Читать книгу Ausgewählte Erzählungen - Band 2 - Bjørnstjerne Bjørnson - Страница 9
Erstes Kapitel
ОглавлениеWo es den Hering lange Zeit immer wieder hingezogen hat, entsteht, wenn auch sonst die Bedingungen dafür günstig sind, eine Stadt. Von solchen Städten kann man nicht nur sagen, das Meer habe sie ausgespien, sondern sie sehen von weitem auch tatsächlich aus wie ein Haufen von Schwemmholz und angetriebenen Wrackteilen oder wie eine Ansammlung bauchiger Boote, die die Fischer in einer Sturmnacht schützend über sich gezogen haben. Beim Näherkommen erkennt man dann, wie zufällig das Ganze entstanden ist. Mitten auf dem Fahrdamm liegen Felsblöcke, oder der Ort wird durch das Wasser drei-, viermal geteilt, während sich die Gassen winden und wenden. Nur eines ist all diesen Orten gemein: In ihrem Hafen finden selbst die größten Schiffe Schutz. Dort ist es so still wie in einer Konservendose, und deshalb stehen diese Schlupfwinkel auch bei jenen Schiffen hoch im Kurs, die sich mit zerfetzten Segeln und zerschlagenem Schanzkleid von hoher See hier hereinretten, um Atem zu schöpfen.
In einer solchen kleinen Stadt ist es still. Alles Lärmende ist auf die Landungsbrücken verwiesen, wo sich die Boote der Bauern festgebissen haben und die Schiffe gelöscht und beladen werden. Längs der Anlegestellen zieht sich die einzige Straße unseres Städtchens hin. Ihr folgen auf der gegenüberliegenden Seite weiß- und rotgestrichene ein- oder zweistöckige Häuser, aber nicht Wand an Wand, sondern mit hübschen Gärtchen dazwischen. Es ist also eine lange, breite Straße, die übrigens bei auflandigem Wind nach dem riecht, was auf den Landungsbrücken liegt. In dieser Straße ist es still, nicht aus Angst vor der Polizei – in der Regel gibt es hier gar keine –, sondern aus Angst vor dem Gerede, denn hier kennen sich alle. Geht man die Straße hinab, muß man zu jedem Fenster hinüber grüßen, wo auch meistens eine alte Frau sitzt, die den Gruß erwidert. Außerdem muß man jeden grüßen, der einem begegnet. All diese stillen Menschen denken nämlich an nichts anderes, als was sich im allgemeinen und für jeden von ihnen im besonderen schickt. Wer die Grenzen überschreitet, die seinem Stand oder seiner Stellung gesetzt sind, verliert seinen guten Ruf, denn man kennt nicht nur ihn, sondern auch seinen Vater und den Vater seines Vaters und findet schon heraus, wo sich bereits früher in der Familie ein Hang zum Ungehörigen gezeigt hat.
In dieser stillen Stadt ließ sich vor vielen Jahren Per Olsen, ein geachteter Mann, nieder. Er kam vom Lande, wo er sich durch Kramhandel und Geigenspiel seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Nun eröffnete er hier in der Stadt für seine alten Kunden einen Laden, wo er außer Kramwaren auch Branntwein und Brot verkaufte. Man hörte ihn im „Hinterzimmer“ des Ladens auf und ab gehen und Springtänze und Brautmärsche spielen. Wenn er an der Ladentür vorbeikam, blickte er jedesmal durch ein verglastes Guckloch, und wenn ein Kunde erschienen war, schloß er sein Spiel mit einem Tremolo ab und ging zu ihm hinein. Das Geschäft entwickelte sich prächtig, er heiratete und bekam einen Sohn, den er nach sich nannte, aber nicht Per, sondern Peter. Der kleine Peter sollte das werden, was, wie Per fühlte, er selber nicht war – ein gebildeter Mensch, weshalb der Junge auf die Lateinschule geschickt wurde. Wenn ihn nun jene, die seine Kameraden sein sollten, von ihren Spielen nach Hause prügelten, weil er Per Olsens Sohn war, prügelte ihn dieser wieder zu ihnen hinaus, denn sonst konnte der Junge ja nicht gebildet werden. Die Folge davon war, daß sich der kleine