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Bob und ich – eine komplizierte Geschichte Von Stefan Kretzschmar
ОглавлениеBob Hanning. Wo soll ich da anfangen? Ein Egoist. Schlimmer noch, ein Egozentriker. Einer, der sich für den Nabel der Handballwelt, zumindest aber des deutschen Handballs hält. Ein Wichtigtuer, Marktschreier, Besserwisser, Provokateur, Selbstdarsteller, Gernegroß. Arrogant, anmaßend, geltungssüchtig, taktlos, geschmacklos, exzentrisch, größenwahnsinnig, machtbesessen, eigennützig, rücksichtslos, gewissenlos, gefühllos. Einer, der für Erfolg und Ruhm über Leichen geht.
Habe ich was vergessen? Bestimmt. Aber das hier soll schließlich kein Roman werden.
Vorurteile wie diese gab und gibt es über Bob Hanning zuhauf, und ich plaudere an dieser Stelle kein großes Geheimnis aus, wenn ich sage, dass nicht gerade wenige Leute in der Handballszene bis heute ein Bild von ihm haben, das sich in Teilen mit obiger Auswahl, quasi einem „Worst of“, deckt. Von den Fans mal ganz zu schweigen. Bob Hanning ist zweifellos die umstrittenste Figur im deutschen Handball. Ein Typ, der total polarisiert. Das Problem dabei: Alle haben eine Meinung zu Bob, aber die wenigsten kennen ihn, wissen, was ihn wirklich antreibt und bewegt. Das wird sich mit diesem Buch sicher ändern. Was mich betrifft, habe ich seit einiger Zeit die Gelegenheit, Bob aus nächster Nähe zu erleben, und kann durchaus sagen: das Glück.
Ich will ehrlich sein und nichts beschönigen, denn das hat keiner von uns beiden nötig: Auch ich hatte viele Jahre lang keine sonderlich hohe Meinung von Bob. Weniger staatstragend ausgedrückt: Ich konnte diesen Hanning nicht leiden. In den besten Momenten war er mir egal, in den schlimmsten ging er mir richtig auf den Sack, insbesondere dann, wenn wir uns mal wieder in der Wolle hatten. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit, was ziemlich praktisch ist, denn das macht es deutlich einfacher, jemanden abzustempeln, in eine Schublade zu stecken und dort zu lassen. Er kam mit meiner Art nicht klar, ich mochte die seine nicht, und weil wir beide nicht auf den Mund gefallen sind, gab es ordentlich Beef. Man kann durchaus von einer feindlichen Koexistenz sprechen.
Wenn mir also jemand vor ein paar Jahren prophezeit hätte, dass ich mal ein Kapitel in einem Buch von Bob Hanning übernehmen und auch mit ihm zusammenarbeiten würde, erfolgreich, sehr eng, vertrauensvoll und obendrein harmonisch – zumindest meistens –, dann hätte ich dieser Person nicht widersprochen – ich hätte sie einfach ausgelacht. Vermutlich hätten wir gemeinsam gelacht. Über den Joke. Kann ja unmöglich jemand ernst meinen, so einen Schwachsinn: Hanning und Kretzschmar als Duo! Tja, jetzt ist dieser Schwachsinn mein Alltag.
Wie zur Hölle konnte das passieren? Gute Frage, lange Geschichte. Ich möchte sie einerseits möglichst kurz halten, muss aber schon etwas ausholen, um nachvollziehbar und verständlich zu machen, wie wir erst ziemlich beste Feinde wurden und schließlich ein eingespieltes Team werden konnten, in dem – und das ist eigentlich auch verrückt – nicht ich der Paradiesvogel bin.
Angefangen hat unsere gemeinsame Geschichte aus meiner Sicht bei den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000. Dort habe ich Bob, der damals als Co-Trainer von Heiner Brand dabei war und sich seinen olympischen Traum erfüllte, erstmals bewusst wahrgenommen, aber wie auch die meisten meiner Mitspieler nicht für voll genommen. Wir haben uns damals direkt bei seiner Ankunft im olympischen Dorf ein paar kreative Scherze auf seine Kosten erlaubt, die aus unserer Sicht total witzig, objektiv gesehen aber billig und böse waren. Ohne ins Detail gehen zu wollen: Sie bezogen sich auf Bobs Körperlänge, und ich bin rückblickend wahrlich nicht stolz darauf. Ich bin sicher, dass es ihn getroffen und auch für nachhaltige atmosphärische Störungen zwischen den beteiligten Parteien gesorgt hat.
