Читать книгу Will haunt you - Dieses Buch wird dich verfolgen - Brian Kirk - Страница 13
ОглавлениеMehr Licht. Es blendet mich. Ein Scheinwerfer, der direkt in mein rechtes Auge strahlt, greller als die Sonne. Mein linkes Augenlid schließt sich, das andere öffnet sich. Es wird gezwungen, sich zu öffnen, und ist einem weiteren Strahl blendenden Lichts ausgesetzt, das mich untersucht. Direkt in mein Hirn schaut. Mein rechtes Augenlid fällt zu, und ich höre das Klicken eines Knopfes.
Eine Hand auf meiner Schulter, ein sanftes Schütteln. Die beruhigende Stimme eines Mannes. »Mr. Wheeler, sind Sie wach?«
Ich liege am Grund eines Brunnens, am hinteren Ende eines langen Tunnels. Die Stimme des Mannes ist nahe, aber ich – mein bewusstes Ich – ist weit weg. Tief drin in mir selbst.
»Lassen Sie sich Zeit!«, sagt der Mann.
Langsam treibe ich nach oben, zum Licht auf flachem Wasser. Wasser, fauliges Wasser. Das über den Boden eines Durchlasskanals strömt. Die Erinnerung rüttelt mich wach, aber ich kann mich nicht bewegen. Mein Körper ist gelähmt. Meine Augen gehen ruckartig auf, und die Helligkeit sticht.
Ich liege in einem Bett in einer Art Operationssaal. Die fensterlosen Wände sind mit weißen U-Bahn-Kacheln bedeckt. Eine drehbare Lampe hängt genau über mir. Auf einem Stahltablett neben mir liegen chirurgische Werkzeuge aufgereiht, mehrere davon mit roten Flecken. Der Mann trägt einen blauen Kittel, der Kopf ist von einer OP-Haube bedeckt, das Gesicht hinter einem weißen Mundschutz verborgen. Seine braunen Augen blicken in meine, als er gelbe Latexhandschuhe auszieht. Ich bemerke die Blutflecken daran. Ich nehme an, es ist mein Blut.
Mein erster Gedanke ist, dass ich noch lebe, und er bringt enorme Erleichterung. Ich bin aus diesem Tunnel rausgekommen. Vielleicht haben sie mich zum Sterben zurückgelassen, keine Ahnung, aber getötet haben sie mich nicht. Und jetzt bin ich irgendwo in Sicherheit. Ich öffne den Mund und will etwas sagen, bringe aber nur ein Krächzen heraus.
»Ich hole Ihnen etwas Wasser.« Der Mann füllt einen kleinen Pappbecher aus der Kanne neben dem Bett. Es ist kühl und erfrischend, auch wenn es etwas brennt, als es meine Kehle benetzt. Er füllt nach, und ich trinke wieder, diesmal geht es leichter. Es fühlt sich so gut an, dass ich aufatme.
Ich fühle mich bereit zu sprechen. »Was bin ich?«, sage ich und vermische »Was ist passiert?« mit »Wo bin ich?«
Die Augen des Arztes werfen Falten, die Maske verbirgt sein Lächeln. »Sie hatten einen Unfall. War ziemlich ernst, aber Sie sind bald wieder auf dem Damm. Entspannen Sie sich einfach!«
Meine letzte Erinnerung ist die an den in dem engen Kanal hockenden Mechanikerzwilling, der Caspians abgetrennten Kopf festhält. Der Tunnel war allerdings dunkel. Und ich hatte Todesangst. Es konnte genauso gut eine Attrappe gewesen sein. Es musste eine gewesen sein.
Ich weiß nicht genau, was mich außer Gefecht gesetzt hat. Könnte eine Nadel im Hals oder ein Schlag auf den Kopf gewesen sein. Dieser kichernde Hinterwäldler mit dem Montierhebel hatte sich irgendwie hinter mich geschlichen – »Hab’s dir doch gesagt, Junge.« –, bevor die Welt in Dunkelheit versank. Meine Gedanken drehen sich. »Wo?«, ist alles, was ich sagen kann.
