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Niedergemetzelt JUNI 2019

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Ich glaube, ich habe das schon mal geschrieben: Eskimos haben über zwanzig Wörter für Schnee. Das las ich irgendwann in irgendeiner Zeitung. Inzwischen zweifle ich allerdings daran. Natürlich gibt es auch bei uns Begriffe wie Schneeflocken, Schneematsch, Schneeregen, Schnee von gestern, Schneetreiben, Pulverschnee. Würde man die alle zählen, könnten wir schnell einmal mit den Eskimos gleichziehen. Und sagt man überhaupt noch Eskimos? Einige davon möchten heute lieber als Inuit bezeichnet werden. Es ist schwierig mit den Bezeichnungen, mit den Wörtern, mit der Sprache.

Meine Kollegin Dora fährt inzwischen viel Zug und trifft dabei regelmäßig junge Leute auf dem Weg ins Gymnasium. »Ich erlebe tagtäglich live mit, wie im Zug die deutsche Sprache blutig und brutal niedergemetzelt wird«, meinte sie neulich und spielte damit auf den eigenartigen Slang an, den viele Teenies heute sprechen. »Sie wollen tatsächlich wie Fremdsprachige klingen.« Auch der Wortschatz der jungen Leute sei bedenklich. Neulich sei eine junge Frau aus Deutschland mit dabei gewesen und habe erzählt: »… und dann stellt er sich drei Wecker und schlummert immer wieder …« Das Wort schlummern habe danach die Jugendlichen mindestens drei Zugstationen lang beschäftigt. Schlummern, das gebe es gar nicht. Schlummern, das sage man einfach nicht. Das habe doch i-Phone erfunden. Schließlich entdeckte dann einer das Wort im Online-Duden, und große Verwunderung herrschte im Abteil. Ich kann dazu nur sagen: Hoffentlich schlummert in diesen jungen Menschen noch sehr viel …

Auch ich hatte ein ähnliches Erlebnis, das ich lange nicht vergessen konnte. Ein Mann in einem beigen Trenchcoat ging durch den Zug. Ein jugendlicher Mitreisender sagte: »Der sieht aus wie einer, der darunter nackt ist und dann plötzlich den Mantel öffnet und damit Kinder erschreckt. So was gibt es im Fall!« Gelächter und Gekicher folgte. »Wirklich?«, wunderten sich einige. »Dafür gibt es sogar ein Wort«, erklärte jemand. »Nein? Krass! Ein eigenes Wort für so einen ›Grüsel‹?« Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht das gesuchte Wort einfach ins Abteil zu posaunen. Stattdessen schaute ich den jungen Leuten beim Suchen im Internet zu. Es war gar nicht so einfach, über die Stichworte »Mantel« und »nackt« zum Lösungswort zu kommen. Kurz bevor sie den Zug verließen, hatten sie die Antwort: »Exhibitionist. So einer nennt sich Exhibitionist!« Ich atmete erleichtert aus.

»Ein eigenes Wort für so einen ›Grüsel‹?«

Natürlich weiß ich, dass die Wörter »schlummern« und »Exhibitionist« nicht unbedingt nötig sind, um im Leben weiterzukommen oder um zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen. Aber manchmal täte unserer oft so sprachlosen Welt, die uns manchmal selber sprachlos macht, ein größerer Wortschatz gut. Es wäre leichter, sich näherzukommen und sich zu verstehen. Neue Wörter kann man sich übrigens aneignen, indem man viel liest, zum Beispiel eine Zeitung, oder halt eben im Zug, wenn man denn bereit ist, zuzuhören.

Nehmen Sie beim Zugfahren mal die Kopfhörer von den Ohren und hören Sie zu, was da so gesprochen wird. Vielleicht lassen Sie auch die Ohrstöpsel drin und tun so, als würden Sie Musik hören. Oft wird man dann bestens unterhalten.

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