Читать книгу Ehrenmord - Schweden-Krimi - Björn Hellberg - Страница 11
Bill Elfvegren
ОглавлениеJedes Mal, wenn Bill Elfvegren aus einem Kino kam, musste er an Olof Palme denken. Und da er ein Cineast war, geschah das ziemlich häufig.
Der damalige Ministerpräsident war ja zusammen mit seiner Ehefrau Lisbeth auf dem Heimweg gewesen, nachdem er im Kino Grand in Stockholm Suzanne Ostens »Die Brüder Mozart« gesehen hatte, als das Schreckliche passierte. Er wurde auf der Kreuzung Sveavägen und Tunnelgatan von tödlichen Schüssen getroffen. Und nach seinem Ableben wurde er zum Ziel einer noch größeren Aufmerksamkeit, als sie ihm bereits während seiner Zeit als schwedischer Staatschef und international anerkannter Politiker und Friedenskämpfer zuteil geworden war.
Ach, wenn doch er – der Starstaatsanwalt Bill Elfvegren – die Chance bekommen hätte, die Ermittlungen von Anfang an zu leiten! Dann würden sie nicht länger im Dunkeln tappen, dann wäre das schwedische Mordrätsel des Jahrhunderts schon lange gelöst. Aber er war damals, vor mehr als zwölf Jahren, natürlich noch viel zu grün und unerfahren gewesen: erst gute dreißig Jahre alt und am Anfang seiner Karriere. Widerstrebend musste er einräumen, dass sein Mangel an Erfahrung ein Hindernis für eine derartig gigantische und wichtige Aufgabe gewesen wäre. Außerdem hatte er die entscheidenden hohen Herren zu dieser Zeit, im Spätwinter 1986, noch gar nicht gekannt.
Bill Elfvegren hatte einen unerschütterlichen Glauben an seine eigenen Fähigkeiten. Selbstvertrauen in Kombination mit einem unbezähmbaren Draufgängertum machte ihn zu einem anerkannten Fachmann, der bereits einige ansehnliche Erfolge vorweisen konnte. Sein Mangel an Beschełdenheit hatte ihm aber gleichzeitig viele Feinde verschafft. Als Diplomat und Lobbyist hatte er immer noch viel zu lernen.
Viele fürchteten ihn aufgrund seiner Rücksichtslosigkeit und seiner Fähigkeit, sich wie ein Blutegel an einem Opfer oder einer Ermittlung festzusaugen.
Das wusste er und darauf war er stolz. Es gab ihm ein ungeheures Gefühl der Macht.
Dagegen hatte er keinerlei Ahnung davon, dass ihn sowohl seine Anhänger als auch seine Widersacher für ziemlich phantasielos hielten.
Ja, ihm fehlte einfach die Phantasie, sich so etwas vorzustellen.
In seiner Eitelkeit glaubte er, von seiner Umwelt verehrt zu werden. Die meisten Menschen in seiner Nähe waren doch nur Staffage, Marionetten, die er, davon war er überzeugt, nach eigenem Gutdünken lenken konnte.
Und bis zu einem gewissen Grad war seine Arroganz auch berechtigt. Seine Meritenliste war schon recht imposant, seine Siege in den Gerichtssälen des Landes sprachen eine deutliche Sprache. Niederlagen gab es verhältnismäßig wenige zu verzeichnen, und außerdem besaß er die Fähigkeit, sie schnell zu vergessen, obwohl er ansonsten über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte (er konnte die gesamten Darstellerlisten bekannter Filme herunterbeten ohne einen einzigen wesentlichen Namen zu vergessen). Dieses Gedächtnis konnte sich je nach Bedarf natürlich auch sehr trüb und kurz zeigen, in der Regel war es jedoch scharf und ausdauernd – ihm geschehenes Unrecht wurde beispielsweise lebenslang gespeichert, das vergaß er nie. Seine Philosophie besagte, dass nur die Erfolge zählten, nicht die Niederlagen. Natürlich hätte er eigentlich – wie er selbstsicher betonte – schon lange Oberstaatsanwalt sein müssen, aber es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ernennung erfolgen würde. Man konnte seine unbestreitbaren Fähigkeiten ja wohl nicht bis in alle Ewigkeit übersehen?
