Читать книгу Tödliches Geheimnis - Bärbel Junker - Страница 6
ERBARMUNGSLOS
ОглавлениеDer Händler Ben Kremser hatte die kleine afrikanische Skulptur bereits weiter verkauft, als Hajo Winkler und Nuka Akunyili bei ihm auftauchten und danach fragten. Aber er konnte ihnen den Namen und die Adresse des Käufers sagen, da dieser schon mehrere Male etwas bei ihm gekauft hatte.
Ohne viel Zeit zu verlieren, machten sich Hajo Winkler und Nuka Akunyili sofort auf den Weg.
Jetzt standen die beiden Männer vor dem Haus, in dem der Italiener Francesco Bianchi mit seiner Frau Antonella lebte, einer noch immer sehr reizvollen Frau, mit weiblichen Rundungen, die auch jetzt noch so manchen Mann zum Träumen brachten. Und dann diese funkelnden dunklen Augen und das dichte, jetzt von einzelnen silbrigen Strähnen durchzogene schwarze Haar.
Sie hatten den Mann beobachtet und wussten deshalb, dass seine Frau eine Freundin besuchte und er alleine in der Wohnung war.
Dass die Frau nach Hause gekommen war, während sie an dem Stand an der Ecke jeder zwei Bratwürste verzehrten, war ihnen allerdings entgangen.
Jedoch hätte dieses Wissen auf ihr geplantes Vorhaben sowieso keinerlei Einfluss gehabt. Diese Männer waren zwar nicht besonders intelligent, dafür jedoch absolut skrupellos. Sie ließen sich von nichts und niemandem davon abhalten das auszuführen, was sie sich vorgenommen hatten.
Einer alleine war schon brandgefährlich, beide gemeinsam jedoch eine Katastrophe!
Die Blicke der beiden Beobachter hingen an dem geklappten Fenster im zweiten Stock, an dem in diesem Moment Francesco Bianchi auftauchte, um es zu schließen.
„Schade, dass er nicht die Parterrewohnung gemietet hat. Durch das geklappte Fenster hätte wir ihn leicht überraschen können“, meinte der Afrikaner bedauernd.
„Du wirst wohl bequem, Nuka“, lästerte sein Freund und Komplize. „Sich Zugang zur Wohnung zu verschaffen ist doch für uns kein Problem. Und den Typ schaffen wir lässig mit links.“
„Weiß ich doch, Hajo. Aber es ist doch auch nicht schlecht, es sich bei einem Einsatz mal etwas leichter zu machen. Aber egal, packen wir‘s an“, entgegnete Nuka und setzte sich in Bewegung auf den Hauseingang zu.
Die Haustür war nicht abgeschlossen, was den beiden ungebetenen Besuchern das Eindringen erleichterte. Geräuschlos stiegen sie die Steinstufen zur zweiten Etage empor. Auf dem letzten Absatz vor ihrem Ziel blieb Hajo Winkler stehen.
Er reichte Nuka seine schwarze Lederjacke, unter der er eine gelbe Postjacke trug. Passend dazu setzte er eine Baseballmütze auf.
„Wir machen es wie abgesprochen, klar?“ Der Afrikaner nickte. „Du hältst dich außer Sichtweite. Ich klingle und sag meinen Spruch auf. Und sobald Bianchi öffnet, stürmen wir in die Wohnung, überwältigen und fesseln ihn.
Alles klar? Okay, dann mal los.“
Sie brachten die restlichen Stufen schnell hinter sich.
Hajo rückte seine Mütze zurecht und ging zu der Tür, auf der ein goldfarbenes Schild mit den eingravierten Namen „F. und A. Bianchi“ auf die Bewohner hinwies.
Er klingelte.
„Wer ist da?“, wollte eine freundliche Stimme wissen.
„Die Post. Ich habe einen Einschreibebrief für Sie.“
Vor dem Spion in der Mitte der Tür wurde der Sichtschutz zur Seite geschoben. Ein aufmerksamer Blick. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Eine schützende Kette wurde ausgehakt.
Und Francesco Bianchi sollte an diesem Tag das Glück für immer verlassen.
