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Erstes Kapitel

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Knud Aakre stammte aus einer alten Familie der Gemeinde, die stets für ihre Aufgeklärtheit und ihre Sorge um das Gemeinwohl bekannt gewesen war. Sein Vater hatte sich bis zum Pfarrer hinaufgearbeitet, starb jedoch früh, und da die Witwe aus einem Bauerngeschlecht kam, wurden die Kinder wie Bauern erzogen.

Knud hatte also nur den in der Volksschule üblichen Unterricht erhalten, aber die Bibliothek seines Vaters hatte in ihm schon sehr früh Wissensdurst geweckt. Dieser war noch von seinem Freund Henrik Wergeland gefördert worden, der ihn oft besuchte, ihm Bücher und Sämereien schickte und manchen Rat gab. Auf seine Anregung rief Knud schon früh einen Verein ins Leben, der anfangs recht gemischte Ziele verfolgte, beispielsweise „die Mitglieder in der Kunst der Rede sowie in der Auslegung der Verfassung zu üben“, sich später aber zu einer praktischen landwirtschaftlichen Gesellschaft für den gesamten Gerichtsbezirk entwickelte. Auf Wergelands Vorschlag gründete er auch eine Gemeindebibliothek, der er die Bücher seines Vaters als Schenkung vermachte. Ebenso richtete Knud nach Wergelands Rat eine Sonntagsschule auf seinem Hof ein, wo sich jeder im Schreiben und Rechnen sowie in Geschichte weiterbilden konnte. All das lenkte die Aufmerksamkeit auf ihn, so daß man ihn in den Gemeinderat wählte, dessen Vorsitzender er schon bald wurde. Im Gemeinderat setzte er sich ebenfalls für den Ausbau des Schulwesens ein, das er auch wirklich auf einen ausgezeichneten Stand brachte.

Knud Aakre war ein kleiner, rühriger Mann mit kleinen, flinken Augen unter einer sehr störrischen Haarmähne. Er hatte einen breitlippigen Mund, der ständig in Bewegung war, und die beiden Reihen seiner tadellosen Zähne schienen es gleichfalls zu sein, sie glänzten nur so, während sie die Worte zerhackten, die dann wie die Funken eines großen Feuers sprühten.

Unter den vielen, denen er zu Wissen verholfen hatte, war sein Nachbar Lars Høgstad der Angesehenste. Lars war nicht viel jünger als Knud, hatte sich jedoch langsamer entwickelt. Da Knud gern über das, was er gerade las oder worüber er nachdachte, mit jemandem sprach, fand er in Lars mit seinem stillen, ernsten Wesen einen guten Zuhörer und allmählich auch einen verständigen Kritiker. Das Verhältnis der beiden gestaltete sich bald so, daß Knud ungern eine Sache anpackte, bevor er nicht Lars Høgstads Rat eingeholt hatte, und dann erhielt die Angelegenheit meistens eine praktische Wendung. Knud sorgte deshalb dafür, daß der Nachbar in den Gemeinderat und nach und nach auch in alle anderen öffentlichen Ämter, in denen er das Sagen hatte, gewählt wurde. Stets fuhren sie gemeinsam zu den Versammlungen, wo Lars jedoch nie sprach. Dafür bekam Knud aber auf dem Hin- und Rückweg seine Meinung zu hören. Man hielt die beiden für unzertrennlich.

Eines schönen Herbsttages war der Gemeinderat zusammengekommen, um unter anderem über den Vorschlag des Vogtes zu beraten, den Kornspeicher des Kirchspiels zu verkaufen und mit diesem Kapital eine kleine Sparkasse zu gründen. Knud Aakre hätte sicher für den Vorschlag gestimmt, wenn er in dieser Angelegenheit nicht befangen gewesen wäre. Aber erstens stammte der Vorschlag vom Vogt, den Wergeland nicht ausstehen konnte und demzufolge auch er nicht, und zweitens war der Kornspeicher von Knuds einflußreichem Großvater erbaut und der Gemeinde geschenkt worden. Er war nicht weit davon entfernt, diesen Vorschlag als eine persönliche Beleidigung aufzufassen. Deshalb hatte er auch mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Lars, und dieser äußerte sich nie über etwas, das nicht zuerst von einem anderen zur Sprache gebracht worden war.

