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Der Schlieffen – Plan
ОглавлениеIm Deutschen Reich gab es keinerlei Pläne für einen Einfrontenkrieg gegen Russland. Das einzig denkbare Modell bestand seit der französisch – russischen Allianz in einem Zweifrontenkrieg. Der deutsche Generalstabschef General Alfred von Schlieffen hatte für diese Ausgangslage 1905 einen Plan ausgearbeitet. Das Konzept beruhte auf hinhaltender Kriegführung im Osten und dem Suchen einer schnellen Entscheidung im Westen.
Man ging davon aus, dass ein schneller, entscheidender Sieg gegen Russland nicht möglich wäre, da die russischen Truppen ähnlich wie im Krieg gegen Napoleon in die Weite des Landes zurückweichen könnten und so den Angreifer in einen nicht enden wollenden Feldzug verwickeln würden.
Die Offensivkraft der Russen zu Beginn des Krieges schätzte man jedoch als gering ein. Man glaubte, Russland würde wegen der Schwierigkeit Gestellungsbefehle und Mobilmachungsanordnungen auch in den entlegensten Landesteilen zuzustellen, aber auch ob des lückenhaften Bahnnetzes und der über riesige Entfernungen zu transportierenden Reservistenmassen mindestens sechs Wochen brauchen, bevor es zu irgendwelchen nennenswerten Angriffen in der Lage sein würde.
Daher sah Schlieffen für den Schutz des deutschen Ostens nicht einmal 15% der Truppen vor – eine einzige Armee. Diese Armee sollte in der Lage sein, die Grenze etwa sechs Wochen zu halten, notfalls sollte sie vorübergehend zurückweichen, nötigenfalls bis hinter die Weichsel.
Der Sieg im Westen gegen Frankreich musste also binnen dieser sechs Wochen im Zuge einer Niederwerfungsstrategie erfolgen. Wie aber sollte das nun bewerkstelligt werden?
Frankreich hatte seine relativ kurze Grenze zu Deutschland nach 1871 durch starke Festungen (wie später der Maginotlinie) gesichert. Ein Frontalangriff würde zu langanhaltenden Belagerungen und verlustreichen Sturmangriffen auf die Festungen führen. Eine rasche Entscheidungsschlacht war nur möglich, wenn man den Festungsgürtel umging. Das allerdings war ob des begrenzten Raumes zwischen schweizerischer Grenze und Belgien von deutschen Boden aus unmöglich. Die Schlieffen vorschwebenden Operationen von Millionenheeren brauchten Raum.
Der deutsche Generalstab war der Ansicht, Frankreich brauche ähnlich wie Deutschland etwa 14 Tage für eine vollständige Mobilisierung und könnte dann voll offensiv werden. Für eine schnelle Entscheidung war es also unabdingbar, möglichst viele Truppen rasch angreifen zu lassen. Im Generalstab hatte sich schnell die Meinung durchgesetzt, nur durch eine groß angelegte, Belgien als Vormarschraum nutzende Umfassung der französischen Truppen könne der Westfeldzug rasch beendet werden.
Der Vormarsch des rechten, starken Flügels sollte quer durch Belgien von Lüttich Richtung Brüssel gehen und dann nach Süden schwenken, wobei der „rechte Flügelmann mit dem Ärmel den Kanal streifen sollte“. Der Bogen sollte bis weit genug südlich von Paris gehen und dann Richtung Mosel zielen, um möglichst sämtliche gegnerischen Truppen einzukesseln.
Den linken Flügel an der elsässisch – lothringischen Grenze ließ Schlieffen bewusst schwach. Hier sollten die Deutschen den französischen Hauptangriff erwarten und den Gegner nur im Kessel halten. Im günstigsten Falle sollten die Truppen zu einem umfassenden Gegenangriff übergehen, um die Franzosen doppelt zu umfassen- ein klassisches Cannae.
Im Prinzip blieb dieser Plan unverändert, aber Schlieffens Nachfolger von Moltke verwässerte ihn, indem er dem rechten Flügel zugunsten des linken immer mehr Truppen entzog. Bei Kriegsbeginn waren die Verhältnisse so:
700 000 Mann auf dem rechten Flügel
400 000 Mann im Zentrum
320 000 Mann auf dem linken Flügel
Insgesamt sieben der acht deutschen Armeen sollten angreifen.
Der Plan stand und fiel mit einem schnellen Durchmarsch durch das neutrale Belgien. Nun war Belgien allerdings keinesfalls gewillt, die deutschen Truppen friedlich durchziehen zu lassen. Ein gewaltsamer, völkerrechtswidriger Einmarsch in Belgien musste aber zwangsläufig England auf den Plan rufen, das seit dem Londoner Protokoll von 1831 Garantiemacht der belgischen Neutralität war.
Mit der österreichischen Kriegserklärung an Serbien vom 28. Juli 1914 und der russischen Mobilmachung vom 30. Juli 1914 waren alle Weichen auf Krieg gestellt. Das deutsche Ultimatum an den Zaren machte klar, dass sich eine Eigendynamik entwickelt hatte, die Europa in den Abgrund riss. Die folgenden hektischen diplomatischen Aktivitäten, die Flut von Telegrammen versuchte nur noch, die jeweils eigene Ausgangsposition zu verbessern.
Am 3. August 1914 erklärte Deutschland Frankreich den Krieg und marschierte in Belgien und Luxemburg ein. Folgerichtig erging am 4.August 1914 ein britisches Ultimatum in Berlin ein, das den sofortigen Abzug aller Truppen aus Belgien verlangte. Nachdem das Deutsche Reich auf diese Forderung nicht einging, erklärte Großbritannien um Mitternacht dem Deutschen Reich den Krieg.
Die Lichter waren ausgegangen, wie der englische Außenminister Grey feststellte.
Allen Regierungen war es gelungen, ihre Völker von der eigenen Unschuld am Kriegsausbruch zu überzeugen:
Serbien betonte das weitreichende eigene Eingehen auf Österreichs Forderungen.
Österreich – Ungarn warf den Serben existenzbedrohende, dauernde panslawistische Aggressionen vor.
Russland betonte die eigenen hehren Motive des zu Hilfeeilens, um dem kleinen slawischen Brudervolk beizustehen und es vor der Sklaverei zu bewahren.
Deutschland sah sich von französischen Revanchegelüsten, englischem Konkurrenzneid und russischer Kriegstreiberei umzingelt.
Frankreich und Großbritannien beklagten rücksichtsloses deutsches Hegemonialstreben, sowie die deutsche Neutralitätsverletzung Belgiens.
So war es gelungen, alle Völker in eine Kriegseuphorie hinein zu ziehen. Man betrachtete den Kriegsausbruch europaweit als reinigendes Stahlgewitter, das die unerträglichen Spannungen lösen sollte. Millionen eilten begeistert zu den Waffen, gefangen von einer irrational übersteigerten Vaterlandsliebe, trunken vom zu jener Zeit höchsten Wert, der Opferbereitschaft für das große Übergeordnete, für die Nation.