Читать книгу BattleTech Legenden 34 - Blaine Pardoe - Страница 7
Оглавление1
Home Plains, Avon
Nebelparder/Novakatzen-Besatzungszone
1. Mai 3058
Sterncolonel Devon Osis bahnte sich einen Weg durch das windgepeitschte Gras der Horne Plains. Mit jedem Schritt zertrat er meterhohe, schilfähnliche Stängel. Vor ihm erhob sich das Zelt des Khans der Nebelparder vor dem roten Himmel, an dem Avons Sonne langsam hinter dem Horizont versank. Und dort am Horizont waren in bedrohlicher Silhouette zwei Sterne der furchtbarsten Waffen der Parder zu erkennen, ihrer OmniMechs. Jede dieser zehn Meter hohen Kampfmaschinen starrte vor Waffenmodulen, auch wenn sie von hier aus mehr wie Standbilder vor dem ersterbenden Licht wirkten, stumme Posten, die das weite Land der Plains gegen einen Feind beschützten, von dem nirgends etwas zu sehen war.
Bei Devon Osis‘ Ankunft auf Avon hatte ihm dieser Anblick den Atem geraubt. Jetzt erinnerte er ihn nur noch daran, dass er ein Krieger ohne Krieg war. Er ging um das Zelt herum und öffnete die als Tür dienende Tuchklappe und trat ein. Den Innenraum dominierte ein tragbarer Hologrammtisch, über dem eine grünleuchtende Projektion der Ebene hing, die Devon Osis in der letzten halben Stunde durchquert hatte. Neben dem Tisch erhob sich die unverwechselbare Statur des Lincoln Osis, Khan der Nebelparder. Er hatte sich mit weit gespreizten Armen auf den Rand des Tisches gestützt und studierte nach vorne gebeugt die Karte.
Das lange, dunkelhäutige Gesicht des Khans wirkte im Halbdunkel des Zelts sehr ernst, als er zu seinem Besucher aufblickte. In den harten, dunklen Augen loderte ein tiefes, inneres Feuer. Trotz der Verluste und Erniedrigungen, die den Nebelpardern in den gewaltigen Schlachten um Luthien und Tukayyid widerfahren waren, hatte Lincoln Osis sich durchgesetzt, und mit ihm der Geist des Nebelparders. Er hatte seine Krieger gelehrt, dass Überleben den Schlüssel zum Sieg bedeutete. Deshalb sah Devon seinen Khan als den Anführer, der ihren Clan in eine große Zukunft leiten würde - eine Zukunft, in der die Nebelparder nicht nur die übrigen Clans dominierten, sondern auch die gesamte Innere Sphäre.
Sterncolonel Devon Osis nahm Haltung an, während der Khan sich wieder dem Projektionstisch zuwandte. Das Hologrammbild zeigte nicht nur die Aufstellung der in der Ferne erkennbaren OmniMechs, sondern auch deren Gegner am anderen Ende des Tischs.
»Mein Khan«, ergriff Devon mit zackig militärischem Tonfall das Wort und neigte ehrfürchtig den Kopf.
»Diese Geschkos bereiten schon wieder einen Drill vor.« Khan Lincoln Osis war kurz angebunden, beinahe verärgert. »Ihrem Bieten fehlt der Mut.«
Devon sah hinüber auf den Hologrammtisch und nickte, ohne genau zu verstehen, worum es ging. Lincoln Osis warf ihm einen kurzen Blick zu. »Dieser Tage ist die Zeit unser ärgster Feind«, stellte er in halbem Flüsterton fest. »Ein schlimmerer Feind, als irgendeiner unserer Mit-Clans zugeben will. Er hängt um unseren Hals wie die Schlinge des Henkers und zieht sich mit jedem Tag fester zu.« Devon Osis hätte nicht sagen können, ob der Khan mit ihm oder mit sich selbst sprach. »Merke dir meine Worte, Devon, es ist keine Waffenstillstandslinie, die uns zurückhält, es ist die Zeit. Letztlich ist die Zeit der Gegner, den wir überwinden müssen.«
Devon nickte. »Wie lauten Eure Befehle für mich?«
»Du erinnerst dich an die Diskussion, die wir vor einer Weile über Galaxis Tau geführt haben, frapos?«
»Pos. Soweit ich mich erinnere, war sie noch Monate von der Einsatzbereitschaft entfernt.« Er erinnerte sich noch sehr gut an diese Diskussion, weil der Khan ihm in deren Verlauf ein paar Geheimnisse enthüllt hatte. Galaxis Tau war eine neu ausgehobene Einheit von der Parder-Heimatwelt Diana. Ihre Krieger waren dringend benötigter Wahrgeborenen-Nachschub, gezüchtet aus dem besten genetischen Erbe der Nebelparder. Und die Aufstellung dieser neuen Galaxis war zum größten Teil im Geheimen erfolgt.