Als Vorsitzender verlas Knud Aakre diesen Vorschlag, ohne irgendeine Meinung zu äußern. Aber er blickte, wie es seine Gewohnheit war, zu Lars hinüber, der meistens etwas abseits stand oder saß, zwischen den Zähnen einen Strohhalm, den er sich zu suchen pflegte, wenn er mit jemandem ins Gespräch kam. Entweder benutzte er ihn als Zahnstocher, oder er ließ ihn aus dem Mundwinkel hängen, während er ihn je nach Stimmung bald schneller, bald langsamer kreisen ließ. Verwundert stellte Knud fest, daß sich der Strohhalm nun sehr schnell drehte. Er fragte rasch: „Meinst du, wir sollten dafür stimmen?“

Lars antwortete trocken: „Ja, das meine ich.“

Der gesamte Gemeinderat, der spürte, daß Knud völlig anderer Meinung war, stutzte und blickte zu Lars hinüber, der jedoch nichts weiter sagte. Mehr wurden auch nicht nach ihrer Ansicht gefragt. Als wäre überhaupt nichts vorgefallen, ging Knud zu etwas anderem über. Erst gegen Ende der Versammlung griff er diesen Punkt wieder auf und fragte betont gleichgültig, ob man den Vorschlag nicht zur näheren Überlegung an den Vogt zurückgeben solle, da er gewiß nicht der Auffassung der Gemeinde entspreche, der der Kornspeicher lieb und teuer sei. Niemand antwortete. Knud fragte, ob er ins Protokoll schreiben solle: „Die Angelegenheit wird für unzweckmäßig erachtet.“

„Gegen eine Stimme“, sagte da Lars.

„Gegen zwei“, fügte ein anderer sofort hinzu.

„Gegen drei“, sagte ein dritter.

Und bevor sich der Vorsitzende recht versah, war auch schon die Mehrzahl für diesen Vorschlag. Knud war so überrascht, daß er vergaß, etwas dagegen einzuwenden. Er vermerkte das Ergebnis im Protokoll und las es dann mit leiser Stimme vor: „Die Angelegenheit wird zur Annahme empfohlen.“ Darauf sagte er: „Die Versammlung ist beendet.“ Sein Gesicht war feuerrot, als er aufstand und das Protokoll zusammenlegte. Im stillen dachte er, daß er dies schon noch im Vorstand ändern werde.

Draußen auf dem Hof spannte er sein Pferd vor den Wagen, und Lars kam und setzte sich zu ihm. Auf dem Heimweg sprachen sie über dieses und jenes, nur nicht über das eine.

Am nächsten Tag ging Knuds Frau zu Lars’ Frau hinüber, um sich zu erkundigen, ob etwas zwischen den Männern nicht stimme, denn Knud sei so seltsam gewesen, als er gestern nach Hause gekommen war. Kurz vor dem Gehöft kam ihr Lars’ Frau entgegen, die auf dem Weg zu ihr war und das gleiche fragen wollte, denn auch Lars war so seltsam gewesen. Seine Frau war ein stilles, schüchternes Ding, ein wenig verunsichert, nicht durch harte Worte, sondern durch Schweigen, da Lars nie mit ihr sprach, außer wenn sie etwas falsch gemacht hatte oder wenn er befürchtete, sie könnte es tun. Knuds Frau dagegen sprach um so mehr mit ihrem Mann, und vor allem über den Gemeinderat, weil er in letzter Zeit ihr und den Kindern all seine Gedanken, seine Arbeit und seine Liebe entzog. Sie war darauf eifersüchtig wie auf eine Frau. Deswegen weinte sie nachts, und deswegen lag sie ihm am Tag ständig in den Ohren. Und gerade darum konnte sie nun, da er von dort einmal unglücklich zurückgekommen war, nichts sagen. Doch sie fühlte sich schon bald viel unglücklicher als er und mußte deshalb unbedingt erkunden, was dort vorgefallen war. Da Lars’ Frau es auch nicht wußte, trieb es sie ins Dorf. Dort erfuhr sie es und war natürlich sofort mit ihrem Mann einer Meinung, sie fand Lars’ Verhalten unbegreiflich, um nicht zu sagen bösartig. Als sie das aber ihrem Mann gegenüber andeutete, spürte sie, daß es zwischen ihm und Lars noch nicht zum Bruch gekommen war, im Gegenteil, daß er immer noch eine Schwäche für ihn hatte.

