Читать книгу My American Football Dream - Björn Werner - Страница 5
What the f…?! Mein „Welcome to the NFL“-Moment
ОглавлениеMein Puls hatte es ziemlich eilig. Ich spürte ein Kribbeln von den Fußspitzen bis zur Kopfhaut unter meinem Helm. Mit einem Griff ins Gesichtsgitter ruckelte ich ihn noch einmal zurecht. Ich bewegte meine Finger. Alle noch dran. Ich war nervös. Das war ich immer vor einem Footballspiel, aber diesmal stellte ich einen neuen Rekord auf. Tief durchatmen. In die Anspannung mischte sich Euphorie, die ich jedes Mal verspürte, wenn ich mit Helm und Pads einen Rasen mit weißen Linien betrat. Jetzt kannte sie keine Grenzen. Ich fieberte diesem unvergleichlichen Moment entgegen, in dem der braune Ball in Bewegung gesetzt wird, das Adrenalin in die Blutbahn schießt, der Körper zu einem einzigen Muskel wird, bereit zu explodieren und zu kollidieren, und ich endlich mittendrin sein würde – in meinem ersten Play in der NFL.
Das handgenähte Ei aus Leder, um das sich mein Leben drehte, thronte an der gegnerischen 35-Yard Line auf dem Kicking Tee und wartete auf einen gewaltigen Arschtritt. Die Special Teams auf beiden Seiten des Balles hatten bereits Aufstellung genommen, und ich war Teil eines dieser Einsatzkommandos. Bevor ich in meinem Kopf noch ein letztes Mal durchspielen konnte, was gleich auf dem Rasen passieren würde und was ich dabei zu tun hatte, lief der Kicker der New York Giants auch schon an.
Es war das zweite Spiel der Preseason, die für die 32 Teams das Vorspiel zur Saison bildet. Eigentlich keine große Sache, aber für mich als Rookie war es das Allergrößte, denn ich gab meinen Einstand im Trikot der Indianapolis Colts und damit auch mein Debüt in der größten und umsatzstärksten Liga der Welt, in der die besten Footballer dieses Planeten spielten.
Im ersten Vorbereitungsspiel hatte ich aufgrund einer Fußverletzung passen müssen, und das war vielleicht auch ganz gut so, denn wir waren im eigenen Stadion von den Buffalo Bills böse verdroschen worden. Anschließend hatte der Besitzer der Colts, der exzentrische Milliardär Jim Irsay, die Spieler und Coaches heftig angezählt – auf eine für mich als Neuling sehr überraschende Weise: via Twitter. Mein neuer Oberboss mochte zwar doppelt so alt sein wie ich, aber in Sachen Social Media war er mir weit voraus. Ich hatte gehört, die Preseason sei nicht so entscheidend, aber Irsay sah das offensichtlich anders. Er nahm sein Team in die Pflicht, und ich als First- Round Pick stand ohnehin unter besonderer Beobachtung.
Für meine Premiere hätte ich mir keinen besseren Schauplatz wünschen können als das MetLife Stadium, Heimat der Giants und der Jets. Meine Begeisterung hatte nichts mit der Arena oder diesen beiden Teams zu tun, sondern mit der Stadt, in der sie zu Hause sind. New York City. Big Apple. Gotham. City of Dreams. Mit diesem meinem ersten NFL-Spiel wurde die Stadt endgültig zum Knotenpunkt meines eigenen Traumes. Es passte einfach perfekt und rangierte auf der Kitsch-Skala für filmreife Zufälle definitiv im Grenzbereich.
Nicht einmal zwanzig Autominuten entfernt von diesem gigantischen Stadion, am Newark Airport, hatte ich Jahre zuvor erstmals amerikanischen Boden betreten. Ganz allein, fast noch ein Kind, in der schweißnassen Hand einen Koffer und im Kopf einen Traum. Ungefähr zehn Kilometer Luftlinie nach Osten, im Herzen von Manhattan, in der Radio City Music Hall, war dieser Traum dann in Erfüllung gegangen, am schlimmsten schönen Tag meines Lebens. Noch gar nicht lange her, nur wenige Monate, und doch schon wieder weit weg. Vergangenheit. Es ging alles so verdammt schnell.
Im Hier und Jetzt drosch der Kicker der Giants, die kurz zuvor mit einem Field Goal die ersten Punkte des Spiels erzielt hatten, den Ball in hohem Bogen in Richtung unserer Endzone. Ich war on fire. Ich hatte einen Job zu erledigen und wollte alles richtig machen. Meine Aufgabe bestand darin, als Teil des Kickoff Return Teams unseren Returner zu beschützen, der den Ball fangen und bei guter Position so weit wie möglich zurücktragen sollte. Dafür musste ich einen der Gegenspieler blocken, die in unsere Spielhälfte stürmen würden, um unseren Returner zu stoppen. Ich war in der sogenannten Wedge postiert, der hintersten Verteidigungsreihe, was bedeutete, dass mein Gegenspieler im Moment der geplanten Kollision den Speed eines rund 50 Meter langen Anlaufes draufhatte.