»Wie der Parder auf der Jagd werden wir uns diesmal an diesen Feind anschleichen und ihn besiegen. Galaxis Tau ist mehr als ein Traum, sie ist Wirklichkeit und in diesem Augenblick auf dem Weg in die Innere Sphäre. Sie wird unserem Clan den wilden Biss verleihen, den wir benötigen, um zu siegen.« In den Augen des Khans funkelte die Kampflust. »Ihre Ankunft wird ein neues Zeitalter für den Nebelparder einläuten. Die Zeit ist gekommen, die Demütigungen der Vergangenheit zu rächen. Erst wurden wir gezwungen, unseren Invasionskorridor mit den Novakatzen zu teilen, die prompt einige unserer Welten stahlen. Dann verloren wir eine große Zahl tapferer Krieger auf Luthien, und danach ebenso auf Tukayyid. Auf Luthien haben uns die Novakatzen gebremst, und jetzt versuchen die Wölfe ihre Stärke zu beweisen, und greifen unsere Systeme an. Wir dürfen uns unseren Weg nicht länger von den Ereignissen vorschreiben lassen, sondern müssen mutig und gewagt die Initiative ergreifen. Und die Zeit dafür ist jetzt gekommen!«
Devon Osis nickte leise. Er sog jedes Wort in sich auf. Galaxis Tau war frisch und stark, das Beste aus dem Generbe der Nebelparder. Mit ihrer Ankunft waren das Draconis-Kombinat und der Rest der Inneren Sphäre reif, erobert zu werden. Nur die imaginäre Waffenstillstandslinie bei Tukayyid trennte die Clans von der Herrschaft über die Innere Sphäre, und diese Linie verwischte sich mit jedem Tag mehr. »Das Kombinat verehrt den Drachen, aber wir werden diese Barbaren wie die Papiertiger zermalmen, die sie in Wahrheit sind, und der Weg nach Terra wird frei sein.«
Bei diesen Worten fuhr der Khan der Nebelparder wütend auf. »Negativ, Sterncolonel. Du musst weiterdenken als nur bis zum Kombinat. Clan Novakatze ist unser Ziel. Wie einen Albatros hat Ulric Kerensky ihn uns um den Hals gelegt. Die Novakatzen haben uns ganze Systeme geraubt, und ihr Kampfstil hat uns den Sieg auf Luthien gestohlen. Wir haben diese Last zu lange getragen. Sie wurden hierher gebracht, um uns auszusaugen wie Blutegel, um dafür zu sorgen, dass wir zu schwach sein würden, Terra einzunehmen, wenn die Zeit dazu gekommen wäre, zu schwach, unseren rechtmäßigen Platz als der ilClan einzunehmen.«
Lincoln Osis hatte recht. Die Novakatzen waren in der zweiten Hälfte der Invasion der Inneren Sphäre dem Angriffskorridor der Nebelparder mit zugeteilt worden. Dort angekommen, hatten sie den Pardern einige ihrer Eroberungen abgenommen und sich eingegraben. Jetzt waren sie bereit zu einem Wettlauf gegen die Nebelparder nach Terra, sobald der Waffenstillstand von Tukayyid auslief. Wieder stieg Bewunderung für seinen Khan in Devon auf. »Wir werden die Novakatzen pulverisieren«, stieß er aus, und in seinen Ohren hämmerte der Puls.
Lincoln Osis nickte. »Galaxis Tau ist unverbraucht, und aus den feinsten Exponaten unseres Genfundus entwickelt worden. Ich habe keine Kosten gescheut, um sie zur Perfektion auszubilden und mit dem Besten auszurüsten, das unser Clan besitzt. Ihre Krieger wurden zerfleischt und zerkratzt, und nur von den Besten gefordert.« Die Worte drangen Devon bis ins Mark. Es war beinahe ein Gefühl wie in den Augenblicken, als Lincoln Osis die zeremonielle Maske aufsetzte und die Personifikation des Nebelparders wurde.