Der Tag der Vorstandssitzung kam heran. Lars Høgstad fuhr morgens auf Aakre vor, und Knud setzte sich zu ihm auf den Wagen. Sie begrüßten sich wie gewöhnlich, sprachen aber wohl etwas weniger als sonst auf dem Hinweg, und schon gar nicht über diese Angelegenheit. Die Mitglieder des Vorstands waren vollzählig erschienen, auch einige Zuhörer hatten sich eingefunden, was Knud mißfiel. In der Gemeinde gärte es also. Lars hatte sich wieder einen Strohhalm gesucht und stand am Ofen, um sich zu wärmen, denn der Herbst begann nun kalt zu werden. Der Vorsitzende las den Vorschlag vor, aber sehr gedämpft und vorsichtig. Er stamme vom Vogt, der für gewöhnlich das Glück nicht gepachtet habe, fügte er hinzu. Das Gebäude sei außerdem ein Geschenk, und Geschenke pflege man nicht zu veräußern, schon gar nicht ohne zwingende Not.

Lars, der nie zuvor auf einer Versammlung gesprochen hatte, ergriff nun zur Verwunderung aller das Wort. Seine Stimme bebte, ob aus Rücksicht auf Knud Aakre oder aus Angst vorm Verlieren, sei dahingestellt. Die Gründe aber, die er für diesen Vorschlag anführte, waren so klar und einleuchtend und von solcher Logik und Unanfechtbarkeit, wie man es kaum zuvor auf diesen Versammlungen gehört hatte. Und als er sie alle aufgezählt hatte, fügte er hinzu: „Was den Umstand betrifft, daß dieser Vorschlag vom Vogt stammt, so hat das für die Sache selbst ebensowenig Bedeutung wie der Umstand, wer dieses Gebäude einmal erbaut hat oder wie es in den Besitz der Gemeinde gelangt ist.“

Knud Aakres Gesicht war rot angelaufen (das kam bei ihm schnell vor), und er rutschte hin und her, wie es seine Art war, wenn er ungeduldig wurde. Trotzdem antwortete er bedächtig und mit ruhiger Stimme. Sparkassen gebe es schon mehr als genug im Land, und sogar ganz in der Nähe, ja, er möchte meinen, viel zu nahe. Wenn man schließlich trotzdem eine gründen wolle, so führten doch wohl noch andere Wege dorthin als über die Gräber der Toten und die Liebe der Lebenden. Bei diesen Worten war seine Stimme etwas unsicher. Er faßte sich jedoch wieder, als er dazu überging, über den Kornspeicher zu sprechen und zu beweisen, worin dessen Nutzen bestand. Darin widersprach ihm Lars gründlich und fuhr dann fort: „Dieses und jenes läßt mich übrigens daran zweifeln, ob die Gemeinde für die Lebenden oder für die Toten da ist. Und ob es die Liebe und der Haß einer einzelnen Familie sind, nach denen man sich hier richtet, oder der Nutzen aller.“

Knud erwiderte darauf rasch: „Sollte nicht gerade mein Vorredner manch Gutes von dieser Familie gehabt haben – sowohl von den Toten als auch von den Lebenden?“ Ersteres spielte darauf an, daß Knuds einflußreicher Großvater seinerzeit Lars’ Großvater den Hof erhalten hatte, als dieser durch eigene Schuld eine kleine Reise ins Zuchthaus antreten mußte.

Der Strohhalm, der sich lange sehr schnell gedreht hatte, drehte sich plötzlich langsam.