Peter in der Schule verlassen vorkam und faul wurde, und mit der Zeit war ihm alles so gleichgültig, daß ihn die Hiebe des Vaters weder zum Lachen noch zum Weinen bringen konnten. Da gab Per das Prügeln auf und nahm ihn zu sich in den Laden. Doch wie wunderte er sich, als er hier sah, daß der Junge einem jeden gab, was er verlangte, ohne auch nur ein Körnchen zuviel zu geben oder je eine Backpflaume selber zu essen. Er sah ihn abwiegen, abzählen und abfüllen, ohne daß er dabei eine Miene verzog und meistens auch ohne ein Wort – alles sehr langsam, dafür aber mit unbestechlicher Genauigkeit. Der Vater faßte wieder Hoffnung und schickte ihn mit einer Heringsschute nach Hamburg, damit er eine Handelsschule besuche und feine Manieren lerne. Peter war acht Monate fort, und das mußte doch wohl genügen. Bei seiner Rückkehr hatte er sich sechs neue Anzüge zugelegt, die er, als er an Land ging, übereinandergezogen hatte, denn was man auf dem Leib trägt, kann nicht verzollt werden. Von diesem Umfang abgesehen, machte er jedoch, als er am Tag darauf auf der Straße erschien, ungefähr noch dieselbe Figur. Er ging steif wie ein Stock, mit unbeweglich herabhängenden Armen, er grüßte mit einem plötzlichen Ruck, verbeugte sich, als wäre er gliederlos, um sofort wieder stocksteif zu werden. Er war die Höflichkeit selbst, doch er tat alles hastig und mit einer gewissen Scheu und ohne ein Wort zu sagen. Er schrieb sich nicht länger Olsen, sondern Ohlsen, was dem Spaßvogel der Stadt Gelegenheit zu der folgenden Frage bot: „Wie weit ist Peter Olsen in Hamburg gekommen?“ Antwort: „Bis zum ersten Buchstaben.“ Er spielte auch mit dem Gedanken, sich „Pedro“ zu nennen, da er aber schon wegen des H’s so viel Unwillen hervorgerufen hatte, ließ er es bleiben und schrieb sich P. Ohlsen. Er erweiterte das Geschäft seines Vaters und heiratete, kaum zweiundzwanzig Jahre alt, ein rothändiges Ladenmädchen, damit es ihm den Haushalt führte; denn der Vater war gerade Witwer geworden, und eine Frau war vorteilhafter als eine Haushälterin. Ein Jahr später wurde ihm ein Sohn geboren, der eine Woche darauf den Namen Pedro erhielt.
Als der würdige Per Olsen Großvater geworden war, fühlte er sich gleichsam innerlich berufen, alt zu werden. Er überließ deshalb das Geschäft seinem Sohn, setzte sich davor auf eine Bank und rauchte seine kurze Stummelpfeife. Und als er sich eines Tages dort draußen zu langweilen begann, wünschte er sich, bald zu sterben. Und wie all seine Wünsche still und ruhig in Erfüllung gegangen waren, so erfüllte sich auch dieser.
Hatte sein Sohn Peter ausschließlich die eine Seite der väterlichen Begabung – die Kaufmannsschläue – geerbt, so schien sein Enkelsohn Pedro ausschließlich die andere – die Liebe zur Musik – geerbt zu haben. Er lernte sehr spät lesen, dafür aber sehr zeitig singen, er blies so gut Flöte, daß es jedem auffallen mußte, er hatte ein feingeschnittenes Gesicht und ein weiches Gemüt. Dies kam dem Vater, der dem Jungen seine eigene emsige Genauigkeit anerziehen wollte, aber nur ungelegen. Wenn Pedro etwas vergaß, wurde er nicht, wie einst der Vater, gescholten und geschlagen, sondern gekniffen. Das ging in aller Stille vor sich, mit einer Freundlichkeit, die man fast hätte höflich nennen können, dafür aber bei der geringsten Kleinigkeit. Die Mutter zählte jeden Abend, wenn sie ihn auszog, seine blauen und gelben Flecke und küßte sie, schritt jedoch nicht dagegen ein, weil sie selber gekniffen wurde. Für jeden Riß in seinen Kleidern, die aus den Hamburger Anzügen des Vaters genäht worden waren, für jeden Fleck in den Schulbüchern bekam sie die Schuld.