Der hoch gewachsene, gut gekleidete Jurist hatte an diesem Montagabend einen ausländischen Actionfilm im Filmhuset am Sergels torg gesehen und schlenderte nun durch das Abendgewimmel zum Bahnhof, um von dort den Vorortzug nach Hause zu nehmen. Er wohnte seit drei Jahren in einem prachtvollen alten Holzhaus in Norrviken und bediente sich fast immer der öffentlichen Verkehrsmittel, wenn er Stockholm zum Vergnügen besuchte, es konnte ja sein, dass er noch Lust auf ein paar Biere bekam. Nur für das letzte Stück vom Bahnhof nach Hause nahm er ab und zu ein Taxi, obwohl seine Villa auch zu Fuß oder mit dem Rad gut zu erreichen war.
Elfvegren war ein häufiger Gast in der Opernbar, und wenn alle Stricke rissen, gönnte er sich auch ohne Skrupel den kurzen Abstecher ins Café Opera eine Treppe tiefer. Er hatte nichts dagegen, sich unter die Leute zu mischen, die normalerweise hier verkehrten.
Wenn es aber um die Arbeit ging, fuhr er meistens lieber mit dem Wagen, trotz der ewigen Parkplatzprobleme. Er war Besitzer zweier Autos: eines blutroten Chrysler Voyager 95 und eines Oldtimers, ein Audi aus den späten Sechzigern. Letzterer stand den größten Teil des Jahres in Sollentuna in der Garage, er war sein liebster Besitz. Nur zu besonderen Anlässen holte er seine Kostbarkeit heraus und ließ sie bewundern.
Er war begeistert von Oldtimern und behandelte sie fast ebenso liebevoll wie seine vielen Frauen (um bei der Wahrheit zu bleiben: seine Geduld mit Motoren war größer als die mit Menschen). Früher hatte er einen Mercedes von 1957 besessen, aber den hatte er sich leider nicht länger leisten können. Mit blutendem Herzen hatte er ihn im vergangenen Herbst verkaufen müssen. Sicher, er stand finanziell gut da (er stammte aus einem verhältnismäßig wohlhabenden Haus und hatte ein gutes Einkommen), aber Zahlungen verschiedener Art forderten ihren Tribut.
Bill Elfvegren verabscheute Sport, hasste die Fitnesswelle, hatte ein neutrales Verhältnis zu Computern, ihm fehlte das musikalische Ohr, und er war nur mäßig am Kartenspiel interessiert. Er war kein Gourmet, und es interessierte ihn nicht besonders, ob der Rotwein nun Raumtemperatur hatte oder eher kalt war. Er zog Belletristik allen Sachbüchern vor, ausgenommen, sie handelten von Autos, Film, Verbrechen oder der Rechtswissenschaft. Und allein die Erwähnung des Wortes »Gartenarbeit« ließ ihn frösteln. Deshalb hatte er einen alten Fischereibeamten engagiert, der sich in angemessener Art um den Garten in Norrviken kümmerte. So brauchte er selbst nicht einmal ans Rasenmähen zu denken, was er als Befreiung von einer wahrhaften Geißel ansah.
Abgesehen von seiner Arbeit, hatte er drei große Leidenschaften: Oldtimer, das Kino – und das andere Geschlecht. Diesbezüglich hatte er sich schon immer an das Sprichwort gehalten, dass Abwechslung gut tut. Er selbst sah sich im Umgang mit der Weiblichkeit als feurig, patriarchalisch und ritterlich, aber, um der Wahrheit die Ehre zu tun, muss man sagen, dass sein Verhalten Frauen gegenüber kalt, zynisch und in gewisser Weise mittelalterlich war.
Während er bezüglich des Essens sehr wählerisch war (sein Repertoire war jämmerlich klein), gebärdete er sich, was Frauen betraf, als Allesfresser. Alter und Aussehen bedeuteten natürlich einiges, aber er war nicht derjenige, der ein erotisches Tête-à-tête ausschlug, weil die Partnerin die sechzig überschritten hatte oder einen Schnurrbart aufwies. Wenn das Geschlecht stimmte, fand sich immer eine Lösung. Aber natürlich zog er etwas richtig Appetitliches vor, und meistens fand er auch, was er suchte.
