Читать книгу Der Fall des Staatsministers - Bo Balderson - Страница 6
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Оглавление»Es geht mich zwar nichts an«, sagte ich zum Staatsminister, als wir kurz darauf in dem großzügig angelegten Garten flanierten, »aber die Wahl deiner Mitarbeiter kommt mir ein wenig seltsam vor. Ein Gorilla als Ministerialrat, eine Ratte, alternativ ein Vogel, als Staatssekretär, ein Schuppentier als Justizchef ...«
»Halt, stop!« entgegnete der Staatsminister. »Sowohl Staatsminister Svanberg als auch Justizchef Rydlander saßen schon auf ihren Posten, als ich zum Justizminister ernannt wurde. Und für Ministerialrat Dååbh bin ich nicht verantwortlich, er gehört schließlich zum Finanzministerium. Er ist nur zufällig hier. Im übrigen gibt es an den anderen beiden nicht viel auszusetzen. Rydlander ist ein außergewöhnlicher Jurist und Administrator, und Svanberg besitzt einen messerscharfen Verstand. Man darf sich einfach nicht allzusehr an seinem Zynismus und dem allgemeinen Geplapper stören. Uns im Justizministerium, die daran gewöhnt sind, fällt es kaum noch auf. Aber du hast ja gesehen, wie Dååbh es aufgenommen hat. Nein,« fuhr der Staatsminister fort und kickte einen von den Kindern liegengelassenen Fußball aus dem Weg, »Rydlander und Svanberg sind schon jeder für sich in Ordnung. Ein echtes Problem ist, daß die beiden nicht so gut Zusammenarbeiten. Svanberg delegiert unaufhörlich eine Menge langweiliger Vorgänge an Rydlander, der freundlich und geduldig ist und im stillen leidet. Ich muß Svanberg auf die eine oder andere Weise loswerden. Entweder wird er Regierungspräsident oder aber ...«
Ich bekam das alternative Schicksal des Staatssekretärs nie zu hören, denn noch ehe der Staatsminister mit seiner Rede geendet hatte, stand er im Gebüsch und bohrte seinen Kopf wie ein Neuntöter hinein.
»Verflucht!« zischte er zwischen den Ästen. »Kommt er jetzt etwa hierher? In vollem Ornat und allem Drum und Dran. Dååbh wird ihn auf der Stelle umbringen!«
Etwas an der Wahl seiner Worte, wahrscheinlich der Ausdruck »Ornat«, verleitete mich dazu, ihm ins Buschwerk zu folgen. Mir fiel ein, daß der Bischof höchstpersönlich, in voller Amtstracht und mit Krummstab, auf dem Weg war, um einen unerwarteten Familienzuwachs zu taufen. Wenn ein Bischof von einem Ministerialrat angefallen und womöglich sogar erwürgt wird, so ist das ein Ereignis, das eine Person mit allgemeinem Interesse an Geschichte nicht versäumen durfte.
Was ich zwischen den Tannennadeln erblickte, war für mich eine Erleichterung und Enttäuschung zugleich.
Ein langes, weißes Auto hatte auf dem Asphalt vor der Gartenpforte des Staatsministers Halt gemacht.
Daneben stand schon der livrierte Chauffeur und machte seine Honneurs, während ein Herr in gutgeschneidertem, blaugrauem Anzug und dazu passendem Brillengestell dem Rücksitz entstieg.
»Danke«, sagte er beiläufig. »Bengtsson, Sie können den Wagen nach Djursholm fahren. Ich nehme ein Taxi.«
»Aber ist das nicht der Bergbauchef Karl Karling?« flüsterte ich meinem Schwager in der Hecke zu.
»Klar. Weiß der Teufel, warum er herkommt. Aber beim letzten Mal war es wohl wegen eines Bergwerkes. Dååbh kann ihn nicht ausstehen. Er kann Unternehmer im allgemeinen nicht ausstehen und diesen hier am allerwenigsten nach seinen Äußerungen über die Steuerlast. Glaub mir, er wird ihn erwürgen. Du kümmerst dich um ihn, während ich Dååbh vorbereite.«
»Und was ist mit dir? Daß er dich nicht erwürgt, der du einen ganzen Konzern besitzt?«
»Mein lieber Freund! Ein Ministerialrat kann wahrscheinlich einen Staatssekretär erwürgen. Aber ganz bestimmt keinen Staatsminister. Die Parteidisziplin ist in diesem Punkt sehr strikt. Unterhalte dich mit ihm über Bergwerke, er liebt Bergwerke. Vergiß aber nicht, ihn mit ›Konsul‹ anzusprechen. ›Direktor‹ beleidigt sein Ohr auf so aufsteigerhaft grobe und vulgäre Weise. Er vertritt wohl San Salvador. Und versuch, jung und effektiv auszusehen. Er will junge und effektive Menschen um sich haben. Jetzt verdufte ich!«
Mit einem aufmunternden Zischen verschwand der Staatsminister in Richtung Arbeitszimmer.
