Читать книгу Der Fall des Staatsministers - Bo Balderson - Страница 5

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Ich habe in einer früheren Arbeit1 erwähnt, daß der Staatsminister nach seiner unerwarteten Beförderung gezwungen wurde, seine von den Vätern ererbte Villa in Djursholm zu verlassen und sich in Spånga niederzulassen, einem Vorort Stockholms, der nach Meinung der Parteiführung als proletarisch einzustufen sei. »Ein sozialdemokratischer Staatsminister kann nicht in Djursholm wohnen, wo die Briefkästen vom Svenska Dagbladet und Wochenjournalen trächtig dastehen«, wie der Staatspräsident die Sache bei einem vertraulichen Gespräch mit Erlander formulierte. Er empfahl statt dessen Spånga, bereits die Heimat zahlreicher Koryphäen der Parteiführung.

Nach einer Woche des Suchens hatte der Staatsminister sein neues Domizil in Spånga gefunden, ein Eigenheim älteren Datums, wie man es zuweilen als »geräumige, charmante Villa mit Parkgrundstück, geeignet zur Nutzung als Krankenhaus oder dergl.« annonciert sieht (doch das wahrheitsgemäß vielmehr als »scheunenartiges Gebäude, nur geeignet als Übungsobjekt für die Feuerwehr, mit großem, verwildertem Garten« beschrieben werden müßte). Umgeben von der gesamten Kinderschar, schloß der Staatsminister das Geschäft schnell ab – er wickelt Geschäfte stets schnell ab. Der Verkäufer – ein älterer Mann, gebrochen unter der Last seines Hauses und bis auf die Knochen besteuert – titulierte den Staatsminister als »Inspektor« und vergoß Freudentränen, als die Dokumente unterschrieben vor ihm lagen. »Nie hätte ich gedacht, daß das Amt für Kinder- und Jugendpflege so gut bezahlen würde!« war seine Entgegnung vor der Abfahrt in ein freundlicheres Klima.

Nachdem eine Armee von Handwerkern die sechsundzwanzig Zimmer wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt hatte, zog der Staatsminister mit seinem Hausstand ein (und erklärte in einem allseits beachteten Interview: »Es hat mich eine Million gekostet, aber was soll man machen bei der derzeitigen Lage auf dem Wohnungsmarkt?«). In der unteren Etage waren zwei Räume von den übrigen Wohnlichkeiten abgetrennt, schallisoliert und als Arbeitszimmer eingerichtet worden. Für einen Mann mit familiären Verhältnissen wie denen des Staatsministers ist schließlich ein solches Arrangement eine ganz natürliche Sache und im übrigen notwendig mit Blick darauf, daß er, wie kürzlich gesehen, mitunter Hausverbot an seinem ordentlichen Arbeitsplatz hat. (Diese doppelte Akkreditierung hat sogar übrigens entscheidende Vorteile. Sucht man ihn vergeblich in der Staatskanzlei, wird er auf dem Posten in Spånga vermutet und umgekehrt. Ist er an keinem der beiden Orte anzutreffen – was meines Wissens nach oft der Fall sein muß –, wähnt man ihn auf dem Weg zwischen beiden Stellen. Das Ganze beschert einem Mann mit kräftigem Appetit auf das Leben reichlich Gelegenheit zur Abweichung vom eingefahrenen Arbeitsschema, ohne deshalb gleich allzuviel Anstoß zu erregen – wer kennt denn nicht die Verkehrsverhältnisse in Stockholm? Die engsten Mitarbeiter des Staatsministers müssen selbstverständlich ständig bereit sein, ihrem Herrn zu folgen und die Arbeit in diese verborgenen Räumlichkeiten der Villa zu verlegen. Wenn Großes geschieht, dann geschieht es meistens in Spånga.)

Kaum waren wir an diesem Donnerstag nachmittag dort draußen angekommen – die Karosse hatte sich gerade des Justizchefs und der Kinder entledigt –, kam eine Person, die meiner Annahme nach ein geschulter Mitarbeiter sein mußte, am anderen Ende des Gartenweges auf uns zu. Um einen Spielkameraden der Kinder konnte es sich keinesfalls handeln, das erkannte ich, dann hätte die Frau Staatsminister eingegriffen.

