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Können statt Wissen: Erste Schritte in der Bundesliga

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Ich kann nicht viel. Aber was ich kann, das kann ich besser als alle anderen. Das war meine Einstellung. Immer und in jeder Lebenslage. Vor allem aber als Handballtrainer. Von der Bezirksliga bis in die Bundesliga: In meinem Trainerleben bin ich in jede Liga aufgestiegen. Menschen zu fördern und zu begeistern, das habe ich immer gekonnt. Und ich habe den Mut, Entscheidungen zu treffen. Ich spiele in der Spielbank nicht auf Rot oder Schwarz, ich spiele auf Zahl. Natürlich lag ich manchmal vollkommen daneben. Den Fehler, den ich in all den Jahren im Trainergeschäft nicht gemacht habe, den gibt es nicht. Aber ich war durch meinen Wissensdurst eben auch immer eine Spielklasse besser als die, in der ich gearbeitet habe. So konnte ich meine Fehler meist gut kompensieren. Ich war schon bereit für die Verbandsliga, arbeitete aber noch in der Landesliga. Ich war bereit für die Regionalliga, arbeitete aber noch in der Oberliga. Ich war bereit für die Bundesliga, coachte aber noch in der zweiten Liga. Ich war meiner Zeit immer ein Stückchen voraus, hatte dadurch den kleinen, entscheidenden Vorsprung – und genau das war mein Erfolgsrezept.

Nach dem Aufstieg mit Solingen erreichten mich im Sommer 2000 zahlreiche Anfragen, und ich entschied mich für die Aufgabe beim HC Wuppertal. Das Team war zwar schon vor dem Saisonstart insolvent und handballerisch praktisch ohne jede Chance, doch für mich als blutigen Bundesliga-Anfänger vielleicht genau das Richtige. Dachte ich zumindest. Die Aufgabe reizte mich, zudem stand ich bei Geschäftsführer und Vereinsmäzen Horst Wingenroth im Wort, der den Klub sauber abwickeln wollte. Schnell musste ich feststellen, dass in Wuppertal sportlich nichts zu holen war. Wir beendeten die Spielzeit auf dem vorletzten Platz. Abgeschlagen. Abgestiegen. 14 Punkte fehlten uns am Saisonende zum rettenden Ufer, wobei schon Monate vorher klar war, dass sich das Team im Sommer auflösen würde.

Eine solche Bruchlandung wie in Wuppertal hatte ich im Handball lange nicht erlitten. Fünfzehn Jahre lang, um genau zu sein. Ich erinnere mich an das grandiose Scheitern bei meiner Basisschulung für die C-Lizenz, der Prüfung zur einfachsten aller Trainer-Lizenzen, also ganz am Anfang meiner Karriere. In solch einer Prüfung geht es darum, eine praktische Aufgabe in der Trainingsgestaltung zu lösen, von der man sehr kurzfristig erfährt. Mein Glück an jenem Tag war, dass ich direkt nach der Mittagspause an der Reihe war und der Prüfer die Zettel mit der Aufgabenbeschreibung in der Halle vergessen hatte, ehe er zu Tisch ging. Ich hingegen verbrachte die Pause in der Halle und konnte mich in aller Seelenruhe auf den geforderten Angriffsspielzug gegen eine 6:0-Abwehr vorbereiten. „Junge, das ist eine glatte Eins“, sagten sie zu mir, als ich stolz meine Lösung präsentiert hatte, „aber du bist trotzdem durchgefallen.“ Ich verstand die Welt nicht mehr. Es war schließlich nicht bloß ein Spielzug, den ich von der Demomannschaft spielen ließ. Wir nahmen eine weitere Variante hinzu, zeigten also eine komplette Spielkonzeption. Das Thema war damit aber verfehlt, weil ich die Aufgabe übererfüllt hatte. Ich war durchgefallen und musste acht Wochen später zur Nachprüfung anrücken.

Im Fall von Wuppertal war eine Nachprüfung nun aber leider nicht möglich, und so stürzte ich mich direkt ins nächste Projekt: Das Traineramt bei der SG Willstätt/Schutterwald. Ich fühlte mich auf Anhieb pudelwohl in der sonnenreichsten Region Deutschlands. Ich wohnte in Langhurst, einem Ortsteil des 7000-Seelen-Städtchens Schutterwald, nur einen Steinwurf von der französischen Grenze entfernt. Natürlich war das nicht Hamburg oder Berlin und auch nicht Essen oder Bochum. Dort gab es keine Hochhäuser oder Graffiti an den Wänden. Die Zeit schien irgendwie stehengeblieben. Das war besonders. Und ich mochte das – obwohl ich bald erkennen musste, dass der Klub in schweren Turbulenzen steckte. Mit TV 08 Willstätt und TuS Schutterwald hatten sich kurz zuvor zwei Vereine zu einer Spielgemeinschaft zusammengeschlossen, die eigentlich nicht zusammengehörten. Es trafen zwei völlig unterschiedliche Konzepte und Mentalitäten aufeinander, und man hatte mich geholt, um diese Rivalität auszugleichen. Das war gar nicht so einfach. Denn trotz treuer Sponsoren und seriöser Geschäftsleute aus der Region gab es immer wieder Probleme mit dem Geld. Und auch sportlich hatten wir, zurückgeworfen durch etliche Verletzungen, schwer zu kämpfen. Mir war bald klar, dass der Klassenerhalt mit dieser Mannschaft unter diesen Voraussetzungen meine bis dato schwierigste Mission werden würde.

