Читать книгу Die Perfekte Nachbarin - Блейк Пирс - Страница 12

KAPITEL NEUN

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Jessie spürte, wie ihre Brust sich zusammenzog, und sie konnte kaum atmen.

Sie versuchte zu sprechen, aber alles, was sie zustande brachte, war ein leises Röcheln. Sie schluckte mehrmals, um ihren plötzlich trocken gewordenen Hals zu befeuchten. Dann streckte sie ihre Hand nach der Brüstung aus und sah Ryan mit zusammengekniffenen Augen an, als würde das vielleicht etwas ändern.

„Es tut mir leid“, sagte er und streckte die Hand nach ihr aus.

Sie schüttelte heftig den Kopf und er blieb stehen.

„Was?“, fragte sie abwesend, obwohl sie ihn ganz genau gehört hatte.

„Komm mit“, sagte er, ergriff ihren Arm und führte sie zu einem Balkon am Ende des Flurs.

Er drehte sich zu ihr und öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus. Er schloss ihn wieder und schien mit sich zu ringen, wie er am besten anfangen sollte. Dann versuchte er es nochmal.

„Es sieht so aus, als sei er gestern Abend hierher zurückgekommen, um eine Spur zu verfolgen. Nach dem, was wir bisher herausgefunden haben, scheint er im Hauptschlafzimmer angegriffen worden zu sein. Es gab eindeutig einen Kampf. Er wurde ermordet, zu Tode erdrosselt.“

Jessie spürte, wie ihr Verstand außer Kontrolle geriet und die Gedanken nur so hin und her stoben. Sie versuchte, ihn zu bändigen. Ein Teil ihres Gehirns stellte bereits Fragen zum Tathergang. Aber wütend über sich selbst brachte sie ihn zum Schweigen und drückte ihre Augen fest zu, als könne sie ihre Gedanken damit irgendwie abstellen.

Garland. Er war tot. Der legendäre Profiler, mit dem sie sich anfangs nicht getraut hatte, zu reden. Der Mann, der dann irgendwann ihr Mentor geworden war und später ein Vertrauter, dem sie ihre dunkelsten Geheimnisse anvertraut hatte. Nie wieder würde er sie aufziehen oder auf die Probe stellen oder sie unterstützen. Er war nicht mehr da.

Jessie spürte, wie eine Welle der Trauer über sie hinweg rollte, und sie hörte die echten Wellen in der Ferne. Es war, als kannte der Ozean ihren Schmerz und versuchte, einen dazugehörigen Soundtrack zu kreieren. Sie beugte den Oberkörper nach vorne und zwang sich, mehrmals tief einzuatmen, bevor sie wieder etwas sagen würde.

Als sie den Eindruck hatte, dass sie ihren Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, richtete sie sich wieder auf. Ryan betrachtete sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

„Es geht mir gut“, sagte sie, zweifelte aber daran, dass das stimmte. „Bring mich auf den neuesten Stand.“

Ryan starrte sie an, als sei sie verrückt geworden.

„Das kann ich nicht“, sagte er ungläubig. „Du bist momentan nicht in der Verfassung, ein Verbrechen zu analysieren.“

„Und du bist es?“, fragte sie und spürte, wie sich in ihrem Bauch Wut breitmachte, die ihm gegenüber allerdings völlig unangemessen war. „Du hast ihn auch gekannt.“

„Ja“, räumte Ryan ein. „Ich kannte ihn und ich mochte ihn. Aber ich stand ihm bei weitem nicht so nahe wie du. Dennoch war es schrecklich für mich. Tatsächlich habe ich Trembley angerufen, damit er mir hilft, da es mir so zu schaffen machte.“

„Ist er nun da drinnen?“, fragte Jessie. Alan Trembley war der Junior Detective in der Sondereinheit der Mordkommission der Central Station. Trotz seiner jungen Jahre war er ein dynamisches und kompetentes Mitglied des Teams.

„Ja, und er leistet hervorragende Arbeit. Ich werde ihn bitten zu übernehmen, damit ich dich nach Hause bringen kann.“

„Nein“, beharrte sie. „Ich will nicht, dass du etwas Wichtiges verpasst, weil du nicht da warst.“

„Jessie. Wir haben da drinnen alles unter Kontrolle. Wir nutzen bei dieser Untersuchung nicht das MBPD. Die Beamten dort bei Trembley sind aus unserem Revier. Der stellvertretende Gerichtsmediziner und die Tatort-Techniker gehören uns. Captain Decker bestand darauf, unsere eigenen Leute einzusetzen, und der Chief von Manhattan Beach hat keinerlei Widerspruch geleistet. Es werden gerade Fotos gemacht und Videos gedreht. Alles, was getan werden kann, wird getan. Lass mich dich nach Hause bringen. Ich werde veranlassen, dass jemand dein Auto zurückfährt. Glaub mir, du willst da nicht reingehen.“

Jessie blickte über seine Schulter hinweg auf den Strand in der Ferne. Der Nebel begann sich langsam zu verziehen. Zwar konnte sie das Wasser immer noch nicht sehen, allerdings die schemenhaften Figuren einiger Leute, die dort entlang spazierten.

Wer geht um diese Zeit am Strand spazieren?

Sie schüttelte den Kopf, wütend über sich selbst.

Das ist doch jetzt völlig egal. Reiß dich zusammen!

„Okay“, erwiderte sie schließlich. „Aber lass uns zuerst dorthin gehen.“

Ryan schaute in die Richtung, in die sie deutete, und nickte.