Sein Unvermögen, mit Bedacht auszuwählen, hatte ihn schon in diverse delikate Situationen gebracht, aus denen ihn auch seine Redegewandtheit nicht immer so ohne weiteres wieder befreien konnte. Manchmal war mehr als schöne, reumütige Worte nötig gewesen, um betrogene Ehemänner, verschmähte Freunde und empörte Väter auf Abstand zu halten. Aber wenn es wirklich brannte, zog er seine Spezialwaffe: seine juristische Autorität, mit der er drohte (wobei er stets genau darauf achtete, dass er sich auf dem Boden des Gesetzes bewegte – er kannte seine Paragraphen). Diese donnernden Worte wirkten eigentlich immer.Widerstrebend zogen sich Ehemänner, Freunde und Väter schmachvoll zurück, murmelten sinnlose Schimpfworte hinter dem Rücken des unerschütterlichen Staatsanwalts und sexdürstenden Gockels.
Er erreichte den Bahnhof; hier war das Gedränge nicht ganz so schlimm wie sonst. Sein Vorortzug fuhr nach wenigen Minuten ein, und er setzte sich in einen Wagen, in dem sich nur eine Hand voll anderer Passagiere befand. Die Fahrzeit vertrieb er sich, indem er gedankenverloren in einer Zeitung blätterte, die jemand auf dem Sitz hatte liegen lassen. Vom Bahnhof seines Wohnortes aus ging er zu Fuß. Zufrieden wanderte er durch menschenleere und frühsommerschläfrige Straßen, während er überlegte, eine Bekannte anzurufen und zu einem Drink mit folgendem Nachspiel einzuladen. Der Montagabend war noch jung, und er konnte sich vorstellen, die anfallenden Taxikosten zu übernehmen, unter der Voraussetzung, dass er eine Dame fand, die in der Nähe von Norrviken wohnte.
Aber als er den Schlüssel in die Haustür schob, überfiel ihn ein Anfall von Müdigkeit. Vielleicht sollte er seinen Körper einfach damit schocken, frühzeitig ins Bett zu gehen. Allein. Er hatte in den nächsten zwei Wochen diverse voll gestopfte Arbeitstage vor sich, und es wäre doch nicht schlecht, ganz gegen alle Gewohnheiten mal ausgeschlafen aufzuwachen. Er musste wirklich mehr auf seine Kräfte achten. Manchmal wurde es selbst für einen Kerl wie ihn zu viel.
Sein Vorsatz geriet ins Wanken, als er sah, dass sein Anrufbeantworter blinkte. Nur ein Anruf. Aber das genügte ja, wenn die Anruferin interessant genug war. Er schaltete das Gerät mit einer gewissen Erwartung an, die aber sofort verflog, als er die vertraute Stimme hörte.
Nummer zwei klang am Telefon immer schärfer, als wenn sie ihm leibhaftig gegenüberstand:
»Bill, ich bin’s. Ruf mich an, wenn du nach Hause kommst. Sei so gut. Es ist wichtig.«
Wütend runzelte er die Stirn, sodass sich ein paar waagerechte Falten über der Nasenwurzel bildeten.
Ich bin’s.
Sie hatte nie gelernt, wie man richtig telefonierte.
Es ist wichtig.
Quatsch! Ihm war schon klar, wo der Schuh drückte. Margita brauchte mal wieder Geld – so einfach war das. Die Frage war nur, welchen mit tränenerstickter Stimme vorgetragenen Wunsch sie diesmal äußern würde. Neue Kleider für Christian und Eva? Die Gebühr für ihre Abendkurse? Eine neue Rate für das Reihenhaus, in das sie nach der Scheidung gezogen war? Oder vielleicht nur ein kleines Trinkgeld für den Urlaub?
Sie war unerschöpflich, wenn es darum ging, Gründe zu finden, um seine Brieftasche zu erleichtern.
Sein Fehler war, wie er sich selbst eingestand, dass er von Anfang an zu gut zu seiner zweiten Frau gewesen war, indem er ihr immer wieder mal etwas zugesteckt hatte. Dadurch war sie auf den Geschmack gekommen, und jetzt fiel es ihr schwer, diesen Verlockungen zu entsagen.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass er Margita etwas zusteckte, war der, dass sie diejenige seiner drei Exfrauen war, die er zweifellos am liebsten mochte. Ein anderer Grund für seine Großzügigkeit lag darin, dass sie die Mutter seines Sohnes und seiner Tochter war. Seine anderen beiden Ehen waren glücklicherweise kinderlos geblieben. Er schüttelte sich bei dem Gedanken, welche monströsen Summen er zu zahlen gezwungen wäre, wenn er noch weitere Kinder hätte.
