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Bob-Store und Bundesliga: Der Deal mit meinem Vater
ОглавлениеEigenes Sportgeschäft und Bundesligatrainer: Der Deal mit meinem Vater Manfred war mutig, aber auch eine Art Selbstverpflichtung, denn seine Unterstützung bedeutete mir sehr viel. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Er selbst hatte die Karriere gemacht vom Tellerwäscher zum Millionär, war Hilfsarbeiter auf dem Bau gewesen, ehe er in der Abendschule sein Abitur nachgemacht und studiert hatte und schließlich zum Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns aufgestiegen war. Mit alternativen Lebensläufen, wie ich ihn plante, kannte er sich also bestens aus. Mein Vater vertraute mir – und das gab mir für die folgenden Jahre enorm viel Sicherheit und Kraft.
Ich begann meine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem gut sortierten Sportfachgeschäft in Recklinghausen. Für mich bedeutete das zunächst eine große Umstellung. Die Sechstagewoche im Betrieb in Kombination mit der Berufsschule schlauchte ganz schön. Glücklicherweise bekam ich vom damaligen Abteilungsleiter viele Freiheiten, um meine Karriere neben der Karriere weiter forcieren zu können. Die vielen Trainingseinheiten und die regelmäßigen Spiele am Wochenende mit meinen Jugendteams ließen sich mit gutem Zeitmanagement irgendwie wuppen. Tagsüber stapelte ich Schuhkartons, sortierte Lagerbestände und erledigte andere Hiwi-Arbeiten, abends durfte ich meiner Leidenschaft in der Sporthalle frönen.
Meine ersten Erfahrungen als Trainer im Herrenhandball hatte ich damals längst gesammelt. Nie werde ich mein Debüt bei den Männern der HSG Am Hallo Essen vergessen. Tief im Winter hatte der Verein SOS gefunkt: Die Lage in der Bezirksliga schien angesichts des letzten Tabellenplatzes bei nur noch acht ausstehenden Saisonspielen ziemlich aussichtslos. Mangels Alternativen klopften sie bei mir an. Und ich sagte zu. Ich war im Handball noch keine große Nummer, nannte aber eine Bedingung: „Die Mannschaft muss am Rosenmontag zweimal trainieren.“ Training an Karneval? Das war im Freizeitsport, zumal tief im faschingsverrückten Westen, natürlich ein absolutes Tabu. Doch ich wollte sehen, ob die Mannschaft den Willen hatte, den Weg mit mir zu gehen. Das Team willigte ein. Wir gewannen sieben der acht ausstehenden Spiele und hielten die Klasse. Schon damals, ich war gerade zwanzig geworden, legte ich ein besonderes Augenmerk auf Werte. Hingabe für den Handball und Einsatzwille in jedem Training waren mir genauso wichtig wie Verlässlichkeit und Pünktlichkeit. Ob Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei oder Langzeitstudent mit Freizeit im Überfluss: In der Sporthalle machte ich nie einen Unterschied, Extrawürste gab es für keinen.
Im Sportgeschäft in Recklinghausen erkannte man schnell, dass der Hanning gut verkaufen konnte. Im Winter brachte ich Skisachen an den Mann, im Frühling, Sommer und Herbst vor allem Sportschuhe. Das machte mir Spaß, und ich lernte schnell, wie man Kunden glücklich macht. Es dauerte nicht lange, da verkaufte ich besser und mehr als alle anderen. Ich bekam Provisionen, die ich immer direkt an die Kollegen weiterreichte, da ich mir meiner Privilegien mit dem vielen Handball bewusst war und diese nicht aufs Spiel setzen wollte. Zwei Jahre lang ging das so. Ich bretterte in meinem türkisfarbenen BMW von A nach B nach C und wieder zurück. Das Dreieck zwischen meinem Wohnort Essen, dem Laden in Recklinghausen und Bochum-Riemke, wo ich inzwischen die A-Jugend trainierte, fuhr mein Wagen praktisch von allein.
