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Wie erinnert man sich am besten?

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Es gibt Menschen, die glauben, dass sie nicht träumen. Die Wissenschaft hat gefunden, dass wir jedenfalls während der REM-Perioden traumhaftes Geschehen registrieren. Wenn man Personen im Schlaflabor im REM-Schlaf weckt und danach fragt, was ihnen gerade durch den Kopf gegangen ist – denn nach den Träumen direkt fragt man nicht, um »falsche« Suggestionen zu vermeiden –, trifft man bei etwa 90 % der Weckungen auf traumhaften Boden – so häufig werden Träume berichtet. Diese Träume können spektakulär oder interessant sein oder völlig beiläufig und nichtssagend, aber es handelt sich um diese bunten Bilderfolgen, die wir Träume nennen. Hier ist übrigens zu bemerken, dass wir uns dabei und übrigens bei der Erforschung der Träume insgesamt ganz auf die TräumerInnen verlassen müssen, dass nämlich die Geschichten, die sie uns erzählen, tatsächlich geträumt und nicht frei erfunden sind. Das ist eine Voraussetzung, mit der die Traumforschung (jedenfalls bis heute) leben muss!

Die einzige mir bekannte und ich meine auch die einzig existierende Studie, die Menschen gefunden hat, die sich auch nach REM-Weckungen nicht an Träume erinnern haben können, ist von Peretz Lavie, einem interessanten und bedeutenden Schlafforscher aus Israel, der heute die psychiatrische Klinik in Haifa leitet. Er hat nämlich das Schlaf- und Traumverhalten traumatisierter Holocaust-Überlebender untersucht und gefunden, dass die, die erfolgreich ein neues Leben in Israel aufnehmen konnten – jene, die Familien gründen konnten und sich insgesamt als erfolgreich gesehen haben –, nichts erinnern, selbst wenn man sie direkt aus einer REM-Periode weckt (Lavie 1996). Sie erinnern sich im Übrigen auch nicht, oder wenn, dann nur sehr ungern und unwillig an die traumatischen Erlebnisse, die ihnen während des Zweiten Weltkriegs widerfahren sind.

Jedenfalls können wir davon ausgehen, dass wir, wenn wir biografisch nicht ganz besonderen Situationen ausgesetzt waren, jede Nacht mindestens vier- bis fünfmal träumen, je nachdem, wie lange wir schlafen, denn ein Schlafzyklus dauert etwa 90 Minuten (siehe Details in Kap. 5). Ob man nicht auch traumähnliche Vorgänge oder gar Träume die ganze Nacht hindurch erlebt, ist im Detail auch in Kap. 5 beschrieben (REM/Non-REM-Debatte).

Diese Tatsachen geben uns allerdings die Sicherheit, dass wir uns auch mehrmals pro Nacht an einen Traum erinnern könnten, wenn wir uns erinnern könnten. Aber wie?

Also:

3) REM-Schlaf: wird, neben anderen Kriterien, dadurch definiert, dass die Muskelspannung erloschen ist. Das zu wissen ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn es um die Technik der Traumerinnerung geht! Wesentlich ist also nicht nur, dass man versucht, sich an den Traum Stück für Stück, Bild für Bild möglichst sinnlich im Detail zu erinnern, sondern dass wir uns beim Auf wachen möglichst nicht bewegen – möglichst nicht irgend welchen Drängen zuerst nachgeben und uns etwa dabei oder danach an den Traum zu erinnern versuchen, sondern dass wir wiederum die Disziplin aufbringen, sofort nach dem, oder besser gesagt, beim Erwachen reglos zu bleiben. Denn so erhält man jedenfalls eine der Bedingungen, unter denen geträumt worden ist: die Reglosigkeit des REM-Schlafs, und man kann so um vieles müheloser den gesamten Traum rekapitulieren, bis ins kleinste Detail sinnlich vor dem inneren Auge erfassen. Wunderschön sind diese Erinnerungssituationen, in denen ein kleines Detail, dem man nachgeht, mit innehaltender Neugier, aber ganz ohne Wollen und Zwang, den Inhalt »kommen« lassend, sich eröffnet wie eine Blüte, die sich im Zeitraffer als Blume offenbart. Wir lassen uns überraschen von den Details, die sich so bis ins Letzte oder beinahe bis ins Letzte erschließen lassen.

