Читать книгу Die Perfekte Nachbarin - Блейк Пирс - Страница 8
KAPITEL FÜNF
ОглавлениеJessie kaute nervös an ihrem Muffin herum.
Während sie im Nickel Diner in der South Main Street auf Garland Moses wartete, hatte sie das seltsame Gefühl, dass sie jemand hinterging. Normalerweise arbeiteten sie und Ryan zusammen. Aber Ryan hatte letzte Nacht mit Garland in einem Fall in Manhattan Beach ermittelt. War ihre Zusammenarbeit in irgendeiner Weise ein persönlicher Angriff? Oder dieses gemeinsame Frühstück? Sie wusste, dass es im Grunde genommen ein lächerlicher Gedanke war. Dennoch ließ das Gefühl nicht nach.
Garland kam schließlich um 8.30 Uhr herein geschlurft, eine geschlagene halbe Stunde später als vereinbart. Seine weißen Haare sahen noch wilder und unordentlicher aus als sonst. Seine Brille schien ihm jeden Moment von der Nasenspitze rutschen zu wollen. Er sah noch nicht einmal auf, als er sich seinen Weg zu dem Tisch bahnte, den er, wie Jessie wusste, bevorzugte.
Sie nahm mit der Kellnerin Blickkontakt auf und bedeutete ihr, Garland einen Kaffee zu bringen, da er ziemlich fertig aussah. Wenn sie so lange aufgeblieben wäre, wäre auch sie müde, und sie war 30, keine 71.
„Lange Nacht?“, fragte sie, als er sich setzte.
Er lächelte reumütig.
„Ich bin zu spät ins Bett gegangen“, gestand er. „Bestimmt kann Ihnen das Ihr Freund bestätigen. Ich könnte jetzt wirklich einen Kaff…“
Er hielt inne, als eine Tasse vor ihn gestellt und aufgefüllt wurde.
„Sie haben meine Gedanken gelesen“, sagte er zur Kellnerin, die auf Jessie deutete.
„Nein, sie hat es.“
„Das nenne ich mal Profiling“, sagte er und nahm vorsichtig einen Schluck.
„Das ist kein Profiling, Garland. Zu wissen, dass Sie einen Kaffee möchten, wenn Sie hier reinkommen, ist, als wüsste man, dass die Sonne im Osten aufgeht.“
„Trotzdem vielen Dank“, erwiderte er.
„Wie ist es letzte Nacht gelaufen?“, fragte sie.
„Hat Ihnen Hernandez nichts erzählt?“
„Er ist gegangen, als ich gerade aufstehen wollte. Hat mich nicht wecken wollen. Sagt mir immer, ich solle mich ausruhen und so.“
„Vielleicht sollten Sie auf ihn hören“, bemerkte Garland fürsorglich. „Schließlich müssen Sie mit mehrfachen Verbrennungen, einem Schädel-Hirn-Trauma und einem angeknacksten Ego zurechtkommen.“
„Versuchen Sie etwa witzig zu sein, Garland?“, fragte sie. „Wenn ja, dann sollten Sie lieber bei Ihrem eigentlichen Job bleiben, den Sie nun offenbar auch nachts ausführen müssen.“
„Versuchen Sie nicht, das Thema zu wechseln“, konterte Garland. „Ich weiß, dass Sie eher zur Arbeit zurückkehren wollen, als es die Ärzte raten, und das sollten Sie nicht tun. Warten Sie, bis Ihr Körper soweit ist.“
„Woher wollen Sie wissen, dass ich früher zurückkehren will?“, fragte sie herausfordernd.
„Ganz einfach“, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln. „Jedes Mal, wenn Sie sich drehen oder nach vorne beugen, zucken Sie unfreiwillig zusammen, was mich darauf schließen lässt, dass Sie die Dosis Ihrer Schmerzmittel gesenkt haben. Außerdem lehnen Sie sich nach vorne wie ein Schulmädchen, das sich davor fürchtet, von der Nonne einen Klaps auf die Hand zu bekommen, wenn es an seinem Tisch lümmelt.“
„Was hat das denn damit zu tun?“
„Sie haben Angst, dass Ihr Rücken die Lehne des Stuhls berührt, denn er ist noch immer empfindlich. Also sitzen Sie so steif da wie die folgsamste Klosterschülerin, die mir je untergekommen ist.“
Sie schüttelte den Kopf, sowohl aus Verärgerung als auch vor Bewunderung.
„Schon mal nachgedacht, Profiler zu werden?“
„Mit Schmeicheleien werden Sie weit kommen“, sagte er und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. „Aber ich meine es ernst. Sie sollten sich schonen. Außerdem, wenn Sie sich etwas aus der Öffentlichkeit raus halten, dann geraten diese rassistischen Posts bald in Vergessenheit.“
„Die Posts, die ich nicht geschrieben habe?“, erinnerte Jessie ihn.
