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KLAUS Ich musste irgendwo unterkommen, #lebenohnetwitter

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Alles sollte mager sein, Alltag, Ego, Wiese, Klo, freilich sagten wir nicht, mager, wir sagten BESCHEIDEN, BESCHEIDEN, nannten mager nur die Wiese, die wunderbunt blühte und zur Matrix im Vergleiche-Himmel avancierte.

Spätgeborne, erdachten wir ein Gesellschaftsideal (wieder einmal): Jeder nimmt so viel vom Raum, den Nährstoffen, vom Licht, wie er braucht, nicht mehr (und ohne Wauwau), weil er ja glücklich ist, wenn alle glücklich sind.

Gesindel, hießen wir, Zugereiste, Spinner, Brut, Kommunen-Pack, den falschen Glauben hatten wir (hatten SIE: im Unterschied zu den Brüdern und Schwestern begann ich das Leben 900 Meter über dem Meeresspiegel agnostisch).

Ganz zu Beginn hatte ich noch lässig geredet, kann ich in eurer bescheidenen Utopie wohnen und so, das hatten sie mir bald abgewöhnt, auch gab es kein Handy, kaum vorzustellen im Nachhinein.

Wir, nein, sie: die Brüder und Schwestern versuchten als Kommune zu blühen, waren empathisch (zartelten), um das Denken aus den Bahnen zu wiegen, die ums Ego sich geschliffen hätten.

Die Brüder und Schwestern wollten die Suppen, die eingebrockt waren, nicht weiter auslöffeln (teils waren sie eingebrockt, teils hatten sie sie selber eingebrockt, auch so ein Thema).

Unter den Erdvernarrten kamen meine Bonmots nicht besonders an, ich kann nicht direkt vor dem Wind schneller als der Wind segeln, aber ich kann schneller als der Wind segeln, ein Beispiel.

Sie: die Brüder und Schwestern drängten zum Du, und Du war auch die Glockenblume und die Kuh.

Die Hiesigen wollten wir ans Herz nehmen, um gemeinsam Mimosenland zu bestellen, die Hiesigen aber verwehrten sich gegen uns Zugereiste, weil wir auf die Rohheit, die Teil ihrer Ordnung war, und auf die Kirche zeigten.

Man kam nicht mit Überheblichkeit, man kam mit Entwürfen, die wie Bannsprüche in die Plastikfenster-Ästhetik, die Lagerhaus-Romantik, das Mode-Zalando der Bauern spazierten (was eine Störung bewährter Sinnausgabestellen bedeutete).

Man könne keine neuen Ozeane entdecken, wenn man nicht den Mut habe, die Küste aus den Augen zu verlieren: eines meiner Bonmots, traf auf offene Ohren, weil die Brüder und Schwestern Ozean mit ozeanischem Gefühl gleichsetzten.

Die Status- und Selbstoptimierungs-Sätze seien so eingeflüstert gewesen, sagten die Brüder und Schwestern, dass sie Ego-Kathedralen errichtet hatten, deren Betrieb ALLES abverlangte, man hatte sich die Riemen aus der eigenen Haut zu schneiden.

Sie redeten das Kleine schön; den Lindenbaum vor dem Haus, die Furchen, in die sie Kartoffeln legten; die Gräser, die ihre Waden streiften, ließen sie bedeutungsvoll sein, als trügen sie Heil in sich.

Mein Vater hockte mir auf den Schultern (anluven, Klaus, an den Wind, Klaus, die Pinne an das Segel – schau, die Fock killt, leicht abfallen jetzt, abfallen, die Pinne andersrum, Himmelherrgott, wie blöd kann man sein, abfallen ist dort, wohin meine Hand zeigt, Klaus).

Sie seien nur wirklich in der Anstrengung gewesen, sagten die Brüder und Schwestern, sie seien immer weitergelaufen mit hechelnder Zunge, auch hätte das Verbesserungspotential des eigenen Körpers sie überfordert, deshalb die Weidezeit.

Mit Grazie versuchten sie die Ego-Kathedralen abzutragen, die Augen (Herzen) auf Beginn gestellt.

Bis an den Horizont reichten die Schmetterlingsanalogien, ständig wollte man, singsing, darüber reden; die Überhöhung sollte freisprechen von der Vermurksung des eigenen Lebens.

Ich konnte den Sinn, der in den Furchen, im Gras und auf dem Waldboden lag, nicht spüren anfangs, dort lagen Trümmer, die mir den Atem nahmen (Geldvermehrungs- und Geldbeschaffungsgeschichten, Geldverschiebungsstrategien und Geldrückgabever­sprechungen).

PENGPENG – PENG: Insolvenz, PENG: Konkurs, PENGPENG: Privatkonkurs.