Der Khan legte beide Hände auf Devons Schultern. »Du hast dich in den Tests bis zum Rang des Galaxiscommanders hochgearbeitet, Devon Osis, aber du hast keine Galaxis, über die du befiehlst. Bis eine neue Einheit zur Verfügung stand, hast du deinen alten Rang weitergeführt. Nun existiert eine. Ich gebe dir Galaxis Tau.«
»Ich werde Euch nicht enttäuschen, mein Khan.«
»Für die Fehler der Vergangenheit ist kein Platz. Die Wölfe kratzen geifernd an unserer Tür und greifen uns an, um sich die Ehre zurückzuholen, die ihnen die Jadefalken genommen haben. Die Falken spielen mit ihren Geschkos, um ihre Kraft zu beweisen. Die Stahlvipern haben sich eingerollt, bereit, jeden Augenblick zuzustoßen. Die Geisterbären warten und beobachten das Geschehen in ihren Höhlen. Und dann sind da die Novakatzen. Sie sind ein Geschwür in unseren Eingeweiden, rauben unsere Kraft.« Der Khan machte eine kurze Pause, und seine Züge verzerrten sich vor Abscheu.
»Wie Freigeburtsmystiker starren sie empor in die Nacht und suchen Rat von den Geistern, die ihre Einbildung dort angesiedelt hat. Sie befragen Seher und Sterne, um ihren Weg zu finden. Heute Nacht, wenn der Khan der Katzen in den Nachthimmel blickt und um eine Vision bittet, ihn zu leiten, wird er einen Nebelparder sehen. Du wirst dieser Nebelparder sein. Galaxis Tau wird in Kürze auf unserem Stützpunkt auf Wildcat eintreffen. Du wirst dich dorthin begeben und Sterncolonel Roberta ablösen, die Tau von den Heimatwelten hierher geführt hat. Schließe ihre Ausbildung ab und entwickle eine Strategie für ihren Einsatz. Ich werde dich wissen lassen, wann die Zeit gekommen ist, und dann - wird der Parder wieder auf die Jagd gehen.«
Der kühle Nachtwind Tarnbys strich über Sterncolonel Santin West, aber die Hitze des lodernden Scheiterhaufens vertrieb die Kälte auf den Höhen des Mont Neyzari. Er verlagerte das Gewicht und rückte seine steifen, gekreuzten Beine ein wenig zurecht, ohne den Blick von den tanzenden Flammen des Feuers zu nehmen. Er war nicht allzu groß für einen Elementar, nur knapp 2,5 Meter, wenn er sich gerade aufrichtete. Sein gebleichtes weißes Haar war zu einem Bürstenschnitt gestutzt, der an den stachligen Rücken eines Igels erinnerte, und trotz der Kälte war er nur in Shorts gekleidet, mit dem Fell eines Novakatzenweibchens um die Schultern geworfen. Die tiefen Ringe um seine Augen wirkten im Flackern des Feuers noch dunkler.
Er starrte in die Flammen und fühlte, wie sein Körper sich leicht zur Seite neigte, bevor er sich wieder abfing. Es war sechs Tage her, dass er zuletzt gegessen hatte, und mindestens achtundvierzig Stunden seit dem letzten Schlaf. Seine Stärke ließ rapide nach, aber die Eidmeisterin hatte ihm versichert, dass dies die beste Möglichkeit sei, eine Vision aufzurufen. Der Visionsritus war das ehrenvollste und mysteriöseste aller Novakatzen-Clanrituale, und er wollte nicht versagen - nicht schon wieder. Santin Wests vorherige Versuche schienen ihm ein Leben weit zurückzuliegen. Einer war kurz nach Luthien gewesen, und er hatte zu erfahren gehofft, was die Zukunft bringen würde. Aber es hatte sich keine Vision eingestellt. Dann kam das Blutbad von Tukayyid. Der Tod seiner Kogeschwister, die mit ihm zusammen groß geworden waren und die mörderische Kriegerausbildung ihrer Geschko durchgestanden hatten, hatte ihn auf eine Weise getroffen, die er bis jetzt nicht recht verstand.
Diesmal war es anders. Er dürstete danach, die Zukunft zu erfahren - nicht nur für sich selbst, sondern für den ganzen Clan. Die Vergangenheit war nicht zu ändern. Aber ein Blick in die Nebel dessen, was noch bevorstand, konnte seinem Volk die Möglichkeit liefern, die Gegenwart zu beeinflussen.