»Jemand hat den Unfall gemeldet, von dort, wo das Wrack liegt. Sie wurden aus dem Auto geschleudert und rollten in den Straßengraben. Sie hatten Glück, dass man Sie rechtzeitig gefunden hat. Sie sind wohl neben einem Schlangennest gelandet. Eine Schlange, ein Kupferkopf, hat Sie gebissen, aber wir haben Ihnen ein Gegengift verabreicht und die Wunde behandelt. Die Verletzung an Ihrem Kopf war schlimmer, dort mussten wir die innere Schwellung abbauen, um den Druck in Ihrem Schädel zu mindern. Ihr Zustand ist jetzt stabil.«
»Das Wrack?«, frage ich. Ich versuche, meinen Arm zu heben, meine Beine, aber ich bin bewegungsunfähig. Ich kann nicht mal den Kopf drehen.
Der Arzt nickt. »Es könnte etwas dauern, bis Ihre Erinnerung zurückkehrt. Wenn sie zurückkehrt. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, das so ernst ist wie Ihres, erinnern Sie sich vielleicht niemals an den Unfall.«
Er zieht die Haube ab, und darunter kommt eine Stirn zum Vorschein, die von grauen Locken eingerahmt wird. »Wir haben den Alkoholspiegel in Ihrem Blut gemessen, und Sie waren sauber. Vorhin waren Polizisten hier und kommen bald wieder. Sie suchen immer noch nach dem Beifahrer, der bei Ihnen im Auto gesessen ist. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo er sein könnte?«
Caspian? Soll ich ihm von dem Abwasserkanal erzählen? Davon, was ich im Radio gehört habe? Wo soll ich anfangen?
Ich versuche, den Kopf zu schütteln, kann es aber nicht.
»Sie können sich nicht erinnern«, sagt der Arzt. »Ist schon in Ordnung. Nicht anstrengen! Entweder kommt es zurück oder nicht, erzwingen können Sie es nicht.«
Er nimmt die Maske ab. Tiefe Falten säumen die Seiten seines Mundes. Knapp unter der Oberfläche der vor Stress schlappen Haut sind dunkle Stoppeln zu sehen. Er gähnt vor Erschöpfung, und entweder sehe ich den masochistischsten Zahnersatz der Welt oder den feuchten Traum jedes Kieferorthopäden. Er hat keine Zähne, sondern die Hauer eines Walrosses. Essensreste – kleine Stängel, die wie Grashüpferbeine aussehen – hängen in den Zwischenräumen. Diese vergilbten Hauer wachsen in jede Richtung und überlappen einander wie verdrehte Zaunpfähle. Sie drängen sich so obszön in seinem Mund, dass es ein Wunder ist, dass er sprechen, dass er essen kann.
Sein Mund öffnet sich noch weiter, und ich erwarte, dass er den Kiefer ausrenkt, dass die Haut in den Mundwinkeln aufreißt.
Könnte eine Halluzination sein, hervorgerufen durch das Trauma. Oder durch die Schwellung in meinem Hirn. Oder einfach ein Mann mit beschissenen Zähnen und zufälliges Timing. Wobei das Zeug, das in seinen Zähnen steckt, definitiv von Insekten stammt. Ich sehe das Schillern von Flügeln.
