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UNGEBETENE BESUCHER

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Als die beiden hochgewachsenen Männer Simon Richters kleinen An- und Verkaufsladen betraten, den er betrieb, um seine Rente aufzubessern und weil er sich für alte Dinge interessierte, ahnte dieser noch nichts von dem Verhängnis, welches mit gierigen Fingern nach ihm griff.

Simon legte hastig das Buch, in dem er gelesen hatte, aus der Hand, als die fünf unterschiedlich großen Glöckchen an dem langen Strang Besucher ankündigten. In der Hoffnung auf ein lukratives Geschäft verließ er eilig sein winziges Büro, das zu seiner Wohnung hinter dem Laden gehörte, und betrat den vollgestellten Verkaufsraum gegenüber.

Zwei kräftige, hochgewachsene Männer standen mit dem Rücken zu ihm. Beide waren ganz in schwarz gekleidet: Jeans, Lederjacke, Joggingschuhe, Baseballmütze.

„Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“, fragte Simon in seiner zuvorkommenden Art.

Die beiden Besucher drehten sich langsam zu ihm um.

Und Simon prallte erschrocken zurück, als er ihre von einer schwarzen Sturmhaube verdeckten Gesichter gewahrte!

Der eine der beiden Männer war blond. Er trug ein rotes T-Shirt mit dem Aufdruck „SURVIVOR“ unter seiner Lederjacke.

Der Afrikaner war ebenso groß und muskulös wie sein hellhäutiger Kumpan, nur dass dieser blonde Haare hatte, die unter der Sturmhaube hervor auf seinem Rücken zusammengefasst durch eine silberne Spange hingen.

Die Haarfarbe des zweiten Mannes war unter der Sturmhaube nicht zu erkennen. Er hatte ein braunes T-Shirt mit dem Aufdruck „LIMITED EDITION“ gewählt.

Eiskalte Augen starrten Simon durch die Augenlöcher der Maske an. Beide Besucher schwiegen.

Bedrückende Stille griff nach dem älteren Mann, verunsicherte ihn, jagte ihm Kälteschauer über den Rücken.

Was wollen die beiden Kerle von mir? Mein Geld? Lachhaft bei den paar Euros die ich in der Kasse habe!

Und noch immer sagten die beiden Besucher nichts.

„Ich denke, wenn du nur willst, dann könntest du sehr viel für uns tun, Richter. Du bist doch Simon Richter?“, bequemte sich endlich der mit dem braunen T-Shirt zu einer Antwort.

Ein Schwarzafrikaner, seiner außerordentlich dunklen Hautfarbe nach, schoss es Simon trotz seiner Angst, die ihm das Atmen erschwerte, durch den Kopf. Und er spricht gut Deutsch, allerdings mit Akzent.

Der blonde Begleiter des Afrikaners schwieg noch immer, starrte Simon jedoch so eiskalt an, dass diesen Todesangst befiel.

Was wollen die beiden von mir? Was haben sie vor?

„Sollte es mir möglich sein, helfe ich Ihnen selbstverständlich gern“, erwidert Simon nach außen hin ruhig, doch innerlich zitternd vor Furcht.

Die beiden Männer sind mir unheimlich. Sie strahlen etwas Erschreckendes aus, eine Gewaltbereitschaft, die sich in jedem Wort, jeder Geste ausdrückt und wie ein unheilvoller Sog nach mir greift, dachte Simon Richter ängstlich.

„Wir sind auf der Suche nach einer kleinen afrikanischen Skulptur, einer ganz bestimmten Skulptur“, drängte sich die gutturale Stimme des Afrikaners in Simons Gedanken.

„Ich bedaure, meine Herren, aber damit kann ich im Moment leider nicht dienen“, erwiderte Simon.

„Du warst doch mit Francesco Bianchi und seiner Frau befreundet, diese beiden Italiener, die vor kurzem nicht weit entfernt von hier umgebracht wurden. Das ist doch richtig, oder?“

„Ja schon, aber was hat meine Freundschaft zu diesen beiden Menschen mit irgendeiner dubiosen Figur zu tun?“, wunderte sich Simon.

„Wir gehen davon aus, dass sie dir diese etwa fünfundzwanzig Zentimeter hohe, aus braunem Holz gefertigte afrikanische Skulptur zur Aufbewahrung gegeben haben. Wir möchten uns diese Figur ansehen und zwar sofort“, forderte der Farbige unmissverständlich.