Auf der anderen Seite gibt es da dieses Foto, auf das mich erst vor wenigen Jahren jemand aufmerksam gemacht hat. Es ist direkt nach unserem dramatischen Ausscheiden im Viertelfinale gegen Spanien aufgenommen worden, bei dem ich den entscheidenden Wurf an den Pfosten geknallt habe. Dieses Spiel war bekanntlich lange Zeit mein Trauma und hat mir unzählige schlaflose Momente bereitet. Ich sitze also wie ein Häufchen Elend am Spielfeldrand. Und neben mir steht Bob, den wir veralbert und verletzt hatten, legt die Hand auf meine Schulter und versucht, mir in meiner dunkelsten Stunde Trost zu spenden, mich aufzumuntern. Ich überlasse es jedem selbst, die Szene zu interpretieren, könnte mir aber vorstellen, dass dieses Bild nicht ganz zu jenem passt, das der ein oder andere von Bob Hanning im Kopf hat.
Ich habe keinerlei Erinnerung an diesen Moment. Null. Die Stunden nach der Schlusssirene sind ein schwarzes Loch in meinem Gedächtnis, bis heute. Ich kenne nur das Bild und habe mir so meine Gedanken gemacht. Es ist natürlich spekulativ, aber vielleicht wäre einiges, was in den fast fünfzehn Jahren danach zwischen uns passiert ist, nie derart eskaliert, wenn mir dieses Foto früher in die Hände gefallen wäre. Damit meine ich nicht, dass wir dann keinerlei Meinungsverschiedenheiten gehabt und auch offen ausgetragen hätten, aber es wäre womöglich einige Eskalationsstufen darunter abgegangen.
Ein Foto, das dagegen in den folgenden Jahren mein Bild von Bob prägte, und längst nicht nur meines, war der Schnappschuss in Napoleon-Montur, der in seiner Zeit als Trainer des HSV Handball entstanden ist. Ich fand die Aktion lächerlich und peinlich, allerdings bescherte sie nicht nur Bob, sondern auch seinem Klub jede Menge Aufmerksamkeit. Aber ich schaute damals nicht mit den Augen eines PR-Profis auf die Dinge, sondern als Spieler des SC Magdeburg. Während ich den HSV als sportlichen Konkurrenten wahrnahm, machte es mir das Napoleon-Bild wirklich schwer, diesen Hanning ernst zu nehmen.
Das änderte sich mit seinem Engagement in der Hauptstadt. Was niemand für möglich gehalten hätte und ich als Ur-Berliner erst recht nicht: Es gelang Bob, den dortigen heillos zerstrittenen Handballverband zu vereinen und hinter das Projekt Füchse Berlin zu bringen, in einer sehr bestimmenden Art und Weise – manche sagen: diktatorisch –, aber das Resultat gibt ihm recht. Details der Erfolgsgeschichte erspare ich mir, denn es ist Bobs Geschichte und an ihm, sie zu erzählen. Fakt ist, dass mit dem Aufstieg der Füchse in die Bundesliga der Kleinkrieg zwischen uns richtig losging.
Die riesige Rivalität zwischen Magdeburg und Berlin ist bekannt, und ich bin sicher, Bob wird ausführlich darlegen, wie sie gewachsen, immer mal wieder eskaliert ist, aber auch gepflegt wurde, denn sie bescherte den Duellen zwischen beiden Klubs besondere Aufmerksamkeit. Natürlich waren die Füchse und Hanning aus meiner Sicht – ich wurde im Jahr ihres Erstliga-Aufstiegs Sportdirektor beim SCM – zunächst Emporkömmlinge mit einem deutlichen Hang zum Größenwahn. In den ersten Jahren straften wir sie mit Niederlagen und Geringschätzung, als sie uns schließlich sportlich überholten, rächten sie sich dann mit einer in unseren Augen unerträglichen Hauptstadt-Arroganz.
