Читать книгу Der Fall des Staatsministers - Bo Balderson - Страница 7

4

Оглавление

Kurze Zeit später lief mir in der Eingangshalle Justizchef Rydlander über den Weg, den ich nur flüchtig gesehen hatte, seit wir gemeinsam bei lebendigem Leibe aus dem Auto gestiegen waren. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob er Staatssekretär Svanberg im Garten niedergeschlagen hatte, doch der Mann sah in seinem schwarzen Mantel und seinem Bowler so übertrieben, so außerordentlich korrekt aus, daß ich den Gedanken als absurd abtat.

»Ich darf mich vielleicht von Ihnen verabschieden«, sagte er mit der zurückhaltend heiseren Stimme, die zuweilen als Zeichen einer interessanten Persönlichkeit gilt, die aber fast immer auf eine chronische Infektion der oberen Atemwege zurückzuführen ist. »Der Staatsminister besaß genug Freundlichkeit, mich zu bitten, zum Abendessen zu bleiben, unglücklicherweise jedoch bin ich bereits eingeladen. Sonst ist es immer ein, ähm, ein Erlebnis, gemeinsam mit all den Kindern zu essen ...«

An dieser Stelle war über die plane Fläche der Brillengläser hinweg etwas zu erkennen, das mit ein bißchen Phantasie als ein Ausdruck der Erleichterung interpretiert werden konnte.

Er verbeugte sich und zog von dannen.

Ich schaute ihm nach, wie er zur Gartenpforte ging. Auf halber Strecke nahm er das Fortbürsten der Schuppen wieder auf. Aus der Ferne erinnerte er ein wenig an einen Polizisten in Zivil, der dem Wahnsinn verfallen war und einen imaginären Straßenverkehr dirigierte ...

Er war bestimmt froh, daß ihm das Tohuwabohu am Eßtisch erspart geblieben ist!

Aus dem Innern der Villa war Frau Johansson, die junge Assistentin des Staatssekretärs, aufgetaucht, jene Dame, die sich so überaus eindrucksvoll vom Kanapee erhoben und ihren Chef geohrfeigt hatte.

»Wir essen in einer Viertelstunde, und alle Kinder sind wie immer mit dabei«, erklärte sie. »Nette Kinder. Wenn auch lebhaft.«

Sie lächelte über die Erinnerung und die Zukunft. Aber vielleicht mochte sie Kinder. Es soll ja Leute geben, bei denen es so ist. Ich begutachtete das muntere, von roten Haaren eingerahmte Gesicht, konnte aber weder Wunden noch Schwellungen entdecken. Und solche Verletzungen müßten zu finden sein, wenn sie es war, die im Garten eine neue Runde mit ihrem Arbeitsgeber eingeläutet hätte. Falls es sich nicht um eine schnelle Auseinandersetzung gehandelt hatte – sie schien gut genug durchtrainiert zu sein, um einen Gegner von kleiner Statur mit dem ersten Schlag zu fällen.

»Der Staatsminister? Er sitzt in der Bibliothek. Ich habe ihm Bücher über Japan und die UN herausgesucht.«

Sie lächelte vielsagend und verschwand in den Bürotrakt.

Der Staatsminister saß tatsächlich eine Treppe höher in der Bibliothek. Er erzählte, der Ministerpräsident habe ihn telefonisch beauftragt, den japanischen Premierminister zu empfangen, der am späten Abend auf Stockholms Flugplatz Arlanda erwartet wurde. Der Ministerpräsident hatte betont, er habe seine Repräsentationspflichten auf ein absolutes Minimum reduziert und sei in dieser Woche schon dreimal hinaus zum Flugplatz gefahren: am Montag, um den Führer der vietnamesischen Befreiungsfront abzuholen, am Dienstag, um eine Delegation der angolanischen Befreiungsfront zu empfangen, und am Mittwoch schließlich, um den Anführer der Black-Panther-Bewegung aus den USA willkommen zu heißen.