Sein Blick wanderte zu der kleinen Ansammlung von Relikten, die vor ihm auf dem Boden lagen. Das waren seine Venirs, Erinnerungen an vergangene Schlachten. Jeder Novakatzen-Krieger sammelte solche Überreste aus wichtigen Kämpfen, an denen er teilgenommen hatte. In der Regel wurden sie in einem Lederbeutel aufbewahrt und nur während einer Zeremonie getragen. Beim Visionsritus jedoch wurden die Venirs ein Opfer der Flammen. Ein Venir war etwas Bedeutendes, es diente dem Krieger, der es besaß, als spiritueller Fokus, es konservierte die Erinnerung und vor allem die Bedeutung dieser Erinnerung. Für eine Novakatze war nur das Kodax-Armband, das ihre offizielle Dienstlaufbahn und alle wichtigen Einzelheiten ihres Daseins bis hinab zu ihrem DNA-Code enthielt, wichtiger als ein Venir. Der Unterschied zwischen beiden war einfach. Der Kodax war ein offizielles Dokument. Die Venirs dokumentierten den persönlichen Werdegang eines Kriegers, der jenseits des offiziellen lag.
Santin West betrachtete ein kleines Bruchstück eines Elementarpanzers, das er an dem Tag, an dem er seinen Blutnamen gewonnen hatte, seinem letzten Gegner abgenommen hatte. Es war verbogen und zerkratzt, und es erinnerte ihn an die Freude, die er über seinen Sieg gefühlt hatte. Daneben lag ein zerrissenes Halstuch, eine Erinnerung an den Krieger, den er beim Positionstest für den Rang eines Sterncaptains bezwungen hatte. Der kleine Finger, der in dem Positionstest von seinem ersten Elementarpanzer abgebrochen war, in dem er sich zum Sterncolonel hochgekämpft hatte.
Dann war da noch ein dünnes Stück Myomerkabel, das ›Muskel‹-Material eines BattleMechs. Er sah es an und erinnerte sich an die Schlacht um Caripace, und an die Schwierigkeiten, die ihm der draconische Mechkrieger bereitet hatte. Auch Stücke von Mechkanzeldächern lagen zwischen seinen Venirs, jedes von einem anderen Gegner, den er während der Invasion besiegt hatte.
Ein Ohrring, schwarzverkohlt und halb geschmolzen. Santin West hatte ihn einem Kell Hound abgenommen, als seine Einheit im Kadoguchi-Tal auf Luthien zerschlagen worden war. Aber trotz der Kameraden, die er verloren hatte, fühlte er kein Bedauern, was diese Schlacht betraf. Sie hatten gut gekämpft und waren in den Tod gegangen, so wie er es ihnen eines Tages nachzumachen hoffte, bis zum Ende und darüber hinaus kämpfend. Wie es das Wesen des Kriegers war.
Ein Teil in der Sammlung von Venirs hob sich von den anderen ab. Der Aufnäher zeigte das ComStar-Logo und die weißgoldenen Insignien der 244. Division. Tukayyid. Er war dabei gewesen, und das war seine Verbindung mit jener Schlacht. Er sah den faltigen Aufnäher an, an einer Seite rußgeschwärzt, und er erinnerte sich - hörte wieder das Dröhnen der Autokanonen und die Schreie des Schlachtgetümmels.
Santin sah von den Venirs auf. Seine Gedanken waren noch immer auf Wanderschaft in den Korridoren der Erinnerung. Die Eidmeisterin stand neben ihm. Sie streute ein weißes Pulver in die Flammen und legte mehrere Hartholzscheite nach. Die Pulverkörner zuckten im Feuer leuchtend grün, blau und blutrot auf. Eidmeisterin Biccon Winters warf auch einige Kapseln in das hoch auflodernde Feuer. Sie enthielten Weihrauch, und ihr starker Duft packte Santin Wests Sinne und ließ sie nicht mehr los. Die teilweise noch feuchten Holzscheite krachten und schleuderten Funken in die Nacht.
Seine Augen senkten sich zum Ursprung des wild tanzenden Feuers, und er fixierte die orangerot glühenden Kohlen im Zentrum des Infernos. Die mit schwarzen Flecken bedeckten Kohlen schienen in der Hitze zu flimmern. Er starrte sie an und erlebte ein Schwindelgefühl, konnte nicht sagen, ob er ins Herz der Flammen fiel oder gezogen wurde.
In der Glut sah er eine dunkle Silhouette. Er hielt sie in seinem Blick, und sie schien Gestalt anzunehmen, wurde zu einer zuschlagenden Katze. Santin Wests Augen weiteten sich vor Erregung, als er sie anstarrte. Sie folgten den Umrissen der Katze, und eine zweite, gelborangefarbene Gestalt erschien zwischen den Kohlen. Wieder sah er eine jagende Katze, diesmal wie im Sprung eingefroren. Und aus der untersten Schicht der Kohlen stieg eine weitere Silhouette auf - jetzt nur der Kopf einer Katze - und wurde immer deutlicher. Die drei Bilder schimmerten in der vom Feuer aufsteigenden Hitze, aber alle drei wirkten so real, als wären sie lebendig.