Ehe ich mich versah, raste ein muskelbepackter Linebacker direkt auf mich zu, schneller, als ich erwartet hatte. Ich machte mich bereit für den Block, nahm die Hände nach vorne, lehnte den Oberkörper vor, stemmte mich im letzten Moment mit aller Kraft voran – und blockte ins Nichts. Im allerletzten Moment hatte sich der Typ in Höchstgeschwindigkeit mit einem Spin Move um die eigene Achse und um mich herumgedreht und war weitergerannt, während ich auf allen vieren auf dem Rasen hockte wie ein Hund, der seinen Knochen sucht. Ich schaute über die Schulter und sah, wie mein Gegenspieler unseren Returner voll erwischte und dieser den Ball verlor.
Fumble! Mir stockte der Atem, und ich musste mitansehen, wie der Ball scheinbar in Zeitlupe herrenlos über das Grün eierte. Dann warf sich einer unserer Spieler auf den Ball und sicherte ihn.
Ach. Du. Scheiße.
Ich wusste, dass ich es verkackt hatte. Immerhin waren wir noch in Ballbesitz, aber mein Gegenspieler hatte mich, den Rookie, so richtig alt aussehen lassen – mit gravierenden Folgen. Als ich ziemlich bedröppelt an unsere Sideline trottete, machte mich unser Special Teams Coordinator Tom McMahon sicherheitshalber noch einmal höflich darauf aufmerksam.
„Björn, what the fuck?!“
Das war nicht gerade etwas, das man nach seiner ersten Aktion in seinem ersten NFL-Spiel hören möchte. Ich fluchte innerlich, denn ich wusste, dass ich mir diese Szene noch ein paarmal würde anschauen müssen – und zwar im Kreise meiner Mitspieler bei der Analyse des Spiels, bei der selten die guten, aber immer die schlechten Plays noch einmal gezeigt wurden, gern auch in mehrfacher Wiederholung. Das kannte ich schon aus dem College. Na toll, dachte ich, Leinwand-Held im Meeting Room, das fängt ja gut an …
Als der erste Ärger verraucht war, fragte ich mich, ob das gerade vielleicht dieser spezielle Moment gewesen war, von dem mir einige der erfahreneren Spieler im Team erzählt hatten. Ein Aha-Erlebnis, bei dem ein Rookie realisiert, dass NFL-Football noch einmal auf einem anderen Level ist als das Spiel, das man bis dato gespielt hat. Schneller, härter, höher, weiter, besser. Ein Spiel, bei dem jede Aktion sitzen muss und jeder Fehler bestraft wird. Einer der Veteranen nannte es den „Welcome to the NFL“-Moment, den jeder Neuling in den ersten Wochen der Saison erlebe. Ein Reality Check, der hart, schmerzhaft und mitunter auch peinlich ausfallen könne, aber sehr lehrreich sei. Schmerzhaft war es in meinem Fall zwar nicht gewesen, denn ich hatte meinen Gegenspieler ja so richtig schön verfehlt, aber alles andere traf durchaus zu.
Als ich später in einer der hinteren Reihen unserer abflugbereiten Chartermaschine saß, die uns zurück nach Indianapolis bringen würde, ließ ich mein Highlight des Spiels noch mal Revue passieren: Mit einem Phantom-Block hatte ich einen Fumble eingeleitet. Ich wollte mich gerade schon wieder aufregen, da ging mir ein Licht auf – und es war nicht die kleine Lampe über meinem Kopf.
Sollte dies tatsächlich mein „Welcome to the NFL“-Moment gewesen sein, dann bedeutete das ja, dass ich es hinter mir hatte. Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir meine Theorie. Lieber in der Preseason ein Play verkacken, als in der Regular Season, wenn es um Punkte geht! Was war denn schon passiert? Nichts. Wir hatten das Spiel am Ende gewonnen, Jim Irsay twitterte Morgenluft, die Coaches hatten mich wieder lieb, und ich hatte meine Lektion gelernt – bei der erstbesten Gelegenheit. Und überhaupt, sagte ich mir, es kann doch nur besser werden!
Ich begann mich zu entspannen, schaute aus dem Fenster auf das Lichtermeer von New York City und dachte daran, wie das alles angefangen hatte mit meinem American Football Dream.