Da kam mir das HDI-Modell wieder in den Sinn, von dem ich erstmals während meiner A-Lizenzausbildung bei Peter Feddern und Günter Klein 1994 in Kaiserau gehört hatte. Ich war total fasziniert von der Theorie, die das Gehirn, simpel ausgedrückt, in vier Teile unterteilt: das rationale Ich, das organisatorische Ich, das fühlende Ich und das experimentelle Ich. Das rationale Ich vergleiche ich gern mit einem Chirurgen. Er denkt analytisch-logisch und ist durch und durch Realist. Das organisatorische Ich ist hingegen vor allem strukturiert, geplant und pünktlich – so wie beispielsweise ein weltweit operierender Logistiker. Dann gibt es das experimentelle Ich, das risikofreudig denkt und die Sachen kreativ und intuitiv angeht. Und als Viertes bleibt das fühlende Ich, das hilfsbereit ist, mitfühlend, gefühlsbetont. Das assoziiere ich gern mit einer Krankenschwester. Laut HDI-Modell lässt sich die Persönlichkeit eines Menschen beziehungsweise die Dominanz der Quadranten bei einer Person relativ einfach durch Fragebögen bestimmen. Das ist superspannend. Man kann dann ziemlich schnell sehen, was man für ein Typ ist. Auch ich ließ mich im Rahmen meiner Trainerausbildung analysieren. Das Ergebnis meines damaligen Tests nutzt Günter Klein bis zum heutigen Tag als Beispiel für seine Lehrgänge, denn ich hatte ein komplettes Viereck. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Das Ganze hat nichts mit Intelligenz zu tun – aber es sagt doch etwas über einen Menschen aus.

Genau daran dachte ich nun im Abstiegskampf mit der SG Willstätt/Schutterwald. Ich schnappte mir also meine beiden Schlüsselspieler – zum einen Daniel Kempf, unser Schutterwälder Eigengewächs, zum anderen Branko Kokir, unseren Starspieler aus Serbien – und machte mit ihnen den Test. Kempfs Ergebnis lag komplett im roten Bereich mit ein bisschen Blau. Kokir war extremst blau mit ein bisschen Rot. Daraus leitete ich meine Strategie für die entscheidenden Wochen der Bundesliga-Rückrunde ab. Während ich mit Branko ganz viel Video schaute und die kommenden Spiele genauestens analysierte, ging ich mit Daniel Kaffee trinken. Selbstverständlich gab ich ihm die Videos auch mit, doch ich verlor kaum ein Wort darüber. Wir sprachen stattdessen über Emotionen und Leidenschaft und die Liebe zu unserem Verein. Diese Herangehensweise sollte sich auszahlen. Kempf und Kokir führten uns zum Erfolg und verzückten die Fans. Erst besiegten wir den SC Magdeburg, dann den THW Kiel, und schließlich holten wir auch noch einen Punkt gegen den damals großen VfL Gummersbach. Die Basis für den Klassenerhalt war gelegt. Dass wir uns durch ein Unentschieden am letzten Spieltag bei der SG Wallau/Massenheim tatsächlich auf Platz 15 retteten und dank des um zehn Treffer besseren Torverhältnisses der Relegation entkamen, werde ich nie vergessen.

Leider geriet mein Abschied von der SG Willstätt/Schutterwald ein halbes Jahr später alles andere als rühmlich. Wenn ich mir etwas in meinem Trainerleben nicht verzeihe, dann diesen einen folgenreichen Abend im Dezember 2002 in Willstätt.

Auszug aus einem Artikel von Baden Online, einem regionalen Nachrichtenportal des Offenburger Tageblatts, vom 13. März 2001 – rund vier Monate bevor Bob Hanning seine Arbeit bei der SG Willstätt/Schutterwald aufnahm:

„Auf die SG wartet also ein Workaholic. […] Er ist sehr kommunikativ, schlagfertig und hat klare Vorstellungen, die er mit Volldampf verfolgt. Hanning spricht die Sprache der Jugend, ohne den Umgang mit alten Haudegen zu scheuen. Napoleonische Züge, die man ihm aufgrund seiner geringen Körpergröße gelegentlich nachsagt, werden von Spielern, die ihn kennen, bestritten. […] Das Finanzielle ist für ihn nicht ausschlaggebend. Er bringt das totale Engagement. Im Vordergrund steht für ihn die Arbeit mit jungen Spielern, die hungrig und leistungswillig sind und in anderen Vereinen nicht so zum Zuge kamen.“

Hanning. Macht. Handball.

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