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Vorgeschichte und Kriegsursachen

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Sucht man nach den Ursachen für den Ersten Weltkrieg, muss man zunächst ein Stück zurückgehen. Die Gründe reichen bis fünfzig Jahre zurück, als die Gründung des Deutschen Reiches – noch dazu mit dem Schwert - das europäische Machtgefüge, die „balance of power“ gründlich durcheinander brachte.

Das Deutsche Reich, als letzter europäischer Nationalstaat aus der Taufe gehoben, war eine unvollständige Gründung. Einerseits in nationaler Hinsicht, denn es war eine kleindeutsche Lösung, andererseits war es auch als Verfassungsstaat unvollendet, von einer konstitutionellen Monarchie konnte man nicht reden, der Kaiser hatte die entscheidende Machtbefugnis, er war de facto ein absolut regierender Monarch.

Das Reich war eine zutiefst preußische Gründung, eine Art Groß-Preußen. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte die Kriege von 1864 und 1866 gewollt und auch gemacht, um Österreichs Dominanz im Deutschen Bund zu brechen, und er hatte auch den Deutsch – Französischen Krieg von 1870/71 letztlich gemacht.

Entstanden durch militärische Gewalt, war das Wesen des Bismarckschen Reiches Macht, überlegene Macht, repräsentiert durch eine starke Armee. Diese säbelrasselnde Art der Reichsgründung, das Bild der Proklamation im Spiegelsaal von Versailles prägte das Bild des jungen Reiches bei seinen Nachbarn nachhaltig.

Die „verspätete Nation“ mit all ihren Komplexen des zu kurz gekommenen, ewig Benachteiligten entwickelte sich schnell zum größten Industriestaat Europas. Man suchte den Vorsprung der anderen Europäer wettzumachen und reklamierte für sich auch einen „Platz an der Sonne“, sprich Kolonien in Übersee.

Weltmacht wollte das Deutsche Reich sein- fordernd und immer ein wenig zu säbelrasselnd. Wilhelm II., seit 1888 Deutscher Kaiser, war die Personifizierung des Zeitgeistes seiner Epoche, zugleich Repräsentant und Spiegel einer militärisch geprägten Bürgergesellschaft. Getrieben vom Komplex des Hinterherhechelns des Spätgeborenen war er immer etwas zu laut, zu poltrig, zu nassforsch in seinem Vorgehen.

Dieses kriegerisch anmaßende Auftreten Wilhelms wurde zunehmend als Provokation verstanden und verprellte die Nachbarn. Die Folgen waren fatal: 1894 schlossen Frankreich und Russland ein Defensivbündnis gegen Deutschland. Diese Entwicklung war im Reich für völlig unmöglich gehalten worden, rechnete man doch Russland dem eigenen Einflussbereich zu und schloss eine Annäherung des republikanischen Frankreich an das dem Despotentum noch nahe Russland auch politisch aus.

Das Deutsche Reich steckte in der Zange, ein Zustand, den Bismarck um fast jeden Preis zu verhindern trachtete. Ihm war die ungünstige Mittellage Deutschlands bewusst und seine Doktrin lautete „Freundschaft mit Russland“.

Er war in der Lage gewesen, die fünf Bälle der europäischen Mächte gleichzeitig jonglierend in der Luft zu halten, wenn auch zunehmend mit Problemen. Auch er konnte schon Frankreichs Isolierung nicht mehr vollkommen aufrecht erhalten, dass die Revanchegelüste dort wachsen mussten, war ohnehin klar.

Ein gleichzeitiges Bündnis mit Österreich – Ungarn und Russland zu erhalten wurde selbst für den Diplomaten Bismarck fast zur Quadratur des Kreises ob derer Interessengegensätze auf dem Balkan.

Seine Nachfolger waren nicht in der Lage, diese fragile Balance zu erhalten, wollten es auch nicht einmal. Schon Leo von Caprivi sah einen zukünftigen Zweifrontenkrieg als unausweichlich an, und Wilhelm II. ließ den Rückversicherungsvertrag mit Russland auslaufen.