Der Eifer, den ich in meine Ausbildung steckte, hielt sich in Grenzen. Ich betrachtete sie von Beginn an als Mittel zum Zweck. Natürlich lernte ich das kleine Einmaleins der betrieblichen Wirtschaft und des Verkaufens, es ging in den zwei Jahren jedoch primär darum, meine Trainerlaufbahn anzuschieben. Im Betrieb ließ ich mich zum Nachwuchsbetriebsrat wählen, weil ich dann häufiger freigestellt wurde und mehr Zeit hatte, an meinen Trainingskonzepten zu feilen und die Punktspiele vorzubereiten. Und auch in der Berufsschule fehlte ich mehr, als dass ich anwesend war. Schnupfen, Halsschmerzen, Schüttelfrost – um eine Ausrede war ich nie verlegen. Am Ende, das möchte ich betonen, profitierten aber alle Seiten davon und waren zufrieden. Im Laden verkaufte ich, wenn ich da war, wie ein Weltmeister.
Richtig glücklich machte mich die Ausbildung aber nicht. Im Handball konnte ich mich nach Feierabend austoben. Zu gerne hätte ich mich parallel auch im Betrieb weiterentwickelt. Stattdessen hatte ich das Gefühl, dass mein Talent nicht wirklich gefördert wurde. Ich verkaufte zwei Jahre lang Schuhe wie kein Zweiter, die begehrten Fortbildungslehrgänge bekamen aber immer die anderen. Ich hielt still – bis zum Ende der Ausbildung. Als mich der Filialleiter zum Abschlussgespräch in sein Büro bestellte und fragte, wie es mir gefallen habe, platzte es aus mir heraus. „Herr Iwanski“, sagte ich zu ihm, „ich habe von Ihnen gar nichts gelernt. Und wenn ich doch etwas gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass ich die Dinge nie so machen würde, wie Sie sie machen.“ Meinem Gegenüber fiel die Kinnlade runter. Ich erklärte ihm, dass ich von seiner Art der Unternehmensführung enttäuscht sei, und schwor mir, dass ich es als Chef anders machen würde, sobald ich die Chance dazu bekommen würde. Und diese Chance sollte bald kommen …
Im Handball kannte meine Karriere in jener Zeit nur eine Richtung: nach oben. Gut kann ich mich noch an meine erste richtige Vertragsverhandlung erinnern. Der TV Cronenberg, mein Heimatverein aus Jugendtagen, kam auf mich zu. Nachdem Tura 86 Essen mich zwischenzeitlich abgeworben und ich meine diversen Nachwuchsmannschaften in sechs Jahren zu acht Aufstiegen geführt hatte, wollten mich Cronenbergs Handball-Chef Peter Becker und der damalige Jugendwart Günther Risse von einer Rückkehr überzeugen. Peter fragte mich, was ich denn wert sei und bei ihm verdienen wolle. 80 Mark im Monat war damals der gängige Kurs für Jugendtrainer wie mich. Ich wollte 450. Der Jugendleiter war außer sich und polterte drauflos. Eine Unverschämtheit sei das, eine bodenlose Frechheit. Peter Becker gab sich indes diplomatisch und fragte mich, wie sich dieser Betrag zusammensetzen würde. Ich erklärte ihm meine Rechnung: „150 Mark für das, was ich früher in meiner ersten Zeit bei Cronenberg nicht bekommen habe. 150 Mark dafür, dass du mich damals hast gehen lassen. Und 150 Mark für den Job, den ich jetzt bei euch machen werde.“ Becker und Risse zogen sich zu Beratungen in die Küche zurück – und sagten zehn Minuten später per Handschlag zu. Das Geld gab es fortan jeden Monat im braunen Tütchen. Ich war der teuerste Jugendtrainer weit und breit. Und war jeden Cent wert. Mit der A-Jugend schafften wir auf Anhieb den Aufstieg in die Oberliga. Kurz darauf, es war im Sommer 1991, machte ich die Trainer-B-Lizenz und übernahm die 1. Herrenmannschaft des Klubs in der Verbandsliga.
