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Marie Louise, von allen nur Malou genannt, robbt derweil in ihrem rosa Strampler über den kalten Parkettboden. Sie hat unruhig geschlafen und ist früh wach geworden. Herrmanns Frau Birte hat die acht Monte alte Tochter mit nach unten in den Salon des Hauses genommen. Als sie ihren Papa entdeckt, lächelt sie.

Auch der kann mit der neu gewonnenen Ruhe nicht viel anfangen. Zu viele Gedanken drängen sich nach vorn. Sie haben ihn aus dem Bett getrieben. Allen voran die Bilder von der Kollision. Wie seine Seaexplorer – Yacht Club de Monaco, die er so gut um die Welt gebracht hatte, 90 Seemeilen vor dem Ziel neben dem Stahlrumpf eines baskischen Fischtrawlers hängt, der Bugspriet zertrümmert, das Vorsegel am Fanggeschirr zerrissen, das Steuerbord-Foil angebrochen.

»Wann immer ich nicht anderweitig abgelenkt bin, frage ich mich, was gewesen wäre, wenn das nicht passiert wäre. Was ein Podiumsplatz bedeutet hätte, der ja absolut drin war«, grübelt der 39-Jährige. »Hab ich mir damit jetzt was verbaut?«

Und da ist ein weiterer Gedanke: Noch als er unmittelbar nach dem Crash auf dem Vorschiff das in Fetzen hängende Vorsegel barg, bei drei Meter Welle, und den Schaden am Bugspriet klarierte, sei ihm durch den Kopf geschossen: »Das war’s. Das kostet jetzt die kleine finanzielle Reserve, die ich als Startkapital für die nächsten Monate nach dem Rennen beiseite legen wollte.«

Dann schüttelt er sich, spannt die Schultern, lächelt ein wenig, obwohl es die Bedrückung nicht verschwinden lässt, und guckt aus dem Fenster, als ob da draußen die Zuversicht wohnte, die er jetzt braucht: »Ich weiß noch nicht, wie wir das hinkriegen«, sagt er. »Aber irgendwie wird’s schon weitergehen.«

Es ist diese Anpassungsfähigkeit, diese Resilienz, das, was er selbst mitunter »meine Sturheit« nennt, die Boris Herrmann über die gesamte Vendée Globe getragen hat. Manchmal war es sogar eher ein Geschlepptwerden, so ungewöhnlich hart, so unnachgiebig war das Rennen.

Der gebürtige Oldenburger hat das fast von Beginn an so beschrieben, fast ungefiltert. Er hat seine Zweifel und sein Hadern nie für sich behalten, auch nicht die Sorge ums Material.

Schon in der ersten Nacht nach dem Start, in der ersten Kaltfront der Vendée, auf die noch viele folgen werden, schreibt er von Bord: »Es ist holprig, und ich halte die Geschwindigkeit zur Sicherheit bei 20 Konten. Sehe Thomas (Ruyant) auf LinkedOut, der manchmal 27 Knoten loggt. Das scheint mir nicht durchhaltbar zu sein. Welle von vorn. Fast unmöglich zu tippen.«

Zwei Tage später, nach der Front, erzählt er in einem Video: »Eine Zeitlang bin ich mit drei Reffs (im Groß) und ohne Vorsegel unterwegs gewesen, in Winden um 40 Knoten. Das ist die Vendée Globe. Die Zweifel haben mich ein wenig aufgefressen. Ich habe gar nicht geschlafen. Ich konnte nicht schlafen.«

An diesem 11. November meldet Jérémie Beyou, der große Favorit des Rennens, seine Umkehr. Eines der beiden Ruderblätter seiner Charal ist beschädigt, dazu sind Beschläge aus dem Deck gerissen. Unverantwortlich, so weiter zu segeln. Beyou geht auf Kurs Les Sables d’Olonne, lässt reparieren, startet erneut, bleibt fortan aber chancenlos.

