Читать книгу Will haunt you - Dieses Buch wird dich verfolgen - Brian Kirk - Страница 12
ОглавлениеDie vierspurige Straße verschwand in der Dunkelheit. Ich war noch nie ein guter Läufer und bin ich nicht sehr gut in Form, aber mir war klar, dass ich mein Bestes tun musste, um Vorsprung vor diesen schwerfälligen Idioten zu gewinnen, bis ich ein Auto anhalten konnte. Früher oder später musste ja eines vorbeifahren. Es war seltsam, dass noch keins gekommen war, auch wenn mich das jetzt nicht mehr wundert.
Nach gut sechs Metern blickte ich über die Schulter. Schraubenschlüssel ging langsam, aber Montierhebel hatte einen Schritt zugelegt. Das war in Ordnung. Wenn nötig konnte ich zur anderen Seite des Highways rüberlaufen. Ich war high vom Adrenalin und wusste, dass es mir die Kraft geben würde, die ich brauchte, den alten Männern zu entgehen, bis sie oder ihre altersschwachen Herzen den Geist aufgaben. Sie hatten bestimmt genauso wenig Lust wie ich, die ganze Nacht herumzurennen.
Vor mir erschien eine schattenhafte Gestalt am Straßenrand. Sie war vornüber gebeugt und hielt etwas in der Hand. Ich konnte es nicht deutlich erkennen, aber es hatte einen langen Schaft, der in einer scharfen Spitze endete. Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, es war eine Machete. Oder etwas Ähnliches. Ich lief etwas langsamer und hörte, wie die knirschenden Schritte von Montierhebel hinter mir schneller wurden.
»Ich komme, Großer«, sagte Montierhebel mit seinem dümmlichen Kichern. »Jetzt hab’ ich dich!«
Ich machte einen Satz nach vorne und spürte ein Stechen im Oberschenkel, knapp unter meinem Arsch. So schnell hatte ich mich seit der High-School nicht mehr bewegt, was dreißig Jahre her war, und selbst damals war ich kein Sportler. Aber ich ließ mich vom Schmerz nicht bremsen. Ich lief zur anderen Seite des Highways und setzte mithilfe meiner Hände über die Leitplanke. Ich landete auf einer Schräge, und meine Füße rutschten ab, während ich mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht zu behalten. Dann rutschten mir die Beine weg, ich landete hart auf der Seite und rutschte weiter, riss mir die Handflächen auf, als ich versuchte, mit ihnen zu bremsen.
Der Abhang hatte fünfundvierzig Grad und führte zu einem vielleicht vier Meter entfernten Grasstreifen, der am Rand eines mit Kiefern bewachsenen Hügels lag. Dort würde ich nicht weit kommen: Die Bäume standen zu dicht beieinander, der Hügel war zu steil. Zumindest war es hier unten dunkel. Von der Straße aus würden sie mich kaum sehen können.
Ich duckte mich fast bis zum Boden – das Stechen in meinem Bein war zu einem Brennen geworden – und ging zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, weil ich dachte, ich könnte einen Bogen schlagen und hinter sie gelangen. Vor mir sah ich etwas, das mich auf eine bessere Idee brachte: die Öffnung eines kreisrunden Wasserdurchlasses, der unter dem Highway hindurchführte. Dort hindurch würde ich problemlos zur Gegenspur rüberkommen, von wo aus ich in Richtung der nächsten Ausfahrt rennen – oder eher humpeln – und eine Tankstelle erreichen konnte. Ich taumelte vorwärts und kroch hinein.
Etwas war hier drin gestorben. Der Geruch setzte sich tief in meinem Rachen fest, der süßliche Gestank von Fleisch, das in stehendem Wasser verfaulte. Ich hielt es für ein schlechtes Omen – dieser Ort kannte den Tod –, aber mir gingen die Optionen aus. Die Rückseite meines Beins pochte und zog sich zusammen. Offensichtlich hatte ich mir was gezerrt, und ich war nicht sicher, wie weit oder schnell ich laufen konnte, bevor mein Bein nachgeben würde.
Ich wagte mich weiter in den Tunnel hinein. Das Licht drang vielleicht knapp anderthalb Meter hinein. Dahinter lag völlige Finsternis. Es war unmöglich, das andere Ende zu erkennen, aber der Weg musste zu beiden Enden offen sein. Er musste einfach.