Die ganze Sache hat sich immer weiter hochgeschaukelt, und alle Episoden ausführlich abzuhandeln, könnte fast ein eigenes Buch füllen. Es gab jedenfalls immer wieder gegenseitige Sticheleien, Seitenhiebe, Tiefschläge. Die ultimative Kriegserklärung war natürlich, als die Füchse uns Silvio Heinevetter ausspannten, und das auch noch mit Hilfe des bei uns geschassten Ex-Managers Bernd-Uwe Hildebrand, den Bob für seine Zwecke eingespannt hatte. Ich fand das skrupellos und nahm die Sache persönlich, aber es war zugegebenermaßen von Bob auch ausgesprochen clever eingefädelt und in der Sache ein weitsichtiger Schachzug. Längst nicht sein einziger.
Je besser die Füchse wurden, desto mehr nervte mich Bob, denn er machte verdammt viel richtig und dabei aus vergleichsweise wenig eine ganze Menge. Ich gebe zu, dass ich schon damals heimliche Bewunderung dafür hegte, wie er den Handball in meiner Geburtsstadt wieder groß machte, was vielleicht niemand anders geschafft hätte. Das hat mich einerseits gefreut, aber andererseits hat es mich, da will ich ganz ehrlich sein, auch angekotzt, dass es ausgerechnet diesem Hanning gelungen ist.
In unserer spannungsgeladenen Geschichte war meiner Meinung nach immer auch eine ordentliche Portion Neid im Spiel. Wir beide sind starke Charaktere und Menschen, die das Rampenlicht suchen, die Öffentlichkeit auch brauchen, Aufmerksamkeit durchaus genießen und nicht nur nach Erfolg streben, sondern auch nach Anerkennung. Manchmal kommt man sich dabei ins Gehege, denn die Bühne des Handballs ist nicht sonderlich groß und Popularität durchaus auch eine Währung. Da werden schon mal die Ellenbogen ausgefahren, und es wird nicht immer in der Sache argumentiert oder gestritten, sondern auch mal in eigener Sache.
Man kann sich sicher meine Begeisterung vorstellen, als Bob ein paar Jahre später Vizepräsident des Deutschen Handballbundes wurde, denn nun musste ich mich mit diesem Typen in meiner Funktion als hauptberuflicher TV-Experte auch noch bei Länderspielen, großen Turnieren und allen wichtigen Fragen unserer Sportart herumschlagen. Dass Bob wenig später seinen Vereinstrainer Dagur Sigurdsson als Bundestrainer inthronisierte, brachte das Fass zum Überlaufen. Mit meiner öffentlichen Fachanalyse, die Personalie sei ein Affront und Armutszeugnis für den deutschen Handball, auch inhaltlich die falsche Wahl und überhaupt der Untergang des Abendlandes, lag ich zwar komplett auf der Linie der Handballszene hierzulande, aber letztlich mal so was von daneben! Und wer lachte zuletzt? Genau. Ich weiß nicht, ob Bob wirklich lachte und sich vor Genugtuung die Hände rieb, aber die bildliche Vorstellung reichte mir schon. Rückblickend muss ich zugeben, dass er zwar nicht in allen unseren Streitfragen richtig lag, aber für meinen Geschmack waren es deutlich zu viele, und ich fand natürlich, dass er es zu sehr raushängen ließ.
Wendepunkt in unserem spannungsgeladenen Verhältnis war die Europameisterschaft 2016. Dorle und ich fuhren mit dem Auto zum Finale nach Krakau, um die Mannschaft zu unterstützen. Schon im Vorfeld hatte ich lobende Worte für das Team und auch den Trainer gefunden, was Bob registriert hatte und bei einem Smalltalk vor Ort schmunzelnd anmerkte. Wir plauderten entspannt wie lange nicht. Vielleicht war es der perfekte Ort, Anlass und Zeitpunkt für uns beide, um zu realisieren, dass es nicht um Hanning oder Kretzschmar geht und wer was wann wie mal gesagt hat, sondern um den deutschen Handball. Um die Sache. Darum, die Kräfte zu bündeln für unseren Sport, weil wir alle in einem Boot sitzen und es höchste Zeit war, persönliche Animositäten und Eitelkeiten, zumindest was uns betraf, über Bord zu werfen.