Ich trat auf den Gartenweg und konzentrierte mich intensiv darauf, wenn schon nicht jung, so doch zumindest energisch auszusehen.
Konsul Karling selbst gab zweifellos einen imposanten Anblick ab. Groß, schlank, breitschultrig – einer von diesen jugendlichen, sehnigen Unternehmenschefs, die morgens Squash spielen, einen Arbeitstag von fünfzehn Stunden absolvieren und sich abends dem Tennis und nachts der modernen Belletristik widmen. Das Gesicht erinnerte an die Pforte hinter ihm – kräftige, geometrische Muster in Eisen gegossen. Einziges Anzeichen von Schwäche an diesem Mann war die Brille. Aber diese hatte männliche Bügel und war viril rechteckig.
Er beäugte mich kritisch. Die Musterung fiel nicht zu seiner Zufriedenheit aus, das war unschwer zu erkennen. »Ineffektiver, überalterter Buchhaltertyp, geeignetes Rationalisierungsobjekt bei eventueller Fusion«, so in etwa lautete sein stummes Urteil.
»Ich bin Konsul Karling«, sagte er, und ich beneidete ihn um sein Vermögen, auch einer Auskunft den Tonfall eines Befehls zu verleihen.
»Persson«, antwortete ich.
»Ich suche den Staatsminister.«
»Er läßt Ihnen Grüße ausrichten und sagen, daß er im Augenblick mit einem seiner Mitarbeiter beschäftigt ist.«
»Sind Sie Angestellter des Ministeriums?«
Obgleich ich mir der Risiken bewußt war, gab ich zu, daß ich Lehrer war, und Konsul Karling teilte sogleich mit, daß der Unterricht an den Schulen des Landes ineffektiv sei. Er skizzierte seine Schule dergestalt, daß man dort Lehrer durch Apparaturen ersetzen und die Schüler zu Menschen heranbilden sollte, die am treffendsten als ausgezeichnet turnende Diplomkaufleute bezeichnet werden konnten. Für schöne Literatur schien es keinen Platz zu geben. Mir war klar, daß ich mich in einem Punkt getäuscht hatte – ganz bestimmt widmete sich Konsul Karling des nächtens nicht der Belletristik.
Bei dem Versuch, Achtung für meine Person und Zeit für die vorbereitende Tätigkeit des Staatsministers zu gewinnen, klärte ich ihn darüber auf, daß ich der Schwager des Hauses sei. Damit hat man unter normalen Umständen seltsamerweise immer auf eine sichere Karte gesetzt. Die Verbindungen zum Staatsminister können noch so entfernt und von noch so zweifelhafter Qualität sein, nie erreichen sie einen Status der Peinlichkeit. Als die Schwägerschaft ausgemolken und der Kontakt hergestellt war, erwog ich, auf die Bergwerke zu sprechen zu kommen.
Konsul Karling wurde gleich sanfter. Er sah mich jetzt beinahe so an, als sei ich eine gutfunktionierende Maschine.
»Ein faszinierender Mann, dieser Staatsminister. Ein Genie möchte ich behaupten. Ja, ich zögere nicht, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Unter anderem bin ich auch aus diesem Grunde hier, um mir Rat in einer komplizierten Frage zu holen. Ich erinnere mich, als die Wirtschaft das letzte Mal den Vorzug hatte, von seiner Erfahrung in ökonomischen Fragen und seinen einzigartigen Kenntnissen zu profitieren, was Aspekte der Bergwerksindustrie betrifft ...«
(Mir ist es ebenfalls in Erinnerung. Es muß zwei Jahre zurückliegen. Die Bergwerksgesellschaft stand vor der schicksalsschwersten Entscheidung ihrer Geschichte: Sollte das Unternehmen das Angebot annehmen, eine der größten Nikkelgruben der Welt zu erwerben oder nicht? Proben wurden entnommen, Experten wurden gehört und Untersuchungen angestellt, doch das Ergebnis fiel nicht eindeutig aus. Ein Kauf konnte sich als Gewinn erweisen, aber auch als Katastrophe. Da es bei dem Geschäft um Hunderte von Millionen ging und auf Gut und Böse Rückwirkungen auf das Wirtschaftsleben des Landes hätte haben können, beschloß die Regierung, die Entscheidung an den Eigner – den Staatsminister – weiterzugeben.