»Soll doch der Teufel alle Premierminister abholen«, war er fortgefahren. »Der Mann ist noch dazu offensichtlich vollkommen uninteressant, dieser alte, konservative Halunke. Kein militanter Hintergrund, keine revolutionäre Zukunft und ganz bestimmt keine Visionen für die nächsten fünfzig Jahre. Du mußt einspringen! Der Außenminister ist ja in der Sowjetunion, und die anderen feiern in der chinesischen Botschaft Maos Geburtstag. Oder war es der Namenstag? Mach eine Andeutung, du seist eine Art Hilfsministerpräsident, das macht einen besseren Eindruck. Erzähl aber keinen Quatsch! Was du sagen sollst? Tja, du kannst doch immer von der UN berichten, sag, daß wir die UN unterstützen. Die UN! Die Vereinten Nationen, die Weltorganisation! Natürlich sind wir da Mitglied! Oder sag einfach gar nichts, was? Da kommen auch Leute vom Außenministerium, laß die reden. Du kannst denen Sachen erklären, an denen ihr vorbeifahrt ... nein, das kann wie Eigentum aussehen ... wie Ethnozentrismus meine ich. Egal, erzähl von der Familie. Also in Arlanda, heute abend um halb zwölf. Komm bloß nicht zu spät!« Der Ministerpräsident hatte zum Abschluß der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß der Staatsminister nicht gedachte, den Wagen eigenhändig zu lenken.

Anschließend machte sich der Staatsminister an seine Japanstudien. Offensichtlich war er von seinem Thema ganz gefangen genommen, denn er brabbelte eine Menge vor sich hin. Als er mir verwirrt verwirrende Auszüge aus der älteren Geschichte des Landes vortrug, unterbrach ich ihn mit dem Recht des Fachmanns und erkundigte mich, was Konsul Karling für ein Anliegen gehabt habe und wie das Treffen zwischen ihm und Ministerialrat Dååbh verlaufen sei.

»Och«, sagte der Staatsminister, »Karling wollte nur, daß ich mir eine Bilanzrechnung anschaue. Hast du so etwas schon mal gesehen? Auf der einen Seite steht eine Tabelle mit den Aktiva und auf der andern eine mit den Passiva. Ja, das ist ja gar nicht so schwer. Aber verstehst du«, fuhr er fort und klang mit einem Mal besorgt, »das Komische ist, daß sich in meinen Unternehmen die beiden Tabellen immer genau auf die gleiche Summe belaufen. Verstehst du das? Aktiva und Passiva sind gleich groß! Jahr für Jahr! Da rackern die sich ab und arbeiten, und die Direktoren sagen, alles läuft blendend, und dann kommen sie mit so einer Auflistung, die beweist, daß alles genau aufgeht. Wozu zum Teufel sollen sie überhaupt weitermachen? Mein Vater hat immer gesagt, daß ein Unternehmen, das nicht vorwärtskommt, Rückschritte macht. Meine Unternehmen müssen inzwischen im Lauf der Jahre massenhaft Rückschritte gemacht haben. Solange ich mich entsinnen kann. Komisch, daß sie noch existieren. Aber die Direktoren strahlen vor Zufriedenheit, die haben natürlich ihre fetten Gehälter. Ich werde wohl Karlings Lohn um die Hälfte kürzen, dann gibt es nächstes Jahr wenigstens ein paar Hunderttausend Plus. Jetzt wollte er noch ein Unternehmen aufbauen, aber ich habe Nein! gesagt. Wozu soll das gut sein? Die Aktiva steigen natürlich ein wenig. Aber die Passiva wachsen genauso stark an. Bedeutet also bloß, daß man immer auf derselben Stelle tritt, wenn auch auf einem etwas größeren Fleck sozusagen. Nein, ich habe meine Entscheidung nicht begründet, und er hat auch nicht widersprochen. Hat bloß gesagt, er verlasse sich ganz auf meinen ›visionären Blick‹. Aber man braucht wohl kaum einen visionären Blick, um eine Tabelle zu lesen! Wie Karling und Dååbh miteinander auskamen? Och, ganz gut. Dååbh ist gerade mit den Vorbereitungen für eine neue Steuererhöhung beschäftigt und scheint momentan eine ungewöhnlich nachsichtige Haltung gegenüber den Großunternehmern zu haben. Er fluchte natürlich, aber murmelte dann etwas davon, daß Karling in der ›Klasse der Neunzigprozentigen‹ Mitglied werden würde und sagte, daß solche Besprechungen ihn inspirierten und ihm neue Energie verliehen ...«

Ein Geräusch, wie wenn ein Stein Glas durchschlägt.