Er öffnete die Tür!
Schnell wie Vipern stießen Hajo Winkler und Nuka Akunyili auf den völlig überraschten Mann zu. Francesco Bianchi hatte nicht die geringste Chance.
„Wer war an der Tür?“, verlangte eine weibliche Stimme aus Richtung des Wohnzimmers zu wissen.
Blitzschnell hielt der Afrikaner dem Italiener den Mund zu, bevor dieser einen Warnschrei ausstoßen konnte, der allerdings wohl wenig genützt hätte. Wohin hätte seine Frau auch fliehen sollen?
Grob schob Nuka Akunyili Francesco Bianchi den Flur entlang in Richtung der Wohnzimmertür.
„Verdammter Mist. Die Frau ist ja doch zu Hause“, knurrte Hajo Winkler.
„Na und? Ist das für dich etwa ein Problem?“, fragte der Afrikaner kalt.
„Nein, aber anders wäre es mir lieber gewesen“, erwiderte sein Freund und drängte sich an den beiden Männern vorbei.
„Pech für sie“, murmelte Nuka zynisch.
Jetzt stand Hajo Winkler vor dem Wohnzimmer. Er hob den Fuß und trat kräftig gegen die nur angelehnte Tür.
Antonella Bianchi, die in einem Buch gelesen hatte, hob erschrocken den Kopf, als die Tür gegen die Wand knallte. Entgeistert starrte sie auf die beiden Fremden, die ihren Mann in ihrer Gewalt hatten.
„Keinen Ton oder ich breche ihm das Genick“, warnte der Afrikaner kalt. Und an seinen Gefangenen gewandt: „Ich nehm jetzt die Hand von deinem Mund und lass dich los. Wenn du schreist, zu fliehen versuchst oder auch nur einen einzigen Schritt ohne mein Einverständnis machst, nehme ich mir deine Frau vor. Ist das klar?“
Als Francesco Bianchi nickte, ließ der Afrikaner ihn los.
„Wer, wer sind Sie? Wa … was wollen Sie von uns?“, stotterte die Frau bestürzt.
„Wir woll’n die Figur“, sagte Hajo Winkler kurz angebunden.
„Wo ist sie?“
Antonella starrte ihn verständnislos an.
„Was für eine Figur?“
Und diese harmlose Frage war der Auslöser für das darauf folgende Entsetzen, die Schmerzen und das unermessliche Leid!
Eine Stunde lang, entsetzliche sechzig Minuten nahmen sich die Eindringlinge Francesco Bianchi vor. Sehr schnell hatte er ihnen unter den schrecklichen Misshandlungen und der Drohung, sich seine Frau vorzunehmen, gesagt, wo sie die kleine Figur finden würden.
Da hatten sie von ihm abgelassen. Doch nicht sehr lange, denn sie kehrten mit leeren Händen zurück.
Die kleine afrikanische Figur war spurlos verschwunden!
Aber wieso?
Francesco Bianchi konnte es sich nicht erklären, denn er hatte die Skulptur sicher an ihrem Platz in dem Karton geglaubt, in dem Figuren und andere Kunstgegenstände auf das Einsortieren in seine Sammlung warteten. Das beteuerte er immer wieder aufs Neue.
Doch die beiden Männer glaubten ihm nicht!
Wütend über diese Lüge, wie sie vermuteten, nahmen sie ihn sich brutal, rücksichtlos und ohne jegliches Mitgefühl wieder und wieder vor.
Und sie hatten auch noch ihren Spaß daran!
Jetzt lag er zerschlagen und gedemütigt vor seinen Peinigern am Boden, sorgte sich verzweifelt mehr um seine Frau, als um sich selbst, und fürchtete um ihrer beider Leben.
„Bitte, lassen Sie meine Frau gehen. Sie hat Ihnen doch nichts getan“, flehte er zum werweißwievielten Mal, nachdem ihn die Eindringlinge gefesselt und die ersten brutalen Schläge sein Gesicht verunstaltet hatten.
