Читать книгу Will haunt you - Dieses Buch wird dich verfolgen - Brian Kirk - Страница 10

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Ich erinnere mich, dass ich gerade, als die Uhr Mitternacht zeigte, auf das Armaturenbrett schaute und froh war, einen weiteren Tag hinter mich gebracht zu haben. Eine Mischung aus Stolz und Scham darüber empfand, dass ich mich überhaupt in diese Lage gebracht hatte. Mich fragte, wo die Waage gekippt war, was Kompromisse anging. Was mein größter Fehler gewesen war. Der Lebensstil, oder dass ich andere mit reingezogen hatte. Wären die Dinge so schlecht gelaufen, wenn ich Cassie nie getroffen hätte? Wenn wir Rox niemals bekommen hätten?

Hier stehe ich und denke über die vergangenen sieben Jahre nach, wie sehr ich mich in so kurzer Zeit verändert habe. Wünschte, ich könnte die beiden Versionen von mir zusammenführen, sie miteinander aussöhnen, eine Möglichkeit finden, mir selbst zu verzeihen und weiterzumachen. Die Nacht war bombig gewesen. Wieder auf der Bühne, wieder zusammen mit meinen alten Bandkumpels, wieder in einer schäbigen Bar mit lockeren Regeln und lockeren Frauen. Aber wie lange würde es dauern, bis sich die alten Muster wieder zeigten? Ich konnte es mir nicht leisten, das herauszufinden. Ich war gerade soweit, dass ich Rox überhaupt ansehen konnte, ohne zu schaudern. Dass ich in den Spiegel sehen konnte, ohne den Blick abzuwenden. Nichts war es wert, das jetzt aufzugeben. Ganz egal, wie viel Spaß es vielleicht gemacht hätte. Ich hatte das Gefühl, eine Art Prüfung bestanden zu haben, und es fühlte sich gut an.

Ich blickte wieder auf die Uhr, und diese stand immer noch auf 00:00. Die längste Minute meines Lebens. Ich dachte, dass die Uhr vielleicht stehengeblieben war, also zählte ich in Gedanken bis sechzig und sah nochmal hin. Die rotglühenden Ziffern blieben bei 00:00.

Na gut, was soll’s. Ich betrachtete die gelbe Linie, die die Straße in zwei Hälften teilte, wobei die pulsierenden Streifen wie Sekunden vorbeitickten. »Personal Jesus« von Depeche Mode lief gerade im Radio aus. Caspian hätte auch diesen Song gehasst, aber mich störte er nicht. Besser als »Coffin Dust«, so viel stand fest.

Der Nacht-DJ sprach über das leiser werdende Stück, seine Stimme war leise und rau, als hätte man ihn gerade erst geweckt und ihm ein Mikro vor die Nase geschoben.

»Willkommen bei The Midnight Hour. Wir haben eine lange Nacht vor uns und fangen gerade erst an. Heute Nacht ist es dunkel draußen. Ruhig. Die halbe Welt liegt im Delirium des Schlafs, während die andere Hälfte sich mit ihrem traurigen, sinnlosen Leben abquält und die Tage bis zu ihrem unvermeidlichen Tod abzählt.«

Ich schnaubte ein Lachen. Klang, als hätte jemand seine Antidepressiva abgesetzt.

»Und genau in diesem Moment ist ein einsamer Fahrer auf einem leeren Highway unterwegs und hört zu. Ein alter Bekannter schläft neben ihm und schnarcht wie das kleine Jesuskind in Seiner Krippe.«

Das war schon seltsam. Ich versteifte mich und legte den Kopf schief. Sah runter, ob die Uhr immer noch bei 00:00 feststeckte. Die gelben Markierungen rasten vorbei. Der DJ lachte leise, ein tiefes, rasselndes Grummeln, belegt mit Lungenplaque.

»Ganz recht: The Midnight Hour. Fangen wir mit dem ersten Gast des Abends an. Komm näher an das Mikro da und sag uns, wie du heißt!«

Wieder das Kichern. Wie ein Todesröcheln.