Noch immer kann ich sie abrufen: die beiläufige Stimme, es habe sich was aufgetan, es gebe eine Chance, fünfzehn Prozent Rendite im ersten Jahr, Tendenz steigend; ab 700.000 Euro sei man dabei.

Meine gierverklebten Synapsen ließen nur die Bahnen für Gedanken an den sagenhaften Reichtum frei, grell ausgemalte Bilder, als sei ich auf Drogen.

Die Wirklichkeit wurde ident mit dem Versprechen, es gäbe kein Risiko, nur Gewinn; ihre Projekte ließen sie glänzen im Netz und auf Meetings.

Sie, das waren die schäbigen Ritter: der Experte und der Key Account Manager, sie, das waren wir: die Gier-Schnallen.

Euphorisch die Stimmung, als legten wir uns Linien, wir reden, meine Herren, von Renditen im zweistelligen Bereich (Damen waren nicht dabei); und er, der Experte, und er, der Key Account Manager und Freund eines Freundes, seien reich geworden auf ähnliche Weise.

Die PROJEKTE PROJEKTE waren die Eisen, die sie heiß redeten (den Cricketplatz in Südafrika, das Jagdschloss am Plattensee, das Ressort auf Fidschi, die Müllverbrennungsanlagen in Kanada).

Das Benennen war ein Beschwören, als besprächen sie die Füße von Pferden, so Geldlenkung, so Geldhebung, so Geldmehrung.

Ich hatte nicht begriffen, dass eine Verblödung vonstatten ging: sie hatten mir das Rationale aus dem Leib gesungen (ich hatte mir das Rationale aus dem Leib gesungen), der Selbstübergriff führte in eine rauschhafte Erregung, ich gehörte zur Tafelrunde.

Im Keller ein Bunker mit Goldbarren, ein Tresorraum, in den man uns führte wie in eine Verheißung – als würden sie uns den heiligen Gral zeigen; wir waren die Auserwählten, die den letzten Zipfel ihres Denkvermögens in die Schale legten.

Wir sprachen darüber, wie viel Geld vor uns läge, wir sprachen unaufhörlich darüber, mit fliegenden Fahnen bewegten wir uns auf die Deals zu.

Wir warteten.

Wir fragten, ohne dass sich der Experte und der Key Account Manager zu einer Antwort bequemten: Die gedanklichen Fügungen mauserten sich zu absurden Erklärungen, zu Kitsch- und zu Hoffnungsbildern.

Das Update nach Monaten strahlte in Form eines neuen Projekts, das noch mehr Rendite versprach und die anstehende Ausschüttung auf einen symbolischen Betrag reduzierte.

JOJOBA JOJOBA sei der Treibstoff der Zukunft, eben jetzt würden Plantagen ungeheuren Ausmaßes parzelliert und sie, der Experte und der Key Account Manager, hätten zugeschlagen, mit unserem Geld in der Schale.

Unglaublich, wie das Brainwashing für (uns) Saugierige funktionierte.

Ich suchte mir die Schönen, die alles gaben – Sterne, die am Himmel hingen, um sich bedienen zu lassen, montierte ich ab; auch begann ich darüber Buch zu führen.

Der Glaube war ein Schranz, der Glaube war ein Flug, der die Gewinne sicher redete: ich kaufte Wohnungen in bester Lage.

Im Kosmos, den ich mir eingerichtet hatte, markierten Ekstasen die Punkte, über die ich Kurs zu halten imstande war, auch als die Sache rauer wurde.

Klar zur Wende, Vater erschien mir im Traum, anluven, Klaus, die Pinne von dir weg drücken und laut und deutlich REE sagen; nicht weiter abfallen, Klaus, stell die Pinne mittschiffs, Klaus, Himmelherrgott, was soll das, in die Mitte, Klaus.

Ich war offen für alle, Schmalgesichtige mit großen Schamlippen, Rundgesichtige mit schmalen Schamlippen, am liebsten waren mir herausdrängende Labien.

Meine Glaubensbereitschaft wuchs und inspirierte zu Großkotzereien, die mich selber begeisterten – ein richtiger Steuermann fährt mit zerrissenem Segel; selbst wenn die Takelage verloren ist, zwingt er den Rumpf noch auf Kurs.

Das Aufbieten war in die Zukunft gerichtet und beschwor eine Zeit, in der zur Erfüllung käme, woran wir ungeteilt zu glauben bereit waren – ich überredete Freunde, mir ihr Erspartes anzuvertrauen und borgte noch einmal Geld von den Banken.

Meine Gier spielte mit der Gier der anderen; wenn sie sich die Zunge anlegte, war sie eine Überzeugungsmacht.

In Pornos waren die Schamspalten schmal bis auf wenige Ausnahmen.