Jetzt war von seinem normalen, markanten Gesicht unter den Schwellungen kaum noch etwas zu erkennen. Sie hatten es ihm grün und blau geschlagen. Sein linkes Auge unter der geplatzten Augenbraue war zugeschwollen, seine Lippen so dick aufgetrieben, dass sie ihm beim Sprechen höllische Schmerzen bereiteten und er kaum zu verstehen war.
Jeder einzelne Nerv, jeder Knochen in seinem geschundenen Körper sandte Schmerzwellen aus. Doch was ihn fast um den Verstand brachte, war die Sorge um seine Frau. Noch hatten sie Antonella nicht angerührt, doch das war nur noch eine Frage der Zeit, so grausam und so hemmungslos wie diese Unholde waren!
Flehend sah er zu dem blonden, muskulösen Mann hoch, der gefühllos auf ihn herabstarrte.
„Sag uns endlich, wo du die Figur versteckt hast, dann lassen wir vielleicht mit uns reden“, erwiderte sein Peiniger kalt.
„Wenn du jetzt damit rausrückst, bleibt von deinem Gesicht vielleicht noch eine Winzigkeit übrig, an der du zu erkennen bist“, meinte sein Komplize, der dunkelhäutige Afrikaner, der grinsend vor Antonella stand.
„Obwohl du mit Sicherheit schon jetzt die perfekte Visage für die Hauptrolle in einem Horror-Thriller hättest. Du müsstest noch nicht mal ‚nen Maskenbildner bemühen“, fügte er höhnisch hinzu.
„Also, was ist? Soll ich weitermachen wie bisher? Oder nehme ich mir jetzt zur Abwechslung mal dein holdes Weib vor?“, wollte der blonde Folterer, wissen, der sich bislang am häufigsten Francescos angenommen hatte.
Sie waren beide unbarmherzig!
Sadisten, die sich an den Schmerzen erfreuten, die sie ihrem gefesselten Opfer zufügten.
Schmerzen, die Francesco Bianchi nie im Leben für möglich gehalten hätte. Hatte er doch vorher noch nie von den viele Nervensträngen, Knochen, Muskelsträngen und sonstigen Möglichkeiten gehört die es in einem menschlichen Körper gab, durch die einem Menschen furchtbare Schmerzen zugefügt werden konnten.
Jetzt wusste er es!
Ein paarmal hatte er in eine willkommene Ohnmacht entfliehen können.
Doch nur für Sekunden!
Denn seine Peiniger waren nicht nur perfekt im Foltern, sondern ebenso perfekt darin, ihr Opfer schnellstens wieder der Bewusstlosigkeit zu entreißen.
Schließlich wollten sie ihren Spaß haben!
Und dann hatten sie Antonella gezwungen, die ebenfalls gefesselt neben ihm auf dem Boden lag, sich seine Qualen genauestens mit anzusehen, die sie ihm zufügten.
Als sie es nicht mehr ertragen konnte und versuchte ihren Kopf abzuwenden, hatte der Schwarze sie im Nacken gepackt und eisern festgehalten. Schluchzend hatte sie um Gnade für ihren Mann gefleht.
Zwecklos!
Erbarmen war diesen Männern fremd.
Verroht wie sie waren, hatten sie sich anfangs noch über Antonellas Entsetzen, ihr Flehen und ihre Tränen amüsiert. Doch dann war es ihnen irgendwann lästig geworden.
„Hör endlich mit dem nervtötenden Geflenne auf“, hatten sie barsch verlangt. Und als sie ihr Schluchzen nicht zu unterdrücken vermochte, hatten sie ihr kurzerhand einen Lappen als Knebel in den Mund geschoben, damit sie endlich Ruhe gab.
Noch immer rollten Tränen über Antonellas weiche Wangen. Jetzt jedoch lautlos. So gefiel es diesen Ungeheuern schon viel besser.
„Was ist nun? Redest du nun endlich oder …“, knurrte der dunkelhäutige Unmensch gallig, der sich vor Antonella aufgebaut hatte. Er sprach die unterschwellige Drohung nicht aus, nahm jedoch einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Dann beugte er sich zu der Frau hinunter. Grinsend hielt er das glühende Ende dicht vor ihr schreckensstarres Gesicht.