Dieser wurde einberufen und fand sich tatsächlich zu der Zusammenkunft ein, jedoch mit gepeinigter Miene angesichts der gutmütigen Züge der anderen Anwesenden. Er hatte nur eine dunkle Vorstellung, warum er sich dort befand, ahnte aber, daß es ihm bei all den vielen Ziffern und vielleicht sogar Diagrammen langweilig werden würde. Er meinte, verstanden zu haben, daß es bei der ganzen Sache um ein Bergwerk ging, und über Bergwerke wußte er wenig, außer daß es sich dabei um dunkle und ungemütliche Orte handelte. Er ließ auch aus anderen Gründen den Kopf hängen. Seit einigen Wochen quengelten zu Hause die Kinder (und fünfzehn Kinder – die damals gültige Anzahl – quengeln laut hörbar), daß sie einen Hund haben wollten, einen Cockerspanielwelpen mit langen Schlappohren, doch der Staatsminister, der fürchtete, das Tier könnte das Baby beißen, hatte unter zunehmenden Seelenqualen die Entscheidung in der Frage vertagt. Wichtige Probleme lasteten also auch dort auf ihm, wohin er zur Zusammenkunft eintraf, und nachdem ihm klar geworden war, daß ein mehr als einstündiger Vortrag über Bergwerke zu erwarten war, fühlte er die Kräfte schwinden und ersuchte, auf dem Sofa liegend lauschen zu dürfen.
Dort lagerte er dann in einer Stellung, die zwischen leichtem Dämmerzustand und reinstem Schlafe wechselte, und beschäftigte sich mit dem Hunde-Problem, während der Vizedirektor unzählige Ziffernfolgen heranzog und ein schwindelerregender bergbauwirtschaftlicher Aspekt den anderen ablöste. Nachdem eine Stunde und zwanzig Minuten verstrichen waren, beendete der Direktor seinen Vortrag, und der Staatsminister kam zu Bewußtsein, so wie man in einem Augenblick erwacht, da das dauernd wiederkehrende Nachtprogramm verstummt ist. Er taumelte empor, starrte seine atemlos wartende Regierung mit blickleeren Augen an und sagte: »Ich kaufe es! Natürlich kaufe ich es!«
Und dann zog er los und kaufte das Hündchen mit den langen Schlappohren.
Und die Direktoren zogen los und kauften ihr Bergwerk.)
»... lag halbwegs auf dem Sofa«, war Konsul Karling über den Kiesweg hinweg zu vernehmen. »Man hätte glauben können, er schliefe, so still lag er da, aber in seiner reglosen Konzentration sammelte er all die Fakten, die auf ihn einströmten, absorbierte all das gewaltige Material mit seinem klaren, trainierten Gehirn. Er unterbrach den Redner nie mit einer Frage, bat nie um die Wiederholung einer Ziffer. Doch als der Vortrag beendet war und er alle Fakten aufgesogen und verarbeitet hatte, erhob er sich und tat seine Entscheidung kund: ›Ich kaufe es!‹. Kein Zögern, keine Unentschlossenheit, kein Versuch, die Entscheidung aufzuschieben oder sich der Verantwortung zu entziehen. Keine billige Dramatik, bloß die einfachen Worte: ›Ich kaufe es!‹ Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, daß sich das Geschäft als außerordentlich einträglich erwiesen hat: Das Bergwerk wirft jetzt dreimal so viel ab wie unsere Untersuchungskommission für möglich gehalten hat. Vor diesem Manne, Herr Studienrat Persson, sind wir alle kleine Lichter. Ja, ich versichere Ihnen, als er uns damals anschaute mit seinem leicht verschleierten Blick und sein ›Ich kaufe es!‹ sagte, fühlte ich, wie ein einfacher Soldat sich gefühlt haben mußte, als Napoleons Augen auf ihm ruhten ...«
In dem Moment kam zum Glück der Bonaparte der Geschäftswelt und kümmerte sich persönlich um seinen ungebetenen Gast.