Mit dem Erfolg der Nationalmannschaft unter Dagurs Regie wuchs auch meine Anerkennung für Bobs Arbeit, vor allem wurde mir klar, dass ich nicht jede Idee, jeden Plan oder jede Entscheidung doof finden und kritisieren musste, nur weil sie von Bob Hanning kam und er mit Leuten über Kreuz lag, die ich mag und sogar zu meinen Freunden zähle. Dorle spielte bei dieser Entspannungspolitik eine bedeutende Rolle, denn sie ist eine hervorragende Menschenkennerin und forderte von mir, meine Sichtweise auf den Menschen Bob Hanning grundsätzlich zu überdenken und das Bild, das sich über Jahre verfestigt hatte, in Frage zu stellen, die Perspektive zu wechseln, mich in ihn hineinzuversetzen. Auf Letzteres hatte ich ja richtig Bock … Wir diskutierten viel. Dabei bekamen wir uns mehr als einmal richtig in die Wolle, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mir in den Rücken fiel, und ich fragte Dorle, ob sie neuerdings als Anwältin von Bob Hanning tätig sei. Sie kann sehr hartnäckig sein. Und überzeugend.
Bob und ich haben nie offiziell Frieden geschlossen, uns nicht episch ausgesprochen oder gemeinsam betrunken. Es war ein Prozess. Wir telefonierten häufiger, wenn es um grundsätzliche Fragen des Handballs oder Einschätzungen ging, weil wir die Expertise des anderen schätzen. Wenn ich Spiele mit Beteiligung der Füchse kommentierte, konnte ich mich darauf verlassen, dass Bob mich in der Halbzeit draußen vor der Halle aufsuchte, weil er wusste, dass ich dort eine rauche, und wir fachsimpelten über das Spiel und scherzten. Ganz locker, von Mal zu Mal unbeschwerter.
Ausgelacht habe ich ihn trotzdem, als Bob mir im Sommer 2019 in einem Telefonat, in dem ich seinen Rat zu einer beruflichen Offerte einholen wollte, ziemlich unvermittelt den Job bei den Füchsen anbot. Ich hielt es für einen lockeren Spruch, einen Witz. Am nächsten Tag telefonierten wir erneut, und ich lachte nicht mehr. Bob meinte es erst. Ein paar Monate und viele Gespräche mit vielen Leuten später war meine Rückkehr in meine Heimatstadt, an deren grünem Rand ich seit einigen Jahren wohne, perfekt. Es war kein einfacher Schritt. Ich musste dafür auch über meinen Schatten springen.
Die offizielle Bekanntgabe hielten viele Leute für einen Scherz – und manche für einen schlechten. Für meine Entscheidung habe ich viel Applaus und Zuspruch, aber auch mächtig auf die Fresse bekommen. Vor allem aus Magdeburg, was nachvollziehbar ist. Und aus meinem Freundeskreis, zu dem viele ehemalige Handballer gehören, für die Bob ein rotes Tuch ist. Sie haben ihre Gründe. Gerade in den ersten Wochen nach der Unterschrift musste ich mir einiges anhören. Das war und ist nicht ganz einfach für mich. Ich sitze zwischen den Stühlen, und es kann sich jeder vorstellen, dass das nicht gerade der bequemste Platz ist.
Was den Job betrifft, bin ich genau dort, wo ich sein will. Es war der richtige Schritt.
Machen wir uns nichts vor: Bob ist ein Stratege, der sehr weit vorausschaut, viel weiter, als es in unserer Sportart üblich ist, in der das nächste Spiel immer nur drei, vier Tage entfernt ist. Mich nach Berlin zu holen, war anfangs eine ganz pragmatische Nummer, eine reine Business-Entscheidung von Bob, und das gilt ja auch für meine Seite. Ich denke, mittlerweile mag er mich auch. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Im Alltag erlebe ich Bob als unermüdlichen und leidenschaftlichen Arbeiter. Er hasst Mittelmaß und akzeptiert nicht, wenn jemand zu wenig aus seinen Möglichkeiten macht. Von den Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, fordert er unheimlich viel – aber nie mehr, als er selbst zu geben bereit ist. Das klingt erst mal fair, aber man muss bedenken, dass Bob für den Handball lebt. Neudeutsch: 24/7. Ich kenne niemanden in unserem Sport, der härter arbeitet. Wenn der inflationär verwendete Zusatz „rund um die Uhr“ auf jemanden zutrifft, dann auf Bob.