Es gab aber noch einen weiteren Beweggrund für sein Entgegenkommen Margita gegenüber. Und der war nicht beiseite zu schieben. Er hatte sich weiterhin mit ihr getroffen – natürlich nur heimlich – auch nach der Scheidung. Wenn es sich ergab, schliefen sie auch miteinander, was aber nicht so oft vorkam, da sie in ihrer Geburtsstadt Borås lebte. Die Entfernung förderte nicht gerade die Gelegenheit für enge Umarmungen. Außerdem wurde das Ganze noch dadurch kompliziert, dass sie mit einem vierzehn Jahre älteren Witwer und Ferienhausvermieter zusammenlebte, also hieß es auf der Hut sein. Aber in dieser Beziehung konnte er aus seiner Routine und seiner Verschlagenheit Kapital schlagen.
Und sie war es wert, ein gewisses Risiko einzugehen. Mit ihrem rabenschwarzen Haar und ihrem gepflegten Körper war sie sehr süß, und außerdem wusste sie, wie sie sich im Bett aufführen sollte. Dass er sie trotzdem verlassen hatte, lag an ihrer ewigen Nörgelei wegen Geld und ihrer nervenzehrenden Art, sich über Kleinigkeiten aufzuregen. Außerdem hatte sie sich vollkommen verständnislos gegenüber seinem Bedarf nach Zerstreuung außerhalb der Ehe verhalten.
Mit seiner ersten Frau Agneta hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr. Inzwischen betrachtete er diese unsinnige Ehe als einen jugendlichen Fehltritt und konnte sich kaum noch das Bild der Frau vor Augen rufen, mit der er Anfang der Siebziger für eineinhalb Jahre Tisch und Bett geteilt hatte. Es war wohl schon fünfzehn Jahre her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, nur kurz und zufällig auf dem Flughafen Arlanda. Sie hatten einander reserviert gegrüßt, fast peinlich berührt über das, was einmal gewesen war. Nur ein paar bedeutungslose Floskeln waren gewechselt worden, dann eilte jeder in seine Richtung fort.
Von der Seite her war also nichts zu befürchten: kein wahnsinniger Rückfall in Romantik, keine finanziellen Ansprüche.
Schlimmer war es mit Madeleine, seiner letzten Exehefrau. Der Bruch war so frisch, dass alles noch schmerzlich und unangenehm war. Sie konnten nicht miteinander reden, ohne aufzubrausen. Es hatte ihn das letzte Hemd gekostet, sie auszubezahlen, und er zog es vor, den Kontakt mit ihr auf das absolute Minimum zu reduzieren.
Er musste ihr jeden Monat einen ansehnlichen Betrag überweisen, da sie behauptete, es sei ihr noch nicht gelungen, eine Arbeit zu finden, mit der sie sich selbst ernähren konnte. Ihm war klar, dass sie sich nur weigerte, einen Job zu suchen, um ihn finanziell unter Druck setzen zu können. Seine juristische Geschicklichkeit half ihm in diesem Fall jedoch nicht. Er war wohl oder übel gezwungen, zwölf Mal im Jahr das Geld rauszurücken. Aber er hatte Experten eingeschaltet und hoffte, diese ärgerliche Zusatzbelastung möglichst bald loszuwerden.
Es war noch nicht einmal 23 Uhr. Er hätte gut und gern Margita anrufen können, beschloss aber, bis zum nächsten Tag damit zu warten.
Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch im Arbeitszimmer und ging die Akten eines äußerst brutalen Raubüberfalls durch, der in ein paar Tagen vor Gericht behandelt werden sollte. Er nahm öfter mal Arbeit mit nach Hause, und das hier war eine wichtige Sache, die wertvolle Publicity geben würde. Ein Zigarettenhändler war überfallen, seiner Tageskasse beraubt und obendrein noch mit roher Gewalt niedergeschlagen worden, aber glücklicherweise gab es einen mutigen Zeugen, einen jungen Mann, der bereit war, den Täter zu identifizieren.