Der sportliche Erfolg sollte sich auch bei Cronenbergs Männern schnell einstellen, doch dafür brauchte es jemanden, der unpopuläre Entscheidungen traf. Und dieser jemand war ich. Jahrelang hatte das Team vergeblich versucht, den Aufstieg in die vierte Liga zu verwirklichen. Die Spieler waren durchweg älter, hatten ihren Leistungszenit schon um ein paar Jahre überschritten, und es fehlte ihnen die Gier auf Erfolg, die du unbedingt brauchst, wenn du etwas erreichen willst. Jeder Spieler bekam am Monatsende sein Lohntütchen und war damit zufrieden, Leistungsanreize gab es keine. Und so dümpelte Cronenberg ohne große Anstrengungen, aber auch ohne großen sportlichen Anspruch in der fünften Liga herum. Ich sah sofort, dass die hohen Klubziele mit dem vorhandenen Team unerreichbar sein würden. Es musste ein personeller Schnitt her – und mit diesem Gedanken bin ich in meiner ersten Einheit ins Training marschiert. Die Spieler schauten mich erwartungsfroh an, als ich sie zu meiner Antrittsrede im Mittelkreis versammelte. Doch ich verlor keine großen Worte und verteilte stattdessen den Trainingsplan für die kommenden Wochen der Saisonvorbereitung. Es waren exakt fünf weiße Din-A-4-Zettel für exakt jene fünf Spieler, mit denen wir weitermachen wollten. Für alle anderen war in der ersten Mannschaft Schluss. Die Jungs schauten völlig entgeistert in die Runde, so etwas hatte keiner für möglich gehalten. Es folgte eine Revolte der Aussortierten mit Krisensitzung und allem Pipapo. Doch ich ließ mich nicht von meinem Weg abbringen, zog einige A-Jugendliche hoch, holte die besten zehn Spieler aus den umliegenden Vereinen und zog mein Ding durch. Wir stiegen auf Anhieb in die Oberliga auf.
Auch im zweiten Jahr lief es wie am Schnürchen. Wir hatten zahlreiche junge talentierte Spieler im Kader, aber auch einige erfahrene Recken, mit denen ich mich als Trainer weiterentwickeln konnte. Beseelt vom Traum des direkten Durchmarschs von der fünften in die dritte Liga, spielten wir eine famose Saison. Wir spielten so gut, dass es für uns schon am vorletzten Spieltag tatsächlich um den Aufstieg in die Regionalliga ging. Wir hatten nur fünf Minuspunkte und mussten nun nur noch im Showdown gegen den Tabellenzweiten Sportring Solingen-Höhscheid, die spätere SG Solingen, bestehen. Das Spiel geriet zu einem Drama. Die Partie wogte hin und her, und in die letzte Minute ging es mit einem Unentschieden. Kurz vor der Schlusssirene gelang uns aber das vermeintlich erlösende Siegestor. Doch es waren noch zwölf Sekunden zu spielen. Ich schaute zur Anzeigetafel, dann blickte ich rüber zur Uhr auf dem Zeitnehmertisch – und sprintete los. Wie von Sinnen lief ich jubelnd quer über das Spielfeld und umarmte den Schiedsrichter. Der war völlig perplex. Die Uhr tickte Sekunde für Sekunde runter. Bis die Unparteiischen merkten, was vor sich ging, war die Zeit abgelaufen, und wir hatten ungeachtet der Proteste des Gegners gewonnen. Ich erhielt im Anschluss die Rote Karte wegen unsportlichen Verhaltens, doch unterm Strich stand der zweite Aufstieg im zweiten Jahr. Ab ging es in die Regionalliga.