In die zunehmende Isolation hinein folgte das nächste unbedachte Vorpreschen. Zum angestrebten Weltmachtstatus gehörte eine Flotte. Bismarcks Mahnung, sich mit dem Status einer Landmacht zu bescheiden, wurde in den Wind geschlagen. Man betrachtete sich auch keinesfalls mehr als saturiert und zerschlug mit verbalen Kraftakten viel Porzellan.

Wilhelm II. legte ein ehrgeiziges Flottenbauprogramm auf, mit dem er seine Hassliebe England herausfordern musste. Ein gigantisches Wettrüsten setzte ein, noch schlimmer war für Deutschland aber, dass England direkt in die Arme Frankreichs gedrängt wurde.

England das bisher keine eigenen kontinentalen Interessen gehabt hatte, trat 1904 in die Entente Cordiale mit Frankreich ein, das wiederum auf einen englisch – russischen Ausgleich drängte. 1907 steckten England und Russland dann ihre Interessen im Nahen Osten ab und kamen zu einer vertraglichen Bindung. Auch dies hatten deutsche Diplomaten für ausgeschlossen gehalten, die Gegensätze seien unüberbrückbar, hatte es geheißen.

Nun war es also passiert, Deutschland war isoliert, eingekreist – keineswegs ohne eigenes Verschulden. Ein neuer Komplex wuchs heran im Unterbewusstsein der jungen Nation: der Einkreisungskomplex. Die nun bestehenden Bündnisse erwiesen sich als haltbar, so haltbar, dass sie förmlich erstarrten und der Diplomatie keinen Spielraum mehr ließen. Von nun an wurde alles politische Handeln in Europa den vermeintlichen oder tatsächlichen militärischen Zwängen dieser Bündnisse untergeordnet.

Nicht nur das deutsche Muskelspiel schuf Konflikte. Da war das französische Revanchedenken, das unablässig auf die Rückgewinnung Elsass – Lothringens hinarbeitete und selbst auch jedwede Möglichkeit nutzt, Deutschland zu demütigen. Da war Großbritannien, das seinen Status als führende Weltmacht um jeden Preis zu halten suchte. Dafür war vor allem die Beherrschung der Weltmeere für das Inselreich unabdingbar. Die Haltung Deutschland gegenüber, das am Thron dieser Weltherrschaft rüttelte, war die eines alteingesessenen Landedelmannes einem vorlauten Emporkömmling gegenüber.

Bis zu jener Zeit hatte England keine eigenen Interessen auf dem Kontinent, war nur an einem Gleichgewicht interessiert. Nun begann man, die Möglichkeit einer Beteiligung an einem kontinentalen Landkrieg einzuplanen.

Hinzu kam bei allen europäischen Staaten der Hang zur Prestigepolitik. Längst hatten überall nach heutigen Vorstellungen extrem nationalistische Strömungen die Überhand gewonnen. Vaterländische Vereinigungen gaben überall den Ton an mit martialischem Gepräge. Das führte zu einer Beschränktheit des Denkens. Man war gefangen im Blockdenken, politische Planungen waren längst dem Primat des Militärischen unterlegen. Gedacht wurde nur noch in den Kategorien der eigenen Bündnisverpflichtungen. Es herrschte die Vorstellung, die Spannungen in Europa seien sowieso nur durch einen Krieg zu lösen. Bemühungen um Ausgleich und Frieden wurden als Schwäche ausgelegt. Der Friede war damals ganz einfach nicht das höchste Gut.

Zwischen Österreich – Ungarn und Russland entwickelte sich ein Dauerkonflikt. Die Interessen des Vielvölkerstaates und des panslawistisch orientierten Zarenreiches prallten auf dem Balkan unvereinbar aufeinander. Einen Kompromiss konnte es nicht geben, denn die beiden machtpolitischen Konzepte schlossen das aus.

Eine relativ beliebige Angelegenheit auf dem Balkan würde das Pulverfass zur Explosion bringen, mutmaßte schon Bismarck, und so kam es dann auch.

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