Diese Person war nämlich eine völlig furchterregende Erscheinung. Vielleicht nicht besonders hochgewachsen, jedoch breit wie ein Scheunentor und mit einem Kopf, der ohne die übliche Verbindung durch Hals und Nacken direkt auf dem Rumpf montiert zu sein schien. Das Gesicht war in Wut erbleicht unter einem Haarschopf, so kurzgeschnitten und grellgelb, daß er an Borsten einer unglücklich gefärbten Fußmatte denken ließ.

»Diese widerliche, kleine Ratte!« schrie er. »Ich drehe ihm den Hals um!«

Der Staatsminister verlangte keine näheren Erklärungen, sondern stellte den Höhlenmenschen als David Dååbh vor, Ministerialrat im Finanzministerium, und ging leidenschaftlich und neben der Jüngsten dazu über, die zu Hause zurückgebliebenen Mitglieder seiner Nachkommenschaft abzuküssen, zu umarmen und einen Klaps zu geben.

»Dieser verfluchte Idiot«, variierte Ministerialrat Dååbh seinen Ausruf und drang durch ein Beet vor zu einem Baum, den er mit Fußtritten bearbeitete. Justizchef Rydlander folgte ihm unter beruhigenden Worten.

»Er scheint aufgeregt«, flüsterte ich.

»Da müßtest du ihn erst mal sehen, wenn er bei der Haushaltsberatung in Fahrt kommt«, antwortete der Staatsminister. »Einer der brutalsten Typen vom Finanzminister. Experte in der Ausarbeitung von Steuertabellen und im Herunterschrauben der Finanzansprüche des Ministeriums. »Der Gorilla» nennt man ihn unter Eingeweihten. Von den Finanzen ausgeliehen, um eine von unseren Regierungsvorlagen zu überprüfen.«

Diese Erklärungen dämpften meine Verwunderung ein wenig. In finsteren Augenblicken hatte ich mir durchaus ausgemalt, der Mann hinter meiner Steuertabelle sähe aus und benehme sich genauso wie dieser Ministerialrat.

Der Staatsminister bahnte sich den Weg zu dem traktierten Baum, löste Justizchef Rydlander als Seelentröster ab und schlug dem Steuermenschen vor, eine kleine Runde mit der Staatskarosse zu drehen und den Wagen dann an der Tankstelle zwecks einer dringend notwendigen Reinigung der Rücksitze abzugeben: erst geradeaus und dann nach rechts auf die Hauptstraße nach Stockholm abbiegen. Und Ministerialrat Dååbh empfand ein großes Bedürfnis nach Luftveränderung, denn er grunzte Beifall, nahm die Schlüssel in Empfang und trampelte durch die Rosen auf Pforte und Auto zu.

»Lassen Sie sich reichlich Zeit!« rief der Staatsminister ihm nach, und damit gingen wir zu dem Haus, das für die nächste Zeit meine Heimstatt werden sollte. Der Weg durch den Garten gabelte sich bald, und wir folgten den Platten geradeaus, die zum Bürotrakt führten. Eine große, lackierte Außentreppe und eine massive Eichentür und wir standen in dem vorderen Arbeitszimmer, in dem eigenen des Staatsministers.

Das Zimmer war geräumig, und da der Staatsminister es mit Erbstücken aus dunkler Eiche möbliert hatte, wirkte es wie ein värmländisches Werkkontor aus der Jahrhundertwende: ein abgenutzter Schreibtisch mit Rolladen (die Abnutzung dürfte auf frühere, gutbürgerlich gebildete Generationen des Geschlechts zurückzuführen sein), ein Sofa im Karl-Johan-Stil, dem schwedischen Empirestil (mit bedeutend frischeren Gebrauchsspuren), einem Paar gewaltiger, geschnitzter Schränke und einer großzügigen Anzahl von Stühlen. Der altmodische, vorsozialdemokratische Charakter wurde allein von der Auslegeware gebrochen.

Der Schreibtisch machte den Eindruck, als hätte eine irregeleitete Putzfrau etliche Papierkörbe darüber ausgeschüttet, woraus ein geschulter Beobachter die Folgerung ziehen konnte, der Staatsminister hätte dort im Lauf des Vormittags gearbeitet. Justizchef Rydlander spürte offenbar ein gesteigertes Bedürfnis nach Ordnung in sich aufkommen, denn er stürzte hin und machte sich daran, die Unterlagen zu Stapeln aufzuschichten.

