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Einleitung

Ein besonderer Beruf

Backen ist für Bäcker ein Beruf, Unterrichten für Lehrer, Programmieren für Programmierer. Mit dem Führen in Organisationen steht es nicht anders: Es handelt sich um Arbeit, und diese Arbeit konstituiert einen Beruf: den Beruf der FührungskraftIII. Er enthält Anteile von Sachtätigkeiten, die sich je nach Branche und Fachgebiet sehr unterscheiden. Im Wesentlichen aber beinhaltet er Personalführung – z. B. die Führung von Bäckern, Lehrern oder Programmierern –, und diese folgt überall den gleichen Prinzipien. Um einen Beruf erfolgreich ausüben zu können, muss man wissen, worum es dabei überhaupt geht. Man muss seine Aufgaben kennen, verstehen, welche Ziele man verfolgt und mit den Hilfsmitteln vertraut sein, die es zu nutzen gilt. Man braucht ein professionelles Selbstverständnis, eine klare Vorstellung davon, wofür man zuständig ist und wofür nicht. Man muss wissen, was gute berufliche Leistungen ausmacht und wie man sie erzielt. All dies ist eigentlich Gegenstand unzähliger Managementratgeber, wird an den Universitäten seit Jahrzehnten aufwendig beforscht und von den Organisationen mit Millionenbudgets adressiert. Seltsamerweise können trotzdem bis heute die wenigsten Führungskräfte präzise beantworten, worin denn ihr Job besteht. Nach der Lektüre dieses Buches wissen Sie es.

Führungsprofis wissen, was sie tun und warum.

Unter einer Führungskraft (engl. „manager“, „leader“, „lead“, „head“) verstehe ich eine Person, die beruflich disziplinarische Verantwortung für eine Organisationseinheit mit mindestens drei unterstellten Mitarbeitern im festen Arbeitsverhältnis trägt. Es ist eine große Unsitte, dass fast alle Studien und Meinungsumfragen auch reine Fachkräfte mit besonderer Verantwortung unter den Begriff einordnen. Das Führen von Mitarbeitern ist aber völlig anders gelagert als eine Fach- oder Projektaufgabe, mag sie noch so erfolgskritisch und kostenintensiv sein. Auch wer nur einen oder zwei Mitarbeiter führt, betreibt keine Personalführung im Hauptberuf und geht i. d. R. weniger professionell und ernsthaft an die Sache heran. Hier gibt es sicher Ausnahmen, z. B. wenn jemand sehr bewusst führt, weil er das Führungshandwerk erlernen will oder sehr schwierige Leute führt. Wenn Sie es so angehen, sind Sie eine Führungskraft. Keine Führungskraft im hier diskutierten Sinne sind hingegen alle, die Externe, Gleichgestellte oder sich selbst führen. Auch diejenigen, die sich in unstrukturierten Kontexten zu Anführern einer Gruppe von Menschen aufschwingen, bekleiden keine formale Führungsposition und sind keine Führungskräfte. Das eine oder andere hier mag für sie interessant sein, es ist aber nicht für sie und ihre Anforderungen geschrieben. Dieses Buch richtet sich also in erster Linie an Inhaberinnen und Inhaber klassischer Leitungsstellen.