Sein Rückschlag ist ein frühes Fanal für die Schwere dieser Vendée. Und für Herrmann, der vor allem auf Ankommen segelt, eine Warnung: »Bloß kein unüberlegtes Risiko gehen!«

ALLES ANDERE ALS IDEAL

Auf Höhe der Kapverden legt sich ein aus der Karibik ostwärts gewanderter Hurrikan den Skippern in die Ideallinie. Schon der zweite Sturm im Nordatlantik. Der Brite Alex Thomson, Herrmanns Freund, segelt in einem kühnen Zug nahe an dessen Kern heran. Ein Husarenstück. In der Folge übernimmt er die Führung, die er danach ausbauen kann. Doch auch der Skipper der hoch-innovativen Hugo Boss erreicht den Äquator nicht in neuer Bestzeit. Er bleibt drei Tage unter dem Rennrekord von 2016, fünf Tage hinter den hoch gesteckten Erwartungen. Neue, viel längere und leistungsfähigere Tragflügel, noch extremere Rumpfformen und eine ganz neue Software-Generation für die Selbststeuerung haben die Boote im Mittel um zehn, in der Spitze bis zu 40 Prozent schneller gemacht. Fabelzeiten sollen sie ermöglichen. Doch das Wetter will nicht mitspielen. Anderthalb Wochen danach muss auch Alex Thomson abdrehen und nach Delaminationen im Bug und Ruderbruch Kapstadt anlaufen. Der zweite große Favorit ausgeschieden.

In Goltoft an der Schlei bringen die Geschwindigkeiten und Anfälligkeiten der Flügelmonster einen Segler zum Grübeln, der sich mit Extremen auskennt. Wilfried Erdmann, einziger Deutscher, der die Erde in beiden Richtungen einhand und ohne anzuhalten umrundet hat, schreibt am 30. November in seinem Blog: »20 Knoten sind meines Erachtens zu schnell, um das Wichtigste am Segeln genießen zu können: Freiheit und Wildheit. Wenn ich eine Fahrt unternehme, wende ich mich ganz natürlich der See zu. Ich liege an Deck und schaue in die Wellen. Stundenlang. All das entfällt bei den Racern. Es ist eine ganz andere Welt.«

Als ihm ein Freund die Zeilen in den Südatlantik schickt, antwortet Boris Herrmann: »Sehr weiser Mann. Was wir hier machen ist Wahnsinn. Es kracht, rumpelt und scheppert nur noch.«

Auf die Frage, wie er seinen Rekordversuch auf dem Maxi-Trimaran Idec im Vergleich empfand, auf dem er fast doppelt so schnell unterwegs war, schreibt er: »Das war easy. VG (Vendée Globe) ist krass.« Was genau? »Alleinsein«.

Noch am gleichen Tag bricht das Boot von Kevin Escoffier auseinander, als es mit hoher Geschwindigkeit in einen Wellenberg rast und dort brutal abgebremst wird. Die PRB, vor dem Start umfangreich verstärkt, läuft binnen Minuten voll mit Wasser. Escoffier kann gerade noch einen Notruf absetzen, seinen Überlebensanzug anziehen und die Rettungsinsel klarmachen, als er vom Seegang über Bord gewaschen wird. Der Super-Gau. Kurz darauf bricht die Nacht herein.

Boris Herrmann und drei weitere Skipper in der Nähe werden von der Wettfahrtleitung zu Hilfe gerufen. Als sie am Havarieort eintreffen, segeln sie Suchmuster ab, um die Insel zu finden – ein fast aussichtsloses Unterfangen bei vier bis fünf Meter hoher See und Starkwind. Doch wie durch ein Wunder gelingt Jean le Cam, dem 61-jährigen Veteran des Rennens, die Rettung Escoffiers. »Kevin ist in Sicherheit«, schreibt Herrmann am frühen Morgen an sein Team. »Gottseidank!«

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