Ich ging hinauf aufs Zimmer.
Ich hatte das Briefmarkenalbum ausgepackt.
Die ägyptische Sammlung mußte geordnet werden.
Aber die Unordnung war groß und überwältigend, als habe der Herbst alle gefallenen Blätter der Kastanie gesammelt, eins nach dem anderen ... Und das Bild der Sphinx führte meine Gedanken zu den Beamten, denen ich soeben begegnet war: der Ausdruckslosigkeit von Justizchef Rydlander, der steinharten Brutalität von Ministerialrat Dååbh, der Hohläugigkeit von Staatssekretär Svanberg. Ich erkannte, daß sie zu jenen Männern gehörten, die die schwedische Verwaltung trugen und unsere Geschicke lenkten. Und dann noch der Staatsminister ...
Ich sank auf das Bett nieder und blätterte mit ungewohnter Unlust in Dardels Memoiren. Eine Seite reichte, und die Buchstaben verloren ihre Konturen, verschwammen, verschwanden ...
Ich schlief.
Von den Stimmen wurde ich geweckt.
Ich leistete Widerstand. Doch sie schlugen ein Loch in den Schlaf, ständig neue Löcher, die die Müdigkeit nicht stopfen konnte. Ich war jetzt wach oder so gut wie.
Sie kamen von unten, von draußen, und sie ergaben keinen Sinn und verrieten keine Identität. Doch der Tonfall war erschreckend: hart, erbittert, aggressiv.
Während ich durch das Zimmer zum Fenster ging, verstummten sie.
Ich schaute hinunter in den Garten.
Dort wuchs zwischen Weg und Wand eine Ansammlung von Eiben. Im Kreis gepflanzt, schlossen sie alle Blicke aus.
Nur diejenigen, die hoch plaziert standen, hätten den kleinen Mann erspähen können, der im Rondell aus dichtgewachsenen, geschnittenen Bäumen kniete.
Er rieb sich die Wange.
Zu früherer Stunde an diesem Nachmittag war ich Zeuge geworden, wie Staatssekretär Svanberg im Arbeitszimmer von seiner Assistentin Frau Johansson geohrfeigt wurde.
Jetzt hatte ihm offenbar jemand eine Neuauflage beschert.
Auf der Toilette saß ein Kind und legte bei offener Tür ein Puzzle und rief: »Hallo, Onkel, haste was zu naschen?« Und auf der Treppe wäre ich beinahe über einen der Hunde gestolpert, bekam aber das Geländer zu fassen und rettete meine Knochen. Zum Glück fielen mir auch die Worte meiner Schwester ein, daß die Tiere nur Personen bissen, die sie nicht mochten – sie sollen angeblich mittels ihres unglaublich gut entwickelten Geruchssinns zwischen Freund und Feind unterscheiden können –, und unterdrückte nach Kräften alle giftigen Gefühle und bösen Gedanken.
Das Eßzimmer war menschenleer, doch im Wohnzimmer stand Ministerialrat Dååbh rauchend vor einem französischen Fenster. Ich hatte mir vorgestellt, er bevorzuge Pfeife; die kräftige, untersetzte Gestalt deutete es gewissermaßen an, die Finger aber umschlossen eine feingliedrige Zigarette. Er hörte mich erst, als der Fuß auf dem Parkett aufsetzte.
»Was?!« sagte er, und es gelang ihm, trotz des frappanten Mangels eines Halses schnell den Kopf in meine Richtung zu drehen. »Wo zum Teufel sind denn alle? Ich warte auf Svanberg«, fuhr er fort. »Haben Sie ihn gesehen? Diesen, kleinen Kerl von einer Ratte?«
Ich antwortete, ohne weiter ins Detail zu gehen, daß ich ihn zuletzt im Garten gesehen hätte. Ministerialrat Dååbh nahm die Nachricht – sofern es überhaupt eine Nachricht war, das grobschlächtige Gesicht gab einem nichtgeschulten Beobachter wenig Aufschluß – mit einem Schnauben auf. Verstohlen maß ich mit Blicken seine Arme, die leicht eingeknickt an der Seite herabhingen. Sie waren in der Tat ungewöhnlich lang. Und diese fliehende Stirn und die Halslosigkeit ... Ein häßlicher Gedanke schoß mir durch den Kopf. Konnte er wirklich ... Nein, es war einfach nicht möglich! Irgendwo wäre es entdeckt worden ... Wenn nicht im Finanzministerium, wo bestimmt allerlei passieren durfte, wenn der fiskalische Eifer da war, dann früher in der Schule bei den jährlichen Lehrerkontrollen ... Und er war schließlich des Sprechens kundig. Insgeheim überprüfte ich, wie es um meine eigenen Arme bestellt war – seltsam, wie lange man leben kann, ohne über so etwas nachzudenken –, und glaubte erheblich normalere Proportionen feststellen zu können.