Plötzlich rutschten die Scheite, und stürzten hinab auf die Kohlen. Die Bewegung und das Krachen zerstörten seine Konzentration für einen Augenblick, und als seine Augen sich nach dem Blinzeln wieder öffneten, stellte er fest, dass eine der Gestalten von den fallenden Scheiten ausgelöscht worden war. Die erste dunkle Gestalt war noch zu sehen, aber sie schien nicht mehr zu kämpfen, sondern stand nur reglos in den Flammen. Die andere, der Katzenkopf, war unbeschädigt, aber nun schien sie sich vor seinen Augen zu verändern. Santins Atem ging stoßweise, sein Puls hämmerte wie der eines Pferdes in einem Rennen, aber er war unfähig, sich zu bewegen, hing in Raum und Zeit gefangen über dem Feuer.
Der Kopf der Katze schien dunkler zu werden und sich in einen grinsenden Totenschädel zu verwandeln. Er neigte sich vor ihm, wie in einem Zugeständnis. Santin West griff nach ihm, aber die Scheite verlagerten sich erneut und löschten den Katzenschädel aus, der ihn so teuflisch angegrinst hatte. Er ließ die Hand wieder aufs Knie fallen und schüttelte leise den Kopf.
»Du hattest eine Vision, Santin West, pos?« fragte eine Stimme von außerhalb seines Sichtfelds. Er wusste, dass sie Biccon Winters gehören musste, der Eidmeisterin der Novakatzen und Bewahrerin des Ritus. In ihrem Tonfall lag eine Spur von Neid.
»Pos«, bestätigte er kaum hörbar, die Augen immer noch glasig und auf die Flammen gerichtet - in der Hoffnung, die Vision werde zurückkehren.
»Ausgezeichnet. Dies war dein vierter Versuch, Sterncolonel. Ich gratuliere dir. Viele, die den Ritus durchführen, erreichen ihr Ziel niemals ganz. Wir Novakatzen verstehen den Wert solcher Visionen. Seit unser Gründer Nicholas Kerensky die Vision hatte, die zur Gründung unserer Kultur führte, sind die Novakatzen-Krieger die einzigen, die solche Questen noch unternehmen. Es ist eine Verbindung zu unserer Vergangenheit und eine Brücke in unsere Zukunft.«
Santin West schwindelte. Sein Magen schmerzte und seine Muskeln protestierten. »Meine Vision - es war ...« Seine Stimme erstarb, als sein Verstand zu erklären versuchte, was er gesehen hatte.
Die Hand der Eidmeisterin sank auf seine Schulter.
»Ich bin die Hüterin des Eids für unser Volk und die Bewahrerin dieses Ritus. Eine Vision ist heilig, und oft offenbart sie ihre Bedeutung erst mit dem Zug der Zeit.«
Santin verlagerte das Gewicht und streckte die Beine aus. Zum ersten Mal in dieser Nacht stach die Kälte der Luft in seine Haut, als er sich bewegte. »Ihr versteht nicht. Ich muss begreifen, was ich gesehen habe.« Seine Gedanken wirbelten um das Bild, das vor seinem inneren Auge bereits verblasste. Die beiden ineinander verbissenen Katzen, das verstehe ich. Nebelparder und Novakatzen bekämpfen sich seit Jahrhunderten. Aber ich sah noch eine Katze, eine, die zu einer Totenmaske wurde, diejenige, die sich vor mir verbeugte. Die beiden kämpfenden Katzen wurden zermalmt, und alles, was zurückblieb, war das Totengrinsen der dritten. Ich muss verstehen, was ich sah. Ist das meine Zukunft oder die meines Clans?
Eidmeisterin Winters schüttelte den Kopf. »Neg, Sterncolonel. Nicholas Kerensky ebenso wie die Gründerin unseres Clans, Khan Sandra Rosse, haben uns gelehrt, geduldig zu warten, während sich die Bedeutung einer Vision allmählich offenbart. Lass dein Verständnis reifen, dann werden wir weiter darüber reden. Wenn das, was du gesehen hast, eine Voraussage über unsere Zukunft ist, werde ich die Khane darauf aufmerksam machen. Das ist meine Pflicht und Ehre.«
Santin West richtete sich langsam und schwankend auf. In diesem Augenblick schlugen die Tage und Nächte des Fastens und der Konzentration über ihm zusammen. Er tat einen schwachen Schritt, dann brach er plötzlich vor Eidmeisterin Winters zusammen. West lag lang hingestreckt auf seinen kostbaren Venirs, vor Erschöpfung bewusstlos.