Elfvegren kannte die Unterlagen größtenteils auswendig, wollte jedoch nichts dem Zufall überlassen und las sie deshalb noch einmal durch. Die Verteidigerin – eine schnippische Frau aus Schonen, die bisher seinen Casanovatalenten souverän widerstanden hatte – würde natürlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage stellen, aber selbst wenn ihr das gelingen sollte, war er von einer harten Bestrafung fest überzeugt.
Er fühlte sich leicht euphorisch bei dem Gedanken an den bevorstehenden Sieg. Diesen Fall konnte er einfach nicht verlieren!
Als seine geerbte Mora-Uhr Mitternacht zeigte, war er hellwach. Und dabei brauchte er doch seinen Schlaf. Er schloss die Akten in seinem Safe ein und schluckte eine Schlaftablette, die er mit einem Glas Milch hinunterspülte. Während er darauf wartete, dass die Tablette ihre Wirkung zeigte, machte er eine Inspektionsrunde durch die Villa. Das gehörte zu seinen Routinen, vor allem, weil er dabei seinem Chrysler einen Gutenachtklaps geben wollte. Ab und zu erlaubte er es sich, bei all dem Ernst etwas kindisch zu sein.
Das Auto stand protzend in seinem Carport. Das rote Alarmsignal leuchtete natürlich, denn obwohl es hier ein ruhiges, friedliches Viertel war, musste man mit Einbrüchen rechnen. Der Chrysler war nicht so sicher wie der Oldtimer in seiner Garage in Sollentuna, und Elfvegren fühlte sich besser, nachdem er festgestellt hatte, dass alles so war, wie es sein sollte.
Elfvegren war sich darüber klar, dass er ziemlich abseits wohnte, aber er hatte diese Wohnform freiwillig gewählt, war es leid gewesen, sich in übervölkerten Gegenden in Mietshäuser zu zwängen.
»Gute Nacht, Kumpel«, flüsterte er und strich dem Chrysler über die Motorhaube.
Der Gerechtigkeit halber wiederholte er die Prozedur auf dem Kofferraumdeckel.
Dann verließ er den Carport.
Die Nacht war kohlrabenschwarz; es gab keine Straßenbeleuchtung – die Gemeinde konnte es sich nicht leisten, die Wegstrecke zu beleuchten, die das Villenviertel mit seinem einsamen Anwesen verband.
Manchmal fürchtete er diese Dunkelheit, aber das war meistens zu anderen Jahreszeiten der Fall, beispielsweise im Herbst, wenn es im Schornstein heulte und Berge toten Laubs raschelten.
Aber jetzt war es warm und schön und in keiner Weise bedrohlich.
Es würde ein wunderschöner Sommer werden. Das hatte er im Gefühl.
Er ging ins Haus, schloss hinter sich ab und machte sich bettfertig. Wie immer schlief er mit offenem Schlafzimmerfenster. Mit halb geschlossenen Augen sah er, wie die helle Gardine sich im Luftzug bewegte.
Da er so selten ein Schlafmittel nahm, schlug es gut an. Zufrieden spürte er, wie der Dämmerzustand angeschlichen kam, und es dauerte nicht lange, bis er in tiefen Träumen versank.
Er schnarchte laut, als sich im Morgengrauen ein Schatten an der Häuserwand abzeichnete. Jemand ging an der Villa vorbei, mit leichten, zielsicheren Schritten.
*
Bill Elfvegren erwachte munter und in strahlender Laune. Genauso, wie es sein sollte, wenn es galt, neuen, spannenden Arbeitsaufgaben und hoffentlich auch der einen oder anderen backfrischen Eroberung entgegenzutreten.
Er zog sich seinen Morgenmantel über, holte die Zeitungen herein und ging anschließend auf die Toilette für einen Moment der Besinnung.
Beim Frühstück überlegte er, ob er Margita schon so früh am Morgen anrufen sollte, verschob das Gespräch dann aber lieber auf später. Er würde es in einer Pause während der Arbeitszeit erledigen. So unerhört wichtig war es bestimmt nicht. Ihr stand das Wasser ja nicht bis zum Hals. Sie sollte ihr Geld schon kriegen, und das erst recht, wenn sie es so arrangieren konnte, dass sie sich mal wieder trafen, hinter dem Rücken des ältlichen Ferienhausvermieters.