»Die Kinder spielen bestimmt Ball«, sagte der Staatsminister phlegmatisch und schlenderte zum Fenster.

Ein Rasen, volles Buschwerk und weiter entfernt eine Hecke.

Aber keine Ballspieler.

Nur der Schimmer von etwas Grauem, das im Grünen verschwand ...

»Das müssen wir untersuchen«, entschied der Staatsminister.

Wir gingen zu der Stelle hinunter.

Es handelte sich weder um einen Ball noch um einen Stein, sondern um einen Apfel. Um einen kleinen, grünen, steinharten Astrachanapfel. Er mußte mit erheblicher Kraft geschleudert worden sein, da er die Fensterscheibe zum Zimmer der Mitarbeiter durchschlug und jetzt auf dem Fußboden zwischen den Schreibtischen lag.

»Das müssen wir untersuchen«, beschloß der Staatsminister und verschwand hinaus in den Garten. Durch das demolierte Fenster sah ich, wie er schnell um das Gebüsch bog und Spuren suchte. Ich sank auf einen Stuhl und dachte bei mir, daß ich bestimmt mehr Ruhe gehabt hätte, wenn ich in der Bastugatan bei den Kleistereimern und Handwerkern geblieben wäre. Ich war erst wenige Stunden in Spånga, hatte aber schon einige aufreibende Dinge erlebt. Ein Ministerialrat hatte gedroht, einen Staatssekretär zu erwürgen. Derselbe Staatssekretär war von seiner Assistentin geohrfeigt und später im Garten von einem unbekannten Individuum mißhandelt worden. Ein Unternehmensführer, in Personalunion Konsul, war herumgeschlichen und heimlich in ein Zimmer geschlüpft, wo er nichts zu suchen hatte, und jetzt hatte jemand einen Apfel durchs Bürofenster des Staatsministers geworfen.

Und irgend etwas sagte mir, daß das noch nicht das Ende der Geschichte war.

Der Staatsminister kehrte allein und ohne Spur aus dem Garten zurück.

Der Gong rief zum Adendessen.

Es wurde ein anstrengendes Unterfangen, aber ein wohl kaum anstrengenderes, als unter den gegebenen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Staatssekretär Svanberg, seine temperamentvolle Assistentin Frau Johansson, Ministerialrat Dååbh und Konsul Karling hatten uns gebeten zu warten und es offensichtlich – im Gegensatz zu Justizchef Rydlander – nicht fertiggebracht, die Einladung abzulehnen.

Die Erwachsenen saßen wie eine unbedeutende Sekte an einem Ende des Tisches, und dann folgten die Kinder in der Reihenfolge ihres Alters, sich heftig zankend und in voller Garnitur, die Kleinsten zum Glück so weit entfernt, daß man ihre quengelnden Mißfallensäußerungen über den unbeugsamen Willen der Kindermädchen und ihre proteinhaltige Kost mehr erahnte als wahrnahm. Es ist mir ein Rätsel, warum eine Familie, die über sechsundzwanzig Zimmer und ausreichend Personal verfügt, darauf beharrt, geschlossen das Adendessen einzunehmen, auch wenn Gäste anwesend sind. Doch der Staatsminister ist in diesem Punkt vollkommen unnachgiebig. »Es ist nützlich«, sagt er. Und vielleicht hat er trotz allem recht. Denn nachdem der Finanzminister an einer solchen Fest- und Jubelveranstaltung teilgenommen hatte, ließ er sich endlich dazu bewegen, den Lehrern, die bei den Schulspeisungen Aufsicht führten, einen Ausgleich zukommenzulassen.