„Und komm uns ja nicht mit irgendwelchen dummerhaftigen Ausreden“, warnte sein Begleiter.

„Tut mir leid, aber eine derartige Skulptur befindet sich nicht in meinem Besitz“, erwiderte Simon nach außen hin ruhig, doch innerlich zitternd.

Die beiden Besucher starrten ihn durch die Augenschlitze ihrer Masken geradezu mörderisch an.

„Aber du weißt doch sicherlich, dass dein so plötzlich und unerwartet verstorbener Freund afrikanische Kulturgegenstände sammelte. Schließlich hast du ihn ja häufig in seiner Wohnung besucht“, entgegnete der Blonde.

„Ja schon, aber eine Figur wie die von Ihnen beschriebene, habe ich bei Francesco nie gesehen.“

„Er hat sie in Hamburg gekauft. Und der Verkäufer schwört, dass dein Freund Francesco Bianchi der Käufer war“, knurrte der Afrikaner verärgert.

Dieses ganze Theater hier, dieses dummerhaftige Gesülze, das alles dauerte ihm viel zu lange. Er wollte endlich diese verdammte Figur haben und damit verschwinden. Und wenn der Alte sie nicht gleich freiwillig hergab, würde er ihm zeigen, was eine Harke ist!

Simon sah ihn ratlos an. „Vielleicht vergaß Francesco einfach sie mir zu zeigen“, überlegte er laut. „Kein Wunder, bei all dem vielen Kram den er zusammengekauft hat.“

„Hajo, ich hab den Eindruck, der Alte nimmt uns nicht ernst. Stell du jetzt mal die Fragen. Vielleicht ist er bei dir ja gesprächiger“, knurrte der Farbige sichtlich genervt.

„Du hast es gehört, Alter. Rück die Figur raus oder es ergeht dir dreckig“, zischte der Blonde giftig.

Simon wich erschrocken bis an den schmalen Verkaufstresen hinter seinem Rücken zurück.

Da griff der blonde Hüne mit eiserner Hand nach ihm und zerrte ihn mit einem brutalen Ruck dicht zu sich heran.

„Ich frag dich zum letzten Mal, Alter“, stieß er zusammen mit einem feuchten Schwall Speicheltropfen hervor.

„Hast du die Figur oder hast du sie nicht?“

Simon schüttelt den Kopf.

„Nein, ich hab sie nicht“, flüsterte er.

„So glauben Sie mir doch. Ich weiß ja noch nicht einmal, von was für einer Figur Sie überhaupt sprechen. Sie können den ganzen Laden durchwühlen, werden jedoch das, was Sie suchen, hier nicht finden. Ich bitte Sie, meine Herren. Weshalb sollte ich denn …“

Ein brutaler Fausthieb unterbrach abrupt seine Beteuerungen und riss ihn von den Beinen. Die harte Handkante des Blonden hatte ihm die Nase geprellt, jedoch zum Glück nicht gebrochen. Ein dünnes Rinnsal Blut rann an Simons Kinn herunter und fing sich in seinem weißen Hemdkragen.

Er wimmerte vor Schmerz.

Doch seine Peiniger kannten kein Erbarmen.

Im Gegenteil!

Schließlich machten sie das ja nicht zum ersten Mal.

Und sie ergötzten sich jedes Mal wieder daran, Gewalt über Hilflose auszuüben. Das hatten sie schon als Söldner überaus genossen.

Eine wunderbare Zeit!

Eine Zeit, in der niemand nach einem Menschenleben fragte.

Da griff der Blonde erneut zu. Rüde riss er den Geschundenen hoch.

„Hast du das gehört, Nuka? Der Alte versucht uns doch tatsächlich zu verscheißern!“

„Wenn ich ihn mir nochmal vornehme, singt er bestimmt wie eine Nachtigall“, versprach Hajos farbiger Begleiter eiskalt.

Simon stutzte, als der Blonde seine Maske anhob, um sich zu kratzen. Doch er hatte richtig gesehen.

Eine tätowierte Träne hing erstarrt unter dessen rechtem Auge.

Doch auch wenn sie sich optisch in manchen Dingen sehr unterschieden, von der Brutalität her standen sie sich in nichts nach. Diese beiden Unmenschen hatten sich wahrlich gesucht und gefunden.