„Warte nur einen Augenblick“, sagte er. „Ich will erst noch Trembley Bescheid sagen, was hier los ist.“

„Mach ruhig“, sagte sie geistesabwesend. „Wir sehen uns am Strand.“

Ryan führte sie die Treppe hinunter, dann ging er wieder rauf. Jessie trat aus der Eingangstür, fand ein paar Stufen, die vom Strip hinunter auf einen Fahrradweg führten, und dahinter begann der Strand. Sie zog ihre Schuhe aus und hielt sie mit den Fingern an den Fersen fest. Dann ging sie in Richtung des Wassers.

Obwohl es Frühsommer war, war der Sand um diese Zeit noch ganz kühl. Er bewegte sich unter ihren Füßen und bahnte sich seinen Weg zwischen ihre Zehen. Sie ging langsam, als versuchte sie das Gleichgewicht zu halten, und folgte dabei eher dem Geräusch der Wellen als ihren Augen. Als sie näher kam, sah sie eines dieser alten, blauen Rettungsschwimmer-Häuschen.

Sie ging daran vorbei und merkte, dass der Sand nun härter und komprimierter war. Nach ein paar Schritten spürte sie die klamme Feuchtigkeit unter ihren Füßen, wo die Strömung soeben hinübergeschwappt war. Jetzt konnte sie das Wasser sehen. Welle um Welle krachte übereinander und kreierte eine schaumige Gischt, die gierig leckend nach vorne strömte und sich um ihre Zehen kräuselte. Ein kurzes Stück davor setzte sie sich hin und betrachtete die Wellen.

Nach einer Weile – sie wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war – kam Ryan und setzte sich neben sie. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. Sie lehnte sich seitlich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. Sie dachte, dass die tosenden Wellen vielleicht ihr Weinen verschlucken würden. Aber sie war sich dessen nicht sicher, und es war ihr im Grunde genommen auch egal.


*


Er beobachtete das Geschehen, bis die Sonne aufging.

Anfangs war es schwierig wegen des Nebels, und weil er mehrere Blocks entfernt war. Aber nachdem er im Wandschrank des Hauptschlafzimmers ein Fernglas gefunden hatte, war er auf die Dachterrasse geklettert und beobachtete nun das Geschehen sechs Blocks weiter unten am Strip, wo es passiert war.

All das hatte ihn auf seltsame Weise erregt. Es hatte etwas Befriedigendes an sich zu wissen, dass er die Ursache dieser Symphonie an Sirenen während der vergangenen zwei Nächte war. Allerdings verstand er nicht ganz, warum. In der ersten Nacht hatte es noch einen Sinn ergeben. Aber die Reaktion der Polizei in der vergangenen Nacht schien sogar noch extremer gewesen zu sein als in der Nacht davor. Vielleicht entging ihm da etwas.

Als schließlich die Sonne im Osten über die Hügel stieg, zog er sich in das Haus zurück, dessen er sich momentan bemächtigt hatte. Er wollte eigentlich schlafen, aber das war gar nicht so einfach bei all der Aufregung. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem, was er getan hatte, was er genommen hatte.

Er hatte nie vorgehabt, diese Frau zu töten. Schließlich hatte er sich im Haus der Blooms nur um seinen eigenen Kram hatte kümmern wollen; in dem Haus, das sie im Sommer immer wochenlang leer stehen ließen. Er hatte niemanden gestört.

Aber dann war diese wichtigtuerische Frau von nebenan aufgetaucht, mit ihrem Plastikkörper und ihrem noch künstlicheren Lächeln. Er hatte gedacht, dass sie nach einer Weile wieder gehen würde, aber dann war sie ins Haus eingedrungen und hatte das gleiche Verbrechen begangen wie er. Er hatte gehofft, dass sie einfach wieder verschwinden und ihn zu seinem Leben zurückkehren lassen würde. Aber nein, sie hatte ja neugierig werden und sich selbst eine Führung durchs Haus gönnen müssen. Wenn sie sich das bloß verkniffen hätte, dann wäre sie heute vielleicht noch am Leben.

Aber sobald sie ihn gesehen hatte, hatte er keine Wahl gehabt. Wahrscheinlich hätte sie ihn der Polizei beschrieben, und dann wäre er in einer wirklich brenzligen Lage gewesen. Also hatte er sie aufhalten, sie zum Schweigen bringen müssen. Er hatte es nicht zulassen dürfen, dass sie ihm seinen Lebensstil wegnimmt, selbst wenn er diesen nur zeitweise hatte führen können.

Also hatte er sie erwürgt. Anfangs hatte er einen Adrenalinrausch gehabt, als er sie gegen die Tür gestoßen und ihr anschließend den Strumpf um den Hals gewickelt hatte. Als sie sich dann wirklich mit Händen und Füßen gewehrt hatte, waren ihm kurzzeitig Zweifel gekommen: Vielleicht sollte er sie einfach nur bewusstlos machen und dann irgendwohin, an einen anderen Ort, abhauen.

Aber dann hatte sich wieder die alte Wut in ihm breitgemacht. Warum sollte er denn gehen, nur um es einer weiteren reichen Ziege recht zu machen? Das hatte er in seinem Leben oft genug getan. Und plötzlich hatte er ihren Hals noch fester zugedrückt und sich vorgestellt, dass sie eines dieser Models wäre, die getan hatten, was immer er verlangt hatte, die ihn aber jetzt keines Blickes mehr würdigten. Er hatte zugesehen, wie der Strumpf in ihr Fleisch eingedrungen war und ihr die Luftzufuhr abgeschnitten hatte, und er hatte eine beinahe orgasmische Erregung gespürt, als ihm klar geworden war, dass ihr Leben wortwörtlich in seinen Händen lag.

Die Perfekte Nachbarin

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