Читать книгу Die vergessenen Siedler - Birgit Scheele - Страница 4

Prolog

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Ängstlich schaute das kleine Mädchen Theda zum Dach des langen Reetdachhauses auf. Der Wind fegte durch die Dorfwurt Alsum und sie lauschte gebannt dem Heulen der Windböen. Die sieben Winter alte Theda schlug ihren brauen Wollumhang, welchen sie stets als Decke benutzte, zur Seite und setzte sich auf. Aus reiner Gewohnheit sortierte sie ihr langes braunes Haar nach hinten und mit ihren zarten Fingern fuhr sie vorsichtig, fast schon zärtlich, durch die einzelnen Haarsträhnen.

Unsicher sah sie sich im Wohnbereich des Langhauses um. Sie gähnte. Das leise Knistern der Feuerstelle machte sie langsam wieder schläfrig.

Nachdenklich beobachtete sie ihre Eltern, die neben ihr auf dem Strohlager schliefen. Dies war ihr letzter gemeinsamer Abend in diesem Langhaus und der Gedanke daran, trieb ihr immer wieder Tränen in ihre kristallklaren blauen Augen. Ihr wurde bewusst, dass nicht der Wind sie geweckt hatte, sondern ihre Sorgen. Schon die ganzen letzten Tage und Nächte grübelte sie, wie sie ihre Abreise zur Festung der Chauken verhindern konnte.

>>Schlaf, Theda<<, grummelte ihre Mutter müde und klopfte langsam auf Thedas Schlafplatz. >>Ich weiß, du bist aufgeregt, aber es nützt nichts. Wenn du morgen blass und müde vor Ulfmarr und seinen zwei Schwestern stehst, denken die noch, du bist krank und nehmen dich nicht auf.<<

Theda riss sofort ihre Augen auf. Jegliche Müdigkeit war sofort verschwunden. Demonstrativ hustete sie gequält und sah gespannt ihre Mutter an.

>>Ich fühle mich nicht gut.<<

Um ihren schlimmen Zustand noch zu bestätigen, fasste sie sich an ihrem Bauch. >>Und Bauchschmerzen habe ich auch!<<, schluchzte sie.

>>Ach herrje! Was machen wir denn da?<<

Mit einem besorgtem Lächeln nahm sie ihre Kleine liebevoll in ihre Arme und drückte sie ganz fest an sich. Sie wusste natürlich, dass ihre Tochter ihr Leid nur vorspielte. Ihr fiel der Abschied genauso schwer, aber es gab keine andere Möglichkeit und sie musste für ihre Kleine stark sein.

>>Hier bleiben!<<, flüsterte Theda trotzig und krallte sich fest an ihre Mutter.

>>Das Thema hatten wir schon sooooo oft, Theda. Es geht nicht. Die Hausherrin möchte dich nicht mehr hier haben! Und ja, du bist auch mit daran schuld! Hättest du dich nur besser benommen! Wir können froh sein, dass du in Ulfmarrs Haushalt unterkommen kannst! Und jetzt genug davon!<<

Theda sah unsicher zu ihr hoch und starrte sie mit einem eiskalten Blick an. Ihre Mutter versuchte sehr ernst zu wirken, doch Theda hörte und fühlte ihre Verzweiflung heraus, weshalb sie nur noch mehr klammerte.

>>Ich habe nichts Falsch gemacht! Und gelogen habe ich auch nicht! Niemals! Das ist unfair!<<, protestierte Theda traurig und weinte.

>>Theda!<<

Hektisch sah ihre Mutter zu den anderen Bewohnern des Langhauses. Sie hörte, wie deren Schlaf unruhiger wurde. Leider auch aus Richtung der Herrschaften des Hofes. Das könnte Ärger geben. Viel Ärger.

>>Du weckst noch alle auf!<<, warnte sie Theda eindringlich. Kurzentschlossen nahm sie ihre kleine Tochter auf dem Arm und flüchtete leise mit ihr in den Stallbereich des Hauses. >>Mit Weinen erreichst du gar nichts. Höchstens, dass alle noch wütender auf dich werden!<<

Theda weinte furchtbar und lehnte sich an ihre Mutter. >>Ich… werde nie wieder was sagen oder einen Fehler machen! Ich will nur hierbleiben! Ich versprech`s!<<

>>Ich weiß, mein Schatz und ich möchte auch, dass du bleibst, aber das interessiert niemanden. Ich werde morgen mitkommen und Ulfmarr noch einmal fragen, ob ich bei dir bleiben kann, in Ordnung?<<

Theda nickte unsicher und schluchzte laut. Damit gab sie sich fürs Erste zufrieden. Sie sah, wie sich ihre Mutter Tränen aus den Augen wischte und fühlte, wie sie ihr einen Kuss auf dem Kopf verpasste.

>>Ich hasse die Hausherrin!<<, flüsterte Theda.