„Es ist nicht meine Gewohnheit, überall von mir und meiner Familie zu reden“, sagte Lars und kam dann wieder ruhig und überlegen auf den Tagesordnungspunkt zu sprechen. Er gab eine Übersicht und behielt dabei sein Ziel fest im Auge. Knud gestand sich, daß er die Angelegenheit weder in dieser Dimension gesehen noch je so überzeugende Gründe gehört hatte. Unwillkürlich mußte er zu dem anderen aufblicken. Lars stand da, groß, wuchtig, die kräftige Stirn aber und die tiefliegenden Augen verrieten Klugheit. Sein Mund war etwas klein geraten, im Mundwinkel hing ihm noch der Strohhalm und bewegte sich spielerisch. Über all dem lag eine unbändige Kraft. Fest und unerschütterlich stand er da, die Hände auf dem Rücken, während die Stimme dumpf aus der Tiefe zu kommen schien, als wäre er mit der Erde verwachsen. Knud sah ihn so zum ersten Mal in seinem Leben und fühlte tief im Innersten Angst. Dieser Mann war ihm stets überlegen gewesen! Er hatte alles, was Knud gewußt und ihm erzählt hatte, in sich aufgenommen, alles Nichtige jedoch verworfen und nur behalten, was dieses versteckte, starke Wachstum bewirkt hatte.

Knud hatte sich seiner liebevoll angenommen und aus ihm einen Riesen gemacht, der ihn nun haßte, tief und furchtbar. Den Grund dafür konnte er sich nicht erklären, doch er fühlte es instinktiv, während er ihn ansah, und darüber vergaß er alles andere und fuhr auf: „Aber Lars, Lars, was in aller Welt ist bloß in dich gefahren?“ Bewegung überwältigte ihn. „Du, den ich ..., du, der du ...“ Er konnte kein Wort mehr hervorbringen, er setzte sich. Um jedoch seiner Erschütterung, die zu sehen Lars nicht würdig war, Herr zu werden, schlug er auf den Tisch, und seine Augen unter dem dichten, störrischen Haar, das ihm stets in die Augen hing, sprühten. Lars stand da, als wäre er nicht unterbrochen worden, nur den Kopf wandte er den anderen zu, wie um zu fragen, ob die Sache damit entschieden sei, weil es sich dann ja erübrige, noch weiter darüber zu reden.

Diese Ruhe ertrug Knud nicht. „Was hat sich bloß zwischen uns gedrängt?“ schrie er. „Wir, die wir uns bis heute stets in Eintracht und Eifer beraten haben, stehen uns nun gereizt gegenüber, wie von einem bösen Geist besessen.“ Er blickte Lars mit funkelnden Augen an.

Der erwiderte: „Diesen Geist trägst du doch wohl hinein, Knud, denn ich habe über nichts anderes als über die Sache selbst gesprochen. Aber die ist für dich nur das, was du willst. Nun mußten wir ausprobieren, ob Eintracht und Eifer auch Bestand haben, wenn es einmal nach unserem Willen geht.“

„Hab ich denn die Angelegenheiten der Gemeinde vernachlässigt?“

Niemand antwortete. Das tat Knud weh, und er fügte hinzu: „Ich hab wirklich angenommen, ich hätte einiges zuwege gebracht – einiges, was der Gemeinde genützt hat ..., aber vielleicht hab ich mich darin getäuscht.“

Wieder überwältigte ihn Bewegung. Er war eine hitzige Natur, in der viele Stimmungen miteinander rangen, und der Bruch mit Lars schmerzte ihn so, daß er sich kaum beherrschen konnte.