Wer mich kennt, der weiß, dass das nicht unbedingt meiner Vorstellung vom Leben entspricht. Ich könnte sein Leben nicht ansatzweise führen, hätte keine Lust, mich mit Haut und Haaren und allen Stunden des Tages dem Handball zu verschreiben. Um das zu erreichen, was er erreicht hat, müsste ich mein Pensum nicht verdoppeln. Sondern verzehnfachen. No way! Aber er akzeptiert mehr und mehr, dass es auch andere Wege gibt, die zum Ziel führen, als nur den Hanning-Weg, und ich für meinen Teil Freiheiten brauche, um meine Qualitäten ausspielen zu können. Das bedeutet nicht, dass die Füchse besser werden, wenn ich auf dem Golfplatz einen Birdie hinlege, aber ich habe auf dem Green mit dem Smartphone in der Hand schon so manchen Deal eingefädelt und Konflikte entschärft. Allerdings lässt Bob kaum eine Gelegenheit aus, mich daran zu erinnern, dass es immer etwas zu tun gibt. Er macht das sehr subtil, aber unmissverständlich.
Wir haben mittlerweile ein sehr respektvolles und vertrauensvolles Verhältnis. Natürlich gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten, die wir mit offenem Visier austragen, aber die Diskussionen gehen immer zivilisiert ab, sind meistens fruchtbar und letztlich auch bereichernd – und das meine ich nicht in monetärer Hinsicht!
Was die Arbeit angeht, passt kein Blatt Papier zwischen uns, und er hat mich in der Zeit unserer Zusammenarbeit bislang nicht ein einziges Mal enttäuscht oder nicht Wort gehalten. Wir ergänzen uns gut. Ich bin mehr der emotionale Typ, Bob der rationale. Wenn es die Situation erfordert, spielen wir Good Cop/Bad Cop. Als echten Bad Guy sehe ich ihn nicht.
Anders als oft behauptet, handelt Bob nicht zuerst aus persönlichen Motiven oder weil er jemanden besonders gut oder gar nicht leiden kann, sondern immer der Sache wegen. Das ist zumindest meine Erfahrung, seit wir Seite an Seite die gleichen Ziele verfolgen. Ich erlebe Bob als leidenschaftlich, aber zugleich kühl kalkulierend, wenn es sein muss, knallhart, aber nicht bösartig. Ich denke, manchmal fehlt es ihm an Gespür, was Worte und Entscheidungen bei einem Gegenüber anrichten können. Ich habe den Eindruck, er merkt oft gar nicht, wenn er jemandem vor den Kopf stößt. Er ist jedenfalls keiner, der ohne mit der Wimper zu zucken Leute absägt und pfeifend über Leichen spaziert. Bob ist kein Arschloch.
Er ist ein Macher und Entscheider, der sich nicht scheut, auch heiße Eisen anzupacken, wenn andere Leute herumeiern, sich lieber wegducken oder Konflikte aussitzen wollen. Er ist auch kein Verstecker oder Verpisser, sondern sagt einem die Meinung auf den Kopf zu, kann knallhart in seinem Urteil und seiner Ansprache sein. Manchmal gibt er es den Leuten mit der groben Kelle. Dabei übertreibt er es auch mal, und es kommt nicht gut an, zeigt aber meistens die gewünschte Wirkung. Wenn er von dir überzeugt ist, dann steht er hinter dir. Dann hält er, wenn es sein muss, auch mal den Kopf für dich hin.
Bob ist ein Überzeugungstäter. Er trifft Entscheidungen nicht, um besser dazustehen oder dafür gefeiert zu werden, sondern weil er sie für richtig hält. Wer das nicht glaubt, sollte kurz mal nachzählen, wie oft Bob außerhalb der Berliner Stadtgrenzen für irgendetwas auf breiter Basis Beifall bekommen hat. Den Applaus gab es oft erst viel später – und meistens nicht für ihn. Er denkt und handelt, um den Sport voranzubringen.