Cronenberg war mein sportlicher Durchbruch. Mit fünfundzwanzig Jahren! In der westdeutschen Handballszene kannte man nun meinen Namen. Und so wurde auch ein gewisser Klaus Schorn auf mich aufmerksam. Noch heute bekomme ich weiche Knie, wenn ich an damals zurückdenke. Klaus Schorn – das war in der Handballwelt seinerzeit einer der ganz großen Namen, weit über die Grenzen des Ruhrgebiets berühmt und berüchtigt. Schorn prägte als Manager die fetten Jahre von TuSEM Essen, führte den Klub zu drei deutschen Meisterschaften, gewann dreimal den DHB-Pokal und den Europacup. Und dieser Klaus Schorn stand plötzlich bei mir auf der Matte.
Die Motive von Schorn waren eindeutig. Er wollte der fulminanten Entwicklung des Emporkömmlings aus dem Essener Westen nicht tatenlos zusehen. Als Patriarch, der den Klub nach Gutsherrenart führte, duldete er keinen zweiten erfolgreichen Verein neben seinem in der Stadt. Also versuchte er, den für das kleine Handballwunder in Cronenberg Verantwortlichen kurzerhand abzuwerben, koste es, was es wolle. Er machte mir ein wahrlich unmoralisches Angebot: 100 000 Mark! Und das zwei Jahre lang. Als Co-Trainer! Im Jahr 1993 war das absurd viel Geld für einen Job im Handball. Und auch heute noch bekommt vermutlich kein Co-Trainer in der Bundesliga ein solch fürstliches Gehalt. Mir blieb also keine Wahl. Aber ich bestand bei meiner Zusage auf einer Sondervereinbarung, in der es für mich um viel mehr ging als Geld: Ich würde den Job nur unter der Bedingung übernehmen, dass ich parallel die A-Jugend des TuSEM trainieren durfte. Schorn willigte ein. Während Cronenberg in den Folgejahren leider runtergereicht wurde bis in die Bezirksliga, bekam ich die Chance, mich mit ungeahnten Mitteln der Jugendarbeit zu widmen.
Auch im Geschäftlichen nahm mein Leben richtig Fahrt auf, indem ich den Traum vom eigenen Sportgeschäft verwirklichte. Nach der Ausbildung eröffnete ich in einer Seitenstraße in Essen-Cronenberg „Bobs H2O-Store“. Es war das damals kleinste Sportgeschäft in Essen, ein Minilädchen mit rund 25 Quadratmetern, in dem ich ausnahmslos Klamotten des dänischen Sportartikelherstellers H2O verkaufte. H2O war bunt und schrill und ausgefallen, das gefiel mir. Das Geschäftsmodell war so einfach wie genial: Ich stellte einige Handballer an – lokale Prominenz, wenn man so will –, die unsere Sachen vor allem in die Vereine verkauften. Geöffnet hatten wir nur halbtags: mittwochs und samstags am Vormittag. Montags, dienstags, donnerstags und freitags jeweils am Nachmittag. Den Mannschaften war das egal, sie rannten uns die Bude ein. Halb Essen lief schon bald in unseren Klamotten rum, denn wir statteten schnell ganze Vereine aus – auch weil wir an den Samstagen etwas Besonderes anboten: Wir mieteten die kleine Kneipe hinter dem Laden, zu der es einen direkten Zugang gab, und luden unsere Kunden zum Frühschoppen ein. Erst räumten die Leute bei uns die Regale leer, dann gab es bei Frau Rüssel, so hieß die Wirtin, ordentlich zu trinken. Das ganz große Geschäft machten wir aber regelmäßig zum Supersale am Nikolaustag. Jedes Jahr am 6. Dezember bestellte ich bei Frau Rüssel ein Büfett mit Hähnchen, Fritten und Currywurst satt – und hinterher war der Laden leergekauft. Es dauerte nicht lange, da machten wir mit dem Laden den zweitgrößten Umsatz von allen H2O-Deutschland-Stores. Nach ein paar Jahren verkaufte ich den Laden wieder – die eine Hälfte des Versprechens an meinen Vater hatte ich eingelöst.