„Darum geht es mittlerweile gar nicht mehr“, erwiderte er resigniert. „Egal, wie viele Beweise Sie erbringen, dass man Ihre Konten gehackt hat, manche Leute werden Sie immer noch für eine schreckliche Person halten wollen.“
„Sie finden also, ich sollte mich bedeckt halten, bis die Leute vergessen, dass sie der Meinung sind, ich sei ein Rassist?“, fragte Jessie misstrauisch.
Garland seufzte, wollte den Köder aber nicht schlucken.
„Vielleicht sollten Sie tun, was Ihre Freundin Kat tut“, schlug er vor.
Jessies Freundin, die Privatdetektivin Katherine „Kat“ Gentry, ließ gerade eine komplette neurologische Untersuchung an der Mayo Klinik in Phoenix über sich ergehen. Sie war während der Rettung der entführten Frau aus dem brennenden Haus dabei gewesen. Kat und Jessie hatten beide Gehirnerschütterungen erlitten, als eine Bombe am Tatort explodiert war.
Für Kat, die als Army Ranger in Afghanistan gedient hatte und stolz darauf war, ihre Narben, sowohl die äußeren als auch die inneren, zu ignorieren, war dies mindestens ihre sechste Untersuchung. Sie hatte schließlich eingewilligt, sich durchchecken zu lassen, als die Kopfschmerzen und das Klingeln in den Ohren nach zwei Wochen immer noch nicht abgeklungen waren. Sie würde noch fünf Tage in Arizona sein, bevor sie an diesem Wochenende zurückkehrte.
„Kat ist eine Militärveteranin, die sich mit PTBS, IED-Verletzungen und möglicherweise CTE herumschlägt“, sagte Jessie zu ihm. „Ich bin bloß eine Frau mit ein paar Verbrennungen.“
Garland setzte ein gütiges Lächeln auf.
„Das war eine ziemliche Buchstabensuppe, Jessie. Und auch wenn es stimmt, dass Ihre Freundin mit sehr ernsten Problemen zu kämpfen hat, das tun Sie auch. Sie hatten bereits mehrere Gehirnerschütterungen. Und Sie haben mehr Narben, sowohl physische als auch emotionale, als die meisten Soldaten. Wie viele von ihnen wurden von ihrem leiblichen Vater gefoltert, nachdem sie mit eigenen Augen erlebt haben, wie er ihre Mutter ermordet hat?“
„Wahrscheinlich einige“, erwiderte Jessie patzig.
„Und wie viele von ihnen mussten es mit demselben Vater in einem Kampf auf Leben und Tod aufnehmen? Und später seinen Protegé – ebenfalls ein Serienkiller – töten? Und sich mit ihrem soziopathischen Mörder von einem Ex-Mann anlegen? Und …“
„Ich hab’s kapiert, Garland“, unterbrach Jessie ihn.
Eine Weile saß er schweigend da.
„Ich will einfach nur sagen, dass Sie auf sich achtgeben müssen. Wenn schon nicht zu Ihrem eigenen Wohl, dann zumindest für Ihre jüngere Schwester und den schneidigen Detective, den Sie lieben. Diesen Beziehungen wird es nicht guttun, wenn Sie sich selbst nicht schonen. Geben Sie auf sich acht, und dann können Sie auch auf sie achtgeben.“
Sie nickte und biss ein Stückchen von dem Muffin ab, der sie aber nicht mehr sonderlich interessierte.
„Mir ist aufgefallen, dass auch Sie das Thema gewechselt haben“, bemerkte sie.
„Was?“
„Der Fall? Haben Sie ihn gelöst?“
„Kann jeden Moment soweit sein“, erwiderte er trocken.
„Wollen Sie mir überhaupt irgendwas von diesem Fall erzählen?“, fragte sie leicht entnervt.
„Tote Frau im Haus der Nachbarn gefunden“, erwiderte er gelassen. „Wir können den Ehemann ausschließen, was mich sehr enttäuscht, denn er ist ein wirklich unangenehmer Zeitgenosse. Gerne hätte ich ihm das angehängt. Aber zumindest bedeutet das, dass ich mich nicht mehr mit ihm abgeben muss. Er ist so charmant wie ein Krebsgeschwür.“
„Was noch?“, fragte sie.
Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an, als ob er sie etwas fragen wollte, aber nicht so recht wusste, wie er es zur Sprache bringen sollte.
„Würden Sie sich als modebewussten Menschen bezeichnen?“, fragte er schließlich.