Hochstimmung kam an unserem Tischende nicht auf. Das Ganze erinnerte offen gestanden eher an einen Leichenschmaus, bei dem ein schlecht angesehener Toter wieder zu Leben erwacht war und unter den Gästen Platz genommen hatte. Der Leichnam, der in diesem Fall auch über äußere Übereinstimmungen mit etwas kürzlich Ausgegrabem verfügte, sollte Staatssekretär Svanberg sein. In genauer konstitutioneller Übereinstimmung mit Karl XII. als Toter, die mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen war, waren nunmehr weitere schönheitssteigernde Blutergüsse und Beulen hinzugekommen. Er hatte einen schweren Nachmittag hinter sich. Und die Prüfungen nahmen kein Ende.

Seine eigene Assistentin sah ihn kalt über den Tisch hinweg an und zischte hin und wieder etwas, fast so wie ein Novembertag, der der Ansicht ist, es sei mit Wind und Kälte noch nicht genug, sondern indessen einen Regenschauer niedergehen ließ. Ministerialrat Dååbh grunzte nur einmal quer durch ihn hindurch, als sei er ein Feld verunreinigter Luft. Konsul Karling, der inzwischen wieder seine Kinnlade unter Kontrolle gebracht hatte, wirkte etwas zerstreut; vielleicht berechnete er, wieviel ihm nach der Halbierung durch den Staatsminister und der neunzigprozentigen Steueranhebung auf den Rest durch den Ministerialrat von seinem Gehalt bleiben würde. Indessen versäumte er es nicht, zwischen Kauen und Denken dem Staatsminister feindselige Blicke zuzuwerfen. Hätte dieser um das Brot gebeten, hätte er es vermutlich bekommen, aber ohne ein kurzes Lächeln.

Staatssekretär Svanberg ließ die ihn umgebende Kälte nicht unberührt. Er redete zwar, jedoch viel gedämpfter, viel sporadischer, während das Abendessen, das aus Sandwiches, Kalbsfilet und Eis bestand, seinen Fortgang nahm.

Der einzige Mensch, von meiner Schwester, der Gastgeberin, einmal abgesehen, der so war wie immer, das war der Staatsminister. Er erläuterte mit energischer Verwirrung die trivialsten Fakten über Japan und das japanische Volk, die für alle sensationelle und unbekannte Neuigkeiten darstellten. Ich empfand mit einem Mal große Sympathie für den japanischen Premierminister. Nachdem er endlich in der nordischen Nacht gelandet war, würde er spüren, daß er sehr weit gereist war.

Gleich nach dem Dessert, sich kaum Zeit lassend, die Hand der Wirtin unter dem Kronleuchter zu drücken, brach Staatssekretär Svanberg auf. Es hatte den Anschein, als beabsichtigte Konsul Karling, ihm zu folgen; er brachte einige abgehackte Dankesworte hervor und setzte zum Anlauf auf die Halle und den Flur an, doch der Staatsminister legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn zurück.

Den Kaffee nahm man im Wohnzimmer. Der Staatsminister hatte verschiedene Wände ausschlagen lassen und eine Atmosphäre geschaffen, die an einen behelfsmäßig hergerichteten Hangar erinnerte. Auch hier waren die Kinder bei uns. Man liest davon, daß die Jugend von heute nie zu Hause sei, sie treibe sich auf der Straße herum und bilde Cliquen oder jage Rentner. Doch der Nachwuchs meiner Schwester ist immer zu Hause. Außerdem halten sie sich in demselben Zimmer auf wie ihre Eltern und deren Gäste, was so gut wie ein Einzelfall sein dürfte. Bedenkt man, daß jedes Kind mindestens zwei Kameraden anzieht, ist leicht zu verstehen, daß das Wohnzimmer des Staatsministers kaum ein Aufenthaltsort ist, den ältere, gebrechliche Menschen aufsuchen, um nach dem Abendessen ihren Kaffee zu trinken.

Dennoch wird dort der Kaffee serviert.