Führungskräfte sind unverzichtbar. Diese Erfahrung hat man z. B. bei Google gemacht, wo Anfang der 2000er Jahre mit der Abschaffung von Managementfunktionen experimentiert wurde3. Sehr spürbar werden die Auswirkungen fehlender Führung auch im Rahmen von Kampagnen, bei denen Großkonzerne alle paar Jahre ihren Mittelbau schrumpfen, nur um die gestrichenen Leitungsstellen dann nach und nach alle wiederaufzubauen. Die Leichtfertigkeit, mit der dies geschieht, und die billigen Schlagworte, die zur Begründung dienen, zeugen immer wieder davon, wie wenig Konsens über die Funktion und die Beiträge von Führungskräften besteht. Tatsächlich haben viele Organisationen so verschwommene Vorstellungen davon, was Führung bedeutet, dass sich daraus unmöglich klare Stellendefinitionen und Auslastungspläne herleiten lassen. Führungskräften in kleineren Unternehmen geht es kaum besser, denn hier sind Führungspositionen ohnehin meist nicht das Ergebnis rationaler Festlegungen, sondern ergeben sich einfach irgendwie. Zu allem Überfluss wollen uns auch noch viele selbst ernannte Expertinnen und Experten weismachen, eine schöne neue Arbeitswelt mache klassische Führung obsolet und an ihre Stelle träten selbstgesteuerte Netzwerke. Dabei lässt sich das Erfordernis von Führungspositionen durchaus recht klar begründen. Erstens ist Selbstführung zwar ein gutes Führungsprinzip, funktioniert aber nicht bedingungslos, auch nicht in Netzwerken. Es bedarf also eines Korrektivs in Gestalt einer übergeordneten Instanz, die unterstützt und ordnet. Zweitens ergeben die Partikularinteressen von Teileinheiten in Summe nicht automatisch das Interesse der Gesamteinheit. Jemand muss Sachwalter des Kollektivs sein. Und drittens erfordert die Steuerung einer Organisationseinheit situative Einflussnahme. Es bedarf menschlicher Entscheidungskompetenz, um die jeweiligen Erfordernisse zu erkennen und eine situative Passung herzustellenIV. Zugegebenermaßen sind all dies noch recht abstrakte Erwägungen. Leitet man daraus aber konkrete Aufgabenstellungen und Aktivitäten ab, so lassen sich die im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Führungskapazitäten recht klar bestimmen (Kapitel 4, „Arbeitszeit für Führung“).

Ohne Führungskräfte geht es nicht.

Begriff und Konzept der Komplementären Führung

Was ich heutzutage über Führung sage und schreibe, beruht auf meinem eigenen Theoriemodell, das in einem dicken Wälzer gleichen Namens für führungskonzeptionell Interessierte niedergelegt ist. Es soll hier für Führungskräfte allgemeinverständlich aufbereitet werden. Komplementäre Führung habe ich meinen Ansatz genannt. Derartige Wortschöpfungen begleiten uns seit den Anfängen der Führungswissenschaft (z. B. „Autoritäre Führung“) bis heute (z. B. „Agile Führung“). Kritische Stimmen bezeichnen dies als „adjektivisch“ und kritisieren zu Recht den monothematischen Fokus der meisten Ansätze4. Mir erschien der Terminus „Komplementäre Führung“ dennoch ideal, denn zum einen sind Praktiker und Theoretiker gleichermaßen mit solchen Begriffspaaren vertraut, und zum anderen passt es einfach inhaltlich. Von Komplementarität spricht man ja, wenn unterschiedliche Dinge sich gegenseitig zu einer Gesamtheit ergänzen. Komplementäre Führung weist mehrere solcher Aspekte auf. Sie beinhaltet, dass Mitarbeiter, Führungskräfte und Personalbetreuer als komplementäre Führungsakteure zusammenwirken. Führungskräfte sollen dabei primär auf die Selbststeuerung der Mitarbeiter setzen, bei Bedarf aber kompensatorisch eingreifen. Die Akteure erfüllen gemeinsam die komplementären Führungsaufgaben, welche zusammen die Gesamtaufgabe der Personalführung abbilden. Darin konkretisieren sich die komplementären Führungsfunktionen der Ordnung und der Unterstützung. Hinzu kommen Umsetzungselemente, u. a. konkrete Aktivitäten, die ich Führungsroutinen nenne und Führungsinstrumente als formalisierte Hilfsmittel. Komplementäre Führung ist also alles andere als eindimensional – welcher Beruf ist das schon? Aber keine Sorge: Sie werden den Überblick behalten, versprochen.