„Also, wo ist die Figur?“, fragte er eiskalt.
Jetzt konnte auch Francesco die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie würden seine geliebte Frau hier und jetzt quälen. Und er, der sie beschützen sollte, konnte nichts, aber auch gar nichts dagegen tun.
Denn sie verlangten etwas von ihm, etwas, das er ihnen nicht geben konnte, weil es spurlos verschwunden war. Und es war ihm absolut rätselhaft wie so etwas möglich war.
Er hatte dafür einfach keine Erklärung.
„Bitte, tun Sie ihr nichts“, flehte er noch einmal so inbrünstig, dass es einen Stein hätte erweichen können.
„So glauben Sie mir doch!
Wir wissen wirklich nicht, wo die Figur abgeblieben sein könnte. Ich würde sie Ihnen doch sofort geben, wenn ich sie hätte und dadurch meine Frau schützen könnte.
Sie haben hier alles abgesucht, alles aufgeschnitten und zerstört, ohne etwas zu finden. Wie denn auch, da wir die Figur nicht mehr haben, weil irgendjemand sie gestohlen haben muss.
Aber wer?
Wir wissen es nicht!
Trotzdem quälen sie uns weiter und das alles wegen dieser Holzfigur. Wir haben sie nicht mehr. Sie haben es doch gesehen. Obwohl wir beide uns allerdings auch nicht erklären können wie ein solcher Diebstahl überhaupt möglich gewesen ist“, wimmerte Francesco verzweifelt.
Der Afrikaner musterte Francesco mit unbewegtem Gesicht.
Und dann bohrte er das rot glimmende Ende seiner Zigarette hohnlächelnd in Antonellas weiche Haut!
Francesco keuchte vor Entsetzen, vor Qual, beim Anblick des zuckenden Frauenkörpers. Er versuchte sich trotz der Fesseln aufzurichten. Ein brutaler Tritt in seine bereits lädierten Rippen nahm ihm den Atem und warf ihn auf den Boden zurück.
Er war verzweifelt, wünschte sich endlich aus diesem Albtraum zu erwachen, diesem Angsttraum, dessen Handlung er nicht verstand.
Er hatte die kleine exquisite Holzfigur im Fenster des Ladens auf St. Pauli entdeckt, in dem er schon mehrmals exotische Kultgegenstände für seine Sammlung erworben hatte.
Dabei hatte er bei der Kaufsumme sein absolutes Limit zum ersten Mal ziemlich überschritten, da ihm die kleine Figur so sehr gefiel. Wobei er nicht wie so viele andere Sammler des Wertes wegen kaufte, sondern nur das sammelte, was ihn besonders ansprach.
Und diese kleine afrikanische Figur hatte es ihm auf Anhieb angetan!
Er würde einen besonders schönen Platz in seiner Sammlung für sie finden, hatte er sich vorgenommen und sie stolz nach Hause getragen.
Dort hatte er sie erst einmal beiseitegelegt, um sie später, nach einigen Änderungen in der Präsentation seiner Sammlung, dieser dann hinzuzufügen.
Und jetzt war ausgerechnet diese Figur verschwunden!
Seiner Tochter Chiara, die sein Interesse für Kunst geteilt hatte, hätte die kleine Holzfigur sicherlich auch sehr gut gefallen, dachte Francesco.
Und die stets gegenwärtige Trauer um den frühen Tod seiner geliebten Tochter, lenkte ihn einen kurzen Moment lang ab von seiner Angst, seinem Entsetzen und von seinem Schmerz.
Da beförderte ihn ein brutaler Tritt in die Rippen abrupt zurück in den Albtraum im Hier und Jetzt.
Er drehte stöhnend den Kopf zur Seite und erschrak. Nach dem Anschlag mit der glühenden Zigarette war Antonella ohnmächtig zusammengesunken. Jetzt lag sie so regungslos wie eine Statue neben ihm. Eine Sekunde lang fürchtete er, sie sei tot.
Doch dann zuckte ihre Hand.