Stellen Sie sich einen Traum aus den letzten Nächten vor. Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade aufgewacht und denken an das Traumbild von vorhin. Falls Ihnen kein eigener Traum einfällt, können wir auch so tun, als hätten wir alle folgenden Traum geträumt:

Es fällt Ihnen ein großer Raum ein und zwei jüngere Frauen ganz vorne, eine macht einen Sprung in die Luft mit einer Grätsche und die andere hat gerade einen Salto gemacht. Sie erinnern sich noch, dazwischen gestanden zu haben. Jetzt erinnern Sie, dass Sie sich nicht bewegen wollten, um mehr von dem Traum erinnern zu können. Sie erinnern, dass Sie das mit offener Neugier machen wollten, und lassen also jetzt die Bilder einfach aufsteigen, eins nach dem anderen. Ja, da kommt das Bild von einem Oval, in dem nicht nur die beiden jungen Frauen, sondern, Sie selber zwischen den beiden und in weiterer Folge, viele Frauen gestanden sind. Sie erinnern, dass die ganze Gruppe eigentlich zusammen tanzen wollte, und erinnern, dass Sie sich über diese beiden Frauen eigentlich gewundert und auch geärgert haben, dass sie da so aus der Reihe getanzt sind und dass sie so das Gemeinsame unterbrochen haben und sich danach die Runde aufgelöst hat. Sie halten kurz inne, bringen aber dann doch wieder die Disziplin auf, sich weiter auf den Traum einzulassen. Da fällt Ihnen ein, dass Sie dann durch eine große Holztür gegangen sind mit den anderen, die nicht so aus der Reihe getanzt sind – was für eine Metapher –, diese beiden sind in der Tat aus der Reihe getanzt! Und dass dann, ja, dass dann ein neuer Tanz in diesem anderen, noch größeren, noch schöneren Raum begonnen hat, und Sie spüren den Rhythmus, der von der ganzen Gruppe getragen wird, der langsam einsetzt, und diese beinahe ekstatische Freude, wie Sie Ihre eigenen Schrittabfolgen im Rhythmus der Gruppe mit unheimlicher Freude und Leichtigkeit tragen lassen! Wie schön, dass Sie das jetzt auch noch erinnern haben können…

Und dann

4) erinnern wir den Traum noch mal und versuchen, Eselsbrücken oder, wie manche Kollegen sagen würden, Anker zu setzen: Typisches aus jeder Szene hervorzuheben – ein charakteristisches Traumelement, ob Tier, ob Mensch, ob Gebäude oder Pflanze, Bewegung oder Ablauf. Das könnten in unserem Fall die beiden jungen Frauen mit Grätsche und Salto sein, der ovale Kreis, die große Tür aus Holz, der nun runde Kreis und der Rhythmus und das Gefühl des leichten ekstatisch-rhythmischen Tanzes. So, mit gesetzten Ankern und der Gewissheit, dass man den Traum, jetzt auch dann ganz erwacht, völlig ins Bewusstsein transportiert hat und deshalb bis ins Detail erinnern wird. Um ihn dann

5) genauso detailliert und sinnlich erfasst aufzuschreiben. Das ist wohl der mühevollste Schritt im Prozess des Träumeerinnern- Lernens. Man spürt dabei den Widerstand und die Mühe, die sich einstellen, wenn man die geträumten Bildfolgen in Worte und noch dazu geschriebene Worte fassen möchte. Aber die Mühe lohnt! Schon nach einigen so aufgeschriebenen Träumen erinnert man viel leichter und vermutlich auch viel mehr Träume, erwacht womöglich alle 90 Minuten, pünktlich nach jeder REMPeriode mit einer elaborierten Erinnerung an das, was man gerade geträumt hat.

Damit wäre wohl Teil 1 der Traumarbeit erfüllt. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob nicht dieser disziplinierende Prozess des Sich-Träume-Merkens und -Aufschreibens so nebenbei ein ziemlich wertvolles Nebenprodukt fördert: nämlich unser Gedächtnis – denn so ganz nebenbei schult und diszipliniert man dabei Gehirn und Geist.

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