Komplementär zu führen, bedeutet für die Führungskraft, primär auf das Selbstmanagement der Mitarbeiter zu setzen, aber bei Bedarf kompensierend einzugreifen. Solchermaßen lassen sich die großen Vorteile der Selbststeuerung realisieren, ohne in naives Laissez-faire zu verfallen. Chef oder Chefin sind da, wenn sie gebraucht werden, aber verschwenden ihre Zeit nicht mit unnötigen Eingriffen, die zudem noch die Potenzialentfaltung ihrer Mitarbeiter behindern. Um sicherzustellen, dass alle Aufgabenstellungen der Führung umgesetzt werden – und zwar vorzugsweise von den Mitarbeitenden selbst –, müssen Führungskräfte bestimmte Führungsaktivitäten absolvieren. Diese Aktivitäten und Aufgaben konstituieren den Beruf der Führung. Dieses Führungskonzept ist gleichermaßen effektiv und effizient5. Effektiv deswegen, weil alle Führungsaufgaben und damit alle Leistungsbedingungen produktiver Arbeit wahrgenommen werden, und zwar auch bei Problemmitarbeitern. Solchermaßen erfüllt Führung ihren Zweck und bewirkt optimale Resultate einer Organisationseinheit. Unter Effektivität versteht man ja Wirksamkeit, also das Erreichen eines Ziels. Effizient deshalb, weil sparsam mit der „Ressource“ Führungskraft umgegangen wird und zugleich die großen Produktivitätsvorteile der Selbststeuerung genutzt werden. Unter Effizienz versteht man ja Wirtschaftlichkeit, d. h. ressourcenoptimierte Wegbewältigung. Was alles dahintersteckt, wird Ihnen im Verlauf des Buches noch klarer.

Komplementäre Führung ist effektive und effiziente Führung.

Wie Allgemeingültig können Führungsempfehlungen sein?

Management ist im Kern nichts anderes als die kluge Balance zwischen Regeln und Regelungsfreiräumen. Auf diese grundlegende Erkenntnis werden wir noch verschiedentlich zurückkommen. Regeln sind dauerhafte (nicht aber unveränderliche) Festlegungen. Vielen sind sie suspekt, und tatsächlich gibt es ja unendlich viele Beispiele dysfunktionaler und sinnloser Regelungen. Es gibt aber nichts Dümmeres, als betriebliche Regeln per se in Frage zu stellen, denn sie konstituieren den Betrieb überhaupt erst. Die Forderung nach ihrer Abschaffung wäre schon deshalb absurd, weil sie selbst eine Regel darstellte. Auch der Beruf des Führens lässt sich über Regelhaftigkeiten und Wirkprinzipien beschreiben. Organisationen geben ihren Führungskräften üblicherweise normative Vorgaben in Form von betrieblichen Führungsmodellen oder -grundsätzen an die Hand. Das ist auch wichtig, denn anders ist eine flächendeckend hohe Führungsqualität nicht zu erreichen. Der Ansatz der Komplementären Führung wurde gezielt als Strukturierungshilfe dafür entwickelt. Für Sie selbst als Anwenderin oder Anwender ist es aber letztlich egal, ob Sie Führungsregeln den Statuten Ihres Arbeitgebers oder einem Managementratgeber entnehmen, Hauptsache es sind die richtigen. Ohne Standards – ein anderes Wort für Regeln – geht es jedenfalls nicht, denn ein ständiges Wechseln von Führungsidee und -verhalten wäre für uns selbst ebenso unbefriedigend wie für unsere Mitmenschen im Betrieb. Es ist auch gar nicht nötig, denn natürlich lassen sich allgemeingültige Grundregeln für gute und wirksame Führung aufzeigen, die dauerhaft und situationsübergreifend gültig sind. „Mut zum Normativen“ wurde dies treffend genannt6, und aus dem Komplementären Führungsmodell lassen sich in der Tat normative Empfehlungen dieser Art ableiten.

