versiegelt hielt, ja, sie würde wiederkommen, sagte Maja, schmiegte sich an ihn; Herbert winkte lang, als wir mit Sack und Pack ins Auto stiegen; sehr ­bescheiden waren Sack und Pack, nur wenig mehr als Fluchtgepäck.

Anarchisch war die Achtsamkeit, am Anfang galt nur sie, der Glaube dran, und wenig Regelwerk, kaum Hierarchie: Wir wollten anders denken, wollten, dass unser Denken anders sich erfinde; die vom Ginthof waren wir, die Ginthof-Leut’, wir regten auf; ein rotes Tuch, ein Dorn im Aug warn wir den Heimischen, auch schmeckte Glück ganz anders als gedacht, erschreckten die kaputten Ziegel, feuchten Flecken, das Gerümpel und der Putz, der arg gebröckelt ist; erschreckte uns der Matsch ums Haus; erschreckte uns das Teilen: Zimmer, Küche, Kasten, Betten, Bürsten teilten wir, auch Ablehnung erschreckte uns: Wir warn die Zugereisten, ohne Glauben oder mit dem falschen Glauben, die sich alles unter ihre schwarzen Nägel reißen wollten.

Glück, wir sagten: Freude, war in Zwischenräumen, in der Stille, in den Spielen mit den Kindern, Glück lag in der Gegenwart; wir hoben Fersen, winkelten die Knie und rollten über Ballen, warn im Heben, Winkeln, Rollen, warn in der Bewegung und nicht in der nächsten und nicht in der übernächsten. Bild-, lichtgängig warn die Grenzen, lose Fügungen, Hannah Arendt, Wiesen, Roland Barthes, der Nachbar, ich; der Petermichl lieh mir seine Unschuld, ich ihm Wörter: eine Möglichkeit im Glück, auch Mira und Holunderblüten und Maja lachend auf die Buchenblätter, die zur Welt wie grüne Kälber kamen, zeigend, aufgehoben alles, wir in allem aufgehoben Augenblicke lang – dann schrie ein Vogel, fiel ein Blatt zu Boden, ein Gedanke ein, wurd’ eine krank, erhängt’ sich einer, doch das Leid, es schmeckte anders, etwas blieb vom Glück in ihm.

Maja hat sich wohl gefühlt von Anfang an, es war genügend Zeit in ihrer Zeit, um zu verweilen, das Kalb zu bürsten, Küken, Ferkel in den Arm zu nehmen, Wessely, den Ginthof-Hund, zu streicheln, es war genügend Zeit in ihrer Zeit, um Blätter, Hölzchen, Steine, Nadeln aufzulesen; schwebend leise war der Atem, nicht mehr scharf gezogen – über Brücken und durch Kammern strich er, richtete Gedanken, Maja konnte Georgs Hand in ihre nehmen und die Nester anschaun, die die Sonne auf den Boden legte oder auf dem Traktor neben Mira sitzen, um mit ihr zu singen, Maja konnte Theater spielen mit den Zwillingen, Maja konnte Glück vom Himmel und vom Grund des Herzens pflücken: Glücklich-Sein war Majas himmlisches Talent; sie kämmte Haare, pflückte Blumen, nahm mich an der Hand und zeigte mir die neugebornen Kätzchen, schmiegte sich an mich.

Wir hielten Wort und fuhrn zu Herbert in die Stadt, extrem konträr warn die Entwürfe: cut, nein, unbedingt versuchen, ja und doch und nein und Herbert war erregt und sprang ins Auto, startete und reversierte, Maja rannte, rannte ihm ins Auto.

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