Es schien, als glimmten Thedas blaue Augen im Dunkeln unheimlich auf. Sie weinte nicht mehr, doch dafür spannte sie sich am ganzen Körper an. Die Kleine war so voller Hass, dass selbst ihre eigene Mutter eine Gänsehaut bekam.

Konnte das sein? Konnte eine Mutter ihre eigene Tochter fürchten? Viele Siedler Alsums fürchteten das kleine Mädchen und Thedas Mutter musste sich eingestehen, dass die anderen nicht gänzlich Unrecht hatten. Theda hatte eine gewisse unheimliche Art an sich. Möglicherweise hatte sie sogar wirklich magische Fähigkeiten.

Theda hatte vor einiger Zeit eine starke Erkältung und sie fühlte sich so elend, dass sie nicht aufstehen konnte. Weder sie noch die Herrin, schafften es, die kleine Theda aus dem Bett zu locken. Da wurde die Frau wütend und warf Theda an den Kopf, dass sie sich nicht so anstellen sollte. Darauf wurde Theda richtig trotzig und meinte, dass sich die Hausherrin auch bald so elendig fühlen würde. Das ließen die Herrschaften ihr nicht durchgehen und die Kleine bekam eine Strafarbeit bei den Gerbern von Alsum aufgetragen. Es kam öfters vor, das Kinder frech und anmaßend zu den Eltern und den anderen Siedlern waren. Dies gehörte zum Alltag, nur wurde die Hausherrin tatsächlich krank.

Einen Tag nachdem Theda ihre Strafarbeit bei den Gerbern beendet hatte, bekam die Frau hohes Fieber und stechende Halsschmerzen. Alles fühlte sich so stark geschwollen an, dass sie nur schwer Luft bekam. Als Theda ein gehässiges >Tja, das hast du nun davon< herausrutsche, rastete der Dorfherr aus. Es stand nicht mehr zur Diskussion, dass Theda den Haushalt und das Dorf verlassen musste. Alles Betteln und Flehen der Eltern half nicht.

Für Theda brach eine Welt zusammen und ihre Mutter fühlte sich so hilflos. Wie sollte sie ihrer Kleinen erklären, dass sie nur halbfreie Chauken waren? Als einfache Hilfskräfte auf einen Hof in Alsum lebten und arbeiteten und keine Rechte wie die freien Siedler besaßen?

>>Vielleicht ist es dort gar nicht so schlimm.<<

Beruhigend redete die Mutter auf Theda ein. Innerlich jedoch zerriss es ihr das Herz, ihre Tochter so traurig zu sehen. Sie schluckte und gab ihrer Süßen einen weiteren kleinen Kuss auf die Wange.

>>Theda? Du bist etwas ganz Besonderes und wenn du dich dort gut anstellst, wird Ulfmarr dich in ein paar Jahren gut verheiraten. Dann bekommst du von deinem Mann deinen eigenen Hof. Dann bist du diejenige die auf andere hinabsieht. Dann bist du frei<<, riet sie ihrer Tochter leise. >>Erzähl nur niemanden etwas über Flüche, Geister, Stimmen und all solche Geschichten.<<

Theda beruhigte sich nur langsam. Ihr Blick war eiskalt geworden. Nach einiger Zeit schlief sie vor Erschöpfung in den Armen ihrer Mutter tief ein und bekam nicht mit, wie sie zurück auf ihr Strohlager gelegt wurde.

Früh am Morgen machten sie sich gemeinsam mit einigen anderen Chauken und einen Karren voller Stoffe, Getreide und anderen Handelswaren auf dem Weg in den Hafen, der an der großen Festung Fabiranum lag.

Theda hatte am Morgen weder gegessen, noch getrunken. Dafür war sie zu aufgeregt gewesen. Nun saß sie auf einem Fass im Karren und hatte ihre Arme trotzig vor der Brust verschränkt. Weder ihren Eltern, noch den anderen Reisebegleitern, würdigte sie einen Blick, sondern beobachtete stur die zwei kräftigen Ochsen, die den Karren zogen.

Der Weg zur Festung führte sie nach Südosten. Ungefähr einen halben Tag reisten sie zum Fabiranum. Die Marsch, mit ihren Gräben und das Moor mit den Holzbohlenwegen, waren für die Bauern keine großen Hindernisse mehr. Sie kannten die Wege, die sie mit einem Karren wählen mussten, um nicht im Schlamm stecken zu bleiben. Schon vor Generationen hatten sie die Moorpfade mit Eichenbohlen befestigt.

Das Wetter glich Thedas Stimmung. Trüb und regnerisch hingen dichte Wolken am Himmel, die das Moor noch unheimlicher wirken ließen. Langsam zog ein leichter Nebel auf, der durch die Birken und Büsche waberte. Theda hörte die Gespräche ihrer Eltern und je länger sie den Gesprächen der Erwachsenen lauschte und ihre Sorgen und Probleme hörte, um so entschlossener wurde sie, ihren letzten Plan durchzuführen!