Viele Führungsregeln lassen sich generalisieren

Freilich lässt sich gute Führung nicht vollständig standardisieren. Dauerhaft festzulegen, wie genau Menschen zu sein und wie ihre Interaktionen abzulaufen haben, würde bedeuten, jedwede situative Flexibilität einzubüßen und sich in Widerspruch zur wechselvollen Realität zu setzen. Aus diesem Grunde trifft das Komplementäre Führungsmodell keine Aussagen zur genauen Aufgabenverteilung unter den Führungsakteuren, zu Situationsvariablen im Stil herkömmlicher Kontingenztheorien, zu persönlichen und kommunikativen Anforderungen jenseits eines Mindeststandards und zu Anwendungskonflikten oder Dilemmata. All dies liegt im Bereich der Anwendung, und diese lässt sich nicht standardisieren. Sehr zu recht warnte Management-Vordenker Peter F. Drucker davor, das Verhalten und die Einstellung von Führungskräften in den Mittelpunkt zu rücken; sie begännen dann nämlich, sich gegenüber ihren Mitarbeitern übermäßig zu kontrollieren und so krampfhaft zu versuchen, sich immer »richtig« zu verhalten, dass jede lockere Beziehung zu ihnen unmöglich werde: „Oh je, der Alte hat ein Buch gelesen. Früher wussten wir, was er von uns wollte. Jetzt müssen wir raten.“7 Wirksame Führungskräfte – auch dies wusste schon Drucker – sind und agieren sehr unterschiedlich. Ein jeder muss den für sich passenden persönlichen Kommunikationsstil und die situativ richtige T onlage treffen. Das lässt sich reflektieren, üben und über die Jahre erlernen. Man kann auch – wie es in diesem Buch geschieht – exemplarische Empfehlungen in Form von Verhaltensbausteinen anbieten. Generalisieren aber lassen sie sich nicht, immer ist die einzigartige Situation der Maßstab. Es käme schließlich auch niemand auf die Idee, einem Verkäufer den Wortlaut seines Akquisegesprächs oder einem Lehrer vier situationsabhängige Unterrichtsstile vorzuschreiben.

…, ihre situative und individuelle Umsetzung nicht.

Von der Komplexität des Kaffeekochens

Ich halte ständig Vorträge, berate Unternehmen und schreibe Texte sowie Weiterbildungskonzepte. Die Resonanz darauf fällt durchweg positiv aus, das Modell der Komplementären Führung ist offenbar für die allermeisten Führungskräfte nachvollziehbar und hilfreich. Kritische Rückmeldungen betreffen eigentlich immer nur seine Komplexität. Ich habe noch niemanden kennengelernt, der die sieben Elemente und ihre Anwendung selbst nicht verstanden hätte, aber schon sehr viele, die dennoch steif und fest behaupteten, sie seien im Betrieb nicht vermittelbar. Und in der Tat sind wir aus Theorie und Praxis andere, mundgerechtere Führungskonzepte gewohnt. Am liebsten soll alles schön simpel sein und ohne Vorwissen für jedermann verständlich. Gewünscht wird die ultimative Formel für Führungserfolg in fünf einfachen Schritten oder nach einem unschlagbaren GrundprinzipV.

Ich kontere dann immer mit der Frage, in wie vielen Aspekten einem Unkundigen Kaffeekochen zu beschreiben wäre, so, dass er es versteht und mit Aussicht auf Erfolg umsetzen kann. Wasser, Strom, Kaffeepulver mit und ohne Koffein unterschiedlichen Geschmacks, Milch und Sahne, Zucker oder Süßstoff, unterschiedliche Maschinen, Knöpfe, Mengen und Befüllungsgrade, Stromzufuhr, Dauer, Geschirr, und Vorsicht, Verbrühungsgefahr… Sie verstehen, worauf ich hinauswill: Führung ist diffiziler als Kaffeekochen. Als Phänomen und Tätigkeit ist sie erheblich vielschichtiger, als es gemeinhin dargestellt wird. Kein Mensch käme auf die Idee, den Beruf des Piloten, Kochs, Wertpapieranalysten oder Gärtners in einem Vierfelderschema oder mit fünf Leitwerten zu beschreiben. Brauchbare Theoriemodelle können sich also unmöglich auf einige wenige Aspekte beschränken, sondern müssen zumindest die wesentlichen handlungsrelevanten Elemente aufgreifen und integrieren. Führungskräften darf und muss man diese reale Komplexität zumuten. So furchtbar schwierig ist das Ganze nun auch nicht. Wer sich einmal ein grundlegendes Verständnis erarbeitet hat, setzt die verinnerlichten Prinzipien im Alltag ganz selbstverständlich um und braucht sich nicht in verkopfter Weise ständig neu damit zu beschäftigen. Kaffeekochen können Sie schon, Führen lernen Sie auch. Die eigentliche Herausforderung besteht hier wie dort sowieso nicht im theoretischen Wissen, sondern in dessen praktischer Anwendung.