Sie ist nur bewusstlos. Der Schmerz und der Schock waren zu viel für sie. Sie kommt bestimmt bald wieder zu sich. Ich könnte es nicht ertragen, sie auch noch zu verlieren, dachte Francesco zärtlich.
„Es hat keinen Zweck, Nuka. Anscheinend weiß er wirklich nicht, wo die verdammte Figur abgeblieben ist.“
„Und wieso glaubst du dem Kerl plötzlich?“
„Er ist nicht der Typ Mann der zusieht wie wir seine Frau quälen, wenn er es verhindern könnte“, erwiderte der Blonde. „Hätte er sie, würde er sie uns geben.“
„Und was jetzt? Was schlägst du vor, Hajo?“, fragte sein dunkelhäutiger Komplize.
„Keine Ahnung, Nuka. Ich weiß nur, dass die Sache völlig aus dem Ruder gelaufen ist. So ein verdammter Mist aber auch“, fluchte der Blonde frustriert.
„Keine Figur, dafür aber nicht nur einen, sondern gleich zwei Zeugen am Hals, die wir unbedingt loswerden müssen. Denn niemand soll von unserer Suche nach der Figur wissen. Und dann glaubten wir auch noch, die Frau sei nicht zu Hause.
Toll ist das gelaufen, wirklich ganz toll!“
„Du hast doch wohl nicht plötzlich irgendwelche Skrupel, oder?“, fragte der Afrikaner abschätzig.
„Ach was!
Aber dieses ganze Theater und dann noch nicht mal zu wissen, wo wir jetzt noch suchen sollen. Mir geht dieses ganze Hin und Her langsam echt auf die Nerven.
Dazu noch die Sorge, die Figur könnte in die falschen Hände geraten.
Würde das wirklich passieren, wären wir und der Chef selbst in diesem vor Humanität überquellenden Staat geliefert, das kann ich dir sagen“, knurrte Hajo frustriert.
„Alles lassen die hier auch nicht durchgehen!“
„Hast ja recht, Hajo. Gegen dieses Theater ist der Auftrag jemanden umzulegen wirklich das reinste Vergnügen“, erwiderte der Afrikaner. Und dann grinste er hämisch und voll Schadenfreude, als er Francescos Entsetzen gewahrte, der fassungslos zugehört hatte.
„Na, was ist? Du hast doch wohl nicht geglaubt, wir würden Zeugen zurücklassen, oder?“, fragte er abfällig.
„Nehmt doch eine andere Figur oder meinetwegen auch alle. So wichtig kann doch die, die ihr sucht, nicht sein“, nuschelte Francesco, der zusehends Schwierigkeiten beim Sprechen hatte.
Der Blonde schüttelte vor so viel Dummheit den Kopf. „Du bist aber wirklich schwer von Begriff“, knurrte er genervt. „Die andern Figuren kannst du dir an den Hut stecken. Wir sind nur hinter der Holzfigur her. Ich dachte, das hättest selbst du mittlerweile begriffen.“
„Aber warum?
Wieso ist ausgerechnet diese Holzfigur für Sie so wichtig? Ich versteh das einfach nicht. Weshalb tun Sie uns das an? Wir kennen Sie nicht, haben Ihnen nichts getan. Lassen Sie uns doch frei. Wir werden schweigen, niemandem von Ihrem Besuch erzählen. Aber verschonen Sie uns bitte“, flehte Francesco, dem bei dem soeben gehörten schlagartig klar geworden war, dass er und Antonella dem Tod näher waren als dem Leben.
Wir sind unliebsame Zeugen, hat dieser skrupellose Sadist namens Hajo gesagt. Unliebsame Zeugen, die sie unbedingt loswerden müssen! Was haben die beiden Kerle mit uns vor?
Uns umzubringen?
Hätte ich doch bloß die Tür nicht geöffnet, haderte Francesco mit sich. Ich hätte auf Antonella hören sollen. Wie oft hat sie mich davor gewarnt, Fremden die Tür zu öffnen. Doch für Reue ist es jetzt zu spät. Wir sind diesen Verbrechern ausgeliefert.