Ohne groß nachzudenken, sprang sie plötzlich von dem Karren, stolperte kurz und rannte los. Es war ihr egal, ob sie hier im Moor versinken würde oder sich im Nebel verlief. Sie wollte nur fort. Theda hörte, wie ihre Mutter panisch nach ihr rief und jemand, vermutlich ihr Vater, lief ihr nach. Theda wagte nicht, sich umzudrehen. Das kostete nur Zeit! Sie hangelte sich durch die Birken und Sträucher und vermied es, in die Schlammlöcher zu treten.

Die Tücken des Moores kannte sie gut. An etlichen Stellen wirkte es trockener, als es eigentlich war. Ein falscher Schritt könnte für sie den Tod bedeuten. Hinter sich hörte sie ihren Vater schimpfen und fluchen. Seine eiligen Schritte kamen immer näher. Er hatte sie fast erreicht. Sie weinte vor Verzweiflung.

Plötzlich stolperte sie und fiel auf bäuchlings auf den Moorboden. Theda fing den Sturz noch rechtzeitig mit ihren Armen ab, allerdings schmerzte ihr Knöchel und bald darauf tat ihr alles weh.

Sie blieb liegen. Es war vorbei. Bald würde ihr Vater sie eingeholt haben, nach oben zerren und ihr wahrscheinlich eine Ohrfeige verpassen. Die Flucht war vorbei.

Da griff jemand nach ihrer Hand und zog sie hoch. Zitternd sah sie auf, doch es war nicht ihr Vater! Ängstlich sah sie in das besorgte Gesicht eines Fremden. Normalerweise wäre sie vor Schreck bestimmt davon gelaufen, doch nun starrte sie ihn wie gebannt an. Er war anders als andere Menschen. Nein, das war kein Mensch, eher eine Art Schemen, der sich deutlicher vor ihr formierte. Theda fühlte, eine unglaubliche Stärke und Magie von diesem Wesen ausgehen. Sie wollte schreien, aber ihre Stimme versagte.

Der Schatten verschwand und plötzlich trat ein älterer Herr und eine jungen Frau aus dem dichten Nebel heraus. Theda blinzelte, als hoffte sie, dass die Trugbilder dadurch verschwinden, doch das Paar blieb. Ihre Blicke waren weit in die Ferne gerichtet, als hielten sie nach Thedas Verfolger Ausschau. Die Zeit schien für einen kurzen Moment stillzustehen.

>>Seid ihr Moorgeister?<<

Theda hatte schon öfter, solche Wesen gesehen, das war ihr nicht fremd. Früher hatte sie sich vor solchen Erscheinungen gefürchtet, schließlich akzeptiert, aber hier im Moor war es etwas Neues.

Als sie jünger war, hatte sie versucht mit ihren Eltern darüber zu reden, doch sie hatten nur über Thedas Geistergeschichten gelacht. Selbst die anderen Siedler winkten das ab und verspotteten Theda. Die Jahre vergingen und nun fand es niemand mehr lustig, wenn sie über Stimmen berichtete, die sie in ihren Kopf hörte und von Geistern erzählte, die nachts in das dunkle Langhaus kamen. Insgeheim wusste Theda, dass dies der Hauptgrund war, weshalb sie das Dorf verlassen musste.

Die junge Frau sah sofort zu dem Mädchen und kniete sich zu ihr runter. Vorsichtig strich sie über Thedas Kopf.

>>Nein, kleine Theda<<, flüsterte sie ihr zu. Zärtlich berührte sie das kleine Menschenkind an dem schmerzenden Knöchel und nahm vorsichtig ihre Hand.

>>Besser?<<, hackte die Frau besorgt nach.

Theda seufzte erleichtert. Sie mochte die Frau auf Anhieb.

Theda nickte begeistert.

>>Danke!<<, freute sie sich und sah sich ihren Knöchel an.

>>Ihr seid sooooo nett. Darf ich mit euch kommen? Biiiiiiiiitte!<<

Die Frau schüttelte den Kopf.

>>Das geht leider nicht, noch nicht. Aber wir werden dir helfen. Höre auf deine innere Stimme, sie wird dich führen.<<

Liebevoll strich sie der Kleinen durch das lange dunkle Haar, während sich beide Schemen langsam im Nebel des Moores auflösten. >Versprochen<, hörte Theda eine sanfte Stimme in ihrem Kopf.

>>Nein! Geht nicht!<<

Verzweifelt wollte sie ihnen folgen, tiefer in den Nebel hinein gehen. Hinter sich spürte sie ihren Verfolger näher kommen. Er hatte sie fast erreicht. Sie spürte bereits seinen Atem in ihrem Nacken.

Die vergessenen Siedler

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