Echtes Verständnis erfordert vertiefte Auseinandersetzung.

Struktur des Buches

Dieses Buch beschreibt den Beruf der Führungskraft mit dem expliziten Anspruch, ein alltagstaugliches Verständnis aller wesentlichen Aspekte herauszuarbeiten und mit konkreten Tipps zu unterlegen.

In Teil I zum „Führungsverständnis“ umreiße ich das Phänomen Führung, warne vor einigen Irrlehren und stelle meinen Ansatz der Komplementären Führung vor. Sie bekommen einen Überblick darüber, was die Tätigkeit ausmacht. Das sind zunächst einmal die Funktionen und Aufgaben, die es zu erfüllen gilt. Auf die Gestaltung von Führungsstellen sowie die nötigen Führungsressourcen wird ebenso eingegangen wie auf die ambivalente Rolle formalisierter Personalinstrumente. Auch Unschärfen und persönliche Dimensionen werden vertieft, z. B. die Fragen, was Führungskräfte können müssen und wie man Führungskraft wird bzw. bleibt. Danach haben Sie ein präzises Verständnis von Ihrer eigenen Rolle als Führungskraft und wissen, was viele daran reizt.

In Teil II über den „Führungsalltag“ wird das Tagesgeschäft des Berufs beschrieben. Vorgestellt wird das Konzept der Führungsroutinen, im Sinne konkreter Aktivitäten, ohne die sich die schönen Ideen aus Teil I gar nicht umsetzen lassen. Im Fokus stehen vor allem die individuelle Arbeitsbesprechung und gemeinsame Teamsitzung, bei denen es einiges zu beachten gibt. Auch einige Aufgabenfelder der Führung werden vertieft. Dies sind die Steuerung der Arbeitsaufgaben, die Abstimmungskommunikation im Team sowie die Rekrutierung und Entwicklung von Mitarbeitern. Führungsalltag eben, und nach diesen Ausführungen wissen Sie, wie Sie ihn angehen. Um es vorwegzunehmen: Es gibt viel zu tun, und um sich nicht in die Gruppe derer einzureihen, die Kernaspekte ihres Jobs vernachlässigen, sollen Sie wissen, was genau. Auch stecken im scheinbar Alltäglichen nicht nur manche Herausforderungen, sondern auch viele Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Fehlsteuerungen schon im Ansatz zu vermeiden.

Teil III thematisiert „Führungsprobleme“. Damit sind Themenfelder gemeint, die häufig unter negativen Vorzeichen diskutiert werden. Erklärt wird zunächst das vielschichtige Phänomen der Arbeitsmotivation und wie mit Motivationsmängeln umzugehen ist. Die bei jedweder Zusammenarbeit unausweichlichen Beziehungsfragen und Konflikte werden ebenso gewürdigt wie Gesundheit, Balance, Flow und Veränderung als Aspekte von Fürsorge. Und natürlich geht es auch um Trennung – von einzelnen Problemmitarbeitern oder im Rahmen eines kollektiven Personalabbaus. Es sind dies Dinge, die von Anfängern und Anfängerinnen oft als bedrohlich empfunden werden, die erfahrene Führungsprofis aber souverän und routinemäßig bewältigen können sollten. Nach der Lektüre dieses Teils werden Sie es sich zutrauen.