Werden sie uns verschonen?
Nein, das werden sie nicht, denn wir kennen ihre Gesichter.
Mein Tod stand wohl von Anfang fest, andernfalls hätten sie ihr Gesicht wohl unter einer Maske verborgen, dachte er fatalistisch, denn an eine Überlebenschance für sich, glaubte er nicht mehr.
Aber Antonella!
Sie ist nur ein zufälliges Opfer, war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, begriff er entsetzt.
Mein Gott! Ich muss sie retten! Aber wie?
Todesangst ließ ihn erbeben. Sein Herz raste, schlug wie toll gegen seine angeknacksten Rippen, die wohl keine Gelegenheit zur Heilung mehr bekommen würden, denn er war schon so gut wie tot. Seine Gedanken waren ein einziges Chaos aus panischer Furcht und dumpfer Verzweiflung. Seine Hilflosigkeit brachte ihn fast um den Verstand.
Antonellas Stöhnen riss ihn aus seiner Niedergeschlagenheit. Mit aller Macht kämpfte er die Panik nieder, die der Furcht folgen wollte. Er schloss die Augen und zwang sich, nicht mehr an den Tod zu denken.
Allerdings vermochte er die Angstschauer nicht zu unterdrücken, die seinen Körper erbeben ließen. Er zitterte so stark, dass seine Peiniger aufmerksam wurden. Sie stellten sich vor ihn und starrten ihn an.
Als sie erkannten, was in ihrem Opfer vorging, grinsten die beiden Verbrecher gemein.
„So langsam scheint der Schwächling zu begreifen, was Sache ist“, lästerte Nuka. „An und für sich ist er mir gar nicht mal so unsympathisch, wo er doch die Kultur meiner Ahnen anscheinend schätzt, jedenfalls sammelt er sie“ meinte er grinsend. Und an sein Opfer gewandt:
„So, du würdest also gerne wissen, warum wir ein solches Theater um diese Holzfigur machen, richtig?“
Francesco nickte stumm.
„Ganz einfach, weil sie unseren Boss und uns beide in verdammt unangenehme Schwierigkeiten bringen würde, wenn sie in die falschen Hände gerät. Deshalb suchen wir beide so angestrengt danach.“
„Aber wieso? Was für Schwierigkeiten kann eine kleine Holzfigur schon bringen? Ich begreife das einfach nicht“, stieß Francesco hervor, für einen Moment seine Todesangst vergessend.
„Du möchtest wirklich wissen, warum wir die Figur unbedingt finden müssen?“
„Ja, das möchte ich.“
„Was meinst du, Hajo, soll ich es dem Schwächling sagen? Du nickst? Also gut! Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihm gefällt.“
„Da hast du wohl recht. Ich bin sogar davon überzeugt, dass es ihm bestimmt nicht gefallen wird! Wahrscheinlich ginge er lieber unwissend zu seinen Ahnen, wenn er erfährt, um was es hier wirklich geht.
Aber sag’s ihm ruhig.“
Da beugte sich der Mann namens Nuka grinsend zu Francesco hinunter. Sein heißer, nach Knoblauch riechender Atem streifte dessen Gesicht.
„Und jetzt hör mir gut zu“, wisperte er Lorenzo ins Ohr.
UND DANN SAGTE ER ES IHM!
Und das, was Francesco in diesem schrecklichen Augenblick erfuhr, vertrieb jegliche Furcht, seine körperlichen Schmerzen und die Sorge um seine geliebte Frau. Aber es intensivierte seine seelischen Schmerzen zu so gigantischen Dimensionen, das er es nicht ertragen konnte.
Etwas in ihm zerbrach!
Dieses Wissen ertrug er nicht!
Sein Innerstes versteinerte, weckte die Sehnsucht, das Begehren nach dem Tod und der Abkehr von jeglichem, insbesondere diesem grauenhaften, unfassbaren Seelenschmerz.
Denn es ging um sein Kind, um Chiara, seine geliebte Tochter.
DIESE BEIDEN MÄNNER WAREN IHRE SCHÄNDER, IHRE MÖRDER!