Simon zitterte. Er fürchtete sich schrecklich vor diesen gewalttätigen Männern, begriff nicht wirklich, was sie eigentlich von ihm wollten. Er besaß die von ihnen gesuchte Figur nicht, hatte bei Francesco auch niemals eine solche gesehen und schon gar nicht entgegengenommen.

Der brutale blonde Schläger war mit seinem Komplizen einige Schritte zur Seite gegangen. Jetzt redete er gestenreich auf den Afrikaner ein. Einen Moment lang war Simon sich selbst überlassen.

Er tupfte vorsichtig das Blut mit seinem karierten Taschentuch vom Gesicht und dachte dabei an seinen Freund, der zusammen mit seiner Frau ein so schreckliches Ende gefunden hatte.

Ach, Francesco! erinnerte sich Simon. Du warst mir ein so guter Freund. Wie oft habe ich dich mit deiner Sammelleidenschaft gutmütig gehänselt. Und was hat sie dir jetzt eingebracht? Musstest du deshalb sterben? Und warum auch noch Antonella? War sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?

Wie schön waren unsere Nachmittage hier, in meinem winzigen Büro oder bei dir und Antonella in eurem gemütlichen Zuhause.

Und mein kleiner Enkel Kevin.

Er hat euch so sehr geliebt!

Und dann diese schreckliche Tragödie um eure Tochter Chiara. Diese wunderschöne junge Frau. Getötet und danach wie Abfall entsorgt.

Grauenhaft!

Und der oder die Täter wurden bis heute nicht gefasst.

Und jetzt ihr, meine geliebten Freunde.

Zu Tode gequält!

Warum nur? Warum!

Als sich die beiden Eindringlinge erneut auf ihn konzentrierten, da ahnte Simon, dass es schlimm werden würde, vielleicht sogar um sein Leben ging.

Denn offensichtlich glaubten ihm seine beiden gewalttätigen Besucher kein einziges Wort!

Und seine Ahnung sollte sich leider bestätigen!

Denn jetzt nahmen sie sich den alten Mann so richtig vor, nachdem sie die Ladentür abgeschlossen und das Schild „Geschlossen“ aufgehängt hatten.

Sie wollten die vermaledeite Figur und setzten Simon böse zu. Ein Knebel verhinderte seine Schreie und ließen ihn das pure Grauen erleben. Doch trotz der furchtbaren Schmerzen konnte er ihnen nichts sagen, denn er wusste ja nichts.

Da ließen sie endlich von ihm ab.

Eine letzte eindringliche Warnung die Polizei herauszuhalten. Ein letzter gemeiner Hieb und Simon glitt in gnädige Bewusstlosigkeit. Aber sie töteten ihn nicht, was wie ein Wunder anmutete.

Aber wieso ließen sie ihn am Leben?

Vielleicht aus dem Grund, weil sie nicht mit einem weiteren Mord noch mehr Aufmerksamkeit auf sich und ihre verbissene Suche lenken wollten.

Als Simon wieder zu sich kam, war es draußen mittlerweile dunkel geworden. Er war lange ohnmächtig gewesen. Doch er war noch am Leben. Er vermochte es kaum zu glauben.

Unter Schmerzen richtete er sich auf.

Krumm wie ein Fragezeichen stand er nach mehrmaligem Versuch endlich auf seinen wackeligen Beinen. Stöhnend humpelte er zum Badezimmer, um seine schlimmsten Blessuren zu verarzten.

Die zahlreichen Hämatome wurden mit Arnika-Salbe behandelt; die Schnitte desinfiziert; Heftpflaster verdeckten die Wunden; drei Schmerztabletten besänftigten die größte Qual.

„Hätte schlimmer kommen können“, murmelte Simon trotz der Schmerzen.

Anscheinend war nichts gebrochen.

Und die Blessuren würden heilen.

Und er hatte überlebt, was ihn noch immer wunderte.

Nachdem er im Bad fertig war, schleppte sich Simon hinüber in sein Wohnzimmer. Hier füllte er ein Wasserglas bis zur Hälfte mit Weinbrand und nahm einen kräftigen Schluck. Dann füllte er noch einmal nach. Mit dem Glas in der Hand wankte er zu seinem Lieblingssessel. Ächzend sank er in die weichen Polster.

Was für ein Tag!

Mit geschlossenen Augen genoss er die angenehme Wärme, die sich vom Magen aus in seinem geschundenen Körper ausbreitete und die Schmerzen linderte. Er labte sich eine Weile an dem Weinbrand. Nach einer Weile des Wohlbehagens öffnete er die Augen und starrte nachdenklich vor sich hin.