»Er steckt bestimmt mit dem Bergbaukonsul zusammen. In dessen Gesellschaft dürfte er sich heimisch fühlen. Widerlicher Typ«, murmelte der Ministerialrat, ohne sich präziser auszudrücken. »Widerliche Typen übrigens überall in diesem Haus. Der Staatsminister, Svanberg, Konsul Karling ... Ebensogut könnte man im Direktoriumszimmer der Enskilda Banken sitzen und arbeiten! Der einzige anständige Kerl ist doch Justizchef Rydlander. Doch er verträgt leider Gottes keinen Rauch, so daß man sich für eine Zigarette wie ein Schuljunge davonschleichen muß«, ergänzte er, wie um seine Anwesenheit im Wohnzimmer des Staatsministers zu erklären. »Haben Sie Aktien?«
Ich antwortete sofort mit »Nein«. Ich besitze allerdings drei Anteile an Stockholms Ångslups AB, eine Erbschaft meines Vaters, aber in Kenntnis des Temperaments des Ministerialrats und seiner allgemeinen Einstellung zu Aktien und Aktieneignern erachtete ich es als unnötig, in diesem Punkt eine pedantisch wahrheitsgetreue Antwort zu geben.
Er streckte einen seiner auffälligen Arme aus und zog mich ans Fenster.
»Kennen Sie Leute mit Aktien? Die meisten haben ein derartig intimes Verhältnis zu ihren Papieren, daß sie sie beim Vornamen nennen. ›LM‹ und ›Atlas‹ und ›Gränges‹. Wie Kinder oder Hunde. Und dann haben diese Teufel Glück und sterben, wenn der Kurs seinen Tiefststand erreicht hat, und bringen die Gesellschaft um die Steuereinnahmen. Pfui Teufel!« schrie er auf und knöpfte damit offensichtlich wieder an Staatssekretär Svanberg an. »Daß ein Mensch mit einer Führungsposition in der Bewegung von den Anstrengungen der Arbeiter profitiert, ist geschmacklos, daß er außerdem herumläuft und damit prahlt, macht das Ganze unerträglich. Ihn sollte man hinauswerfen. Aber sie müssen wohl Rücksicht auf den Staatsminister und all seine Konzerne nehmen. Mein Gott, was für ein Dreckstall!«
Nach einigen anderen Äußerungen gleichen Stils öffnete er die Glastür und marschierte in den Garten hinaus.
Ich selbst suchte den Staatsminister.
Beide Arbeitszimmer waren verwaist. Ich machte die Haustür einen Spalt auf, auch der mit Steinplatten ausgelegte Gartenweg zur Pforte lag menschenleer zwischen Reihen von blühendem Phlox da.
Ich machte eine letzte Runde durch die Räume, und nun stand Konsul Karling an einem der Schreibtische im Arbeitszimmer.
Ich hatte nicht angeklopft – dort war es schließlich eben noch menschenleer gewesen –, und er mußte mich erst sehr spät gehört haben, erst als die Türklinke nach unten gedrückt wurde. Auf der Schwelle zum Zimmer erlebte ich, wie sich sein Gesicht vor meinen Augen verwandelte. Das viril Festgefügte, männlich Regelmäßige löste sich auf, das Kinn verlor an Halt und wurde zu einem von vielen, und der Mund wurde geöffnet und blieb es, wie bei einem sehr alten oder sehr überraschten Menschen. Seine Verwirrung war so offensichtlich und mein eigenes Versäumnis, nicht anzuklopfen, so peinlich, daß ich bloß einige unverständliche Entschuldigungen stammelte, ehe ich mich ins Zimmer des Staatsministers zurückzog.
Erst dort erlangte ich Denk- und Reflektionsvermögen zurück.
Was hatte der Konsul allein im Arbeitszimmer der Mitarbeiter zu suchen? Warum hatte er so schuldbewußt überrumpelt ausgesehen? Und warum hatte er die Hände so gehalten, hinter sich? Was verbarg er da hinter dem Rücken?