Teil IV heißt „Führungsstrategie“ und thematisiert all das, was an langfristigen Normen zu gestalten ist. Auf dem Feld des konstitutiven Managements geht es darum, sich und die eigene Organisationseinheit dauerhaft richtig aufzustellen. Das beinhaltet die Definition von Steuerungsregeln (Governance) und prozess/aufbauorganisatorischen Strukturen, aber auch die Prägung einer gemeinsamen Kultur und eines Verhaltenskodex. Auf dem Feld des strategischen Managements gilt es, Festlegungen für die nächste Geschäftsperiode zu treffen. Dabei sind insbesondere die eigenen Beiträge zu bestimmen und Bedarfsszenarien durchzuplanen. Das alles mag hier in der Zusammenfassung dröge klingen und entspricht auch überhaupt nicht dem Zeitgeist. Ich verspreche Ihnen aber: Eben hierin liegt das Geheimnis, und dieser Buchteil ist der wichtigste. In Wahrheit lässt sich nämlich nichts in der Personalführung per sofort, also im Wege der Intervention erreichen. Man muss sich rechtzeitig Gedanken machen und vorausschauende Festlegungen treffen. Hat man dies getan, ist der Lösungsraum soweit vorstrukturiert, dass einen so leicht nichts mehr aus der Bahn wirft.

Nichts von dem, was Sie hier lesen, erhebt übrigens den Anspruch, ewige Wahrheit zu sein. Ich habe das Komplementäre Führungsmodell nicht als Steintafel auf einem Berg empfangen, sondern aus zehn Jahren Berufspraxis, unzähligen Literaturquellen und eigenen konzeptionellen Ideen entwickelt. Mein Beitrag besteht sozusagen darin, die mühsame Vorarbeit auf mich genommen zu haben und Ihnen nun ein erprobtes Konzept vorzulegen – auf Tauglichkeit für Ihre Zwecke müssen Sie es schon selbst prüfen. Ich erinnere mich gern an eine Szene aus meiner Studienzeit, in der unser Professor, der über Kommunikationsmangel sprach, den Widerspruch eines Teilnehmers erntete: „Aber WatzlawickVI sagt doch, man kann nicht nicht kommunizieren!“. Die trockene Replik: „Man muss wohl nicht alles glauben, was Watzlawick sagt.“ Nun, man muss sicher auch nicht alles glauben, was Kaehler sagt. Dieses Buch dürfte einige tausend Empfehlungen enthalten, und die meisten davon habe ich im Laufe der Zeit selbst schon mehrfach revidiert und verbessert. Am besten halten Sie es also mit Kant: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“. Wenn eine meiner Thesen Sie dazu bringt, durch Nachdenken zur gegenteiligen Auffassung zu gelangen, haben Sie viel gelernt. So funktioniert Wissenschaft, und natürlich sollte auch der Erwerb von praktischem Führungswissen so funktionieren. Gute Führungskräfte beten nichts nach, sondern erwerben ihr Knowhow durch aktive Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen und fremder Expertise. So verstanden, bietet Ihnen dieses Buch eine optimale Grundlage dafür, als Führungskraft erfolgreich zu wirken und Ihre Organisationseinheit nachhaltig erfolgreich zu machen.

Viel Spaß bei der kritischen Rezeption.

III Die These vom Management als Arbeit bzw. Beruf haben u. a. schon Peter F. Drucker (1954; 1973; 1998) und Fredmund Malik (2000) überzeugend vertreten. Letzterem kommt das Verdienst zu, das Drucker’sche Denken mit seinem praxisorientierten Standardwerk „Führen, Leisten, Leben“ im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht zu haben.

IV Wie viele Bereiche unseres Lebens wird diese Grundregel allerdings derzeit durch den Siegeszug der künstlichen Intelligenz in Frage gestellt. Ein Roboter, der die Stimmung eines Mitarbeiters erfasst und in sinnvoller Weise nicht-standardisiert beantwortet, mag menschliche Führungskräften in der Zukunft in dieser Hinsicht zumindest ebenbürtig werden.

V Über das Bedürfnis nach Simplifizierung macht sich auch Managementautor und Querdenker Henry Mintzberg (1996) lustig. Er entwirft „Fünf einfache Schritte zur Zerstörung echten Nutzens“, und der fünfte Schritt besteht in der Empfehlung, unbedingt alles in fünf einfachen Schritten zu tun.

VI Paul Watzlawick, ein sehr renommierter US-Kommunikationswissenschaftler (1921-2007).

Führen als Beruf

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