»Wo hast du Ratten?« fragte ich.

»Ratten?« entgegnete der Staatsminister und riß ein Fenster auf, woraufhin ein gewaltiger Luftzug alles auf dem Schreibtisch in den alten Zustand zurückversetzte.

»Ministerialrat Dååbh hat da draußen etwas von einer schmutzigen, kleinen Ratte erzählt, der er den Hals umdrehen will.«

»Oh, er meint bestimmt Svante Svanberg. Meinen Staatssekretär, weißt du. Sie kriegen sich manchmal in die Wolle. Hast du ihn noch nicht kennengelernt? Ein kleiner, rattenartiger ... ähäm. Er ist bestimmt dort im Zimmer der Mitarbeiter. Ist dabei, letzte Hand an unsere Regierungsvorlage über radikal erweiterten Rechtsbeistand für Minderbemittelte zu legen. Komm mit, dann kannst du ihm ›Guten Tag‹ sagen!«

Und schon rauschte er über die Auslegeware hinweg und riß die Tür zu dem hinteren Arbeitszimmer auf.

Er klopfte nicht an.

Dennoch mußte er besser als alle anderen wissen, zu welchen Unfällen eine solche Unterlassung führen kann. Er selbst wurde schließlich so zum Staatsminister.

Ehe mir interessantere Dinge zu betrachten geboten wurden, konnte ich noch gewahr werden, daß das Arbeitszimmer der Mitarbeiter ungefähr in dem gleichen Stil eingerichtet war wie das des Staatsministers, jedoch mit vier Schreibtischen samt eines Kanapees ausgestattet.

Auf diesem Kanapee – effektvoll im Fond des Raumes plaziert – lag halb, saß halb der gesuchte Staatsekretär, der engste Mitarbeiter des Staatsministers im Ministerium. Ich kannte ihn aus den Zeitungen. Er hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Ratte. Ich persönlich würde allerdings behaupten, wenn man denn unbedingt Vergleichsobjekte aus der Tierwelt heranziehen mußte, er ähnele am ehesten einem Vogel. Die kurze, schmächtige Gestalt, die schwarzen, lebhaften Augen, der magere Hals, das Büschel, das vom Schädel abstand – all das ließ an einen empfindlichen und schnellen Vogel denken, der mit einem gut entwickeltem Intellekt ausgestattet war.

Es ist immer wieder ein Erlebnis für einen Studienrat der Gemeinschaftskunde, einem Staatssekretär begegnen zu dürfen – sei er vogelartig oder nicht –, doch das Interessanteste an dem hohen Beamten war zumindest in dieser Situation, daß er auf seinem Kanapee nicht allein ruhte. Hinter ihm auf dem schräggestreiften Überwurf und zum Teil verborgen durch selbigen lag eine junge Dame. Ich erhebe nicht den Anspruch, die Arbeitsformen in der schwedischen Verwaltung in allen Details zu kennen, möchte dennoch die Behauptung wagen, daß keine Person in dem Raum während der vergangenen Minuten damit beschäftigt gewesen war, letzte Hand an ihrer Königlichen Majestät Regierungsvorlage über radikal erweiterten Rechtsbeistand für Minderbemittelte zu legen.

»Ähäm«, sagte der Staatsminister. »Ich wußte nicht ...«

Staatssekretär Svanberg hatte begonnen sich zu befreien, ohne besondere Eile an den Tag zu legen. Er schien mehr amüsiert als verlegen.

»Hallo«, sagte er, nachdem er sich in aufrecht sitzende Stellung gebracht hatte. »Schrecklich, wie schnell Sie zurück sind! Hoffe, Sie entschuldigen, daß ich mich auf Ihrem schönen Kanapee ein wenig entspannt habe. Und wer sind Sie?« fuhr er mir zugewandt fort, frei und volksnah.

»Studienrat Persson«, antwortete ich mit Betonung auf den Titel. Die Schwierigkeit unserer Tage besteht nicht darin, mit führenden Politikern bekannt zu werden. Das Problem ist, es zu vermeiden.

Der Staatsminister hüstelte und vollführte eine unbestimmbare Geste zum Kanapee hin.