Die runde Decke war niedrig, sodass ich mich bücken musste. Ich spürte ein Ziehen im Kreuz, ähnlich dem in meinem Bein. Scheiße, wenn sonst nichts, dann zeigte diese Flucht doch, in was für einer Form ich war. Der eines plumpen Kürbisses.
Wasser staute sich in der Mitte des Tunnels. Ich grätschte über das stehende Rinnsal hinweg, um kein Platschen zu verursachen. So musste ich watscheln, ging aber weiter vorwärts und auf den Gestank zu. Er wurde intensiver. Ich betrat seine Atmosphäre, eine Wolke aus widerlichen Dämpfen. Aus fauliger Verwesung. Ich hoffte, dass das nicht das Versteck von irgendetwas war. Das Todeslager irgendeines Aasfressers, der überfahrene Tiere vom Highway klaubte und sie hier drin verschlang. Oder Leute aus liegengebliebenen Autos.
Ich hörte ein Platschen vom anderen Ende des Tunnels. Ich hielt inne und lauschte, wobei ich so flach wie möglich atmete und mich bemühte, nicht wegen des verdammten Gestanks zu würgen, der jetzt genau unter mir aufstieg.
Noch ein Platschen, aber es klang nicht wie ein Schritt. Mehr wie ein Fisch oder das Schlagen eines Schwanzes. Es kam schneller auf mich zu, als irgendjemand laufen konnte. Es klang eher, als würde etwas schwimmen.
»Hallo?« Das war Montierhebel, der von der Öffnung hereinrief, durch die ich die gekommen war, und den Eingang blockierte. Ich wusste, dass ich zu tief drinnen war, als dass er mich hätte sehen können. »Ist jemand hier drin?«
»Ich bin hier!« Die Stimme kam von der gegenüberliegenden Seite, aus der Richtung, in die ich ging.
»Ich auch! Wir feiern ’ne Party.« Eine dritte Stimme, die eines Mädchens. Schrill und manisch vor Schadenfreude. »Ich hab’ alle meine Freunde eingeladen.«
Mehr Platschen, das näherkam. Was auch immer es war, es musste bei dem toten Ding angekommen sein, denn es hielt einen Moment lang inne. Und dann warf es sich hin und her, bespritzte mich mit Wasser, als es sich auf das verwesende Fleisch stürzte.
Ich spürte, wie etwas gegen meinen Fuß stieß, dann gegen mein Bein peitschte. Es zischelte.
Reflexartig trat ich zu und spürte einen heißen Stich in meiner Wade, knapp unter meinem Knie. Schneidender Schmerz ließ Feuer durch mein Bein rasen. Ich griff nach unten und packte etwas, das an meinem Bein hing. Etwas Langes und Schlüpfriges, das sich gummiartig anfühlte und sich in meinem Griff wand. Ich zog, und es wand sich um meinen Unterarm. Ich konnte nicht mehr ruhig bleiben. Ich schrie, als ich es wegschleuderte.
Das war eine Schlange. Hier drin waren Schlangen.
Das Mädchen brach in freudiges Gelächter aus. »Oh, schön! Meine Freunde haben jemanden zum Spielen gefunden!«
Dann, von Montierhebel: »Unfair, wartet auf mich!«
Ich war umzingelt und hatte gerade meine Position verraten. Und diese gottverdammte Schlange hatte mich gebissen. Das war kein Spiel.
Kaltes Feuer brannte an der Stelle, wo die Schlange mich gebissen hatte, und meine Wade verkrampfte. Unmöglich zu sagen, welche Art Schlange es war oder welches Gift jetzt durch meine Adern raste. Was es auch war, es wirkte schnell. Und ich bezweifelte, dass diese Irren Schlangenserum bei sich hatten.
Ich hörte das Zischen einer weiteren Schlange und spürte, wie sie über meinen Fuß glitt und sich dabei kurz um meinen Knöchel schlang. Sie musste über einen Meter lang sein. Eine weitere schwamm in der Rinne zwischen meinen Beinen hindurch. Wie viele gab es hier drin? Was war das tote Ding, das unter mir lag? Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Mensch war, wurde immer größer.
Ich musste hier raus – sofort. »Ich habe eine Waffe.«, schrie ich. Oder versuchte, es zu schreien. Es kam wie ein ersticktes Krächzen heraus, dass durch den Betontunnel hallte und nicht einmal ein Kind überzeugt hätte.