Deshalb hieß es auch fortwährend: „Laß das, Pedro! Gib auf dich acht, Pedro! Denk daran, Pedro!“
Den Vater fürchtete er, und die Mutter wurde ihm lästig. Von seinen Kameraden hatte er nichts zu erdulden, denn er begann sofort zu weinen und bat sie, seine Sachen zu schonen. Er wurde „Waschlappen“ genannt und war nicht besonders beliebt. Er glich einem kranken, federlosen Entlein, das der Schar überall hinterherhinkte und mit dem winzigen Happen, den es erbeuten konnte, weit fort sprang. Niemand teilte mit ihm, deshalb teilte auch er mit niemandem.
Bald entdeckte er jedoch, daß das bei den Kindern der einfachen Leute anders war. Sie gaben sich geduldig mit ihm ab, weil er feiner war als sie. Ein großes, kräftiges Mädchen, das über die ganze Schar herrschte, nahm sich seiner an. Er konnte sich nicht satt an ihr sehen: sie hatte rabenschwarzes, wildgekraustes Haar, das nie anders als mit den Fingern gekämmt wurde. Dazu tiefblaue Augen und eine niedrige Stirn. Das ganze Gesicht sprühte vor Leben und Tatkraft. Sie war ständig in Bewegung und immer beschäftigt. Im Sommer barfuß, mit bloßen Armen und braungebrannt, im Winter so angezogen wie andere im Sommer. Ihr Vater war Lotse und Fischer. Sie lief von Haus zu Haus und verkaufte seine Fische. Wenn er fischte, hielt sie sein Boot gegen Sturm und Strom, und wenn er lotste, ging sie allein fischen. Jeder, der sie sah, mußte sich umdrehen und sie noch einmal ansehen, denn sie war die Selbständigkeit in Person. Sie hieß Gunlaug, wurde aber nie anders als das Fischermädchen genannt, ein Titel, den sie wie einen ihr zukommenden Rang entgegennahm. Beim Spielen half sie stets den Schwächeren. Sie war von dem Drang besessen, sich anderer anzunehmen, und nun nahm sie sich dieses feinen Jungen an.
In ihrem Boot durfte er Flöte spielen, die zu Hause in Acht und Bann getan worden war, weil man meinte, sie lenke ihn nur von den Schularbeiten ab. Sie ruderte ihn auf den Fjord, sie nahm ihn mit, wenn sie zum Fischen weiter hinausfuhr, bald war er auch bei den Nachtfahrten dabei. Dazu ruderten sie bei Sonnenuntergang in die helle Sommerstille hinein. Er spielte Flöte oder hörte zu, wenn sie ihm all das erzählte, was sie wußte und wovon sie die Seeleute hatte reden hören: von Klabautermännern, Seegespenstern, Schiffbrüchigen, fremden Ländern und schwarzen Völkerstämmen. Und wie sie ihr Wissen mit ihm teilte, teilte sie auch ihr Essen mit ihm, und er nahm alles entgegen, ohne etwas dafür zu geben, denn er brachte weder etwas zu essen von zu Hause mit noch Nahrung für die Phantasie aus der Schule. Sie ruderten, bis die Sonne hinter den schneebedeckten Gipfeln versank, gingen dann bei einer kleinen Insel an Land und machten ein Feuer, das heißt: sie sammelte Reisig, er saß dabei und sah zu. Er wurde in eine der Wetterjacken ihres Vaters und in eine Decke gehüllt, die sie für ihn mitgebracht hatte. Sie versorgte das Feuer, und er schlief ein. Sie hielt sich wach, indem sie Bruchstücke von Liedern und Chorälen sang. Solange er nicht eingeschlafen war, sang sie mit lauter, klarer Stimme, danach sang sie leise. Wenn die Sonne auf der anderen Seite wieder aufging und als Vorboten ein gelbkaltes Leuchten über die Gipfel schob, weckte sie ihn. Der Wald lag schwarz da, die Wiese war noch dunkel, doch begann sie sich schon bald braunrot zu färben und zu blinken, bis plötzlich der Gebirgskamm erglühte und alle Farben angeschäumt kamen. Dann zogen sie das Boot wieder ins Wasser, es schnitt einen Streifen in die schwarze Morgenbrise, und bald darauf lagen sie gemeinsam mit den anderen Fischern auf dem Fangplatz.