Damit hätte Jessie nun wirklich nicht gerechnet.
„Ich weiß mich zu kleiden“, erwiderte sie. „Aber habe ich ein Abo der Vogue? Nein. Warum?“
Er wollte weitersprechen, hielt dann aber inne und nahm stattdessen einen weiteren Schluck von seinem Kaffee.
„Das war’s?“, wollte sie wissen. „Wollen Sie das nicht näher erklären?“
„Lieber nicht“, erwiderte er. „Ich habe schon zu viel gesagt. Wenn ich noch mehr rausrücke, wäre das nur wie der erste Chips aus der Tüte, und Sie wollen nur noch mehr. Sie sollen sich erholen, und ich will das nicht sabotieren. Wenn Sie wirklich mehr Einzelheiten wissen wollen, hauen Sie Hernandez an.“
„Oh Mann“, erwiderte Jessie. „Das war der einzige Grund, warum ich Sie um ein Treffen gebeten hatte.“
„Und ich dachte, sie genießen meine Gesellschaft. Ich bin tief getroffen.“ Er klang beleidigt, aber sie sah, wie sich seine Mundwinkel langsam zu einem Lächeln hoben.
„Sie sind ein sehr unangenehmer Mann“, sagte sie. „Das wissen Sie doch, oder?“
Er nahm erneut einen Schluck und erlaubte sich diesmal ein richtiges Lächeln.
„Möchten Sie auch über etwas mit mir sprechen, das nichts mit dem Fall zu tun hat?“, fragte er. „Ich habe das Gefühl, Sie halten etwas zurück.“
„Was soll ich zurückhalten?“, erwiderte sie, etwas gereizter als beabsichtigt.
„Wir haben schon länger nicht mehr über Hannah gesprochen. Wie geht es ihr?“
Jessie atmete schwer aus.
„Manchmal zuckersüß. Manchmal launisch. Manchmal urkomisch. Manchmal zickig. Manchmal still. Einfach der ganz normale Albtraum.“
„Aber keine Morde, oder?“, fragte Garland.
„Was?“
„Die Halbschwester, von der Sie befürchten, sie könnte eine angehende, soziopathische Serienmörderin in der Ausbildung sein – sie hat noch niemanden ermordet?“
„Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Jessie.
„Dann ist launisch im Vergleich dazu gar nicht so übel“, bemerkte er.
Sie zuckte zustimmend die Achseln.
„Nicht, wenn Sie es so ausdrücken.“
„Dann können Sie wohl von Glück reden“, sagte er sanft. „In Anbetracht des Lebens, das Sie führen, könnte es viel schlimmer sein.“
Jessie konnte das nicht abstreiten. Sie war gerade dabei, ihn nach seiner Meinung bezüglich einer anderen Angelegenheit zu fragen, als ihr Telefon klingelte. Sie sah nach unten auf ihr Handy. Es war ihr guter Freund, der FBI-Agent Jack Dolan, dessen Leute ihren Ex-Mann Kyle beobachteten.
„Da muss ich rangehen“, sagte sie.
„Das ist okay“, erwiderte Garland und legte einen 5-Dollar-Schein auf den Tisch. „Ich sollte jetzt sowieso ins Büro. Ihr Freund vermisst mich wahrscheinlich.“
„Soll ich Sie mitnehmen?“
„Nö. Sie haben Ihren Anruf. Außerdem wissen Sie doch, dass ich gerne zu Fuß gehe.“
„Okay“, sagte sie, als sie ans Telefon ging. „Hi, Dolan.“
„Hey, Jessie“, raunte Garland mit leiser Stimme, als er aufstand.
„Warte eine Sekunde, Dolan“, sagte sie ins Telefon, dann sah sie zu dem kauzigen Kerl vor ihr auf. „Ja, Garland?“
„Denken Sie daran, Sie allein haben die Kontrolle über Ihr Leben. Nicht Decker, nicht Hannah, nicht Hernandez und vor allem kein Serienkiller. Manchmal ist es schwer, das zu erkennen. Aber Sie haben immer eine Wahl.“
„Danke, Konfuzius“, sagte sie und zwinkerte ihm zu. „Wir reden später, okay. Ich muss jetzt telefonieren. Es geht um Kyle.“
Garland lächelte, verbeugte sich leicht und verließ das Lokal. Sein störrisches weißes Haar verlor sich in der Ferne zwischen den eilig vorbeiziehenden Menschen, und er mischte sich gemächlich unter sie.
„Ich bin wieder dran“, sagte Jessie. „Was gibt’s, Jack?“
„Nichts Gutes – es geht um deinen Ex-Mann.“