Bill hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen: einen fast kahlen, korpulenten armen Teufel mit rotadrigen Wangen.
Mein Gott: Margita hatte wirklich nachgelassen. Aber der Kerl war ja vielleicht ganz lieb zu ihr und den Kindern. Reich war er jedenfalls nicht, zumindest sah es nicht so aus, wenn man sich ihre unverschämte endlose Bettelei vor Augen hielt. Aber vielleicht hatte er ja doch Geld und weigerte sich nur, ihr davon etwas abzugeben.
Elfvegren vergaß seine Exehefrau und ihren bemoosten Liebhaber und ging ins Badezimmer, um zu duschen und sich zu rasieren.
Eine halbe Stunde später trat er aus dem Haus und wandte sein Gesicht für einige Sekunden der Morgensonne zu. Er genoss es, wohl wissend, dass er ein eleganter und erfolgreicher Mann im besten Alter war, mit grau melierten Schläfen im sorgsam gekämmten braunen Haar, der Unmengen leuchtender Triumphe vorzuweisen hatte, sowohl während der Arbeitszeit als auch außerhalb. Wenn es nicht so unpassend gewesen wäre, hätte er der ganzen Welt entgegenschreien können, wie sehr er sich doch selbst gefiel.
Er war bereit, allen Herausforderungen zu begegnen, beruflich wie auch privat, und er war sich sicher, dass er alle Prüfungen mit Glanz und Gloria bestehen würde.
Es konnte wirklich nicht besser sein, als es ohnehin schon war.
Lächelnd bog er um die Hausecke und ging zum Carport auf der Rückseite der Villa. Den hatte es noch nicht gegeben, als er das Haus kaufte, er war für viel Geld angebaut worden, nachdem die notwendigen Genehmigungen eingeholt worden waren. Sein Grundstück lag so abseits, dass er keine Schwierigkeiten mit klagenden Nachbarn zu fürchten hatte, und bei den Behörden hatte er sowieso keine Probleme gehabt, seine Pläne durchzusetzen.
Er erstarrte, als er den Carport erreichte. Er sah sofort, dass das eine Vorderrad des Chryslers platt war. Merkwürdigerweise hatte er das bei seiner Inspektion am vergangenen Abend nicht bemerkt. Derartige Details entgingen ihm sonst nie. Nun ja, da war nicht viel zu machen. Er würde es am Abend reparieren. Er hatte keine Lust, schon am Morgen mit Wagenheber und Reserverad zu jonglieren, sondern beschloss, stattdessen den Vorortzug in die Stadt zu nehmen. Wenn er sich beeilte, würde er es ohne größere Schwierigkeiten noch rechtzeitig schaffen.
Aber zunächst wollte er herausfinden, was eigentlich geschehen war. Er ging in die Hocke und sah sofort, was den Reifen platt gemacht hatte. Seine Gemütsstimmung veränderte sich drastisch. War er eben noch nur leicht irritiert, so wurde er jetzt geradezu wütend, fast rasend.
Es sah so aus, als hätte jemand den Reifen absichtlich zerstochen, denn es waren an mehreren Stellen Schnitte zu sehen. Es konnte gar kein Zweifel herrschen: Hier handelte es sich um Sabotage.
Wer besaß die Frechheit, wer wagte es, ihm so etwas anzutun? Wusste der Betreffende nicht, mit wem er es zu tun hatte? Bill Elfvegren war weiß Gott nicht so leicht einzuschüchtern.
Er war aus härterem Stoff gemacht.
Hinter seinem Rücken sagte jemand:
»Kann ich helfen?«
Bill Elfvegren zuckte zusammen. Er hatte niemanden kommen hören. Eher überrascht als erschrocken schaute er auf. Die Sonne stach ihm in die Augen und ließ die Konturen des Fremden verschwimmen. Elfvegren blinzelte, um erkennen zu können, wer da in der Öffnung des Carports stand.
»Was hat das ...«
»GutenTag, Nummer eins.«
Er versuchte sich aus seiner hockenden Stellung zu erheben, konnte aber den Rücken nicht mehr strecken.
Die Beine sackten unter ihm zusammen, und sein Gehirn war bereits verspritzt, bevor er zu Boden stürzte.