Als es Winter wurde und die Fahrten aufhörten, zog es ihn zu ihr nach Hause. Er kam immer wieder und sah ihr bei der Arbeit zu. Beide redeten wenig. Es war, als säßen sie nur beieinander, um auf den Sommer zu warten. Als er dann kam, wurde ihm leider auch diese neue Aussicht auf Leben genommen. Gunlaugs Vater starb, und sie verließ die Stadt, und der Junge wurde auf Anraten des Lehrers ins Geschäft gesteckt. Dort stand er nun gemeinsam mit der Mutter, denn der Vater, der mit der Zeit die Farbe all der Graupen, die er abwog, angenommen hatte, mußte im Hinterzimmer des Ladens das Bett hüten. Von dortaus wollte er trotzdem alles verfolgen, wollte vor allem hören, was jeder von ihnen verkauft hatte, tat, als verstünde er nicht, bis er sie so nahe bei sich hatte, daß er sie kneifen konnte. Und als der Docht in diesem Lämpchen völlig eingetrocknet war, erlosch es eines Nachts. Die Frau weinte, ohne eigentlich recht zu wissen, weshalb, der Sohn aber konnte sich keine Tränen abringen. Da sie genug Geld hatten, um davon leben zu können, gaben sie das Geschäft auf, merzten jede Erinnerung aus und verwandelten den Laden in ein Wohnzimmer. Dort setzte sich die Mutter ans Fenster und strickte Strümpfe. Pedro setzte sich in das Zimmer auf der anderen Seite des Hausflurs und spielte Flöte. Sobald es jedoch Sommer wurde, kaufte er sich ein kleines, leichtes Segelboot, fuhr damit zur Insel hinüber und legte dort an, wo Gunlaug einst angelegt hatte.
Und wie er dort eines Tages so im Heidekraut lag, sah er ein anderes Boot auf die Insel zuhalten, neben dem seinen anlegen – und Gunlaug stieg aus. Sie hatte sich kaum verändert, war nur völlig erwachsen und größer als die meisten Frauen. In dem Augenblick aber, da sie ihn erblickte, wich sie ganz langsam zurück. Ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß auch er inzwischen erwachsen war.
Dieses blasse, magere Gesicht, das kannte sie nicht, das war nicht mehr kränklich und fein, das war schlaff. Doch als er sie ansah, trat ein stilles Leuchten aus früheren Träumen in sein Auge. Sie ging wieder vorwärts, und mit jedem Schritt, den sie ihm näher kam, fiel gleichsam ein Jahr von ihm ab, und als sie vor ihm stand, war er aufgesprungen und lachte wie ein Kind und redete wie ein Kind. Hinter dem gealterten Gesicht verbarg sich das eines Kindes: Wohl war er älter geworden, doch nicht erwachsen.
Aber gerade dieses Kind hatte sie gesucht, und nun, da sie es wiedergefunden hatte, wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie lachte und wurde rot. Unwillkürlich verspürte er so etwas wie Macht in sich. Und zum erstenmal in seinem Leben wurde er schön. Es dauerte vielleicht nur einen Augenblick, doch in diesem Augenblick war sie erobert.