»Sie bemerken bestimmt, dass Ihre motorischen Fähigkeiten eingeschränkt sind. Das kommt von der Narkose, die schon bald nachlassen wird, danach sind Sie wieder vollkommen bewegungsfähig. Bedenkt man die Umstände, sind Ihre Verletzungen leicht, und Sie können mit einer vollkommenen Genesung rechnen. Ich schicke nachher eine Schwester, die nachsieht, wie es Ihnen geht. Alles Gute!«
Er klopft mir auf die Brust und steht auf, wobei er die Stiftlampe auf das Tablett legt. Er dreht die Lampe über mir vom Bett weg, sodass ich einen freien Blick auf die Spiegeldecke habe, in der mein Spiegelbild vor Dunkelheit schwer zu erkennen ist, und geht zur Tür hinaus. Eine Sekunde vergeht, dann werden die Lampen, die die Decke säumen, immer heller und machen mein Spiegelbild deutlich. Mein Kopf ist fixiert, sodass ich nur nach oben schauen kann, und ich bin wie gebannt, als meine Züge in dem Spiegel Gestalt annehmen. Das blaue Laken, das meinen Körper bedeckt. Mein bleiches Gesicht mit dem graumelierten Spitzbart. Eine rote Haube bedeckt meine Kopfhaut und muss eine Art Schutzverband sein. Allerdings kann ich die Verbände nicht fühlen, und je genauer ich hinsehe, desto mehr wird mir klar, dass nichts meinen Kopf bedeckt. Vielmehr fehlt etwas. Die obere Hälfte meines Schädels ist entfernt worden, und die rote Kappe, die ich auf meinem Skalp sehe, ist mein freigelegtes Gehirn. Etwas Blut sickert aus dem Einschnitt am Kopf, und ich spüre, wie es auf meinen Augenwinkel tropft.
Ich fange an, unkontrolliert zu atmen – gleich werde ich hyperventilieren. Aber der heranrauschende Sauerstoff weckt meine gelähmten Glieder und sorgt für schmerzhafte Nadelstiche, als das Blut zurückschießt. Meine Arme und Beine sind schwer und ungelenk, aber wenigstens kann ich sie bewegen. Durch meine Anstrengungen fließt Blut aus meinem Skalp und brennt mir in den Augen. Ich wiege mich vor und zurück, einmal, zweimal, dann sitze ich aufrecht. Das hätte ich wahrscheinlich nicht tun sollen. Scheiße, ich sollte nicht alleine hier liegen, während mein Gehirn freiliegt. Ich stehe kurz vor einem Schock. Schließlich bin ich soweit, dass ich meine Arme kontrollieren kann, und ohne nachzudenken greife ich nach oben und berühre meinen Kopf.
Ich spüre Haar. Nasses Haar, aber Haar. Nicht die glitschigen Falten meines gallertartigen Hirns. Die Berührung tut nicht weh, ich kann fühlen, dass meine Kopfhaut und mein Schädel noch da sind. Die Stelle ist nicht mal weich, wie ich es erwartet hätte, nachdem man mir eins über den Schädel gezogen hat. Im Spiegel aber sehe ich, wie ich mein zartestes Organ streichle – die Quelle all meiner Träume und Süchte.
Auf dem Tablett neben mir liegt ein kleiner Handspiegel. Mit feuchten, rotbefleckten Fingern greife ich danach. Halte ihn hoch und sehe mein verklebtes Haar, das von roter Flüssigkeit durchtränkt ist. Offenbar Kunstblut.
Ich blicke hoch, sehe mein Gehirn. Blicke auf den Spiegel in meiner Hand, sehe meinen Skalp und blutdurchtränktes Haar.
Ein Trickspiegel. Der über mir. Eine Art Kirmestrick wie in Freizeitparks. Einfach nur eine aufwendige Täuschung. Was bedeutet, dass ich noch immer mitten in diesem sadistischen Streich bin.
Diese Erkenntnis beraubte mich meiner ganzen Energie. Ich wollte mich einfach nur in das Krankenbett legen und einschlafen. Wer wusste schon, welche weiteren Tricks mich hinter der Tür erwarteten, durch die der Arzt mit dem Zahngewirr gerade nach draußen gegangen war? Ich hatte keine andere Wahl, als es herauszufinden.
Ich schwang meine Beine von dem Stuhl, zwang mich auf die Füße und prüfte die Kraft meiner Beine. Sie zitterten, und die Welt begann zu schlingern, also legte ich mich wieder hin. Dann, bevor ich erneut versuchen konnte, aufzustehen, ging die Tür auf, und die junge Frau, die mir in der Bar ihre Titten gezeigt hatte, kam herein.
Anscheinend war meine Krankenschwester gekommen.