An diesem Abend glich der Raum mehr denn je einem gutbesuchten Mehrzwecksaal. In einer Ecke spielte sich das ab, was der Kleidung nach zu urteilen die allwöchentliche Versammlung von Spångas Pfadfindern sein mußte. Offensichtlich wurde ihnen als gute Tat für den Tag Hilfsbereitschaft gegenüber älteren Mitmenschen eingeschärft, denn als ich mich bei einigen Gelegenheiten in meinem Sessel drehte, stürmten einige der uniformierten Kleinen herbei, zogen mich hoch und führten mich im Zimmer auf und ab (einmal auch zur Toilette), bis es mir gelang, zu verstehen zu geben, daß ich nur die Sitzposition zu verändern suchte. An einer anderen Stelle des Zimmers wurden verbrechensvorbeugende Maßnahmen trainiert und weiter hinten probte ein Orchester. Der Staatsminister, der sich zunächst an einem Holzfeuer im Kamin zu schaffen gemacht hatte, aber vom Rauch vertrieben wurde, war dazu übergegangen, eine Gruppe von Jugendlichen im Schottischen, einem polkaähnlichen Rundtanz, anzuführen. Sein Vortanz war energisch, allerdings weniger schön zu nennen. Mitten im Zimmer, gewissermaßen in Konkurrenz zu der Tanzgruppe, waren einige Jugendliche mit dem Bau eines Kanus beschäftigt.

Es herrschte ein wildes Treiben wie in der Hölle.

Ich begreife nicht, worin der tiefe Sinn bestehen soll, Milliardär zu sein, wenn man in solchen Verhältnissen leben muß. Genausogut könnte man seine Abende in einer Obdachlosenunterkunft verbringen oder bei einem Krawall oder beim Treffen einer Bürgerinitiative.

Nahe dem Eßzimmer waren ein paar Sofas zu einer Art Wagenburg zusammengeschoben worden, eine relativ friedliche Ecke, wo meine Schwester Margareta mit dem Verbandskasten und umgeben von ein paar betäubten Gästen präsidierte. Dort schliefen auch die Kleinsten. (Früher waren sie von ihren Kindermädchen in kühle, ruhige Räume gebracht worden, waren dort aber nicht eingeschlafen, zurück in den Krach getragen worden und sofort eingeschlummert. Als der Lärmpegel einmal sank, wälzten sie sich unruhig hin und her.)

Nach einer halben Stunde riß sich Konsul Karling los. Er verabschiedete sich von der Gastgeberin, und ich glaube, er bedankte sich bei ihr, doch die Worte verstand ich nicht, obwohl es vollkommen offensichtlich war, daß er sie herausschrie. Eine Viertelstunde später war eindeutig Frau Johansson der Ansicht, ihren Teil für das Essen abgeleistet und die jugendlichen Aktivitäten lange genug ausgehalten zu haben. Sie winkte mir ein wenig hilflos zu und wurde von einer verständnisvollen Gastgeberin in die Halle gelotst. Zur gleichen Zeit erhob sich Ministerialrat Dååbh und bahnte sich den Weg über den Fußboden und riß den Staatsminister aus seinem Tanz. Dieser vollführte einige erschöpfte Gesten und verschwand mit seinem Gast im Arbeitsbereich.

Kurz danach begann meine Schwester, die Kinder eins nach dem anderen abzufertigen. In regelmäßigen Abständen führte sie mehrmals unterschiedlich viele Schläge gegen einen Gong aus, und bei jedem Signal (oder kurz darauf) löste sich eine Altersgruppe und wünschte eine gute Nacht. Ein General hätte sein Heerlager nicht mit größerer Gewandtheit und Autorität räumen können.

Dann saßen wir zusammen und unterhielten uns einige Zeit in Ruhe und Frieden. Meine Schwester interessiert es immer zu erfahren, wie es mir geht und wie ich in meiner Einsamkeit lebe. (Als sie klein war, trug ich sie auf den Schultern und war ihr Pferd und später, als ich ein Einkommen hatte, soll ich ihr Taschengeld aufgebessert haben. So etwas hat der große Bruder vergessen, aber nicht das Mädchen, das mit der Münze in der Hand zum Süßigkeitenladen lief.) Jetzt wollte sie von der Wohnung und den Reparaturen hören, und sie versprach, für neue Gardinen zu sorgen und den alten, abgewetzten Teppich im Flur zu erneuern.