Sie war eine jener Naturen, die nur lieben können, was schwach ist, worüber sie schützend die Hand gehalten haben. Zwei Tage hatte sie in der Stadt bleiben wollen, sie blieb zwei Monate. In diesen beiden Monaten wuchs er mehr als in all seinen übrigen Jugendjahren. Er erhob sich so weit aus Traum und Trägheit, daß er Pläne schmiedete. Er wollte fort, wollte sich im Flötenspiel ausbilden lassen! Doch als er eines Tages wieder davon sprach, wurde sie blaß und sagte: „Ja, aber dann müssen wir erst heiraten!“
Er sah sie an, und sie sah ihn an, beide wurden sie feuerrot, und er erwiderte: „Was würden die Leute sagen?“
Gunlaug war nie der Gedanke gekommen, daß er etwas anderes wollen könnte als sie, weil sie nie etwas anderes hätte wollen können als er. Nun aber sah sie bis auf den Grund seiner Seele: Er hatte keinen einzigen Augenblick daran gedacht, etwas anderes mit ihr zu teilen als das, was sie gab. In dieser einen Minute begriff sie, daß das von Anfang an so gewesen war. Sie aber hatte zuerst Mitleid mit ihm gehabt, und schließlich war daraus Liebe geworden. Liebe zu ihm, dessen sie sich aus Güte angenommen hatte. Hätte sie jetzt nur einen Augenblick Geduld gehabt!
Er sah ihren Zorn auflodern, er bekam Angst und rief: „Ich will ja!“
Sie hörte es. Aber der Zorn über ihre eigene Dummheit und seine Erbärmlichkeit, über die eigene Scham und seine Feigheit erreichte in so glühender Hast den Siedepunkt, daß wohl nie eine Liebe, begonnen in Kindheit und Abendsonne, gewiegt von Wellen und Mondschein, begleitet von Flötenspiel und leisem Gesang, trauriger zu Ende gegangen ist. Sie packte ihn mit beiden Händen, hob ihn hoch und prügelte ihn so recht nach Herzenslust durch, ruderte dann zur Stadt zurück und ging sofort über die Berge davon.
Er war hinausgesegelt wie ein verliebter Jüngling, der im Begriff ist, sich sein Mannestum zu erobern. Er ruderte zurück wie ein Greis, der nie ein Mannestum gehabt hat. Sein Leben besaß nur eine einzige Erinnerung, und die hatte er leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Nur einen einzigen Zufluchtsort hatte er in dieser Welt, und den wagte er nicht mehr aufzusuchen. Versunken in Grübeleien über seine eigene Erbärmlichkeit und darüber, wie dies alles eigentlich zugegangen war, versank sein Unternehmungsgeist wie in einem Sumpf und kam nie wieder zum Vorschein. Die kleinen Jungen der Stadt, denen sein sonderbares Wesen schon aufgefallen war, begannen ihn bald zu quälen, und da er für die Stadt eine undurchsichtige Gestalt war, weil niemand recht wußte, wovon er lebte und was er trieb, fiel es auch niemandem ein, ihn in Schutz zu nehmen. Er wagte es bald nicht mehr, sich draußen sehen zu lassen, zumindest nicht auf der Straße. Sein ganzes Dasein wurde zu einem einzigen Kampf mit kleinen Jungen; vielleicht waren sie ebenso nützlich wie Mücken in der Sommerwärme, denn ohne sie wäre er in einen ständigen Dämmerzustand gesunken.
Gunlaug erschien neun Jahre später wieder in der Stadt, ebenso unerwartet, wie sie verschwunden war. Da hatte sie ein Mädchen von acht Jahren bei sich, ganz ihr einstiges Spiegelbild, nur daß alles an dem Kind feiner und wie von einem Traum überschleiert war. Gunlaug sei verheiratet gewesen, hieß es, habe nun geerbt und sei zurückgekehrt, um in der Stadt eine Gastwirtschaft für Seeleute zu eröffnen.
Diese Gastwirtschaft betrieb sie so, daß zu ihr sowohl Kaufleute und Schiffer kamen, um Leute zu dingen, als auch Matrosen, um eine Heuer zu finden. Außerdem bestellte die ganze Stadt bei ihr Fisch. Für diesen wie jenen Zwischenhandel nahm sie nie einen Schilling, machte dafür aber von der Macht, die er ihr verlieh, despotisch Gebrauch. Sie war unbestreitbar der mächtigste Mann der Stadt, obgleich sie eine Frau war und ihr Haus nie verließ. Sie wurde Fisch-Gunlaug oder Gunlaug vom Hang genannt. Der Titel das Fischermädchen ging auf ihre Tochter über, die sich an die Spitze der Jungenschar der Stadt stellte.
Ihre Geschichte soll hier erzählt werden. Sie hatte etwas von der urwüchsigen Kraft der Mutter, und sie erhielt Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen.