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Übung: Träume erinnern und erspüren Teil 2: Der zweite Schritt – Traumarbeit re-dreamed
ОглавлениеNehmen wir also an, es gibt einen Traum, der Sie ganz besonders beeindruckt hat und den Sie gerne näher untersuchen würden. Im besten Fall haben Sie ein Gegenüber, vielleicht eine/n PartnerIn, der oder die sich für Ihre Träume interessiert, mit dem Sie Ihre Traumarbeit fortsetzen können. Dieses Gegenüber sollte jemand sein, bei dem Sie sich gut aufgehoben fühlen und dem Sie eventuell Ihre privatesten, intimsten Wünsche, Gedanken und Einstellungen mitteilen können. Wenn es so ein Gegenüber nicht gibt oder es gerade keine Zeit hat, können Sie die Traumarbeit auch mit sich selber oder mit einem Aufnahmegerät durchführen.
6) Sie erzählen den Traum noch mal mit geschlossenen Augen, damit Sie sich auf innere Vorgänge konzentrieren können. Sie sollten dabei laut sprechen und die Gegenwartsform verwenden, gerade so, als ob der Traum im Augenblick noch einmal stattfände. Sie erzählen ihn so detailreich wie möglich. Dabei achten Sie bitte auf Ihre Wahrnehmungen, körperlichen Empfindungen, Ihre Einfälle und sprechen diese ebenfalls aus. Sie achten auf Stimmungen oder Atmosphären, die dabei entstehen, und sprechen sie ebenfalls aus. Welche Gefühle tauchen dabei in diesem Augenblick auf, was fällt Ihnen dazu ein? Der/die ZuhörerIn achtet dabei auf etwaige Veränderungen und hat ansonsten einfach nur die Aufgabe, aufmerksam zu zuhören.
7) Sie versuchen sich nun daran zu erinnern, mit welchem Gefühl und mit welchen körperlichen Empfindungen Sie aus dem Traum erwacht sind, und sprechen das auch aus.
8) Sie finden für diesen Traum einen Titel – wenn das schwierig sein sollte, benennen Sie das Thema.
9) Als Nächstes überlegen Sie, was diese Sammlung mit Ihnen, Ihrem Leben oder Ihrer Lebenssituation, gewissen Neigungen, Vorlieben, Eigenarten oder Situationen, die Ihnen immer wieder begegnen, zu tun haben könnte.
10) Haben sich neue Sichtweisen ergeben? Gibt es etwas, das Sie in Zukunft anders machen wollen – jetzt gleich oder beim nächsten Mal.
Scheinen diese Anweisungen zu mechanistisch, zu abstrakt oder einfach zu mühsam? Vielleicht hilft es, wenn wir uns einen Traum einer meiner ehemaligen KlientInnen vor Augen führen – Punkt für Punkt vorgehen, wie sie es wohl hätte tun können. Namen der TräumerInnen nenne ich selbstverständlich nicht, aber die Träume selber stammen von meinen vielen KlientInnen, bei denen ich mich bei dieser Gelegenheit für ihr Vertrauen bedanken möchte und dafür bedanken möchte, dass sie mir erlauben, ihre Träume zu veröffentlichen, um anderen dabei zu helfen, ihre und die Traumwelt überhaupt verstehen zu lernen.
M., eine etwa 23-jährige Psychologiestudentin, erzählt nach der Anregung, wie ich sie unter Punkt 6) – 10) beschrieben habe, verstört folgende Traumsequenz:
Anregung 6)
Es ist dunkel, oder vielleicht halbdunkel, und ich gehe eine Straße den Hügel hinunter – rechts und links sind Häuser, in denen Menschen wohnen, die sind aber relativ weit weg. Irgendwie hat das Szenario etwa Bedrohliches. Ich sehe aus dunklen Gassen Figuren auftauchen, die auf allen vieren, struppig, sehr dünn, sich als mehrere Katzen entpuppen. Sie schleichen so herum und kommen mir dabei immer näher. An sich mag ich Katzen sehr gern, aber jetzt, wo sie mir immer näher kommen und diese Viecher ziemlich unfreundlich aussehen . . . da springt eine an mir hoch und beißt mich in den Zeigefinger der rechten Hand! Ich möchte sie abschütteln, aber sie verbeißt sich immer fester, es kommen immer mehr davon, in verschiedenen Farben und Größen, ich weiß nicht, was ich tun kann! Werden Sie mich auch anfallen, davor ekelt mir! Ich habe genug vor dieser einen, die sich immer noch an meinem Finger festgebissen hat!
Meine körperlichen Empfindungen beim Erzählen sind, merke ich jetzt, ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und mein Nacken, der besonders angespannt ist. Die Atmosphäre ist unheimlich bedrohlich, auch jetzt beim Erzählen. Ich verstehe das alles nicht, ich liebe sonst Katzen, warum sollten sie mich anfallen? Da fällt mir ein, dass ich auf der Uni recht aggressiv geworden bin beim Anstellen, da gibt’s so viele KollegInnen, und die Leute von der Uni kümmern sich einen Dreck um Fairness. Das hat mich sehr geärgert, aber selbstverständlich habe ich nichts gesagt, sondern voll Ärger gewartet. Ich bin gleichzeitig verwirrt, und ein Gefühl von völliger Abneigung und sogar Ekel wird immer stärker.
Anregung 7)
Beim Aufwachen hatte ich auch ein Gefühl von Verwirrtsein und vor allem von Bedrängung und Belästigtwerden.
Anregung 8)
Ein Titel könnte sein: »Katzenmenschen« oder vielleicht »Katzenbiss«, »Tierische Aggression« oder vielleicht »…wovor ich mich am meisten ekele…«.
Anregung 9)
Ich hasse Ungerechtigkeiten und Anstellen und Sich-raufen-Müssen um einen Platz im Seminar, davor ekele ich mich ebenso, und noch mehr ekelt mich der Gedanke, dass mich diese Situation selber aggressiv gemacht hat und dass ich selbstverständlich nichts gesagt habe, da wird mir jetzt noch beinahe übel – diese Versager an der Uni können nicht mal eine reibungslose Administration durchführen. Na ja, es gibt auch viel zu viele StudentInnen.
Anregung 10)
Könnte dieses Traumbild diese Situation wiedergeben? Was mir immer wieder passiert, ist, dass ich mich voller Ekel abwende, wenn ich wütend geworden bin. Bevor ich riskiere, mich zu blamieren und rumzutoben, verlasse ich lieber das Terrain, das finde ich eleganter. Aggressive Frauen sind einfach derb. Aber vielleicht könnte der Traum ein Hinweis darauf sein, dass ich mich daran gewöhnen sollte, dass auch ich manchmal wütend werde und dass ich das vielleicht auch irgendwie an den Mann oder an die Frau bringen sollte? Vielleicht kann ich ein nächstes Mal daran denken…
Insgesamt fühlt sich dieser Vorgang wohl wie eine Meditation über innere Bilder an. Die innere Haltung sollte dabei ein geduldiges Sich-überraschen-Lassen sein.
Mir ist noch sehr wichtig zu erwähnen, dass nicht jeder Traum, der von Katzenbissen handelt, mit Aggressionshemmungen zu tun hat, und ersuche, dies als Beispiel, wie Sie mit Ihren Träumen umgehen können, aufzufassen und nicht als Trauminterpretation. Wie gesagt, es ist eine der größten Fallen, wenn wir glauben, Träume interpretieren zu können. Aufschlüsse gibt allein das »Wiedererleben«!
Im tibetanischen Buddhismus, in dem Traum und Traum-Yoga als spirituelle Disziplin verstanden werden, gilt die Traumwelt als Zwischenwelt, deren Beherrschung die Beherrschung des Augenblicks des Todes schult und damit den Weg ins Nirvana ebnet. Als westliche Psychotherapeutin ziehe ich allerdings die Vorstellung vor, dass die Beschäftigung mit Sambhogakaya – wie dieser traumhafte Zwischenzustand im tibetanischen Buddhismus genannt wird – uns jedenfalls dabei hilft, ein erfüllteres und inspirierteres Leben im Diesseits erreichen zu können.
Wie es vermutlich auch bei jenem Soldaten ist, dessen Traum ich Ihnen hier zum Abschluss verraten möchte. Er betitelt den Traum mit »Das Kartenspiel«. Meiner Ansicht nach könnte dieser Traum eine Szene in einem Buch oder einem Spielfilm sein, und als Anregung zum Weiterlesen lasse ich ihn auch so stehen:
»Ich stehe in einem Raum, in dem sich neben Kartenspielern auch Zuschauer eingefunden haben, die Luft ist stickig und rauchverhangen. Das Besondere aber ist der Spieltisch: Dieser ist lang und schmal, die Spieler sitzen nebeneinandergereiht, vor sich haben alle eine Art Trennwand als Abschluss gewissermaßen. Das obere Ende dieser brusthohen Trennwand besteht aus Glas.
Das Kartenspiel ist insofern besonders, als man als Zuseher auch aktiv eingreifen kann und ein Päckchen Spielkarten in der Hand hält. Beim Spieler hingegen sind sechs Karten nebeneinander aufgeschlagen, darunter befinden sich jeweils fünf verdeckte, die nacheinander, einer Patience ähnlich, aufgehen müssen. Hier können die umstehenden Zuseher eingreifen und mit ihren Karten helfen. Darüber hinaus gibt es zu den normalen, französischen Karten und Figuren, die verwendet werden, auch noch längliche, schmale Sonderkarten in verschiedenen Ausführungen, die eine Art Joker mit verschieden hoher Wertung darstellen. Da das Spiel auf der ganzen Welt in heimlichen Zirkeln gespielt wird, gibt es auch entsprechend exotische Sonderkarten, die von berühmten Organisationen oder Familien berichten oder gestiftet wurden. Solche länglichen Karten entdecke ich auch in den Stapeln anderer Zuschauer.
In meinem Stapel finde ich eine schwarze Sonderkarte, die offenbar auch schon andere Zuschauer bemerkt haben. Sie ist glänzend schwarz, am oberen Ende ist mit weißer Schrift etwas verschnörkelt und für mich nicht verständlich geschrieben sowie eine Art Ornament, dessen Bedeutung ich nicht verstehe. Jetzt spiele ich sie aus, vermutlich um jemandem zu helfen. Ein Raunen geht durch den Raum, und viele Augen sind unverständlicherweise auf mich geheftet. ›Das ist die Karte der Mafia‹, sagt jemand leise und mit gestocktem Atem. ›Die wurde noch nie ausgespielt.‹ Mir wird bewusst, dass ich hiermit eine Reaktion ausgelöst habe, ohne zu wissen, was die Karte bedeutet…
Hier endet der Traum.«
Die Geheimnisse, die in unseren Träumen und in unseren Köpfen verborgen sind, kann man beinahe mit der Erforschung unseres Planeten und Universums vergleichen: Man hat viel erforscht und viel gefunden, Theorien und Modelle entworfen, die die Phänomene ganz gut erklären, aber eigentlich tappen wir in Bezug auf manche Kernfragen weitgehend noch im Dunkeln – beginnen wir die Entdeckungsreise ins Land der Träume!