Um halb elf Uhr ging sie hinauf in ihr Zimmer, und ich schlenderte ins Arbeitszimmer. Der Tabakrauch hing wie Nebelschwaden im Raum, und ich brauchte zu keinem gekünstelten Husten Zuflucht zu nehmen, um mein Kommen anzuzeigen. Der Glasermeister hatte offensichtlich einen Schnelleinsatz absolviert, da die auf so rätselhafte Weise eingeschlagene Fensterscheibe bereits erneuert worden war. Einen Augenblick lang spürte ich einen Stich von Neid gegen die Hohepriester der Demokratie – mit der Sicherheitspolizei im Rücken hätte ich wohl keine sieben Jahre lang warten müssen, damit meine gesprungene Kloschüssel ersetzt wird. Der Staatsminister legte gerade den Telefonhörer auf und schaute auf die Uhr.

»Dååbh!« rief er dem Ministerialrat zu, der an einem kleineren Tisch Unterlagen in seine Aktentasche steckte. »Sie sind fertig, oder? Ich fahre Sie in die Staatskanzlei und nehme den Chauffeur mit und fahre weiter nach Arlanda. Der Wagen ... Oh, mein Gott, der Wagen! Der steht ja immer noch an der Tankstelle! Wir müssen ihn holen.«

Er schaute mich einen Moment lang an, als beurteile er meine Qualität, spät am Abend Autos zu holen.

»Dååbh«, echote es dann, »Sie holen den Wagen, oder? Ich muß in der Kanzlei anrufen und herausfinden, ob dort wirklich ein Chauffeur ist und im Außenministerium ... Wie spät ist es? Halb elf, das schaffen wir problemlos!«

Ministerialrat Dååbh war zu uns gestoßen. Offensichtlich war er alles andere als zufrieden mit seiner Aufgabe als Autoholer. Sein Gesicht unter dem gelben, abstehenden Haar war genauso angepreßt und weiß wie bei unserer ersten Begegnung auf dem Gartenweg nach seinem Zusammenprall mit Staatssekretär Svanberg.

»Was zum Teufel ...«, setzte er an und rang die Hände in bekannter Manier, doch dann sorgte offensichtlich die Parteidisziplin dafür, daß er stillschweigend zuhörte, während der Staatsminister an den Verlauf der Straßen erinnerte.

»Sie sind in zehn Minuten wieder da!« rief er als Abschiedsgruß mit einem Anflug von Befehlston und stürzte sich von neuem aufs Telefon, das nach und nach die begehrten Auskünfte von sich gab.

Nach Ablauf von zwanzig Minuten war der Ministerialrat noch nicht zurückgekehrt. Der Staatsminister, der die letzten Minuten an den Schreibtisch getreten war und sich verbindlich verneigt hatte – offensichtlich übte er die Empfangszeremonie auf dem Flugplatz – unterbrach sich, schaute auf die Uhr und schrie los.

»Verdammt noch mal, jetzt wird’s aber höchste Zeit! Wo bleibt er nur?«

In dem Augenblick kam er.

Ich glaube, ich habe noch nie einen so wütenden Menschen gesehen.

Mit rotgeränderten Augen, gelbem Haar und grimmig stand er da auf der Schwelle und starrte uns an. Adern schwellten und schwollen und lagen wie blaue Seile kreuz und quer über dem Gesicht, und der untersetzte Körper zitterte wie eine schwer arbeitende Maschine.

»War mit dem Wagen etwas nicht in Ordnung?« fragte der Staatsminister.

»Dieser verdammte Idiot ...«, brach der Ministerialrat hervor. »Dieser verdammte Idiot! ... Was? Das Auto war nicht vorgefahren. Und nicht betankt ... Und die Scheiben« – hier versagte ihm die Stimme – »die Scheiben waren schmutzig, und er hat nur gegrinst ... Dieser verdammte, verfluchte Idiot ...«

Der Staatsminister klopfte ihm zur Beruhigung auf die Schulter, zwinkerte verständnisvoll zum Abschied und sagte in einem Ton, den man bei einem ungerecht behandelten Kind anschlägt: »Na los, jetzt fahren wir! Wir schaffen es noch, Sie werden’s schon sehen.«

Der Fall des Staatsministers

Подняться наверх