Lars entgegnete: „Ja, ich weiß, du schreibst dir die Ehre für alles zu, was hier getan worden ist, und wenn man danach urteilen wollte, wer in den Versammlungen am meisten geredet hat, dann hast du sicher auch das meiste getan.“

„Läßt du nun die Katze aus dem Sack?“ rief der andere und sah Lars scharf an. „Bist du es vielleicht, dem die Ehre dafür gebührt?“

„Wenn wir schließlich doch noch über uns selbst reden müssen“, sagte Lars, „so wurde wohl jede Angelegenheit erst gründlich von uns beiden erörtert, bevor sie hier landete.“

An dieser Stelle gewann der kleine Knud Aakre seine Redegewandtheit wieder. „Nimm du in Gottes Namen die Ehre in Anspruch, ich kann ohne sie leben. Es gibt andere Dinge, die zu verlieren schlimmer ist!“

Lars wich unwillkürlich seinem Blick aus, sagte jedoch, während er den Strohhalm sehr schnell kreisen ließ: „Meiner Meinung nach gibt es hier nicht viel, wofür man Ehre in Anspruch nehmen könnte. Pastor und Lehrer mögen zwar mit dem, was hier getan worden ist, recht zufrieden sein, aber die meisten sind bestimmt der Auffassung, daß der Gemeinde bis heute immer nur mehr und mehr Abgaben auferlegt worden sind.“

Hier erhob sich Gemurmel in der Versammlung, und es entstand Bewegung. Lars fuhr fort: „Wir haben heute eine Sache auf der Tagesordnung, die der Gemeinde endlich einmal anstelle all ihrer Ausgaben etwas einbringen könnte. Vielleicht stößt sie gerade deshalb auf solchen Widerstand. Dies ist eine Gemeindeangelegenheit, die allen nützt. Wir sollten doch wohl imstande sein, sie nicht länger nur als eine Familienangelegenheit zu behandeln.“

Die Leute sahen sich an, sprachen schon halblaut mit einander. Da stand einer auf, um seinen Proviantkorb zu holen, wobei er die Bemerkung fallen ließ, ein so wahres Wort habe er seit vielen Jahren nicht in dieser Versammlung gehört. Nun standen alle auf, alle redeten durcheinander, und Knud Aakre fühlte dort an seinem Platz, daß die Sache verloren war, hoffnungslos verloren, und er versuchte nicht mehr, sie zu retten. Denn er hatte etwas von dem Naturell, das man den Franzosen nachsagt: Er war ein wahrer Draufgänger – griff sowohl einmal, zweimal als auch dreimal an –, aber ein schlechter Verteidiger, da das Gefühl bald Oberhand über das Denken gewann.

Er begriff dies alles einfach nicht. Ihn hielt es nicht länger an seinem Platz, er überließ ihn seinem Stellvertreter und ging. Die anderen hätten beinahe gelacht.

Gemeinsam mit Lars war er zur Versammlung gekommen, zurück ging er jedoch allein, obgleich der Weg lang war. Es war ein kalter Herbsttag, der Wald stand scharfkonturig und entblättert da, die Felder waren graugelb. Hier und dort lag schon Reif am Straßenrand. Die Enttäuschung ist ein furchtbarer Weggefährte. Knud fühlte sich, wie er so dahinstapfte, jämmerlich klein und verlassen. Überall hatte er Lars vor Augen, in der Abenddämmerung ragte er wie ein Riese zum Himmel auf. Es wurmte ihn, er hatte selbst schuld, daß diese Sache zu einer Entscheidungsschlacht geworden war. Er hatte zuviel auf diese eine winzige Karte gesetzt. Überraschung, Schmerz und Zorn hatten ihn jedoch übermannt. Noch immer brannte, brauste, weinte und wütete es in ihm. Hinter sich hörte er Wagengerassel. Es war Lars, der in scharfem Trab mit seinem prächtigen Pferd dahergejagt kam und an ihm vorbeifuhr, daß es auf dem harten Weg nur so donnerte. Knud sah dem breitschultrig auf dem Wagen Sitzenden nach, während das Pferd vor Sehnsucht nach dem Stall dahinraste, ohne daß Lars etwas anderes tat, als ihm die Zügel locker zu lassen. Das wurde für Knud zu einem Bild für die Kraft des anderen: Dieser Mann fuhr dem Ziel entgegen! Wie er dort in der Herbstkälte ging, hatte er das Gefühl, als wäre er von Lars’ Wagen gestoßen worden.