»Darf ich Staatssekretär Svanberg vorstellen. Und die Dame unter Staatssekretär ... ähäm, die Dame, die ... ähäm ... die Dame ist seine Assistentin, Frau Anita Johansson.«

Die beiden hatten sich mittlerweile vollends voneinander gelöst, und ich konnte Frau Johansson in Gänze betrachten. Sie war es wohl wert, in voller Größe studiert zu werden. Das flammend rote, wenn auch leicht zerknitterte Kleid umschloß einen äußerst gut geformten Körper kleineren Formats, das Haar, eine Ponyfrisur und grellrot, umrahmte ein sonnengebräuntes und stupsnasiges Gesicht, in dem die Augen eine funkelnde Hauptrolle spielten.

Ohne ein Wort strich sie das Kleid glatt, verpaßte ihrem Partner eine schallende Ohrfeige und stöckelte auf bestimmten und laut klappernden Absätzen aus dem Raum.

Seltsamerweise dachte ich in dem Augenblick nur, daß es ein verdammter Geiz des Staatsministers war, nicht auch den Fußboden im Arbeitszimmer der Mitarbeiter mit Teppich auszulegen.

Staatssekretär Svanberg rieb sich die Wange.

Da gab es allerdings nicht allzuviel Wange zu reiben. Dafür, daß er einigermaßen jung an Jahren war, bestimmt nicht mehr als fünfundvierzig, sah er ungewöhnlich abgezehrt und hohlwangig aus. Die Gesichtshaut spannte sich um Knorpel und Knochen wie der Handschuh um die Hand eines Chirurgen. Diesen Kopf in einen Totenschädel zu verwandeln würde der Natur nicht viel Mühe abverlangen, dachte ich bei mir, und nur den Nahestehendsten würde ein Unterschied auffallen.

»Oh, sie hat aber mächtig zugelangt!« murmelte er. »Und das mir, der ich ein wenig die trübe Stimmung vertreiben wollte. Aber so ist das eben mit diesen perfekten Sekretärinnen: gute Arbeitsmoral, alles zu seiner Zeit. Und jeder Mensch kann überreizt reagieren, wenn Sie einfach so hereinplatzen. Sieht man’s? Sie haben für uns doch bestimmt keinen Spiegel, oder? Aber Anita hat bestimmt irgendwo einen ...«

Er holte aus einem der Schreibtische eine Handtasche hervor und begann darin zu wühlen. Schließlich fand er, wonach er suchte, und begutachtete kritisch sein Gesicht.

»Wird wohl eine ordentliche Beule geben ... apropos gewalttätige Menschen, jemand sollte sich um Dååbh kümmern. Eine einfache Hirnoperation würde bestimmt ausreichen. In der gegenwärtigen Verfassung ist er doch lebensgefährlich, in den nächsten Tagen erwürgt er jemanden. Ich habe ihn eben gewiß etwas provoziert, wollte mit Anita allein sein, um mich auf einen komplizierten Passus konzentrieren zu können ... ähm ja. Sagte nur etwas davon, daß ich Aktien hätte und setzte einen kleinen Scherz über die Bewegung obendrauf. Und statt zu grunzen und abzuziehen, wie er es sonst immer tut, ging er direkt auf mich los. Und dann stand er da, hat die Hände ausgebreitet und gerungen. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie unnatürlich lang seine Arme sind? Muß in seiner Kindheit in der Bewegung viel Wasser getragen haben ...«

Der kleine Staatssekretär strich sich über das schwarze, nach hinten gekämmte Haar und drückte mit der Handinnenfläche ein Büschel nach hinten, bestimmt mehr aus Gewohnheit denn in der Hoffnung auf Erfolg.

»Und wie läuft es mit der Pädagogik, Herr Studienrat Nilsson?« fuhr er in seinem Monolog fort. »Man sagt doch, ein guter Lehrer wird nicht älter als 50 Jahre. Aber Sie sehen mir so aus, als hätten Sie das kritische Alter überschritten ...«

An dieser Stelle steckte Justizchef Rydlander den Kopf zur Tür herein – nach dem Anklopfen – und teilte dem Staatsminister mit, daß der Ministerpräsident am Telefon sei, und ich ergriff die willkommene Gelegenheit, um Raum und Staatssekretär zu verlassen.

Der Fall des Staatsministers

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