Als ließe ich sie den Schrein mit der Hand der heiligen Anna berühren oder die Ampulle mit dem Blut des Papstes oder die Paramente Pater Pios, so hatte ich die Geber überzeugt, auch sie begannen zu hoffen in dieser abgefahrenen Gier.

In Abständen wurde das Datum der Ausschüttung nach hinten verschoben, auch waren der Experte und der Key Account Manager nicht erreichbar.

Obwohl sie alles ständig neu benannten, hielt ich auf ihre Geschichten und reichte sie den Darlehensgebern weiter – das nützte mich ab, ich verlor an Glanz.

Der Experte und der Key Account Manager rückten die fernere Zukunft in helles Licht: über die nähere Zukunft würde man sich gerettet und die Verluste abgeschrieben haben, wichtige Partner seien abgesprungen.

Die Nachricht störte das Miteinander, die Banken, Bekannten und Freunde wollten ihre Schäfchen aus dem pekuniären Sumpf ins Trockene treiben und forderten ihre Darlehen zurück.

Als sie mir nahe traten, begann ich mit den Armen zu schlagen, dass sich an der Oberfläche Krönchen bildeten, eine vertrauensbildende Maßnahme, die sie Aufschub gewähren ließ für eine befristete Zeit.

Es galt Reste (oder Reste von Resten) zu retten und so zu verschieben, dass sie nicht sofort verdampften, wenn sie ins Spiel kamen.

Immer noch konnte ich auslaufen, weil ich die Manöver im Effeff habe, die mein Vater mir eingebläut hatte.

Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, wie scheiße war dieser Satz im Angesicht des Brockens, den ich tagaus, tagein hinaufrollte unter Aufbietung all meiner Überzeugungskraft.

Die anfangs dagewesene Lässigkeit zerfiel und musste gespielt werden, behauptet gegen den Lärm, den die Verbindlichkeiten schlugen.

Ich hielt die Augen gesenkt, weil sie das Weiße herauszukratzen begannen, zornige Schabarbeit von Seiten der privaten Gläubiger, professionelles Abtragen der einzelnen Schichten durch die Bankenvertreter.

Damit ich im ständigen Hinab nicht ausharren musste, rief ich mir das Fisten und das Segeln ins Gedächtnis, Mutter verscheuchte ich, so gut es ging, weil sie die Arme dauernd um mich legen und zu weinen beginnen wollte.

Die heimliche Freude das Sisyphos besteht darin, dass sein Schicksal ihm gehört, solche Sätze müsste man sagen können, ohne laut aufzuheulen.

Ich stellte mich hin vor die Partner und Freunde, zuckendes Lid, weg alles, weg eure Darlehen.

Ich meldete Konkurs an, was den Apparatschiks Beine machte, die die Scherben zu verwalten hatten, Scherben, die nicht einmal dazu reichten, die Arbeit der Apparatschiks zu bezahlen: ich, der Konkursit, stand zur Verfügung.

Ich überlebte den Pranger, ich überlebte den Ruin meiner Freunde, weil ich den Gefühlshahn zugedreht hatte, oder die Gefühle waren einfach versiegt.

Ich meldete Privatkonkurs an, und weil es sieben Raben, sieben Geißlein, sieben Zwerge, sieben Laster, sieben freie Künste gibt, werden meine Einkünfte sieben Jahre lang abgeschöpft.

Sieben mal sieben ist feiner Sand, jeden Brocken, der im Sieb blieb, hielten sie gegen das Licht, die Gläubiger reichten Klage ein gegen mich.

Das rief man mir nach samt Unschuldsvermutung: Klaus K. MSc, erfolgreicher Unternehmensberater, zunehmend wirtschaftliche Schieflage durch dubiose Provisionsgeschäfte, bei denen Gläubiger wissentlich hinters Licht geführt wurden.

Was ich im Spiegel sah: Klaus, dünn, im Verhältnis zur Körpergröße kleiner Kopf, schüttere Haare, zwei Furchen über die Wangen.

Was in den Medien stand: Klaus K., Sohn des bekannten Radiologen Gery K., wurde angeklagt wegen Betrugs.

Kalt stand ich vor dem Richter, acht Monate bedingt wegen Darlehensbetrugs, kalt innen der schäbige Ritter.

Sein Fels sei seine Sache, ebenso ließe der absurde Mensch, wenn er seine Qual bedenke, alle Götzenbilder schweigen, geblähte Luft.

Ich zog mich auf den Ginthof zurück, ohne den Idealismus der Brüder und Schwestern zu teilen (ich konnte die Drecksarbeit nicht kathartisch finden und eingehängt in den Abend schlendern), ich musste, mittellos, einfach irgendwo unterkommen.

Von Wegen

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