Was mag wohl an dieser kleinen Holzfigur, die diese beiden Ganoven so verzweifelt suchen, so wertvoll sein, dass Menschen dafür misshandelt und vielleicht sogar getötet werden? überlegte er. Denn Simon Richter war zwar ein alter, jedoch sehr intelligenter Mann.

Mussten seine Freunde dieser Holzfigur wegen sterben?

„Ja“, flüsterte Simon in die Stille des Raumes. „Alles deutet für mich daraufhin.

Aber wieso gab Francesco seinen Peinigern die Figur nicht?

Wieso ließ er sich für einen solchen Gegenstand so quälen? Nur um sie zu behalten?

Nein, das glaube ich nicht!

Außerdem hätte er nie etwas getan, das Antonella gefährdete“, führte er sein Selbstgespräch fort, von dem er hoffte, es werde ihm Klarheit verschaffen.

Er runzelte die Stirn.

„Und wenn die Figur nicht mehr in Francescos Besitz gewesen ist?“, murmelte er nachdenklich.

Aber hätten sie ihm das geglaubt?

Anfangs bestimmt nicht, vielleicht später, bevor sie ihre beiden Opfer kaltblütig abgeschlachtet hatten.

Man hatte die beiden übel zugerichtet. Er hatte seine Freunde gesehen, hatte sie identifiziert!

Es war kein schöner Anblick gewesen. Besonders Francesco hatte so schrecklich ausgesehen, dass er ihn kaum wiedererkannte.

Das grausamste Raubtier ist der Mensch, hatte einst ein kluger Mann gesagt.

Wie recht er doch hatte!

Was sind das bloß für Menschen, die anderen etwas so Schreckliches antun? fragte er sich nicht zum ersten Mal.

Und dann fiel ihm vor Schreck das Glas aus der Hand.

Was, wenn es Francescos und Antonellas Mörder gewesen waren, die ihn in die Mangel genommen hatten? , fragte er sich.

Ganz so abwegig war diese Überlegung nicht.

Denn immerhin hatten sie gewusst, dass Francesco die gesuchte Figur in Hamburg von einem Händler gekauft hatte, der ihn kannte. Also konnten sie davon ausgehen, bei Francesco die Figur zu finden. Der Händler hatte ihnen dann die Adresse gegeben. Und sie hatten sich auf den Weg gemacht.

Und als sie nach den Folterungen endlich begriffen, dass Francesco die Figur tatsächlich nicht mehr hatte, brachten sie ihn und Antonella um.

Ja, so musste es gewesen sein.

Und er musste seinem Schutzengel danken, dass diese Mörder ihn zwar misshandelt, jedoch nicht auch umgebracht hatten!

Er verschluckte sich vor Schreck bei diesem Gedanken, hustete bellend und krümmte sich vor Schmerz.

Trinken! Er musste unbedingt etwas trinken!

Das Glas lag am Boden. Doch es war heilgeblieben. Simon bückte sich und hob es auf, nachdem der Hustenreiz nachgelassen hatte. Er quälte sich aus seinem Sessel hoch, schlurfte zu dem kleinen Tisch auf dem er die Weinbrandflasche hatte stehen lassen, schenkte diesmal nur zwei Finger breit ein und quälte sich erneut zurück zum Sessel.

„Und was fange ich jetzt mit meinem Wissen an?“, fragte er sich laut.

„Weihe ich meinen Schwiegersohn in meine Überlegungen ein?

Markus ist Kriminalbeamter und deshalb gezwungen etwas zu unternehmen, sobald er von einem Unrecht wie den Überfall auf mich erfährt. Dabei ist zweitrangig, ob mich das eventuell gefährdet oder nicht.

Auf jeden Fall muss er jedoch seinen Chef einweihen.

Unter Umständen könnten diese Kerle dadurch von meiner Aussage erfahren und mich umbringen.

Was soll ich also tun? Schweigen?“

Er trank einen Schluck und überlegte.

„Ich bin es meinen Freunden schuldig“, murmelte Simon entschlossen.

„Ich kann nicht so tun, als wüsste ich nichts, als wäre das Entsetzliche nicht geschehen. Die Täter müssen bestraft werden und meine Aussage kann vielleicht dabei helfen.“

Entschlossen nahm er das Handy von dem kleinen Beistelltisch neben seinem Sessel und wählte Markus‘ Nummer.

Tödliches Geheimnis

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