»Kevin«, sagte der Gast. Er klang zögerlich, verängstigt.

»Alles klar. Also, Kevin, willkommen bei The Midnight Hour. Hast du heute Nacht irgendwelche Wünsche an uns?«

Der Gast sagte etwas, das wie ›Was soll ich?‹ klang, aber er hatte sich vom Mikrofon entfernt, sodass er schwer zu verstehen war. Dann stöhnte er vor Schmerz und kam wieder näher ans Mikro heran.

»Okay, okay, okay«, sagte er, und seine Stimme bebte, er atmete schwer. »Hört er zu?«

»Ja, ich versichere dir, wir haben gerade seine vollkommene und ungeteilte Aufmerksamkeit. Nur zu!«

Ich musste doch mehr Second-Hand-Rausch abgekriegt haben, als ich dachte. Ich spürte die Paranoia, die man bekommt, wenn sich ein schlechter Trip anbahnt.

»Hey«, sagte ich zu Caspian und versuchte, ihn zu wecken, aber meine Stimme klang schwach und erbärmlich und verschwand, sobald sie meinen Mund verlassen hatte. Seine Antwort war lautes Schnarchen.

Ein lautes, niedergeschlagenes Ausatmen hallte durch die Autolautsprecher.

»Na schön. Hey, Jesse.« Eine Pause, gefolgt von einem weiteren lauten Ausatmen. »Mann, ich hab’ keine Ahnung, was du angestellt hast, aber hier sind ein paar Jungs, die nach dir suchen. Übler Haufen, Mann. Schätze, du fährst gerade nach Hause, oder? Und du hörst das hier im Autoradio? Die haben mich auf dem Parkplatz gekascht. Haben auf der Lauer gelegen, schätze ich. Haben mir ordentlich in den Arsch getreten.«

Das war Kevin, da gab es keinen Zweifel. Er war nach dem Parkplatzfick mit der Braut nicht wiedergekommen. Wenn es überhaupt so weit gekommen war. War das ein Trick gewesen? War das hier irgendein dämlicher Stunt? Wenn ja, dann klang er außergewöhnlich authentisch. Kevin sprach, als würde er auf Wattebällchen herumkauen. Oder sein Kiefer war gebrochen.

»Hey!« Ich packte Caspians Schulter und schüttelte ihn. »Alter, wach auf, verdammte Scheiße!«

Caspian lallte, und ein Sabberfaden benetzte sein Kinn. Ich brauchte zwei weitere Ohren, also packte ich ihn am Kiefer und drückte sein Gesicht hart gegen die Kopflehne, wobei ich hilflos auf die weißen Sicheln seiner leeren Augen blickte. Sowie ich losließ, fiel sein Kopf nach vorne.

»Also, Mann, hör zu!«, fuhr Kevin mit dieser belegten, geschwollenen Stimme fort. »Ich bin nicht mal sicher, was ich sagen soll. Aber wenn ich du wäre, würde ich mich nicht mit diesen Typen anlegen. Okay, Mann? Wenn das hier vorbei ist, dann tu einfach, was sie von dir verlangen! Diese Kerle, Mann. Tragen Masken und so’n Scheiß. Verfickter Halloween-Scheiß hier.« Weitere Atemgeräusche. Die Straße zischte unter den Reifen. »Hört mal, ich hab’ keine Ahnung, was ihr wollt, dass ich sagen soll.«

»Du machst das gut, Kevin. Passt schon. Das ist The Midnight Hour, die längste Stunde der Nacht. Könnte tatsächlich sein, dass sie heute Nacht niemals endet. Aber du wirst wollen, dass sie endet, Jesse. Du wirst darum betteln, dass sie endet. Damit sie endet, wirst du Dinge tun, von denen du nie geahnt hast, dass du sie tun kannst. Bist du bereit dafür?«

In dem Moment ging die Innenbeleuchtung aus, die Scheinwerfer flackerten und wurden dunkel. Der Motor würgte. Dann ging er völlig aus, und wir rollten ohne Antrieb. Das Lenkrad lag störrisch in meinen Händen.