Zu Hause auf Aakre wartete voller Ungeduld seine Frau. Sie wußte, daß eine Schlacht geschlagen werden sollte. Sie hatte Lars nie recht getraut, und nun graute es ihr vor ihm. Es hatte sie auch nicht getröstet, daß die beiden zusammen weggefahren waren. Es würde sie nicht einmal trösten, wenn sie zusammen zurückkehrten. Doch die Dunkelheit brach herein, und die Männer kamen noch immer nicht. Sie stand in der Tür, da der Weg am Hause vorbeiführte. Sie ging den Weg ein Stück hinunter, und sie ging wieder zurück, aber kein Wagen war zu sehen. Endlich hörte sie es auf dem harten Weg dröhnen. Ihr Herz schlug ebenso schnell, wie sich die Wagenräder drehten. Sie hielt sich am Türrahmen fest und starrte hinaus. Der Wagen brauste heran, doch darauf saß nur einer. Sie erkannte Lars, der sie gleichfalls erkannte, aber ohne anzuhalten vorüberfuhr. Nun bekam sie erst recht Angst. Sie spürte nicht mehr die Beine unter sich, sie wankte hinein und sank auf die Bank am Fenster. Die Kinder umringten sie voller Angst. Das kleinste fragte nach dem Vater, denn sie sprach mit ihnen nur über Knud. Er hatte so ein gutes Herz, darum liebte sie ihn. Nun aber war dieses gute Herz nur selten daheim, sondern ständig in allerlei Geschäften unterwegs, die ihn und sie alle nur unglücklich machten. Wenn ihm nur nichts Schlimmes zugestoßen war, Knud war ja so aufbrausend! Warum war Lars allein zurückgekommen? Weshalb hatte er nicht angehalten? Sollte sie ihm nachlaufen? Oder ihrem Mann entgegengehen? Sie quälte sich, und die Kinder bestürmten sie mit Fragen und wollten wissen, was passiert sei. Aber vor ihnen wollte sie ihre Sorgen nicht ausbreiten. Deshalb stand sie auf und sagte, sie müßten allein zu Abend essen, bereitete das Abendbrot zu und war ihnen bei der Mahlzeit behilflich. Immer wieder schaute sie den Weg hinunter. Er kam nicht. Sie zog die Kinder aus und brachte sie zu Bett, und das kleinste sprach, während sie sich zu ihm beugte, das Abendgebet. Sie betete die Worte, die der zarte Mund vertrauensvoll vorsprach, so innig mit, daß sie die Schritte draußen nicht hörte.

Knud stand in der Tür und sah seine kleine Gemeinschaft im Gebet versunken. Seine Frau richtete sich auf, und alle Kinder riefen: „Vater!“ Er aber setzte sich sofort hin und sagte still: „Ach, laß ihn das noch einmal sagen.“

Die Mutter trat wieder an das Bett, weil er ihr Gesicht nicht sehen sollte. Das wäre wie eine Einmischung in seine Sorgen gewesen, bevor es ihn selber drängte, sich ihr anzuvertrauen. Der Kleine faltete die Hände vor der Brust, die anderen Kinder ebenfalls, und er sprach ihnen vor:

„Bin ein kleines Kind nur heut,

doch ich wachse mit der Zeit,

werde tüchtig, groß und rein

meiner Eltern Freude sein,

hilfst du mir, o lieber Gott,

treu stets halten dein Gebot.

Nun laßt uns alle des Herrn gedenken,

erquickenden Schlaf mög’ er uns schenken!“

Welch ein Friede senkte sich da herab! Kaum eine Minute später schliefen alle Kinder wie in Gottes Arm. Die Mutter ging still hin und her und setzte dem Vater das Abendbrot vor, doch der konnte nichts essen. Als er im Bett lag, sagte er: „Von nun an werde ich zu Hause bleiben.“

Da bebte sie vor Freude, wie sie dort neben ihm lag, aber sie wagte es nicht, diese Freude zu zeigen. Sie dankte Gott für alles, was geschehen war, denn was es auch gewesen sein mochte, so hatte es sich nun doch zum Guten gewendet!

Ausgewählte Erzählungen - Band 2

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