Es gibt keinen besseren Beweis dafür als sein Engagement für den Nachwuchs. Da legt Bob einen regelrechten Fanatismus an den Tag. Wer sonst würde das denn in Doppelfunktion machen? Jeden Morgen die A-Jugend trainieren? Jeden Morgen um 7 Uhr in der Halle stehen? Am Wochenende Hunderte von Kilometer durch Deutschland zu Spielen fahren oder durch halb Europa zu allen möglichen Turnieren? Das macht er aus Leidenschaft, aus Freude, nicht aus Kalkül oder Berechnung, was ihm ja viele vorwerfen. Er hat in Berlin ein Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut, das in Deutschland seinesgleichen sucht und auch in Europa zu den besten gehört. Davon profitieren am Ende auch die Nationalmannschaft und damit letztlich der gesamte Handball hierzulande, für den Bob verdammt viel getan hat – und dabei meiner Meinung nach weit mehr gegeben als zurückbekommen hat. Der DHB wird es schwer haben, ihn zu ersetzen, und müsste eigentlich zwei Leute als Nachfolger einstellen.
Bevor mir jemand Schmeichelei oder Arschkriecherei vorwirft und mir auch noch eine bezahlte Autorenschaft (nein, leider) unterstellt wird: Bob ist zweifellos ein eigenwilliger und kein einfacher Typ, das wissen wir alle, und das weiß er selbst. Aber das bin ich auch nicht. Wer ist das schon?! Und natürlich bin ich nach wie vor nicht immer mit allem einverstanden, was er sagt und auch wie – und in welchem Pullover.
Ja, die Pullover … Und die Sakkos. Und Hemden. Ich muss darauf zu sprechen kommen, weil es direkten Einfluss auf mein Leben hat. Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen ist, aber seitdem ich mit Bob zusammenarbeite, trage ich nur noch einfarbig. Schwarz, Weiß und wenn ich mal was ganz Verrücktes machen will: Grau. Ich traue mich schon gar nicht mehr, etwas Buntes anzuziehen, aus Angst, jemand könnte sagen, ich mache das nur, um meinem Chef zu gefallen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, und wenn ich heute Fotos von mir aus den 90ern angucke, dann sitze ich beim Thema Mode sicherlich im Glashaus, aber an manchen Spieltagen erscheint Bob in einem Aufzug in der Halle, der sogar einer Schaufensterpuppe die Schamesröte auf die Plastikwangen treiben würde. Ich darf das sagen. Mittlerweile kann Bob nämlich über sich selbst lachen, ziemlich herzhaft sogar.
Viele Leute regen sich ernsthaft über seine Outfits auf. Fakt ist auch: Sie reden darüber. Wer die Pullover wirklich für ein gravierendes Problem im deutschen Handball hält, sollte auch bedenken, dass es in diesem Land Millionen von Menschen gibt, die keine Ahnung von Handball haben, geschweige denn den Namen eines Nationalspielers kennen. Aber sie kennen den Typen mit den bunten Pullis.
Tja, jetzt ist mein Beitrag doch beinahe ein Roman geworden. Ich hätte es kurz und mir einfach machen können. Ein paar warme Worte, fertig, nach dem Motto: Früher fand ich ihn scheiße, heute ist er ein geiler Typ. Aber das hätte erstens wie eine Pflichtübung ausgesehen, eine Gefälligkeit. Vor dem Hintergrund unserer komplizierten Vorgeschichte wäre eine knappe Würdigung auf ein, zwei Seiten Papier einfach nicht glaubwürdig gewesen – und es wäre der Person Bob Hanning auch nicht gerecht geworden.
Ich kann und will niemanden zwingen, Bob Hanning toll zu finden. Aber ich würde mir wünschen, für ihn, dass sich der ein oder andere die Mühe macht, genauer hinzuschauen, wer in den schrillen Pullovern und was hinter der großen Klappe steckt. Ich habe den zweiten Blick jedenfalls nicht bereut. Je weiter wir uns angenähert haben, desto mehr ist mein Respekt für sein Engagement für den Handball, aber auch meine Sympathie gewachsen. Ich bin der lebende Beweis, dass Bob nicht nachtragend ist. Ich war viele Jahre lang sein vielleicht größter, eindeutig aber sein lautester Kritiker. Er hat mich überzeugt. In meinen Augen ist Bob Hanning ein ganz Großer. Trotz der Pullover. Punkt.
Geschrieben von Nils Weber