»Das wäre jetzt die richtige Zeit, sie zu benutzen, Süßer. Wir sind hier, um dich zu töten, weißt du.«
Ich spürte, wie ich zusammensackte. Mein Kopf fiel runter, bis mein Kinn auf meiner Brust lag. Wie konnten meine Freunde glauben, dass mir das Spaß machen würde? Selbst wenn diese Tortur mit einer schwedischen Massage mit Happy End zu Ende ging, würde ich kein Wort mehr mit ihnen wechseln. Die Sache ging viel zu weit. Zur Hölle, ich war bereit, sie anzuzeigen. Diese Arschlöcher hinter Gitter zu bringen.
»Ihr seid so was von am Arsch«, sagte ich. Die Akustik im Tunnel unterstrich das Zimperliche in meiner Stimme. Es wäre interessant, hier drin Gesang aufzunehmen. Das heißt, wenn wir nicht gerade unseren allerletzten Auftritt hingelegt hätten. Und vorausgesetzt, dass ich jemals hier rauskam.
Scheiß drauf! Natürlich würde ich rauskommen.
Im Tunnel war es still geworden, abgesehen vom gelegentlichen Platschen der Schlangen. Ich hatte keine Ahnung, ob meine Verfolger sich näherten oder blieben, wo sie waren. Seltsame Farben sickerten allmählich in die Dunkelheit hinein. Feuerorange Jalousien. Ein blaugrünes Aufblitzen, das den Bogen einer Klinge nachzeichnete oder den Flügel eines Vogels. Ein wirbelndes Rotbraun, das mich kurz schwindelig machte, sodass ich mich vorbeugen musste, um das Gleichgewicht zu halten.
Die Dunkelheit, das Gift. Durch Gift erzeugte Halluzinationen.
Eine tiefe, kehlige Vibration erfüllte den Tunnel. Etwas summte, oder es war Montierhebels dämliches Lachen. Es war unmöglich, den Ursprung auszumachen, aber es schwoll an zu einem pulsierenden OMMMM.
Dann flüsterte jemand genau neben mir. »Jesse. Alter. Ich bin’s.« Schmerz zuckte meinen linken Arm hinab, und ich betete fast um einen Herzinfarkt, um mich von meinem Leid zu erlösen. Ich war zu benommen, um zu sprechen.
»Keine Sorge, Mann! Ist alles nur ein Scherz.«
Ich hörte das Klingen von Metall, das Kratzen eines Zündsteins. Ein kleiner Funke flammte auf und verschwand wieder. Das Sturmfeuerzeug leuchtete erneut auf und erzeugte diesmal eine Flamme.
Es fühlte sich an, als hätte man mir einen Stromschlag versetzt. Eine Mischung aus Angst und völliger Erleichterung. Als würdest du von einer hohen Brücke in den Tod springen, es dir mitten im Flug anders überlegen und den Sturz überleben.
Caspian stand neben mir. Die kleine, orange Flamme erhellte sein Gesicht. Seine Augen waren immer noch halbgeschlossen. Sein Mund hing in einem betrunkenen Grinsen herunter. Er wirkte, als wäre er kaum bei Bewusstsein, und ich fragte mich, wie er sich in völliger Dunkelheit im Tunnel zurechtgefunden hatte.
Wen scherte es? Vor ein paar Sekunden wollte ich ihn noch anzeigen, jetzt wollte ich ihn einfach umarmen.
»Caspian, Alter!« Ich ging auf ihn zu. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert.
Dann gewöhnten sich meine Augen an das Licht, und ich sah die Sehnen und die Wirbelsäule, die aus Caspians Hals hingen. Aus der Finsternis erschien neben ihm ein weiteres Gesicht. Dunkler Schatten in tiefen Augenhöhlen. Das wettergegerbte Gesicht eines alten Mannes. Orangenes Licht flackerte auf seinen dicken Brillengläsern und verbarg seine Augen.
Dann ging das Licht aus. Etwas trat hinter mir ins Wasser.
»Hab’s dir doch gesagt, wir kriegen dich, Junge«, sagte Montierhebel hinter mir. Das Letzte, was ich hörte, war sein inzüchtiges Kichern.
Ich brach zusammen in einer Kugel aus Licht, die nicht wirklich da war.