Ohne die Umgebungsgeräusche war das tiefe, raue Lachen lauter. Intim.

»Passt auf, Zuhörer. Draußen ist es heute Nacht gefährlich. Keine gute Nacht, um auf der Straße unterwegs zu sein. Ihr solltet besser nach einem Parkplatz suchen. Ein paar von euch haben vielleicht keine Wahl.«

Langsam lenkte ich das ausrollende Auto rüber auf den Standstreifen, aber der Name erschien mir nicht ausreichend. Eher der Sieh-zu-wie-du-klarkommst-Streifen.

Die Reifen überquerten den Rüttelstreifen, und das Auto rappelte. Die Innenbeleuchtung ging stroboskopartig an und aus. Das bedrohliche Lachen dieses Dreckskerls von einem DJ war ein unterbrochenes Stakkato, das auftauchte und verschwand. Ich trat das Gaspedal bis zum Boden durch, aber es half nichts. Der Motor war aus. Ich hatte keine andere Wahl, als den Camry zum Stehen zu bringen. Im sanften Strahl der trüben Scheinwerfer wirbelte kreideweißer Staub auf.

»Also, Kevin. Du hast es uns noch nicht gesagt. Welchen Wunsch hast du?«

Ich hörte zu, wie Kevin zynisch lachte, mit einem Hauch von Trotz. Vielleicht war das gut. »Lasst mich gehen?«

»Hmmm.« Das klang wie ein Schnurren – oder der Anfang eines Knurrens. »Nein, das steht heute Nacht nicht auf der Setlist, fürchte ich. Lass mich die Frage anders formulieren! Hast du irgendeinen letzten Wunsch?«

Kevins nächstes Lachen war nicht so trotzig. Und es klang schriller. »Komm schon, Mann!«

Aus den Lautsprechern kam nichts als Stille. Dann hörte ich, wie jemand in der Ferne sprach, zu weit vom Mikro weg, um es zu verstehen. Mehr humorloses Lachen. Dann Kevin: »Alter, echt jetzt? Was soll der Scheiß?!«

Das Kratzen eines Stuhls, etwas, das hart gegen einen Holztisch prallte. Kevin, der vor Schmerz stöhnte.

»Deine letzten Worte, Kevin? Irgendwas für unsere Zuhörer?«

Es hörte sich an, als wäre wieder ein Mikro vor Kevins Mund geschoben worden. Er atmete schwer und schnell. »Fick dich, Mann!«

»Na schön. Gut, dass die Zensurbehörde diesen Sender nicht überwacht, denn ich glaube nicht, dass das sonst durchgekommen wäre.«

Tiefes, Übelkeit erregendes Lachen. Ein mannsgroßer Frosch.

Kevins plötzlicher Schrei erschütterte die Autolautsprecher. Sogar Caspian zuckte im Schlaf.

»Nein, nein, neinneinnein …« Kevin hörte auf zu sprechen und stöhnte, ein Ausdruck von Schmerz, der fast wie eine Bitte um Gnade klang. Dann folgte ein feuchter, gluckender Laut. Als würde er mit etwas Dickem und Zähflüssigem gurgeln. Ich konnte ein merkwürdiges Zischen hören, ein Reifen, der Luft verlor, dann platschte Wasser auf einen Tisch.

Nein, kein Wasser.

Ein Reißen, ein Messer, das ein Hühnergelenk durchtrennte. Jemand grunzte im Hintergrund, kam aber näher. Schwer atmend. Der DJ kicherte die ganze Zeit über. Ein untersetzter Mann, der sich am Feuer wärmte und eine Katze streichelte.

Etwas Hartes rumpelte, als es unregelmäßig über Holz rollte.

»Ah, ja, wir haben hier einen guten Anfang gemacht bei The Midnight Hour. Und wir werden gerade erst warm. Für unsere Zuhörer in dieser besonderen Nacht da draußen: Schnallt euch an! Gleich wird es etwas holprig. Aber keine Sorge! Hilfe naht.«

Die Lichter gingen aus, und stumme Finsternis umfing das Auto.

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